Piscator, Erwin
- Lebensdaten
- 1893 – 1966
- Geburtsort
- Ulm (Kreis Wetzlar)
- Sterbeort
- Starnberg
- Beruf/Funktion
- Regisseur ; Schriftsteller ; Theaterdirektor ; Drehbuchautor ; Filmeditor ; Filmproduzent
- Konfession
- evangelisch
- Normdaten
- GND: 118594648 | OGND | VIAF: 56684151
- Namensvarianten
-
- Piscator, Erwin Friedrich Max
- Piscator, Erwin
- Piscator, Erwin Friedrich Max
- Piscator, Irwin
- Piskator, Ėrvin
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Piscator, Erwin Friedrich Max
Theaterregisseur, * 17.12.1893 Ulm (Kreis Wetzlar), † 30.3.1966 Starnberg, ⚰ Berlin-Zehlendorf. (evangelisch)
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Genealogie
V →Carl (1866–1936), aus Herborn, Kaufm., seit 1899 in Marburg/Lahn;
M Antonie Karoline Katharina Laparose (1867–1941), aus Dillenburg;
B →Paul (1899–1958), Kaufm.;
– ⚭ 1) (⚮) Hildegard N. N. (1900–70, ⚭ 1931 →Theodor Plievier, 1892–1955, Romancier, Publ., s. NDB 20), aus Königshütte (Oberschlesien), Schausp., Schriftst. (s. Kosch, Lit.-Lex.³; Killy; Oberschles. Lit.-Lex.), 2) Neuilly 1937 →Frederike (Ps. Maria Ley, 1900–99, kath., ⚭ 1) 1928 Frank Gerhard Deutsch, † 1934), aus Wien, Schriftst., Theaterregisseurin (s. BHdE II; W, L), T d. Edmund v. Czada (* 1861), aus Wien, u. d. Frederike Brunswick v. Corrompa, geb. Schuldes, aus Bodenbach (Böhmen). -
Biographie
Nach dem Besuch des Gymnasiums war P. 1913-15 als Volontär am Hof- und Nationaltheater in München tätig und studierte zugleich Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie. 1915 zum Kriegsdienst eingezogen, schrieb er schon bald antimilitaristische Gedichte, die in Franz Pfemferts „Aktion“ erschienen. Ebenso wie der Kampf an der Westfront prägten die revolutionären Ereignisse 1918/19 P. nachhaltig. 1918 trat er in den Spartakusbund ein, aus dem die KPD hervorging; im März 1919 gründete er das „Proletarische Theater“ in Berlin – ein Projekt, das schon bald wieder aufgegeben werden mußte. Für die Sache des revolutionären Proletariats Partei zu ergreifen, blieb jedoch auch weiterhin P.s politisch-ästhetisches Programm. 1924 an die Volksbühne berufen, geriet er kurz darauf mit dem apolitischen, am Geschmack des Abonnentenpublikums orientierten Bühnenvorstand in Konflikt, als er 1926 Schillers „Räuber“ inszenierte und dabei radikal mit der Aufführungspraxis des 19. Jh. brach. Über die Inszenierung von Ehm Welks „Gewitter über Gottland“ (1927), in der P. Seeräuber als Revolutionshelden auftreten ließ, kam es endgültig zum Eklat. 1927 mußte er die Volksbühne verlassen. Noch im selben Jahr verhalfen ihm Tilla Durieux und Ludwig Katzenellenbogen zu einem eigenen|Theater im Berliner Westen: der sog. 1. Piscatorbühne. Nach deren Bankrott 1928 wurde die 2. Piscatorbühne 1929 gegründet, die gleichfalls rasch in Konkurs ging. Die Inszenierungen dieser Jahre gingen jedoch in die Theatergeschichte ein: u. a. „Hoppla, wir leben!“ (1927, E. Toller), „Rasputin“ (1927, A. Tolstoi) und „Der Kaufmann von Berlin“ (1929, W. Mehring). Für „Hoppla, wir leben!“ entwickelten P. und sein, Bühnenkonstrukteur' →Traugott Müller (1895–1944) eine „Etagenbühne“ mit über- und nebeneinander gelegenen Spielplätzen und für „Rasputin“ die sog. „Segmentglobusbühne“ – eine drehbare, dreidimensionale Halbkugel, die (den Erdball symbolisierend) sich an verschiedenen Stellen aufklappen ließ und so den Blick auf wechselnde Räume und Szenen freigab. In Mehrings „Kaufmann von Berlin“ verwendete P. Laufbänder und andere technische Geräte als Teil einer komplexen „Bühnenmaschinerie“.
Neben diesen Arbeiten gestaltete P. konventionell gebaute Dramen, die er lediglich als „Rohmaterial“ für seine Bühnenarbeit betrachtete, grundlegend um: zum einen durch „Episierung“, d. h. Ausweitung der Handlung und Aufhellung ihrer Hintergründe, also Fortführung des Stückes über den Rahmen des „Nur-Dramatischen“ hinaus, zum anderen durch Auflösung der in sich geschlossenen Dramenhandlung in revueartige Einzelnummern. Filmaufnahmen und -projektionen erweiterten dabei die szenische Handlung ins Dokumentarische.
Die Theaterproduktionen der 1. und 2. Piscatorbühne entstanden in enger Kooperation von Regie, Bühnentechnik, Schauspielerensemble und einem Autorenteam, das P. bei der Auswahl und Bearbeitung der Theaterstoffe behilflich war. Zu diesem Team gehörten u. a. →Leo Lania (1896–1961), Autor des, Zeitstücks' „Konjunktur“, das P. 1928 inszenierte, sowie Bertolt Brecht, dessen unvollendet gebliebenes Bühnenwerk „Weizen“ (resp. „Jae Fleischhacker in Chikago“), obwohl für die Theatersaison 1927/28 angekündigt, nie aufgeführt wurde. Nach der Auflösung der 2. Piscatorbühne schloß sich ein Teil des Ensembles zum Piscator-Kollektiv zusammen. Der Regisseur der großen Formen und des immensen Aufwands kehrte zu seinen Anfängen zurück und inszenierte politisch agitatorische Stücke, wie z. B. Carl Credés „§218 (Frauen in Not) “ mit bescheidenen Mitteln im „kleinen Format“.
1931 ging P. in die Sowjetunion und drehte dort den Film „Der Aufstand der Fischer von St. Barbara“ (nach Vorlage v. A. Seghers). 1934-36 war er Präsident des „Internationalen Revolutionären Theaterbundes“. Von einer im Juli 1936 angetretenen Reise in den Westen kehrte P. nicht wieder in die Sowjetunion zurück. Er emigrierte nach Paris, 1939 in die USA. In New York gründete er den „Dramatic Workshop“, von dem die amerik. Theaterszene wichtige Impulse erhielt; u. a. gehörten Tennessee Williams und Arthur Miller zu den Schülern des Workshops. Zunehmend politischer Verfolgung ausgesetzt, kehrte P. 1951 nach Europa zurück, wo er als Regisseur zunächst an wechselnden Spielorten arbeitete. Erwartete Offerten zur Übernahme eines Theaters in Ost-Berlin blieben aus. Seit 1962 bis zu seinem Tod wirkte er als Intendant der Freien Volksbühne in West-Berlin. In dieser Zeit verhalf P. dem deutschen Dokumentartheater zum Durchbruch. 1963 inszenierte er „Der Stellvertreter“ (R. Hochhuth), 1964 „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ (H. Kipphardt) und 1965 „Die Ermittlung“ (P. Weiss).
Für das politische Theater des 20. Jh. setzte P. durch seine innovative Bühnenarbeit und Inszenierungspraxis neue Maßstäbe. Als Wegbereiter des, Zeitstücks' hat er vor allem die Theaterlandschaft der 20er Jahre entscheidend geprägt.|
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Auszeichnungen
Goethe-Plakette (1954);
Gr. BVK (1958);
Mitgl. d. PEN-Zentrums (seit 1959). -
Werke
Schrr.: Das pol. Theater, 1929 (unter Mitarb. v. F. Gasbarra, Neuausg. v. F. Gasbarra 1963, P, weitere Neuausg. 1979;
russ. 1934, ital. 1960, tschech., franz. 1962;
Faks. d. ersten Ausg., 1968);
Aufss., Reden, Gespräche, hg. v. L. Hoffmann, 1968 (P, erweitert u. d. T.: Theater, Film, Pol., Ausgew. Schrr., 1980);
Briefe aus Dtld. 1951-1966 an Maria Ley-R., hg. v. H. Marx, 1983. | -
Nachlass
Nachlaß: Stiftung Archiv d. Ak. d. Künste, Berlin.
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Literatur
Maria Ley-P., Das P.-Experiment, 1967;
dies., Der Tanz im Spiegel, 1989 (Autobiogr.): F. W. Knellesen. Agitation auf d. Bühne, 1970, S. 76-188;
A. Lacis, Revolutionär im Beruf, 1971;
C. D. Innes, E. P.'s political Theatre, 1972;
E. P. in Selbstzeugnissen u. Bilddok., hg. v. H. Goertz, 1974;
U. Weisstein, Soziol. Dramaturgie u. pol. Theater, in: R. Grimm (Hg.), Dt. Dramentheorien II, ³1981, S. 181-207;
J. Willett, E. R., Die Eröffnung d. pol. Za. auf d. Theater, 1982 (engl. Orig.ausg. 1978);
E. P., Eine Arbeitsbiogr. in 2 Bdn., hg. v. K. Boeser u. R. Vatková, 1988 (Schrr., P);
H. Haarmann, E. P. u. d. Schicksale d. Berliner Dramaturgie, Nachtrr. zu e. Kap. dt. Theatergesch., 1991;
„Leben – ist immer ein Anfang!“, E. P. (1893-1966) – der Regisseur d. pol. Theaters, hg. v. U. Amlung, 1993;
Kosch, Lit.-Lex.³;
Kosch, Theater-Lex.;
BHdE II;
Nassau. Biogr.;
Lex. sozialist. Lit., 1994, S. 372-74 (W);
J. M. Spalek, S. H. Hawrylchak, Guide to the Archival Materials of the|German Speaking Emigration to the United States after 1933, I, 1997 (auch zu Maria Ley Piscator). -
Autor/in
Carl Wege -
Zitierweise
Wege, Carl, "Piscator, Erwin" in: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 478-480 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118594648.html#ndbcontent