Böll, Heinrich

Dates of Life
1917 – 1985
Place of birth
Köln
Place of death
Langenbroich (Eifel)
Occupation
Schriftsteller ; Nobelpreisträger ; Übersetzer ; Drehbuchautor
Religious Denomination
römisch-katholisch,seit 1976 konfessionslos
Authority Data
GND: 118512676 | OGND | VIAF: 88858559
Alternate Names

  • Böll, Heinrich Theodor
  • Hermanns, Victor / Pseudonym
  • Böll, Heinrich
  • Böll, Heinrich Theodor
  • Hermanns, Victor / Pseudonym
  • Böll, Heinrich
  • Bel', Genrich
  • Bel, Hainrikh
  • Bel, Hainrîḵ
  • Bel, Hajnrih
  • Bel, Haynrikh
  • Belis, Heinrichas
  • Bell, Hainrîḵ
  • Bell, Haynrîk
  • Bells, Heinrihs
  • Bellʹ, Genrich
  • Bellʹ, Henrich
  • Beru
  • Beru, Hainrihi
  • Béru
  • Bël', Genrych
  • Bëll, Ḩajnrih
  • Bëllʹ, G.
  • Bëllʹ, Genrich
  • Bëlʹ, Genrich
  • Bioli, Hainrih
  • Bioli, Hainrix
  • Bo'er, Haiyinlixi
  • Boel, Hainlihi
  • Boell, Heinrich
  • Boer, Haiyinlixi
  • Boer, Henglixi
  • Bol, Hā'inriš
  • Bol, Hinriẖ
  • Böll
  • Böll, Haynrix
  • Böll-Wallraff
  • Bul, Hānrīš
  • Bul, Hāynrīš
  • Būl, Hinriẖ
  • Byol, Haynrix
  • Bʹol, Chajnrich
  • Ha in li hi Boel
  • Hai yin li xi Bo er
  • Hainlihi-Boel
  • Haiyinlixi-Bo'er
  • Haiyinlixi-Boer
  • Haiyinlixi-Po'er
  • Heng li xi Bo er
  • Henglixi-Boer
  • Mpel, Chainrich
  • Mpel, Chaïnrich
  • Mpell, Chainrich
  • Mpell, Chaïnrich
  • Po'er, Haiyinlixi
  • Poel, Haillihi
  • Бёлль, Генрих
  • בל, היינריך
  • ბიოლი, ჰაინრიხ
  • 뵐, 하인리히
  • ベル, ハインリヒ
  • 伯尔, 海因里希
  • 伯爾, 海因里希
  • 海因里希. 伯尔
  • 海因里希.伯爾
  • Böll-Wallrafph

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Citation

Böll, Heinrich, Index entry in: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118512676.html [31.01.2025].

CC0

  • Böll, Heinrich Theodor

    Pseudonym: Victor Hermanns

    1917 – 1985

    Schriftsteller

    Heinrich Böll prägte über Jahrzehnte hinweg das Bild der Literatur der Bundesrepublik in und außerhalb ihrer Grenzen mit. Sein Werk ist thematisch vielfältig und erstreckt sich über verschiedene literarische Gattungen, Reden und Gesprächen. Mit ihm leistete er wichtige Beiträge zu zentralen politischen und gesellschaftlichen Diskussionen der Bonner Republik. 1972 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

    Dates of Life

    Geboren am 21. Dezember 1917 in Köln
    Gestorben am 16. Juli 1985 in Langenbroich (Eifel)
    Grabstätte Alter Friedhof in Bornheim-Merten (Rhein-Sieg-Kreis)
    Konfession römisch-katholisch; seit 1976 konfessionslos
    Heinrich Böll, BSB / Bildarchiv / Fotoarchiv Timpe (InC)
    Heinrich Böll, BSB / Bildarchiv / Fotoarchiv Timpe (InC)
  • 21. Dezember 1917 - Köln

    April 1924 - 6.2.1937 - Köln-Raderthal; Köln

    Schulbesuch (Abschluss: Abitur)

    katholische Volksschule; seit 1928 staatliches Kaiser-Wilhelm-Gymnasium

    1.4.1937 - 1.10.1937 - Bonn

    Ausbildung zum Buchhändler (abgebrochen)

    Matthias Lempertz, Buchhandlung und Antiquariat

    November 1938 - 31.3.1939 - Wolfhagen bei Kassel

    Reichsarbeitsdienst

    31.4.1939 - Köln

    Immatrikulation für das Studium der Germanistik und Klassischen Philologie

    Universität

    3.9.1939 - April 1945 - Osnabrück; Bromberg (heute Bydgoszcz, Polen); Westfront; Krim; Ostfront; Rumänien; Rheinland

    Kriegsdienst (1943 Obergefreiter)

    Wehrmacht

    April 1945 - September 1945 - Waldbröl (Rheinland); Bonn

    US-amerikanische Kriegsgefangenschaft; Rückkehr

    1946 - 1947 - Köln

    formelle Wiederaufnahme des Studiums

    Universität

    1948 - Köln

    freier Schriftsteller

    1954 - 1954 - Irland

    erste Reise

    1962 - 1962 - Sowjetunion

    erste Reise

    1964 - 1964 - Frankfurt am Main

    Poetikdozent

    Universität

    1970 - 1972

    Präsident

    PEN-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland

    1971 - 1974

    Präsident

    Internationaler PEN-Club

    1983 - 1983 - Mutlangen (Baden-Württemberg)

    Teilnehmer

    Blockade des US-Militärlagers

    16. Juli 1985 - Langenbroich (Eifel)

    alternativer text
    Heinrich Böll, BSB / Bildarchiv / Fotoarchiv Timpe (InC)

    Kindheit und Kriegszeit

    Böll wurde durch den Katholizismus, die reservierte Haltung der Eltern gegenüber jeder Form sozialer Hierarchisierung und den Bankrott des väterlichen Handwerksbetriebs geprägt, der zu einer prekären finanziellen Lage der Familie führte. Er besuchte von 1924 bis 1928 die katholische Volksschule in Köln-Raderthal, danach bis zum Abitur 1937 das staatliche Kaiser-Wilhelm-Gymnasium in Köln. Eine anschließende Ausbildung zum Buchhändler in Bonn brach er nach einem halben Jahr ab.

    1938/39 leistete Böll in Wolfhagen bei Kassel Reichsarbeitsdienst, immatrikulierte sich im Frühjahr 1939 an der Universität Köln für Germanistik und Klassische Philologie und wurde zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zur Wehrmacht eingezogen. In der Winkelhausen-Kaserne in Osnabrück von Ende August 1939 bis Juni 1940 ausgebildet, wurde Böll in Bromberg (heute Bydgoszcz, Polen), dann an der Westfront, auf der Krim, an der Ostfront, in Rumänien und zuletzt im Rheinland eingesetzt und überstand schwere Verwundungen und Erkrankungen. Am 9. April 1945 geriet er in Denklingen (Rheinland) in US-amerikanische Gefangenschaft, wurde nach Namur (Belgien) verbracht und war schließlich im Kriegsgefangenenlager Attichy bei Soissons (Picardie, Frankreich) inhaftiert. Im September 1945 kehrte er nach Bonn zurück, nahm 1946 sein Studium formell wieder auf und lebte seit 1948 als freier Schriftsteller in Köln.

    Der Schriftsteller Heinrich Böll

    Böll begann 1936 mit Schreibprojekten. Sein Erstlingstext, ein titelloses Gedicht, artikulierte mit der Vergegenwärtigungsgeste „Mir träumte heut …“ den Anspruch einer aus christlicher Identität entwickelten Zivilisationskritik und damit eine lebenslange Reflexionsfigur Bölls. Dessen Abscheu vor Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg wurden prägend für sein Werk, in dem er die klassisch-humanistische Bildungstradition und deren Sinnfortschreibung durch Werte wie Pflichterfüllung und Gehorsam im Geist eines obrigkeitsstaatlichen Denkens hinterfragte. Ein solcher Klärungsversuch aus der Opferperspektive gelang Böll in der Erzählung „Wanderer, kommst du nach Spa...“ (1950), in der der im Kriegseinsatz versehrte Ich-Erzähler in sein zum Lazarett umfunktioniertes „humanistisches“ Gymnasium zurückkehrt und in dem von ihm wenige Wochen vor seiner Verwundung an die Tafel geschriebenen verstümmelten, titelgebenden Satz seine eigene Verstümmelung gespiegelt sieht.

    Die literarische Auseinandersetzung mit dem Krieg

    Bölls in der unmittelbaren Nachkriegszeit entstandene Kurzgeschichten entwickeln ihre Erzählung vor dem Hintergrund des Kriegs, der nicht in der Form von Handlungsfolgen als Folie dient, sondern in der Vermittlung einzelner Erzählstimmen, mit denen die Unmittelbarkeit katastrophischer Gegenwart und Deformationen wiedergegeben wird.

    Seine Ablehnung des Nationalsozialismus fasst Böll literarisch erstmals in seinem 1946/47 verfassten, 2002 postum veröffentlichten Roman „Kreuz ohne Liebe“, der in zwei Phasen geteilt ist, die wie Verheißung (Vorkriegszeit) und Erfüllung (Kriegszeit) aufeinander bezogen sind. Antipodisch stehen sich in den Protagonisten, zwei Brüdern, die Haltungen eines religiös zentrierten und eines von der NS-Ideologie eingenommenen Menschen gegenüber. Ein die Nachkriegszeit kritisch pointierender Epilog mit einer skeptischen Perspektive auf eine vom Autor antizipierte Verdrängung des Geschehenen beschließt den Text.

    Beispielhaft für Bölls Erzählen vom Krieg wurden die Erzählung „Der Zug war pünktlich“ (1949) und der Roman „Wo warst Du, Adam?“ (1951). In „Der Zug war pünktlich“ wird die Gewissheit eines Soldaten, bald zu sterben, während seines Transports im September 1943 an die Ostfront geschildert. Der Titel gerät zur Metapher für eine unausweichliche, den Einzelnen unterwerfende Ordnung, die Erzählung zu einer Lesart der Geschichte des 20. Jahrhunderts als Enteignungsgeschichte von Biografien und Lebensläufen. „Wo warst Du, Adam?“ ist der letzte der Kriegstexte, in dessen Mittelpunkt die Figur des Soldaten Feinhals und die Monstrosität des Kriegs steht.

    Schreiben in der Frühphase der Bundesrepublik

    Bölls Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Weltkrieg wandelte sich in der frühen Bundesrepublik zu einer Kritik am gesellschaftlichen Umgang mit beidem. Angetrieben von seinem Aufklärungsanspruch, entwickelte er eine spezifische Form des Schreibens, die auch als „Trümmerliteratur“ bezeichnet wird. Mit ihr setzte er sich mit der auf Prosperität ausgerichteten bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft auseinander, deren Vitalität aus seiner Sicht durch hintergründige historische Kontinuitätslinien mitbestimmt war. Bölls erster zeitkritischer Essay „Bekenntnis zur Trümmerliteratur“ (1952) ist eine programmatische Standortbestimmung, nach der es Aufgabe des Autors sei, durch Bewahrung und Vergegenwärtigung der Humanität des Menschen als conditio sine qua non seiner Existenz einer sich für Böll abzeichnenden bürokratischen Rationalität entgegenzuwirken.

    Böll wurde durch Essays und Reden als öffentlicher Intellektueller bekannt und war im bundesdeutschen Rundfunk, der in den ersten Nachkriegsjahren mäzenatisch literarische Autoren wie ihn förderte, zunehmend präsent. Gleichzeitig entwickelte er sich zu einem erfolgreichen Satiriker, u. a. durch Erzählungen wie „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ (1952), mit der Böll im Bild einer immerwährenden Weihnacht das Beharren im äußeren Festprunk, den Rückfall in leere Traditionen und das Diktat von dem Konsum unterworfenen, konventionellen Familienfeiern einer Kritik unterzog, und seine medienkritische Rundfunksatire „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“ (1955). Für seine Familiensatire „Die schwarzen Schafe“, die Böll bei einem Treffen der Gruppe 47 in Bad Dürkheim 1951 vortrug, wurde er mit deren renommiertem Preis ausgezeichnet. Böll nahm bis 1957 an den Treffen der Gruppe teil und schloss dabei lebenslange Freundschaften, u. a. mit Ingeborg Bachmann (1926–1973), Alfred Andersch (1914–1980) und Günter Eich (1907–1972).

    Wie in seinen Satiren richtete Böll seine Aufmerksamkeit auch in anderen Erzählformen auf die gesellschaftliche Entwicklung, so in seinen Romanen „Und sagte keine einziges Wort“ (1953) und „Haus ohne Hüter“ (1954) sowie in der Erzählung „Das Brot der frühen Jahre“ (1955). Diese Werke sowie die beiden folgenden Romane „Billard um halb zehn“ (1959) und „Ansichten eines Clowns“ (1963), der als Höhepunkt seiner Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche bzw. dem katholischen Milieu gilt, begründeten Bölls literarischen Rang als herausragender Vertreter der nachkriegsdeutschen Literatur. In diesen Werken versuchte Böll, die sich seiner Auffassung nach in die Imperative von Besitz und Verfügung transformierte Denkform des Sozialen und Politischen in der Bundesrepublik zu entlarven.

    Eine Sonderstellung in Bölls Werk nimmt das „Irische Tagebuch“ (1957) ein, das in Teilen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vorab gedruckt und schnell zu einem Klassiker der Reiseliteratur wurde. Seit 1954 war Irland jährliches Reiseziel der Familie Böll, die 1958 in Dugort auf Achill Island ein kleines Cottage erwarb. Irland wurde für Böll das Land existenzieller Gelassenheit und der Ablösung von überkommenen Formen westlicher Rationalitäten. Auf der Grundlage des „Irischen Tagebuchs“ verfasste er Anfang der 1960er Jahre das Drehbuch „Irland und seine Kinder“ (WDR, 8.3.1961).

    Fragen nach dem Verhältnis von Wirklichkeit und Fiktion in literarischen Texten, der Verortung und dem Selbstverständnis des Schriftstellers zwischen künstlerischer Autonomie und gesellschaftlicher Verantwortung griff Böll 1964 in seiner Poetik-Vorlesung an der Universität Frankfurt am Main auf, in der er anhand des von ihm gewählten Leitmotivs „Ästhetik des Humanen“ Grundzüge seiner Autorenpoetik entfaltete.

    Politisches Engagement in den 1950er und 1960er Jahren

    Seit Mitte der 1950er intensivierte Böll sein gesellschaftlich-politisches Engagement, v. a. in der Debatte um die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik und die für ihn damit verbundene Frage nach dem gesellschaftlichen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Bölls Bemühen, durch Aufklärung über die deutsche Geschichte Bewusstseinsbildung zu bewirken, führte Ende der 1950er Jahre zu seiner Mitwirkung an der Initiative, in Köln die „Germania Judaica“ als Bibliothek zur Geschichte des Judentums in Deutschland aufzubauen.

    In den 1960er Jahren bezog Böll vor dem Hintergrund der Studentenbewegung sowie der sozialen und politischen Umbrüche in Deutschland wiederholt prominent Stellung. 1966 nahm er am Frankfurter Kongress des Kuratoriums „Notstand der Demokratie“ teil und protestierte gegen die von der Großen Koalition geplante Verfassungsänderung zur Regelung des „inneren und äußeren Notstands“. Zwei Jahre später gehörte er neben Walter Jens (1923–2013), Eugen Kogon (1903–1987), Golo Mann (1909–1994), Theodor W. Adorno (1903–1969) und Alexander Mitscherlich (1908–1982) zu den Unterzeichnern der „Erklärung der Vierzehn“, die anlässlich des Attentats auf Rudi Dutschke (1940–1979) in der Wochenzeitung „Die Zeit“ publiziert wurde und die Demonstrationen der Außerparlamentarischen Opposition (APO) verteidigte. Die Erklärung forderte eine öffentliche Kritik am Springer-Konzern, der in seinen Medien, u. a. im „Berliner Abendblatt und in „BILD“, nach Ansicht der Unterzeichner das Attentat auf Dutschke 1968 maßgeblich als Folge der Aktivitäten der APO dargestellt hatte, während diese umgekehrt die Berichterstattung der „BILD“ dafür verantwortlich machte.

    Eine Fortsetzung fand diese Auseinandersetzung in der Veröffentlichung von Bölls Beitrag „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ am 10. Januar 1972 im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, mit dem er empört auf einen Artikel der „BILD“ reagierte, worin ein Bankraub in Kaiserslautern der Rote Armee Fraktion (RAF) zugeschrieben wurde, obgleich die Täterschaft nicht gesichert war. Die Veröffentlichung löste eine mediale Kampagne aus, in der Bölls moralische Integrität infrage gestellt wurde. Kritiker wie Hans Habe (1911–1977), Frank Ulrich Planitz (1936–2011) und Gerhard Löwenthal (1922–2002) sahen in ihm einen Sympathisanten des Linksextremismus und Terrorismus und forderten seinen Rücktritt vom Amt des Präsidenten des Internationalen P.E.N. auf, das er von 1972 bis Ende 1974 bekleidete (1970–1972 zeitgleich mit dem Vorsitz des Deutschen PEN-Zentrums Bundesrepubik).

    Öffentliche Diskussionen um Böll und deren literarische Verarbeitung

    Anfang der 1970er Jahre wandte sich Böll mit seinem Roman „Gruppenbild mit Dame“ (1971), der als eines seiner bedeutendsten Erzählprojekte gilt, wieder stärker der Literatur zu. Ein als „Verf.“ auftretender Erzähler arrangiert darin aus den vom ihm recherchierten Zeugenaussagen, Berichten, Dokumenten und Briefen das Lebensporträt einer Frau, „die die ganze Last dieser Geschichte zwischen 1922 und 1970 mit und auf sich genommen hat“ und sich jeglicher gesellschaftlicher Konformität verweigert, so etwa als sie gegen bestehende Verbote und den Widerstand ihrer Kollegen, 1944 einem sowjetischen Kriegsgefangenen aus ihrer Kanne eine Tasse Kaffee einschenkt. Ihr Handeln wird so zum Sinnbild der Menschwerdung als Regelbruch durch Eigensinn.

    Dieses Grundprinzip der Poetik als einer „Ästhetik des Humanen“ war ausschlaggebend für die Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Böll im Dezember 1972. Die Auszeichnung wurde im konservativen politischen Spektrum, u. a. vom CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß (1915–1988), und in den Medien des Springer-Konzerns als politisch-taktisch motiviert gedeutet, um mit ihr auf den Bundestagswahlkampf 1972 Einfluss zu nehmen, in dem sich Böll im Rahmen der Wählerinitiative „Bürger für Brandt“ für Willy Brandt (1913–1992) und die SPD engagierte.

    Als eine Art literarischer Nachbearbeitung dieser und noch folgender Auseinandersetzungen mit der Presse ist Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“ (1974) zu sehen. Die Protagonistin der Erzählung verliebt sich darin in einen Bundeswehrdeserteur, der des Mordes und Bankraubs verdächtigt und von der Polizei observiert wird. Nach einer Liebesnacht wird die Wohnung Katharinas durchsucht und diese polizeilich verhört, was zu einer medialen Kampagne gegen sie als Terror-Sympathisantin führt. Um ihre Ehre wieder herzustellen, erschießt die Frau den maßgeblich in dieser Sache engagierten Journalisten.

    Hintergrund der Erzählung bildeten polizeiliche Ermittlungen gegen Bölls Familie wegen vermeintlicher Unterstützung von Terroristen, über die in der Springer-Presse berichtet wurde. Weitere Artikel mit diffamierendem Inhalt folgten dort v. a. nach der Verhaftung des Regimekritikers Alexander Solschenizyn (1918–2008) in der Sowjetunion, gegen die Böll als Präsident des Internationalen P.E.N. protestierte und die zur Ausbürgerung Solschenizyns sowie zur Reise zu dessen Freund Böll führte.

    Auch im Zuge der Diskussionen über die Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback (1920–1977) und den folgenden Terroranschlägen der RAF während des „Deutschen Herbsts“ stand Böll im Mittelpunkt gesellschaftlicher Ursachendebatten. Er verarbeitete sie in seinem Roman „Fürsorgliche Belagerung“ (1979), in dem er vor einer Auflösung der Gesellschaft als Gemeinschaft in Folge innenpolitischer Sicherheitsmaßnahmen warnte. Zu einer wichtigen Referenz für die sich seit den 1970er Jahren formierende Friedensbewegung wurde Bölls Rede „Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen“, die er bei der bis dahin größten politischen Demonstration in der Bundesrepublik am 10. Oktober 1981 im Bonner Hofgarten hielt.

    1984 versuchte Böll mit seinem Band „Bild, Bonn, Boenisch“, die Funktion des ehemaligen „BILD“-Chefredakteurs Peter Boenisch (1927–2005) im Medienbetrieb zu erhellen, der nach der Wahl im März 1983 neuer Regierungssprecher geworden war. Er kontrastierte Boenischs „BILD“-Kolumnen mit eigenen Kommentaren und erreichte damit eine große Leserschaft. 1985 schloss Böll mit „Frauen vor Flußlandschaft“ ein 1981 begonnenes Romanprojekt ab, in dem er sein Fazit von 40 Jahren bundesdeutscher politischer Geschichte zog: Jene, die die Bundesrepublik regierten, seien nicht identisch mit jenen, die das Leben in der bundesdeutschen Gesellschaften lenkten, wobei er an im Hintergrund agierende Personen wie den Bankier Hermann Josef Abs (1901–1994) dachte.

    Wirkung und Bedeutung

    Über nahezu vier Jahrzehnte hinweg prägte Böll international Bild und Ansehen bundesdeutscher Literatur entscheidend mit. Sein Werk wurde mitunter auf seine Funktion als Spiegel politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen, Brüche und Widersprüche seiner Zeit reduziert. Diese Sichtweise wird Bölls literarischem wie publizistischem Schaffen nicht gerecht, das er als Versuch verstand, eine moderne Form der Humanität zu formulieren und für Freiräume des Denkens innerhalb gesellschaftlich vorgegebener Normierungen zu kämpfen.

    Seit 1979 wird Bölls Nachlass im Heinrich-Böll-Archiv der Stadtbibliothek Köln mit Unterstützung der Erbengemeinschaft Heinrich Böll erschlossen; 1985 wurde der Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln eingerichtet und 1986 die der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ nahe Heinrich-Böll-Stiftung.

    1951 Preis der Gruppe 47 (für „Die schwarzen Schafe“)
    1952 René-Schickele-Preis (für „Wo warst du, Adam?“)
    1953 Erzählerpreis des Süddeutschen Rundfunks
    1953 Literaturpreis des Verbands Deutscher Kritiker
    1953 Ehrengabe des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie
    1953 Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt
    1955 Preis der französischen Verleger („Tribune de Paris“) (für „Haus ohne Hüter“)
    1955 Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums (Bundesrepublik)
    1958 Eduard-von-der-Heydt-Preis der Stadt Wuppertal
    1958 Ehrengabe der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, München
    1959 Großer Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen
    1959 Literaturpreis der Stadt Köln (1961 rückwirkend verliehen)
    1959 Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz
    1960 Charles-Veillon-Preis der Schweizer Literaturkritiker (für „Billard um halb zehn“)
    1960 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, München
    1965 Premio d‘Isola d‘Elba (für „Ansichten eines Clowns“)
    1965 Ehrenmitglied des Verbands Deutscher Übersetzer
    1966 Premio Calabria
    1967 Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt
    1970–1972 Präsident des Deutschen PEN-Zentrums (Bundesrepublik)
    1971–1974 Präsident des internationalen P.E.N.
    1971 Stern des Jahres für kulturelle und kulturpolitische Glanzpunkte der „Abendzeitung“, München (für „Gruppenbild mit Dame“)
    1972 Nobelpreis für Literatur (weiterführende Informationen)
    1973 Dr. h. c., Trinity College, Universität Dublin
    1973 Dr. h. c., University of Aston, Birmingham (Großbritannien)
    1973 Dr. h. c., Brunel University, Uxbridge (Großbritannien)
    1974 Carl-von-Ossietzky-Medaille der Liga für Menschenrechte, Berlin
    1974 Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Letters, New York
    1979 Heinrich-Böll-Archiv, Köln
    1980 Premio Latina (Italien) für „Eine deutsche Erinnerung“
    1982 Ehrenprofessor des Landes Nordrhein-Westfalen
    1983 Ehrenbürger der Stadt Köln
    1984 Commandeur des Ordre des Arts et des Lettres (Frankreich)
    1984 Jens-Bjorneboe-Preis des Odin-Teatret, Holstrebo (Dänemark)
    1985 Umbenennung des 1980 eingerichteten Literaturpreises der Stadt Köln in Heinrich-Böll-Preis
    1989 Heinrich-Böll-Haus, Langenbroich bei Düren (Arbeitsort für internationale Künstlerinnen und Künstler u. a. in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk für politisch verfolgte Autorinnen und Autoren)
    1996 Heinrich-Böll-Stiftung e. V. (parteinahe Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen)
    2010 Ehrenbürger der Stadt Bornheim (Rhein-Sieg-Kreis)
    2017 Heinrich-Böll-Weg, Bornheim

    Nachlass:

    Heinrich-Böll-Archiv, Stadtbibliothek Köln. (Manuskripte, Typoskripte, Briefe, Dokumente) (weiterführende Informationen)

    Weitere Archivmaterialien:

    Erbengemeinschaft Heinrich Böll, Köln. (Briefe, Dokumente) (weiterführende Informationen)

    Der Zug war pünktlich, 1949.

    Und sagte kein einziges Wort, 1953.

    Haus ohne Hüter, 1954, als Spielfilm, 1975, Regie: Rainer Wolffhardt.

    Das Brot der frühen Jahre, 1955; als Spielfilm 1962, Regie: Herbert Vesely.

    Billard um halb zehn, 1959; als Spielfilm u. d. T. Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht, 1965, Regie: Danièle Huillet/Jean-Marie Straub.

    Erzählungen, Hörspiele, Aufsätze, 1961.

    Ansichten eines Clowns, 1963, als Spielfilm, 1975, Regie: Vojtěch Jasný.

    Entfernung von der Truppe, 1964.

    Aufsätze, Kritiken, Reden, 1967.

    Gruppenbild mit Dame, 1971, als Spielfilm, 1977, Regie: Aleksandar Petrovic.

    Neue politische und literarische Schriften, 1973.

    Die verlorene Ehre der Katharina Blum 1974, als Spielfilm, 1975, Regie: Volker Schlöndorff/Margarethe von Trotta.

    Fürsorgliche Belagerung, 1979.

    Frauen vor Flußlandschaft, 1985.

    Briefe:

    Die Hoffnung ist wie ein wildes Tier. Der Briefwechsel zwischen Heinrich Böll und Ernst-Adolf Kunz 1945–1953, hg. v. Herbert Hoven, 1994.

    Briefe aus dem Krieg 1939–1945, 2 Bde., hg. u. komm. v. Jochen Schubert, 2001.

    Heinrich Böll – Lew Kopelew. Briefwechsel. Mit einem Essay von Karl Schlögel, hg. v. Elsbeth Zylla, 2011.

    Paul Celan. Briefwechsel mit den rheinischen Freunden. Heinrich Böll, Paul Schallück, Rolf Schroers, hg. v. Barbara Wiedemann, 2011.

    Briefwechsel Jenny Aloni – Heinrich Böll. Ein deutsch-israelischer Dialog, hg. v. Hartmut Steinecke, 2013.

    Norbert Bicher, Heinrich Böll, Willy Brandt und die SPD. Eine Beziehung in Briefen, Texten, Dokumenten, 2017.

    Gespräche und Interviews:

    Heinrich Böll/Christian Linder, Drei Tage im März. Ein Gespräch, 1975.

    Heinrich Böll/Lew Kopelew, Warum haben wir aufeinander geschossen?, 1981.

    Heinrich Böll/Lew Kopelew/Heinrich Vormweg, Antikommunismus in Ost und West. Zwei Gespräche, 1982.

    Heinrich Böll/Heinrich Vormweg, Weil die Stadt so fremd geworden ist… Gespräche, 1985.

    Werkausgaben:

    Werke. Romane. Erzählungen, 5 Bde., hg. v. Bernd Balzer, 1977.

    Werke, 10 Bde., hg. v. Bernd Balzer, 1977/78.

    In eigener und anderer Sache. Schriften und Reden 1952–1985, 9 Bde., 1985–1988.

    Werke. Kölner Ausgabe, hg. v. Árpád Bernáth/Hans Joachim Bernhard/Robert C. Conard/Frank Finlay/J. H. Reid/Ralf Schnell/Jochen Schubert, 27 Bde., 2002–2010.

    Bibliografie:

    Werner Bellmann (Hg.), Das Werk Heinrich Bölls. Bibliographie mit Studien zum Frühwerk, 1995.

    Viktor Böll/Markus Schäfer, Fortschreibung. Bibliographie zum Werk Heinrich Bölls, 1997.

    Marcel Reich-Ranicki (Hg.), In Sachen Böll. Ansichten und Einsichten, 1967.

    Frank Grützbach (Hg.), Heinrich Böll. Freies Geleit für Ulrike Meinhof. Ein Artikel und seine Folgen. Mit Beiträgen von Helmut Gollwitzer, Hans G. Helms, Otto Köhler, 1972.

    Werner Lengning (Hg.), Der Schriftsteller Heinrich Böll. Ein biographisch-bibliographischer Abriß, 41973.

    Rainer Nägele, Heinrich Böll. Einführung in das Werk und in die Forschung, 1976.

    Hanno Beth (Hg.), Heinrich Böll. Eine Einführung in das Gesamtwerk in Einzelinterpretationen, 21980.

    Gabriele Hoffmann, Heinrich Böll. Eine Biographie, 1986.

    Jochen Vogt, Heinrich Böll, 21987.

    James H. Reid, Heinrich Böll. Ein Zeuge seiner Zeit, 1991.

    Dorothee Römhild, Die Ehre der Frau ist unantastbar. Das Bild der Frau im Werk Heinrich Bölls, 1991.

    Bernd Balzer (Hg.), Heinrich Böll, 1917–1985. Zum 75. Geburtstag, 1992.

    Heinrich Böll – Leben und Werk. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung anlässlich des 10. Todestages von Heinrich Böll 1995, hg. v. d. Stadt Köln/Heinrich-Böll-Stiftung, 1995.

    Árpád Bernáth (Hg.), Geschichte und Melancholie. Über Heinrich Bölls Roman Frauen vor Flußlandschaft, 1995.

    Bernd Balzer, Das literarische Werk Heinrich Bölls. Einführung und Kommentare, 1997.

    Jochen Schubert, Heinrich Böll im Profil, 2011.

    Heinrich Vormweg, Der andere Deutsche, Heinrich Böll. Eine Biographie, 2000.

    Christine Hummel, Intertextualität im Werk Heinrich Bölls, 2002.

    Werner Jung/Jochen Schubert (Hg.), „Ich sammle Augenblicke“. Heinrich Böll 1917–1985, 2008.

    Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.), Ansichten. Die Romanskizzen Heinrich Bölls, 2010.

    Jochen Schubert, Heinrich Böll 1917–1985. Eine Biographie, 2017.

    Jochen Schubert, Den Menschen denken, in: Heinrich Böll Stiftung (Hg.), Den Menschen denken. Zu Heinrich Böll und Joseph Beuys, 2021, S. 9–44.

    Dokumentarfilme:

    Heinrich Böll, RAI 1977, Regie: Ivo Barnabò Micheli.

    Benutzt und gesteuert. Künstler im Netz der CIA, Arte/ZDF 2006, Regie: Hans-Rüdiger Minow.

    Böll und die CIA. Ein Dokumentarfilm zeigt, wie der US-Geheimdienst Künstler benutzte, 3sat 2006.

    Heinrich Böll. Ein Schriftsteller aus Köln, WDR 2009, Buch u. Regie: Ulrike Brincker.

    Die große Literatour. Heinrich Bölls Irland, Arte 2016, Buch: Hartmut Kasper, Regie: Jonas Niewianda/André Schäfer.

    Heinrich Böll zum 100. Geburtstag, WDR 2017, Buch u. Regie: Christina Srowig.

    Heinrich Böll, Ansichten eines Anarchisten, 2017, Buch u. Regie: Norbert Busè.

    Fotografien v. H. J. Darchinger (1925–2013), Chargesheimer (1924–1971) u. Gerd Sander (1940–2021), Abbildung in: Autorenbilder, hg. v. Adalbert Wiemers, 1968.

    Fotografien u. a. v. Sven Simon (1941–1980), Barbara Klemm (geb. 1939) u. Isolde Ohlbaum (geb. 1953), Abbildung in: Bilder eines Lebens, hg. v. Hans Scheurer, 1995.

    Porträt-Collagen v. Klaus Kammerichs (geb. 1933), 2009, Dauerleihgabe in der Stadtbibliothek Köln.

    Ausstellung Oliver Jordan (geb. 1958), Augenblicke – Hommage an Heinrich Böll (2017), Abbildung in: ders., Portraits, Bd. 1, 2020, S. 232–243.

    0,70-Euro-Briefmarke der Deutschen Post v. Dieter Ziegenfeuter (geb. 1946), 2017.

  • Author

    Jochen Schubert (Bonn)

  • Citation

    Schubert, Jochen, „Böll, Heinrich“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.01.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118512676.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA