Löwenthal, Gerhard
- Lebensdaten
- 1922 – 2002
- Geburtsort
- Berlin-Charlottenburg
- Sterbeort
- Wiesbaden
- Beruf/Funktion
- Journalist ; Fernsehmoderator
- Konfession
- jüdisch
- Normdaten
- GND: 118728873 | OGND | VIAF: 22936663
- Namensvarianten
-
- Löwenthal, Gerhard Willy
- Löwenthal, Gerhard
- Löwenthal, Gerhard Willy
- Löwenthal, Gerhard
- Löwenthal, G.
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Löwenthal, Gerhard Willy
1922 – 2002
Journalist, Fernsehmoderator
Gerhard Löwenthal war ein konservativer Rundfunkjournalist. Im „Dritten Reich“ wegen seiner jüdischen Herkunft verfolgt, profilierte er sich im Kalten Krieg als antikommunistischer Radio- und Fernsehjournalist. Große Bekanntheit erlangte er als Moderator des „ZDF-Magazins“ von 1969 bis 1987, in dem er als scharfer Kritiker des SED-Regimes sowie der „Neuen Ostpolitik“ der sozial-liberalen Bundesregierungen unter Willy Brandt (1913–1992) hervortrat.
Lebensdaten
Geboren am 8. Dezember 1922 in Berlin-Charlottenburg Gestorben am 6. Dezember 2002 in Wiesbaden Grabstätte Jüdischer Friedhof Heerstraße in Berlin Konfession jüdisch -
Autor/in
→Christoph Classen (Potsdam)
-
Zitierweise
Classen, Christoph, „Löwenthal, Gerhard“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118728873.html#dbocontent
Löwenthal wuchs als Sohn eines jüdischen Textilkaufmanns in Berlin-Charlottenburg auf, wo er seit 1932 das Gymnasium besuchte. 1938 musste er dieses als „Geltungsjude“ verlassen, wurde mit seinem Vater im Rahmen der Reichspogromnacht für einen Tag im KZ Sachsenhausen interniert und war nach einer Ausbildung in Brillenoptik und Feinmechanik seit Mitte 1941 Mitarbeiter der als „kriegswichtig“ geltenden Gemeinschaftswerkstatt Berliner Optiker. 1943 wurde er kurzzeitig inhaftiert und erlebte u. a. die Deportation seiner Großeltern, die im Ghetto Theresienstadt bzw. in Auschwitz zu Tode kamen.
1945/46 holte Löwenthal das Abitur nach, begann ein Medizinstudium an der Universität Berlin und arbeitete zugleich freiberuflich als Journalist für den sowjetisch kontrollierten Berliner Rundfunk und den konkurrierenden Rundfunk im Amerikanischen Sektor (RIAS), wo Wilhelm Ehlers (1891–1952) zu einem wichtigen Mentor und Förderer wurde. Nachdem Löwenthal die Einnahme Berlins durch die Rote Armee anfangs begrüßt hatte, begleitete er als Reporter für den RIAS die Spaltung Berlins und entwickelte sich mit der Zuspitzung des Kalten Kriegs zu einem Gegner der sowjetischen Politik. Politisch stand er in dieser Zeit eigenen Angaben zufolge dem Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter (1889–1953) und der SPD unter dem Vorsitzenden Kurt Schumacher (1895–1952) nahe, dessen antikommunistische Überzeugungen er teilte.
1950 beendete Löwenthal sein Studium ohne Abschluss und nahm eine Festanstellung beim RIAS an. 1954 wechselte er zum Sender Freies Berlin und arbeitete als stellvertretender Programmchef unter Intendant Alfred Braun (1888–1978). Nach einer privaten und beruflichen Krise folgte von Juni 1959 bis April 1963 auf Vermittlung des CDU-Politikers Ernst Lemmer (1898–1970) eine Anstellung im Bereich Öffentlichkeitsarbeit bei der European Productivity Agency, einer Gliederung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris. Die Gründung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) 1963 eröffnete Löwenthal eine Karriere als Fernsehjournalist. Unterstützt durch Chefredakteur Wolf Dietrich (1919–1981), wurde Löwenthal im Mai 1963 zum Leiter des ZDF-Studios in Brüssel berufen, wo u. a. die Berichterstattung über die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) in sein Zuständigkeitsbereich fiel. In seinen Beiträgen positionierte er sich als Befürworter der europäischen Integration und galt als Vertreter eines liberalen Konservatismus.
Bundesweite Prominenz erlangte Löwenthal von 1969 bis 1987 durch seine Tätigkeit als Leiter und Moderator des „ZDF-Magazins“– eines zunächst wöchentlich, seit Oktober 1973 vierzehntägig ausgestrahlten politischen Fernsehmagazins, das er insgesamt 585 Mal präsentierte und dem er ein konservatives und antikommunistisches Profil verlieh. Insbesondere lehnte er die auf Dialog und Verständigung gegenüber dem Ostblock setzende „Neue Ostpolitik“ der sozial-liberalen Bundesregierungen unter Willy Brandt (1913–1992) und Helmut Schmidt (1918–2015) vehement ab. Vor dem Hintergrund eine polarisierten innenpolitischen Diskussionskultur, die sich u. a. als Folge der neomarxistischen Studentenbewegung und des Linksterrorismus der „Rote Armee Fraktion“ herausgebildet hatte, verstand Löwenthal das ZDF-Magazin als konservatives Korrektiv in einer nach seiner Ansicht politisch links dominierten bundesdeutschen Rundfunklandschaft.
Nach der Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1975 begann Löwenthal, im ZDF-Magazin regelmäßig auf Menschenrechtsverletzungen in der DDR und in den Ostblockstaaten aufmerksam zu machen. In der Rubrik „Hilferufe von Drüben“ präsentierte er Zuschriften von DDR-Bürgern, die politisch verfolgt wurden, initiierte Hilfe und sammelte Spenden. Dies brachte ihn in Gegensatz zur Bundesregierung, da sein Engagement deren Praxis stillschweigender Häftlingsfreikäufe konterkarierte. Wegen seiner anhaltenden Kritik an der DDR und seines Eintretens für Ausreisewillige und politisch Verfolgte observierte das Ministerium für Staatssicherheit der DDR Löwenthal und versuchte erfolglos, belastendes Material zusammenzutragen, um ihn in der Öffentlichkeit zu diskreditieren.
Löwenthals politisches Engagement war nicht auf das ZDF-Magazin beschränkt. Seit 1972 trat er als Redner für die oppositionellen Unionsparteien ein. Obgleich nie Mitglied der Partei, stand er der CSU und ihrem langjährigen Vorsitzenden Franz Josef Strauß (1915–1988) nahe, für den er im Bundestagswahlkampf 1980 warb. Damit verstieß er gegen eine Regelung seines Senders, die von ZDF-Moderatoren Zurückhaltung in Wahlkämpfen verlangte. Ferner engagierte sich Löwenthal in politischen Organisationen, die sich dem vermeintlich linken Zeitgeist entgegenstemmten, darunter bei der Gründung des Bundes Freiheit der Wissenschaft, im Bund freies Deutschland und im Verein Konservative Aktion. Nach dem Zusammenbruch der SED-Herrschaft in der DDR wirkte er als Berater der Deutschen Sozialen Union (DSU), die nach dem Vorbild der CSU als konservative Regionalpartei in Ostdeutschland etabliert werden sollte, und kandidierte 1990 erfolglos auf deren Liste für den Bundestag.
In der Bundesrepublik wurde Löwenthal zu einem beliebten Ziel von Künstlern, Satirikern und Journalisten wie Klaus Staeck (geb. 1938), Loriot (1923–2011), Dieter Hildebrandt (1927–2013) und Martin Walser (geb. 1927). Er führte zahlreiche, teils juristisch ausgetragene Kontroversen, u. a. mit dem Schriftsteller Heinrich Böll (1917–1985), den er 1972 als „Sympathisanten dieses Linksfaschismus“ bezeichnet hatte, und 1970/71 mit dem „Stern“-Herausgeber Henri Nannen (1913–1996), dem Löwenthal zu Unrecht eine Verwicklung in NS-Kriegsverbrechen 1944 im oberitalienischen Dorf Bevilacqua vorgeworfen hatte. Zeitweise formierte sich innerhalb des ZDF erheblicher Widerstand gegen Löwenthal, dem ein zu autoritärer Führungsstil sowie die Verletzungen professioneller journalistischer Standards vorgeworfen wurden, so von ZDF-Chefredakteur Rudolf Woller (1922–1996), der ihm 1972 intern einen undifferenzierten und agitatorischen Moderationsstil vorwarf. Der Versuch Elisabeth Noelle-Neumanns (1916–2010), Löwenthal 1970/71 als Lehrbeauftragten für journalistische Praxis an das Institut für Publizistik der Universität Mainz zu holen, scheiterte an Widerständen innerhalb des Instituts.
Als die CDU-geführte Regierung unter Helmut Kohl (1930–2017) seit 1982 die Deutschlandpolitik ihrer Vorgänger im Wesentlichen fortsetzte, geriet Löwenthal mit seinem kämpferischen Antikommunismus zunehmend in eine Außenseiterposition am rechten Rand des konservativen Spektrums. Im Dezember 1987 wurde er gegen seinen Willen und ohne den sonst üblichen Dank vom ZDF pensioniert. Nach der deutschen Wiedervereinigung und dem Ende des Ostblocks setzte sich Löwenthal bei der Bundesregierung für eine großzügige Entschädigung der Opfer von DDR-Unrecht ein. Als freier Publizist blieb er seinen antikommunistischen und nationalkonservativen Positionen treu, ohne dafür noch größere Resonanz zu erhalten. Neben seiner engen Zusammenarbeit mit dem Bundesnachrichtendienst wurde postum v. a. sein Eintreten für die deutsche Sekte „Colonia Dignidad“ in Chile sowie seine Beeinflussung durch das Apartheidsregime in Südafrika kritisiert.
1958 | Europäischer Literaturpreis „Cortina Ulisse“ (mit Josef Hansen) |
1969 | Silbermedaille der Europäischen Gemeinschaften |
1970 | Gründungsmitglied des Bundes Freiheit der Wissenschaft e. V. |
1972 | Gründungsmitglied der Gesellschaft für Menschenrechte (seit 1981 Internationale Gesellschaft für Menschenrechte) |
1975 | Konrad-Adenauer-Preis für Publizistik der Deutschland Stiftung e.V. |
1977–1994 | Vorsitzender der Deutschland Stiftung e.V. |
1978 | Goldene Kamera der Fernsehzeitschrift „HÖRZU“ |
1979 | Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland |
1981 | Gründungsmitglied und Kuratoriumsvorsitzender des Vereins Konservative Aktion |
1983 | Bayerischer Verdienstorden |
1988 | Präsident des Vereins „Hilferufe von drüben“ |
1992 | Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland |
seit 2004 | Gerhard-Löwenthal-Preis und Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreis durch die Förderstiftung für Konservative Bildung und Forschung in Kooperation mit der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (zweijährlich) |
Nachlass:
Archiv für christlich-demokratische Politik ACDP, Konrad-Adenauer-Stiftung Sankt Augustin, 01-763 NL. (weiterführende Informationen)
Weitere Archivmaterialien:
Unternehmensarchiv des ZDF, Mainz. (Bestand ZDF-Magazin)
Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde. (Stasi-Unterlagen-Archiv)
Gedruckte Quellen:
„ZDF-Magazin“ vom 16. Dezember 1970, in: Rundfunk und Fernsehen, 1971, H. 1, S. 113–134.
Gerhard Löwenthal/Josef Hausen, Wir werden durch Atome leben. Mit einem Geleitwort von Nobelpreisträger Professor Dr. Otto Hahn und einem Vorwort von Bundesminister für Atomfragen Franz-Josef Strauß, 1956, ital. 1957, slowen. 1958, span. 1958, bosn. 1959, niederl. 1959, portugies. 1960.
Reden wir morgen in Sprechblasen? Auf dem Weg zu einer neuen Medienlandschaft, hg. v. Hans-Jürgen Wilbert, 1985.
Ich bin geblieben. Erinnerungen, 1987, 21987, Neuausg. 2006. (P)
Gerhard Löwenthal/Udo Bosmann/Winfried Döbertin, Ich werde 18. Mein Weg in Gesellschaft und Politik, 1992.
Gerhard Löwenthal/Helmut Kamphausen/Claus Peter Clausen, Feindzentrale. Hilferufe von drüben, 1993, 21994, Neuausg. 2002.
Stefan Winckler, Gerhard Löwenthal. Ein kritischer Journalist aus Berlin, 1997.
Katrin Gerlof, Gegenspieler. Gerhard Löwenthal – Karl-Eduard von Schnitzler, 1999.
Stefan Winckler, Gerhard Löwenthal. Ein Beitrag zur politischen Publizistik der Bundesrepublik Deutschland, 2011. (P)
Christoph Classen, Gleiche Gegner? Karl-Eduard von Schnitzler und Gerhard Löwenthal als politische Publizisten im Kalten Krieg, in: Martin Sabrow (Hg.), Das Jahrhundert der Parallelbiographien, 2017, S. 27–67. (Onlineressource)
Zeitzeugenportal des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. (Interviews mit Löwenthal zur Verfolgung und sozialen Ausgrenzung von Juden im „Dritten Reich“ sowie zur Reichspogromnacht)
Stasi Mediathek, Bundesarchiv.
Die Feindzentrale. Das ZDF im Visier der DDR Staatssicherheit, Dokumentation, ZDF, 2006.
Fotografien, Unternehmensarchiv des ZDF, Mainz.
Fotografien, 1946–1972, Abbildung in: Stefan Winckler, Gerhard Löwenthal. Ein Beitrag zur politischen Publizistik der Bundesrepublik Deutschland, 2011, S. 35, 41, 51, 77 u. 101.
Fotografien, 1922–1987, Abbildung in: Gerhard Löwenthal, Ich bin geblieben. Erinnerungen, 1987. (ohne Seitenzahlen)
Fotografien, 1969–1982, Bildarchiv des Bundesarchivs. (Onlineressource)