Schmidt, Erhard
- Lebensdaten
- 1876 – 1959
- Geburtsort
- Dorpat (heute Tartu, Estland)
- Sterbeort
- Berlin-Ost
- Beruf/Funktion
- Mathematiker ; Rektor
- Konfession
- evangelisch-lutherisch
- Normdaten
- GND: 117502634 | OGND | VIAF: 37695231
- Namensvarianten
-
- Schmidt, Erhard Oswald Johannes
- Schmidt, Erhard
- Schmidt, Erhard Oswald Johannes
- Schmidt, E.
- Schmidt, Erhard Oswald Johann
Vernetzte Angebote
- Katalog des Bibliotheksverbundes Bayern (BVB)
- Deutsche Digitale Bibliothek
- Normdateneintrag des Südwestdeutschen Bibliotheksverbundes (SWB)
- Österreichischer Bibliothekenverbund (OBV)
- Gemeinsamer Verbundkatalog (GBV)
- Isis Bibliography of the History of Science [1975-]
- * Rektoratsreden im 19. und 20. Jahrhundert
Verknüpfungen
Personen in der NDB Genealogie
- NDB 9 (1972), S. 607 (Hopf, Heinz)
- NDB 17 (1994), S. 207 (Meschkowski, Herbert)
- NDB 21 (2003), S. 411 in Artikel Remak, Robert (Remak, Robert)
- NDB 23 (2007), S. 148 in Artikel Schmid, Hermann (Schmid, Hermann Ludwig)
- NDB 23 (2007), S. 176* (Schmidt, Hermann Adolf Alexander von)
- NDB 23 (2007), S. 24 6 in Artikel Schwarz, Hermann
- NDB 27 (2020), S. 27 in Artikel Vogel, Kurt (Vogel, Hermann Kurt)
Orte
Symbole auf der Karte
Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.
-
Schmidt, Erhard Oswald Johannes
1876 – 1959
Mathematiker
Erhard Schmidt schuf mit seinen Kollegen Ludwig Bieberbach (1886–1982), Issai Schur (1875–1941) und Richard von Mises (1883–1953) an der Berliner Universität in den 1920er Jahren ein internationales Zentrum für mathematische Forschungen. Zugleich gilt er als einer der Begründer der Funktionalanalysis, was auf seine in Göttingen als Schüler von David Hilbert (1862–1943) verfassten fundamentalen Arbeiten über Integralgleichungen zurückgeht. Schmidt bereicherte auch andere moderne mathematische Gebiete wie Mengenlehre und Topologie, v. a. durch Diskussionen mit Kollegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er wesentlich am Wiederaufbau der mathematischen Forschung in der DDR beteiligt und gründete u. a. die Zeitschrift „Mathematische Nachrichten“.
Lebensdaten
Geboren am 13. Januar1876 in Dorpat (heute Tartu, Estland) Gestorben am 6. Dezember 1959 in Berlin-Ost Grabstätte Alter Friedhof in Potsdam Konfession evangelisch-lutherisch -
Autor/in
→Reinhard Siegmund-Schultze (Kristiansand, Norwegen)
-
Zitierweise
Siegmund-Schultze, Reinhard, „Schmidt, Erhard“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/117502634.html#dbocontent
Schmidt besuchte Gymnasien in Dorpat (heute Tartu, Estland) und Riga. Seit 1893 studierte er Mathematik an den Universitäten Dorpat, Berlin und Göttingen, wo er 1905 bei dem Mathematiker David Hilbert (1862–1943) zum Dr. phil. promoviert wurde. Mit seiner 1907 in den „Mathematischen Annalen“ veröffentlichten Dissertation und mehr noch mit einer Arbeit, die 1908 in Palermo erschien und die Geometrie auf neue und komplizierte mathematische Objekte, wie z. B. „Funktionenräume“ anwendete, wurde Schmidt zu einem Begründer der Funktionalanalysis. Diese moderne mathematische Disziplin verallgemeinert grundlegende Begriffe der klassischen Analysis des 19. Jahrhunderts wie „Funktion“, „Grenzwert“ und „Raum“ und ermöglicht durch ihre abstrakte, axiomatische Vorgehensweise eine einheitliche Behandlung tief liegender traditioneller und moderner Probleme der Mathematik. Auch Gebiete der Mathematischen Physik, insbesondere der Quantenmechanik, wurden seit den 1920er Jahren mithilfe dieser Begriffsbildungen einer exakten mathematischen Behandlung zugänglich.
Schmidt, dessen Ehefrau und zwei seiner drei Söhne früh verstarben, habilitierte sich 1906 an der Universität Bonn für Mathematik. Über kurzzeitige Stationen als Lehrstuhlinhaber an den Universitäten in Zürich, Erlangen und Breslau (Schlesien, heute Wrocław, Polen) gelangte er 1917 auf eine ordentliche Professur für Mathematik an der Universität Berlin, die er bis zur Emeritierung 1950 innehatte. Er war 1919 Mitbegründer der „Mathematischen Zeitschrift“ und 1949 Begründer der „Mathematischen Nachrichten“.
Die mit nur etwas über 30 nicht sehr zahlreichen, aber wegweisenden Veröffentlichungen Schmidts, u. a. zur Theorie der nichtlinearen Integralgleichungen, in Potentialtheorie und Differentialgeometrie zeichneten sich durch begriffliche Klarheit aus und hatten größten Einfluss auf die Entwicklung der modernen mathematischen Denkweise. Schmidt beeinflusste den 1933 aus Deutschland vertriebenen John von Neumann (1903–1957) direkt in der Funktionalanalysis. Zudem wirkte er auch in ihm etwas ferner liegenden mathematischen Gebieten auf Kollegen, wie in der Mengenlehre (Wohlordnungssatz 1904 von Ernst Zermelo, 1871–1953) und Topologie (z. B. Heinz Hopf, 1894–1971).
Politisch war Schmidt konservativ mit deutsch-nationalen Tendenzen. In seiner Antrittsrede als Rektor der Universität Berlin 1929, die dem sog. Grundlagenstreit in der Mathematik gewidmet war, sah er die Aufgabe seines Fachs v. a. darin, „das Selbstbewusstsein (zu) bewahren, selbständig nachzuprüfen – in bewusster Abwehr gegen den Lärm der Schlagworte und sich immunisierend gegen die tausendfältige Wiederholung der Tagesmeinung.“ (Über Gewißheit in der Mathematik, S. 112). Nach 1933 wurde ihm von Vertretern des nun herrschenden Nationalsozialismus attestiert, dass er die „Judenfrage“ nicht verstehe. Allerdings fand Schmidt auch keine Kraft zu aktivem Widerstand und wurde zunehmend mut- und ratlos. 1943 ausgebombt, übersiedelte er für zwei Jahre nach Vetschau bei Cottbus, übte aber seine Lehrtätigkeit in Berlin weiter aus.
Nach 1945 blieb Schmidt seiner in Berlin-Ost liegenden Universität treu (seit 1949 Humboldt-Universität). In dieser sowie in gesamtdeutschen Organisationen wie der Deutschen Mathematiker-Vereinigung sah er „Kulturklammern“ (Ansprachen, S. 9), die im Zeitalter des Kalten Kriegs und der deutschen Spaltung die Nation zusammenhalten könnten. Über seine 1950 erfolgte Emeritierung hinaus war Schmidt bis 1958 einer der Direktoren des Mathematischen Forschungsinstituts der Akademie der Wissenschaften der DDR und war damit führend am Wiederaufbau der mathematischen Forschung in der DDR beteiligt. Zu seinen Schülern zählen bedeutende Mathematiker wie die Topologen Hopf und Hans Freudenthal (1905–1990).
1918 | ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin |
1928 und 1936 | Vorsitzender der Deutschen Mathematiker-Vereinigung |
1942 | korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München (weiterführende Informationen) |
1949 | Nationalpreis der DDR |
1955 | Dr. rer. nat. h. c., Universität Tübingen |
1956 | korrespondierendes Mitglied der Académie des sciences, Paris |
Nachlass:
nicht bekannt.
Weitere Archivmaterialien:
Archiv der Humboldt-Universität Berlin, UK 197. (Personalakte)
Zur Theorie der linearen und nichtlinearen Integralgleichungen. 1. Teil: Entwicklung willkürlicher Funktionen nach Systemen vorgeschriebener, in: Mathematische Annalen 63 (1907), S. 433–476. (Diss. phil.)
Über die Auflösung linearer Gleichungen mit unendlich vielen Unbekannten, in: Rendiconti Circolo Matematico di Palermo 25 (1908), S. 53–77.
Über Gewißheit in der Mathematik, in: Hannelore Bernhardt (Hg.), Rektoratsreden aus den Jahren der Weimarer Republik, 1992, S. 104–112.
J. C. Poggendorffs biographisch-literarisches Handwörterbuch der exakten Naturwissenschaften, Bd. 5, 1926, S. 1117 (fehlerhaft), Bd. 6, 1940, S. 2337 u. Bd. 7a, 1961, S. 157.
Ansprachen anlässlich der Feier des 75. Geburtstages von Erhard Schmidt durch seine Fachgenossen, 1951.
Kurt-Reinhard Biermann, Die Mathematik und ihre Dozenten an der Berliner Universität 1810–1933, 1988.
Hans Rohrbach, Erhard Schmidt. Ein Lebensbild, in: Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung 69 (1968), S. 209 (231)–224 (246).
Alexander Dinghas, Erhard Schmidt (Erinnerungen und Werk), in: Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung 72 (1970), S. 3–17.
Reinhard Siegmund-Schultze, Der Beweis des Hilbert-Schmidt-Theorems, in: Archive for History of Exact Sciences 36 (1986), S. 251–270.
Reinhard Siegmund-Schultze, Art. „Schmidt, Erhard“, in: Hans-Ludwig Wußing (Hg.), Fachlexikon abc. Forscher und Erfinder, 1992, S. 515 f. (P)
Reinhard Siegmund-Schultze, Die Entstehung der Funktionalanalysis; in: Hans Niels Jahnke (Hg.), Geschichte der Analysis, 1999, S. 487–503.
John J. O’Connor/Edmund F. Robertson, Art. „Erhard Schmidt“, in: MacTutor History of Mathematics Archive, 2001. (P) (Onlineressource)
Michael Bernkopf, Art. „Schmidt, Erhard“, in: Charles Coulston Gillispie (Hg.), Dictionary of Scientific Biography, Bd. 12, 2008, S. 187–190.
Fotografie, Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität Berlin (Onlineressource).
Fotografie, Privatbesitz, Abbildung in: Kurt-Reinhard Biermann, Die Mathematik und ihre Dozenten an der Berliner Universität 1810–1933, 1988, Anhang (unpaginiert).