Stieglitz, Ludwig Baron von
- Lebensdaten
- 1779 – 1843
- Geburtsort
- Arolsen (heute Bad Arolsen, Hessen)
- Sterbeort
- St. Petersburg
- Beruf/Funktion
- Bankier ; Großkaufmann
- Konfession
- jüdisch, seit 1803 evangelisch-uniert
- Normdaten
- GND: 117248290 | OGND | VIAF: 37688891
- Namensvarianten
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- Stieglitz, Levi
- Stieglitz, Ludwig von
- Stieglitz, Ludwig Baron von
- Stieglitz, Levi
- Stieglitz, Ludwig von
- Stieglitz, Ludwig
- Štiglic, Ludwig von
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Stieglitz, Ludwig (bis 1803 Levi Stieglitz)Baron (seit 1826)
1779 – 1843
Bankier, Großkaufmann
Ludwig Stieglitz war der bedeutendste Bankier und Großunternehmer in Russland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er entstammte der deutsch-jüdischen Hoffaktorenfamilie Stieglitz und baute ab 1802 von St. Petersburg aus eines der größten russischen Handelsunternehmen sowie eine Bank auf, mit der er in den 1820er Jahren zum wichtigsten russischen Staatsfinanzier und Hofbankier wurde.
Lebensdaten
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Autor/in
→Wolfgang Sartor (Traben-Trarbach)
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Zitierweise
Sartor, Wolfgang, „Stieglitz, Ludwig Baron von“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2024, URL: https://www.deutsche-biographie.de/117248290.html#dbocontent
Beginn als Handelsunternehmer
Nach häuslichem Privatunterricht folgte Stieglitz 1802 seinen Brüdern Nikolaj und Bernhard nach St. Petersburg und begann mit eigener Handelstätigkeit anfangs innerhalb des Geschäfts seiner Brüder, ab 1803 zunehmend selbstständig. 1803 reiste er nach Ronneburg (Hessen), wo er sich evangelisch-uniert taufen ließ und den Vornamen Ludwig annahm. Nach seiner Rückkehr nach St. Petersburg gründete er 1803 die Firma Ludwig Stieglitz & Co. am Englischen Ufer. 1808 wurde Stieglitz als Voraussetzung für die Einschreibung in die 1. Gilde in St. Petersburg russischer Staatsbürger, sein Kapital wurde mit 50 100 Rubel angegeben.
Stieglitz begann 1810 mit zwei Schiffen Im- und Exportgeschäfte, vorwiegend mit Zucker, Indigo, Kaffee, Pfeffer, Farbhölzern und Textilien. 1813 wurde er als Kaufmann Mitglied in der 1. Gilde in Narwa (Russland, heute Estland). Er arbeitete mit dem verwandten Haus Marc und der Firma Albert Marc & Co. in Moskau und Odessa zusammen, Albert Marc (1794–1850) und dessen Bankhaus vertraten Stieglitz‘ Interessen in Moskau. Eine enge Zusammenarbeit bestand auch mit Emanuel Abram Perets (1771–1833), einem einflussreichen jüdischen Kaufmann in St. Petersburg und Odessa (Russland, heute Ukraine), der Stieglitz bei der Integration in Russland unterstützte, sowie seit 1799 mit Perets Partner Joshua Zeitlin (1742–1822), dem ehemaligen Hoffaktor von Fürst Grigorij A. Potemkin (1739–1791). Im Krieg von 1812 organisierten Perets und Stieglitz große Proviantlieferungen für die Armee. Bis 1814 beteiligte sich Stieglitz auch an der Umgehung der französischen Kontinentalsperre gegen englische Waren und importierte Baumwolle und Indigo, exportierte Hanf, Talg, Eisen, Häute, Segeltuch und Pottasche sowie Getreide v. a. nach England. Von 1813 bis 1860 war seine Firma das führende Außenhandelsunternehmen St. Petersburgs, bis in die Mitte der 1830er Jahre auch Odessas. In den 1820er und 1830er Jahren betrug der Umsatz seines Ex- und Importgeschäfts jährlich durchschnittlich rund 18,7 Millionen Rubel, 1839 allein rund 54 Millionen Rubel und in den 1840er und 1850er Jahren 22,3 Millionen Rubel jährlich. Damit wickelte er in den 1820er bis 1840er Jahren fast 10 % des gesamten russischen Export-Import-Umsatzes ab. Nach Stieglitz’ Tod 1843 fiel der Umsatz auf Werte unter 10 Millionen Rubel, was auch mit der Währungsabwertung in dieser Zeit zusammenhing.
Bank- und Versicherungsunternehmer
Stieglitz begann 1803 mit seiner Firma Ludwig Stieglitz & Co. mit Bankgeschäften und emittierte internationale Anleihen und Zahlungsgeschäfte für den russischen Staat, darunter 1820 mit dem englischen Bankhaus Baring Brothers & Co. und der Amsterdamer Bank Hope & Co. eine Anleihe von 40 Millionen Silberrubel. 1825 wurde Stieglitz als größter Organisator der Staatsfinanzen zum russischen Hofbankier ernannt, 1826 zum russischen Baron geadelt. 1829 gründete er eine Filiale für Handels- und Bankgeschäfte in Odessa, die sein Bruder Bernhard seit 1832 mit Ernst Mahs (1807–1879) führte; mit letzterem gründete er 1835 die Firma Stieglitz, Mahs & Co. in Odessa, die bis 1838 bestand. Sehr gute Beziehungen bestanden zum Gouverneur von Noworossija, Michail Worontsow (1782–1856), dessen Bankgeschäfte Stieglitz führte.
1827 gründete Stieglitz mit Nikolaj Graf Mordwinow (1745–1845), Graf Julij Litta (1763–1839), Graf Stanislaw Pototskij (1782–1831), den Kommerzräten Benedikt Kramer (1768–1849) und Prokopjj Ponomarew (1774–1853) und dem 1. Gilde Kaufmann E. A. Zhadimirowskij die Russische Feuerversicherungsgesellschaft als erste russische Aktiengesellschaft. Diese besaß bis 1847 ein Feuerversicherungsmonopol, 1847 ein Kapital von 1,8 Milliarden Rubel und jährliche Prämieneinnahmen von ca. 500 000 Gebäuden in Höhe von 11,4 Millionen Rubel, gegenüber Zahlungsleistungen von 3 Millionen Rubel. 1835 war Stieglitz Mitgründer der Versicherungsgesellschaft Sankt-Petersburger Feniks.
Produzierende Unternehmen
1820 kaufte Stieglitz mit dem Teilhaber Meyer die Zuckerfabrik auf der Wyborger Seite in St. Petersburg, die er 1826 vollständig erwarb und wo er 1840 mit einer weiteren 1835 erworbenen Zuckerfabrik 90 000 Pud Zucker im Wert von drei Millionen Rubel produzierte. 1833 gründete er in St. Petersburg die Newskij Baumwollspinnereimanufaktur mit einem Grundkapital von 1 Million Rubel und war Mitgründer der Russischen Baumwollmanufaktur sowie 1834 der Gesellschaft für künstliches Mineralwasser in Moskau und St. Petersburg. 1836 kaufte er von dem Hamburger Kaufmann Paul Wilhelm Momma (1784–1850/1852) die Narwaer Leinspinnereifabrik bzw. Tuchfabrik des Barons L. A. Stieglitz, die 1842 niederbrannte.
Investitionen in Verkehrsinfrastruktur
Um 1820 investierte Stieglitz auch in das Transportwesen und in die erste Transportfirma Russlands, die Gesellschaft für die Ersteinrichtung von Postkutschen, die Verbindungen zwischen St. Petersburg und Moskau, Moskau und Nischnij-Nowgorod (Russland) und seit 1830 nach Preußen betrieb. Mit der Eröffnung der Eisenbahnlinie zwischen St. Petersburg und Moskau stellte die Firma 1851 den Betrieb ein. 1830 beteiligte Stieglitz sich an der Gesellschaft der Sankt-Petersburger Lübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft, die hohe Einnahmen brachte. Kurz vor seinem Tod emittierte Stieglitz eine Anleihe in Höhe von 8 Millionen Rubel für den 1843 beginnenden Bau der Nikolaew-Eisenbahnlinie zwischen St. Petersburg und Moskau, mitbeteiligt waren u. a. die Bank MM de Rothschild Frères, die beiden Leipziger Bankiers Gustav Harkort (1785–1865) und Albert Dufour-Féronce (1799–1861) und Hope & Co. aus Amsterdam.
Öffentliche Ämter und Mäzenatentum
Von 1821 bis 1829 und erneut von 1833 bis 1843 leitete Stieglitz die Finanzabteilung der St. Petersburger Kaufmannschaft, 1828 wurde er in den Manufakturrat des Finanzministeriums und 1829 in den Kommerzrat berufen. 1833 und 1837 war Stieglitz Beauftragter des Generalgouvernements Noworossija und der Gouvernements Cherson, Tawrider (Krim) und Ekaterinoslaw zur Bekämpfung der Hungersnot und der Cholera und organisierte Importe großer Mengen Getreide, in Odessa unterstützt von seinem Geschäftspartner Mahs. Mäzenatisch engagiert, wurde er 1826 Mitglied der St. Petersburger Handelsschule, spendete 1835 bedeutende Summen für die von der Börse unterstützten Studenten des Technischen Instituts, der Handelsschule und des Instituts für Seefahrt der Stadt sowie 20 000 Rubel für den Neubau des Gebäudes der Handelsschule. 1839 wurde er Vorsitzender des Rats des Pensionats der Höheren Handelsschule und unterhielt seit 1840 das Musterwaisenheim.
Anfang des 19. Jahrhunderts erwarb Stieglitz große Ländereien in den Gouvernements Ekaterinoslaw, Tawrider und Cherson (alle Russland, heute Ukraine) mit ca. 2500 leibeigenen Bauern. Daneben besaß er das Gut Itovo im Gouvernement Petersburg und Güter im Gouvernement Kurland, außerdem mehrere Häuser in St. Petersburg; sein Hauptsitz wurde der Palast am Englischen Ufer, Nr. 29. Bei seinem Tod hinterließ er ein Vermögen von 18 Millionen Silberrubel, Haupterbe wurde sein Sohn Alexander.
22.8. jul. 1826 | russischer Baron |
1831 | russischer Orden der Heiligen Anna II. Klasse |
1836 | russischer Orden des Heiligen Wladimir III. Klasse |
1839 | Vorsitzender des Rats des Pensionats der Höheren Handelsschule, St. Petersburg |
1842 | Auszeichnung der Monarchie |
Nachlass:
Russisches Staatliches Historisches Archiv, St. Petersburg, F. 1091, op. 1, d. 11, List 1–3.
Russisches Staatliches Archiv Alter Akten, Moskau, F. 1261, op. 1, d. 1, 630, 678, 884 u. 1813.
Weitere Archivmaterialien:
Stadtarchiv St. Petersburg, F. 1196 (Gesellschaft der Russischen Baumwollspinnereimanufaktur), F. 1435 (Kompagnie der Newskij Baumwollspinnereimanufaktur).
Universitätsbibliothek, Nottingham, Archiv William Brandt & Sons, Letter 40, Brief T. Prehn-Mala Brandt v. 1.4.1843.
The Baring Archive, London, HC 10.28, Stieglitz Correspondence.
Gedruckte Quellen:
Obzor wneschnej torgowli Rossii po evropejskoj i aziatskoj granitsam ...v raznych ich eja widach [Untersuchung des Außenhandels Russlands über die europäischen und asiatischen Grenzen in ihren verschiedenen Ansichten], 1803–1917, 1802–1915, hier Bde. 1813–1843.
Sankt Petersburger Handelszeitung, russ. Ausg.: Kommertscheskaja gazeta, 1825–1860, hier 1830–1843.
Russkij chudozhestwennyj listok [Russisches Kunstblatt] Nr. 6 (1853), S. 1–3.
Servernaja ptschela [Nördliche Biene] Nr. 8 v. 12.1.1853, S. 1–12.
Westnik promyschlennosti [Industrieanzeiger] 4 (1859), Buch 10, Abt. 1, S. 6.
Alfred Heidsieck, Die Arolser Familie Stieglitz, 1956.
Marten Gebertus Buist, At Spes non fracta. Hope & Co. 1770–1815. Merchant Bankers and Diplomats at Work, 1974.
Erik Amburger, Die Zuckerindustrie in St. Petersburg bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Raffinerien, Fabrikanten und Zuckersieder. Konferenz zur Geschichte des Moskauer Reiches, 1986, S. 353–391.
Boris Wassilewitsch Anan’itsch, Bankirskie doma v Rossii. Otscherki istorii tschastnogo predprinimatel’stva, 1991.
Galina Evgenewna Prochorenko/GalinaAlekseewna Wlasova, Muzej Barona Schtiglitsa [Museen der Barone Stieglitz], 1994.
Boris Wassilewitsch Anan’itsch, Die Familie Stieglitz. Die letzten Hofbankiers Russlands, in: Dittmar Dahlmann (Hg.), Eine Große Zukunft. Deutsche in Russlands Wirtschaft, 2000, S. 313–325.
Boris Wassilewitsch Anan’itsch/Sergej Beljaew/Anton L. Dmitriew/Sergej K. Lebedew/Pawel Wladimirowitsch Lizunow, Istorija bankov [Geschichte der Banken], 2001.
Wolfgang Sartor, Peterburg kak mezhdunarodnyj delowoj tsentr w XIX w., Еkonomitscheskaja istorija [Petersburg als internationales Geschäftszentrum im 19. Jahrhundert], 2002.
Wolfgang Sartor, Das Haus Mahs. Eine internationale Unternehmerfamilie im Russischen Reich 1750–1918, 2009.
Pawel Wladimirowitsch Lizunow, Peterburgskie kuptsy, fabrikanty i bankiry Schtiglitsy [Petersburger Kaufleute, Fabrikanten und Bankiers], 2014. (P)