Bergmann, Gustav von
- Lebensdaten
- 1878 – 1955
- Geburtsort
- Würzburg
- Sterbeort
- München
- Beruf/Funktion
- Internist ; Arzt ; Hochschullehrer
- Konfession
- evangelisch
- Normdaten
- GND: 118656120 | OGND | VIAF: 52483067
- Namensvarianten
-
- Bergmann, Gustav Richard August von
- Bergmann, Gustav von
- Bergmann, Gustav Richard August von
- Bergmann, Franz Gustav Richard August von
- Bergmann, G. v.
- Bergmann, G. von
- Bergmann, Gustavo von
- Von Bergmann, Gustav
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Bergmann, Gustav Richard August von
1878 – 1955
Internist
Der Internist Gustav von Bergmann wirkte in Hamburg-Altona, Marburg an der Lahn und Frankfurt am Main, ehe er 1927 das Ordinariat seines Lehrers Friedrich Kraus (1858–1936) übernahm und Direktor der II. Medizinischen Klinik an der Charité Berlin wurde. Von 1946 bis 1953 leitete er die II. Medizinische Klinik in München. Mit seinem Hauptwerk „Funktionelle Pathologie“ (1932; 21936) wurde Bergmann zu einem wichtigen Impulsgeber der klinisch-internistischen und psychosomatischen Medizin.
Lebensdaten
Geboren am 24. Dezember 1878 in Würzburg Gestorben am 16. September 1955 in München Grabstätte Waldfriedhof Solln in München Konfession evangelisch -
Autor/in
→Hans-Georg Hofer (Münster)
-
Zitierweise
Hofer, Hans-Georg, „Bergmann, Gustav von“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.01.2023, zuletzt geändert am 24.03.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118656120.html#dbocontent
Nachdem Bergmanns Vater, der Chirurg Ernst von Bergmann (1836–1907), einen Ruf an die Charité angenommen hatte, zog die Familie 1882 von Würzburg nach Berlin, wo Bergmann 1897 das Abitur ablegte. Anschließend studierte er Medizin an den Universitäten in Berlin, München, Bonn und Straßburg (Elsass, heute Strasbourg, Frankreich), wo er 1903 zum Dr. med. promoviert wurde. Danach erhielt er eine Assistentenstelle an der von Friedrich Kraus (1858–1936) geleiteten II. Medizinischen Klinik der Charité in Berlin. 1908 für Innere Medizin habilitiert, wurde ihm zwei Jahre später der Professorentitel verliehen. 1912 wechselte er als Direktor der Inneren Abteilung an das Städtische Krankenhaus Hamburg-Altona. Bergmann wurde 1916 auf eine ordentliche Professur für Innere Medizin an die Universität Marburg an der Lahn berufen und wirkte seit 1920 als Klinikdirektor in Frankfurt am Main. 1927 übernahm er das Ordinariat von Kraus und wurde Direktor der II. Medizinischen Universitätsklinik. Von 1946 bis 1953 leitete er die II. Medizinische Klinik in München.
Schwerpunkte der frühen klinisch-wissenschaftlichen Arbeit Bergmanns waren die Pathogenese, Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenerkrankungen sowie von Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse und des Magen-Darm-Trakts. In Frankfurt am Main und v. a. in Berlin baute Bergmann eine fachlich und geografisch weitreichende Wirkstätte auf; zu seinen Mitarbeitern und Schülern zählten Gerhardt Katsch (1887–1961), seit 1928 Professor für Innere Medizin an der Universität Greifswald, sowie der spätere Hamburger Lehrstuhlinhaber für Innere Medizin, Hans Heinrich Berg (1889–1968), und Arthur Rühl (1901–1955), seit 1940 Professor für Innere Medizin an der Universität Prag. Auch Herbert Schwiegk (1906–1988), der die vierte Auflage des „Handbuchs der inneren Medizin“ (1951–1960) mit herausgab, und Thure von Uexküll (1908–2004), der an der akademischen Profilierung der Psychosomatischen Medizin maßgeblichen Anteil hatte, waren Schüler Bergmanns. Das von Bergmann mit herausgegebene „Handbuch der normalen und pathologischen Physiologie“ (18 Bde., 1925–1932) wurde in der klinisch-internistischen Medizin breit rezipiert.
Mit seinem Hauptwerk „Funktionelle Pathologie“ (1932, 21936) zielte Bergmann auf eine „Reformation“ der Medizin, die experimentelle Methodik, klinische Beobachtungen, ärztliche Erfahrungen und philosophische Reflexionen systematisch zusammenführte; ein „fast babylonisches Auftürmen von Hypothesen, Ideen, Aussichten“ (Paul Martini, 1937, S. 432). Bergmanns klinische Pathologie stellte den Begriff der Funktion in den Mittelpunkt, den er als gestörten Leistungswandel von Organen definierte. Dabei plädierte er für eine stärkere Berücksichtigung seelischer Ursachen im Krankheitsgeschehen, um zu einer „synthetischen“ Betrachtung in der Klinik zu kommen. Zur Anthropologischen Medizin Viktor von Weizsäckers (1886–1957) hielt er jedoch Distanz und warnte vor einer zu starken Betonung psychologischer und sinnbezogener Erklärungsmuster.
Bergmanns Handeln in der NS-Zeit hat jüngst eine Neubewertung erfahren. Mit seinem opportunistischen Verhalten vollzog er 1933 die Entlassung von als „jüdisch“ oder politisch missliebig angesehenen Mitarbeitern an der Charité, ohne mögliche Ermessensspielräume auszuloten. So mussten auch seine Assistenten emigrieren, Ernst Wollheim (1900–1981) nach Schweden (1948 Remigration und Übernahme des Lehrstuhls für Innere Medizin an der Universität Würzburg), Herbert Herxheimer (1894–1985) nach London (1956 internistische Professur an der FU Berlin). Martin Goldner (1902–1987), der an der Erarbeitung der „Funktionellen Pathologie“ maßgeblich beteiligt war, reüssierte als bedeutender Diabetes-Forscher in den USA. Zu einem blinden Erfüllungsgehilfen der NSDAP entwickelte sich Bergmann nicht. Gegen parteipolitisch motivierte Habilitationen und Berufungen erhob er wiederholt seine Stimme.
1946 wechselte Bergmann an die Universität München und wurde mit dem Wiederaufbau und der Neuausrichtung der II. Medizinischen Klinik betraut. Trotz sinkender Leistungsfähigkeit und offizieller Emeritierung 1951 leitete er die Klinik bis 1953. Im Mittelpunkt von Bergmanns Spätwerk stand die Beschäftigung mit den geistigen Grundlagen der Medizin.
1926 | Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (weiterführende Informationen) |
1931 | Vorsitzender des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin |
1932 | Mitglied der Leopoldina |
1939/40 und 1950 | Vorsitzender der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte |
1942 | Mitglied des Wissenschaftlichen Senats des Heeressanitätswesens |
Mitglied im Beirat der Deutschen Gesellschaft für Konstitutionsforschung | |
1943 | Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft |
1944 | Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bevollmächtigten für das Gesundheitswesen Karl Brandt |
1949 | Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (2021 Distanzierung) |
1953 | korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Berlin-Ost (weiterführende Informationen) |
1953 | Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland |
1954 | Ehrenmitglied der Gesellschaft der Ärzte, Wien |
1994–2010 | Gustav-von-Bergmann-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (2013 Umbenennung in Leopold-Lichtwitz-Medaille) |
Nachlass:
nicht bekannt.
Weitere Archivmaterialien:
Bayrisches Hauptstaatsarchiv, München, MK 5 4250 Personalakte Gustav von Bergmann.
Archiv der Leopoldina, Halle an der Saale, M 1, MNr. 4075. (Matrikelmappe)
Archiv der Universität Frankfurt am Main, Bestand 4 Nr. 1050, Prof. Dr. Gustav von Bergmann 1920–1927.
Archiv der Humboldt-Universität Berlin, UK Personalakten bis 1945, Gustav von Bergmann, B 176.
Seele und Körper in der inneren Medizin, 1922.
Gustav von Bergmann/Rudolf Staehelin (Hg.), Handbuch der inneren Medizin, 6 Bde., 21925–1931.
Gustav von Bergmann/Rudolf Staehelin (Hg.), Handbuch der inneren Medizin, Bd. 1–3 u. Bd. 5–6, 31934–1944.
Gustav von Bergmann/Walter Frey/Herbert Schwiegk (Hg.), Handbuch der inneren Medizin, 9 Bde., 41951–1960.
Albrecht Bethe/Gustav von Bergmann/Gustav Embden/Alexander Ellinger (Hg.), Handbuch der normalen und pathologischen Physiologie, 18 Bde., 1925–1932.
Funktionelle Pathologie. Eine klinische Sammlung von Ergebnissen und Anschauungen einer Arbeitsrichtung, 1932, 21936.
Magerkeit und Magersucht, 1934.
Korrelation im Gebiet der inneren Sekretion, in: Medizinische Klinik 31 (1935), S. 869–873.
Das Weltbild des Arztes und die moderne Physik. Ein Ausgleich alter Widersprueche, 1943.
Das Spiel der Lebensnerven und ihrer Wirkstoffe, 1944.
Die synthetische Betrachtung in der Klinik, in: Klinische Wochenschrift 24/25 (1947), S. 724–727.
Neues Denken in der Medizin, 1947.
Rückschau. Geschehen und Erleben auf meiner Lebensbühne, 1953.
Monografien und Aufsätze:
Paul Martini, Rezension zu Gustav von Bergmann, Funktionelle Pathologie, in: Münchener Medizinische Wochenschrift 84 (1937), S. 432 f.
Heinz Goerke, Gustav von Bergmann, in: Wilhelm Treue/Rolf Winau (Hg.), Berlinische Lebensbilder, Bd. 2, 1987, S. 203–211.
Justus Krause, Gustav von Bergmann (1878–1955). Eine Ergobiographie, 1993.
Sabine Schleiermacher/Udo Schagen, Enthumanisierung der Medizin und die Charité im „Dritten Reich“, in: dies. (Hg.), Die Charité im Dritten Reich. Zur Dienstbarkeit medizinischer Wissenschaft im Nationalsozialismus, 2008, S. 9–22.
Sven Kinas, Massenentlassungen und Emigration, in: Michael Grüttner/Heinz-Elmar Tenorth (Hg.), Geschichte der Universität Unter den Linden, Bd. 2, 2013, S. 325–404.
Ralf Forsbach/Hans-Georg Hofer, Der kritische Anpasser. Gustav von Bergmann, in: dies. (Hg.), Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin in der NS-Zeit. Ausstellung aus Anlass des 121. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin 18.–21. April 2015 in Mannheim, 2015, S. 130–133. (P)
Ralf Forsbach/Hans-Georg Hofer, Internisten in Diktatur und junger Demokratie. Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin 1933–1970, 2018, S. 169–177. (P)
Alexa Geisthövel/Bettina Hitzer (Hg.), Auf der Suche nach einer anderen Medizin. Psychosomatik im 20. Jahrhundert, 2019.
Würdigungen und Nachrufe:
Gerhardt Katsch, Gustav von Bergmanns „Funktionelle Pathologie“ als Richtungsweiser für Klinik und Forschung, in: Forschungen und Fortschritte 28 (1954), S. 138–146. (P)
Gerhardt Katsch, Nachruf für Gustav von Bergmann, in: Münchener Medizinische Wochenschrift 97 (1955), S. 1398–1400.
Gustav Schimert, In memoriam Gustav von Bergmann, in: Medizinische Klinik 50 (1955), S. 1689–1691. (P)
Herbert Schwiegk, Gustav von Bergmann, in: Klinische Wochenschrift 33 (1955), S. 1063 f.
Thure von Uexküll, Gustav Bergmann zum Gedächtnis, in: Der Nervenarzt 27 (1956), S. 1 f. (P)
Lexikonartikel:
Helmut Siefert, Art. „Gustav von Bergmann“, in: Wolfgang U. Eckart/Christoph Gradmann (Hg.), Ärztelexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, 32006, S. 41 f.
Harro Jenss/Markus M. Lerch, Art. „Gustav von Bergmann Frankfurt“ in: dies. (Hg.), Tagungen der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Die Präsidenten von 1914 bis 2014, 2014, S. 15. (P) (Onlineressource)
Ralf Forsbach/Hans-Georg Hofer, Art. „Bergmann, Gustav von“, in: „Gedenken und Erinnern“ der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. (Onlineressource)
Fotografie, Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsbibliothek, Porträtsammlung Berliner Hochschullehrer, ID 13 867. (Onlineressource)
Reproduktion einer Fotografie, 1930, Bildarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek München, Fotoarchiv Habermann. Mediziner. 3. (Onlineressource)