Kindler, Helmut

Lebensdaten
1912 – 2008
Geburtsort
Berlin
Sterbeort
Küsnacht (Kanton Zürich)
Beruf/Funktion
Verleger ; Journalist ; Publizist ; Autor ; Konsul ; Regieassistent
Konfession
evangelisch-reformiert
Normdaten
GND: 118986058 | OGND | VIAF: 120728790
Namensvarianten

  • Kindler, Helmut
  • Cindler, Helmut

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Zitierweise

Kindler, Helmut, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118986058.html [31.01.2025].

CC0

  • Kindler, Helmut

    1912 – 2008

    Verleger, Journalist, Publizist

    Als Leiter des mit seiner ersten Ehefrau betriebenen Kindler Verlags übte Helmut Kindler v. a. in den 1950er und 1960er Jahren großen Einfluss auf die Kultur- und Medienlandschaft der Bundesrepublik aus. Zum Verlagsprogramm gehörten erfolgreiche Zeitschriften und Unterhaltungsliteratur sowie Biografien bedeutender Persönlichkeiten und renommierte Nachschlagewerke, darunter „Kindlers Literatur Lexikon“, „Kindlers Malerei-Lexikon“ und „Kindlers Kulturgeschichte“.

    Lebensdaten

    Geboren am 3. Dezember 1912 in Berlin
    Gestorben am 15. September 2008 in Küsnacht (Kanton Zürich)
    Konfession evangelisch-reformiert
    Helmut Kindler, Imago Images (InC)
    Helmut Kindler, Imago Images (InC)
  • 3. Dezember 1912 - Berlin

    ca. 1922 - Herbst 1930 - Berlin-Lichterfelde; Berlin

    Schulbesuch (ohne Abschluss)

    Reformrealgymnasium; seit Herbst 1927 Friedrich-Ebert-Schule

    1928 - Berlin (Nollendorfplatz)

    Volontär

    Piscator-Bühne

    1929 - 1933 - Berlin

    Regieassistent; Laienschauspieler

    Theater am Schiffbauerdamm; Volksbühne

    1933 - Berlin

    Journalist

    u. a. Vossische Zeitung; Berliner Tageblatt; Frankfurter Zeitung; Deutsche Allgemeine Zeitung

    ca. 1935 - Berlin

    Kontakte zu Widerstandsgruppen

    u. a. „Rote Kapelle“; „Europäische Union“

    1938 - Berlin

    Journalist; Redakteur

    u. a. Erika. Die frohe Zeitung für Front und Heimat; Deutscher Verlag (bis 1937 Ullstein Verlag)

    1943 - 1944 - Berlin

    Verhaftung; Anklage wegen Hochverrats, Feindbegünstigung und „Wehrkraftzersetzung“; Inhaftierung; Freispruch und Haftentlassung zur „Frontbewährung“

    Volksgerichtshof

    1945 - ca. 1951 - Berlin; seit 1948 München

    Gründer; Leiter mit Heinz Ullstein (1893–1973)

    Heinz Ullstein-Helmut Kindler Verlag

    1946 - Berlin-West

    Mitgründer; Mitherausgeber

    Revue (Illustrierte); sie (Frauenzeitschrift)

    ca. 1951 - 1977 - München

    Kindler Verlag

    1956

    Gründer

    Bravo (Jugendzeitschrift)

    1960 - Zürich

    Übersiedlung

    1977 - 2008 - Zürich; Toskana

    Autor; Publizist; Privatier

    15. September 2008 - Küsnacht (Kanton Zürich)

    alternativer text
    Helmut Kindler, BSB / Bildarchiv / Fotoarchiv Timpe (InC)

    Kindler besuchte ein Reformrealgymnasium in Berlin-Lichtenberg sowie die Friedrich-Ebert-Schule in Berlin, ohne einen Abschluss zu erlangen. Seit 1928 volontierte er an der Bühne Erwin Piscators (1893–1966), der sein Kunstverständnis prägte, betätigte sich seit 1929 als Laienschauspieler und Regieassistent an Berliner Bühnen und knüpfte Kontakte zur dortigen Theater- und Intellektuellenszene, u. a. zu Bertolt Brecht (1898–1956), Alfred Döblin (1878–1957), Hermann Kesten (1900–1996) und Theodor Wolff (1868–1943). Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 wechselte Kindler in den Journalismus und schrieb Feuilletons u. a. für die „Vossische Zeitung“ und das „Berliner Tageblatt“. 1938 wurde er Redakteur im Deutschen Verlag (bis 1937 Ullstein Verlag), wirkte in dessen Auftrag nach Beginn des Zweiten Weltkriegs zeitweilig als Kriegsberichterstatter im deutsch besetzten Warschau und legte 1939/40 mit „Peppelmann lernt um“ und „Rony macht Karriere“ zwei Jugendromane vor.

    Kindler unterhielt seit Mitte der 1930er Jahre lockere Kontakte zu verschiedenen Oppositionsgruppen, u. a. zur „Roten Kapelle“. Seit 1940 bewegte er sich im Umfeld von Georg Groscurth (1904–1944) und Robert Havemann (1910–1982) und gehörte zu ihrer 1943 begründeten sozialistischen Widerstandsgruppe „Europäische Union“, die rasch zerschlagen wurde. Auch Kindler wurde vor dem Volksgerichtshof angeklagt, nach Gestapohaft 1944 freigesprochen und zur „Frontbewährung“ entlassen, wozu es jedoch nicht mehr kam.

    Nach Kriegsende etablierte sich Kindler rasch in der wiederauflebenden Presselandschaft West-Berlins. 1945 gründete er mit Heinz Ullstein (1893–1973) einen Buch- und Zeitschriftenverlag, der sowohl Exilliteratur und kritische Beiträge zur jüngsten Vergangenheit – darunter 1947 die von Alfred Kantorowicz (1899–1979) mitherausgegebene Anthologie „Verboten und verbrannt. Deutsche Literatur. 12 Jahre unterdrückt“ – als auch leichte Unterhaltung veröffentlichte. So führte der Heinz Ullstein-Helmut Kindler Verlag seit 1946 etwa die Frauenzeitschrift „sie“ und das zunächst als Kunstzeitschrift firmierende Magazin „Revue“ in seinem Portfolio.

    1948 übersiedelte Kindler nach München, wodurch der Verlag kurzfristig über zwei Standorte verfügte. Nach dem Ende der Zusammenarbeit mit Ullstein ca. 1951 leitete er den Verlag bis 1977 mit seiner ersten Ehefrau. Neben der „Revue“, die bald als wöchentliche Illustrierte nach dem Vorbild westlicher Zeitschriften wie „Life“ und „Paris Match“ erschien, brachte der Kindler Verlag u. a. 1956 die auf Jugendinteressen zugeschnittene Unterhaltungszeitschrift „Bravo“ auf den Markt. Beide Blätter gewannen rasch einen großen Leserkreis, auch weil sich ihre moderne Aufmachung mit aufwendigen Bilderstrecken und einem aufgelockerten Layout mit einer unpolitischen Themensetzung verband, die auf die Bedürfnisse der bundesdeutschen Gesellschaft der 1950er Jahre zugeschnitten war. Der mit ca. 1,5 Millionen verkauften Exemplaren erfolgreichste Bestseller des Verlags waren die 1951 publizierten Memoiren des Chirurgen Ferdinand Sauerbruch (1875–1951), die als wöchentlicher Vorabdruck in der „Revue“ erschienen und so erfolgreich popularisiert wurden. Stilbildend war dieser Titel auch darin, dass er mit Hans Rudolf Berndorff (1895–1963) von einem Ghostwriter verfasst wurde.

    1965 trennte sich Kindler vom Zeitschriftengeschäft und richtete den Verlag auf Bücherproduktion aus. Neben großen Publikumserfolgen in der Unterhaltungsliteratur, für die beispielhaft die Bücher Heinz G. Konsaliks (1921–1999) stehen, dominierten stark stilisierte Biografien und Memoiren das Verlagsprogramm, u. a. Paul Weymars (1899–1971) „Konrad Adenauer. Die autorisierte Biographie“ (1955), Willy Brandts (1913–1992) „Mein Weg nach Berlin“ (1960) und Kurt Grossmanns (1897–1972) „Ossietzky. Ein deutscher Patriot“ (1963). Zudem griff Kindler vermehrt aktuelle, z. T. kontroverse Themen auf, um das steigende politische Interesse der bundesdeutschen Öffentlichkeit zu bedienen. Hierzu zählten Übersetzungen bekannter Intellektueller wie Bertrand Russell (1872–1970) (Hat der Mensch noch eine Zukunft?, 1961), Neuausgaben politischer Klassiker (u. a. Karl Marx, Ausgewählte Schriften, 1962) und die Veröffentlichung gesellschaftskritischer Taschenbücher wie Robert Jungks (1913–1994) „Der Atomstaat. Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit“ (1977).

    Kindlers größte verlegerische Ambitionen lagen im Bereich der Literatur und Künste. Charakteristisch für das Verlagsprogramm wurden ab den 1960er Jahren Großprojekte wie die nach italienischen und französischen Vorbildern konzipierten Enzyklopädien „Kindlers Literatur Lexikon“ (7 Bde., 1965–1972) und „Kindlers Malerei Lexikon“ (6 Bde., 1964–1971). Diese von Kindler initiierten Nachschlagwerke fanden in der bundesdeutschen Öffentlichkeit großes Echo und galten als wichtige Brücke zwischen akademischer Welt und bildungsbürgerlichen Interessen.

    Durch preisgünstige Taschenbuchausgaben erreichten die Enzyklopädien große Leserkreise. Wirtschaftlich waren die über viele Jahre laufenden und sehr aufwendig zu organisierenden Reihenwerke, deren Finanzierung schon im Vorfeld beträchtliche Kosten verursachte, jedoch meist nicht ertragreich. 1977 wurde der Verlag aus Kostengründen an die Verlagsgruppe Droemer Knaur veräußert, im Mai 1981 wurde er Teil des Holtzbrinck-Konzerns. Nach Aufgabe seiner verlegerischen Tätigkeit trat Kindler vereinzelt als Publizist und Autor hervor, lebte ansonsten aber zurückgezogen in der Schweiz und in der Toskana; 1991 erschienen seine im Plauderton gehaltenen Memoiren „Zum Abschied ein Fest“.

    1965 Diplôme d’Honneur de la Résistance
    1969 Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums (Bundesrepublik)
    2003 Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
    Ehrenmitglied der Union Internationale de la Résistance et de la Déportation

    Nachlass:

    nicht bekannt.

    Weitere Archivmaterialien:

    Korrespondenzen in Nachlässen bedeutender Schriftsteller, Publizisten und Intellektueller der Bundesrepublik, aufbewahrt u. a. im Deutschen Literaturarchiv (Marbach am Neckar), im Archiv der Akademie der Künste (Berlin), im Schweizerischen Literaturarchiv (Bern) und in der Monacensia im Hildebrandhaus. Literaturarchiv und Bibliothek (München).

    Peppelmann lernt um. Roman, 1939.

    Rony macht Karriere. Roman, 1940.

    Berlin, Brandenburger Tor. Brennpunkt deutscher Geschichte, 1956, 31958.

    Almanach. Zehn Jahre 1951–1961, 1961. (Hg.)

    Verboten und verbrannt. Deutsche Literatur. 12 Jahre unterdrückt, Neuaufl. 1983. (Hg.)

    Zum Abschied ein Fest. Die Autobiographie eines deutschen Verlegers, 1991, Taschenbuchausg. 1992. (P)

    Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz. Ein Indizien-Roman über die kinderreiche „Heilige Familie“ in Nazareth, 1997.

    Rudolf Kühne/Hans Joachim Reiber (Hg.), Statt Blumen Kritiken. Für Helmut Kindler zum 60. Geburtstag, 1972.

    Wolfgang Keienburg (Hg.), Texte zu einem Lebenslauf. Bilder für eine Verlags-Chronik. Helmut Kindler zum 70. Geburtstag. Beiträge von Freunden und Mitarbeitern, 1982.

    Maria Kindler-Reese, Allgegenwärtig. Erinnerung an Helmut Kindler in Text und Bild, 2009.

    Fotografie, ca. 1990, Abbildung in: Helmut Kindler, Zum Abschied ein Fest. Die Autobiographie eines deutschen Verlegers, 1991, Frontispiz.

  • Autor/in

    Marcus M. Payk (Hamburg)

  • Zitierweise

    Payk, Marcus M., „Kindler, Helmut“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.01.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118986058.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA