Arendt, Hannah
- Dates of Life
- 1906 – 1975
- Place of birth
- Linden bei Hannover
- Place of death
- New York City
- Occupation
- Philosophin ; Publizistin ; Schriftstellerin ; Historikerin ; Soziologin ; Politologin
- Religious Denomination
- keine
- Authority Data
- GND: 11850391X | OGND | VIAF: 105151053
- Alternate Names
-
- Arendt, Johanna
- Stern, Johanna
- Blücher, Johanna
- Arendt, Hannah
- Arendt, Johanna
- Stern, Johanna
- Blücher, Johanna
- Arend, Chana
- Arendt, Channa
- Arendt, H.
- Arendt, Hanna
- Arendt, Heinrich
- Arendt, Herr
- Arendt, Khanna
- Arendt-Blücher, Hannah
- Arendṭ, Ḥanah
- Arent, Chana
- Arent, Channa
- Arent, Hana
- Arento, Hanna
- Ārento
- Ārento, Hanna
- Ārint, Hānā
- Bluecher, Hannah Arendt
- Blücher, Hannah
- Blücher, Hannah Arendt
- Blücher, Hannah Arendt-
- Blücher, Johanna
- Schlemihl, Peter
- ארנדט, חנה
- アーレント, ハナ
- アーレント, ハンナ
- 阿伦特, 汉娜
- Sthern, Johanna
- Schlemihl, Pether
Linked Services
- * Kalliope-Verbund
- Archivportal-D
- * Deutsches Literaturarchiv Marbach - Kallías
- * Personen im Personenverzeichnis der Fraktionsprotokolle KGParl [1949-]
- Personendaten-Repositorium der BBAW [2007-2014]
- Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte
- EGO European History Online
- Diplomatische Dokumente der Schweiz 1848-1975 (via metagrid.ch) [2019]
- * Nachlassdatenbank beim Bundesarchiv
- Katalog des Bibliotheksverbundes Bayern (BVB)
- Deutsche Digitale Bibliothek
- Normdateneintrag des Südwestdeutschen Bibliotheksverbundes (SWB)
- * Deutsches Literaturarchiv Marbach - Kallías
- Österreichischer Bibliothekenverbund (OBV)
- Gemeinsamer Verbundkatalog (GBV)
- Isis Bibliography of the History of Science [1975-]
- Nordrhein-Westfälische Bibliographie (NWBib)
- * Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte München - Berlin
- Personen im Fachinformationsdienst Darstellende Kunst
- Index Theologicus (IxTheo)
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Relations
Genealogical Section (NDB)
Life description (NDB)
- Adolf Eichmanns (1906–1962)
- Anne Weil (1903–1984)
- Dolf Sternberger (1907–1989)
- Edmund Husserl (1859–1938)
- Elisabeth Young-Bruehl (1946-2011)
- Gershom Scholem (1897–1982)
- Gertrud Jaspers (1879–1974)
- Günter Gaus (1929–2004)
- Helen Wolff (1906–1994)
- Hermann Broch (1886–1951)
- Hilde Fränkel (1897–1950)
- Iring Fetscher (1922–2014)
- Jean Yarbrough
- Jerome Kohn (geb. 1931)
- Jürgen Habermas (geb. 1929)
- Karl Jaspers (1883–1969)
- Karl-Dietrich Bracher (1922–2016)
- Klaus Piper (1911–2000)
- Kurt Blumenfeld (1884–1963)
- Kurt Sontheimer (1928–2005)
- Larry May (geb. 1952)
- Lotte Beradt (1907–1986)
- Martin Heidegger (1889–1976)
- Mary McCarthy (1912–1989)
- Peter C. Ludz (1931–1979)
- Peter Graf Kielmannsegg (geb. 1937)
- Rahel Varnhagen (1771–1833)
- Reinhart Koselleck (1923-2006)
- Rose Feitelson (1914–2001)
- Salo W. Baron (1895–1989)
- Uwe Johnson (1934–1984)
- Walter Benjamin (1892–1940)
Personen in der GND - familiäre Beziehungen
- NDB 15 (1987), S. 427 in Artikel Ludwig, Emil (Ludwig, Emil)
- NDB 19 (1999), S. 756 in Artikel Paeschke, Hans (Paeschke, Hans Karl Hermann)
- NDB 23 (2007), S. 353 in Artikel Schocken, Salman (Schocken, Shelomoh Salman)
- NDB 25 (2013), S. 145 in Artikel Stein, Fred
- NDB 25 (2013), S. 284*
- NDB 25 (2013), S. 298 in Artikel Sternberger, Dolf
- NDB 27 (2020), S. 822 (Werner, Eric)
Places
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-
Arendt, Hannah (eigentlich Johanna Arendt, verheiratete Johanna Stern, verheiratete Johanna Blücher)
1906 – 1975
Philosophin, Publizistin
Hannah Arendt gehört zu den bedeutenden Denkerinnen des 20. Jahrhunderts. Die an deutschen Universitäten ausgebildete, aus Europa in die USA vertriebene Jüdin richtete ihr Bemühen um Verstehen und Erkennen auf das miterlebte Jahrhundert der Weltkriege, Totalitarismen, Verfolgungen und Revolutionen. Sie hinterfragte die Tradition abendländischen Denkens, legte durch mehr als 2000-jährige Geschichte überlagerte Erfahrungen und Gedanken frei und wies der (politischen) Philosophie mit ihrem Beharren auf der Pluralität des Menschen neue Wege. Ihr emphatischer Begriff des Handelns wirkte weltweit inspirierend, so auch ihr Merksatz: „Der Sinn von Politik ist Freiheit“.
Dates of Life
Geboren am 14. Oktober 1906 in Linden bei Hannover Gestorben am 4. Dezember 1975 in New York City Grabstätte Cemetery des Bard College in Annandale-on-Hudson (New York, USA) Konfession keine -
Author
→Ursula Ludz (postume Publikation)
-
Citation
Ludz, Ursula, „Arendt, Hannah“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.04.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/11850391X.html#dbocontent
Leben
Arendt wuchs in Linden bei Hannover, seit 1910 in Königsberg (Preußen, heute Kaliningrad, Russland) auf und absolvierte hier und kurzzeitig in Berlin-Charlottenburg ihre Schulzeit. Nach der Reifeprüfung 1924 begann sie das Studium der Philosophie mit den Nebenfächern Evangelische Theologie und Griechische Philologie in Marburg. Hier wurde Martin Heidegger (1889–1976) ihr akademischer Lehrer, mit dem sie eine zeitlebens geheim gehaltene Liebesbeziehung verband. Diese fand ein äußeres Ende mit Arendts Studienplatzwechsel nach Heidelberg 1926, wo sie 1928 mit der Arbeit „Der Liebesbegriff bei Augustin. Versuch einer philosophischen Interpretation“ (1929) bei Karl Jaspers (1883–1969) zur Dr. phil. promoviert wurde.
1930 erhielt Arendt ein Stipendium der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft für ihre Forschungsarbeit „über das Problem der deutsch-jüdischen Assimilation, exemplifiziert an dem Leben der Rahel Varnhagen“, deren Ergebnisse sie erst 1958/59 veröffentlichte. Entscheidend für ihren weiteren Lebenslauf wurde damals die Wiederbegegnung mit Kurt Blumenfeld (1884–1963), dem Präsidenten der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, in Berlin. Für dessen Organisation hielt Arendt Vorträge und übernahm einen Rechercheauftrag in der Berliner Staatsbibliothek.
Der „Verbreitung von Greuelpropaganda“ verdächtigt, wurde Arendts Wohnung 1933 von der Gestapo durchsucht und sie selbst kurzzeitig inhaftiert. Danach floh sie illegal über die Tschechoslowakei in die Schweiz und weiter nach Paris, wo sich ihr Ehemann Günther (Stern) Anders (1902–1992) bereits aufhielt. Hier engagierte sie sich weiter im Rahmen zionistischer Politik. 1937 nahm Arendt ihre wissenschaftlichen Studien wieder auf, beendete das Rahel-Buch und trieb ihre Recherchen zu einer Geschichte des europäischen Antisemitismus voran. Nach den Pogromen 1938 in Deutschland verlagerte sich das Schwergewicht ihrer Tätigkeit erneut auf die Sozialarbeit, die Hilfe für jüdische Kinder und Erwachsene.
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs kam Arendt im Mai 1940 als „feindliche Ausländerin“ in das Internierungslager Gurs, aus dem sie zu Freunden in Montauban im unbesetzten Frankreich floh und wo sie ihren zweiten Ehemann Heinrich Blücher (1899–1970) wiedertraf. Mithilfe ihres inzwischen in Kalifornien lebenden Ex-Ehemanns erhielten sie und Blücher 1941 Einreisevisen in die USA. Die deutschsprachige Zeitung „Aufbau“ und die Zeitschrift „Jewish Social Studies“ des an der Columbia University lehrenden Historikers Salo W. Baron (1895–1989) boten ihr erste Publikationsmöglichkeiten. Baron besorgte ihr zudem eine Anstellung im Rahmen der jüdischen Kulturrestitution. Für die 1949 gegründete „Jewish Cultural Reconstruction, Inc.“ arbeitete Arendt bis 1952, bevor sie als freiberufliche Autorin und institutionell ungebundene akademische Lehrerin tätig wurde.
Bekanntheit in den USA erwarb Arendt 1951 mit ihrem Buch „The Origins of Totalitarianism“, in dessen Anschluss sie ein Guggenheim-Stipendium (1952/53) mit der Möglichkeit zu freier wissenschaftlicher Arbeit sowie 1953 die Einladung zu einer Vortragsreihe der Christian Gauss Seminars an der Princeton University erhielt. 1955 ging sie als Visiting Full Professor in Political Science für ein Semester an die University of California nach Berkeley. Nach Jahren der jeweils semesterweisen Verpflichtung an weiteren Colleges und Universitäten nahm Arendt 1963 an der University of Chicago eine feste Stelle (mit reduzierter Lehr- und Präsenzpflicht) an und traf 1967 eine vergleichbare Vereinbarung mit der Graduate Faculty der New School for Social Research in New York City, wo sie bis zu ihrem Tod als „University Professor“ wirkte.
Neben ihrer Tätigkeit als akademische Lehrerin arbeitete Arendt weiterhin schriftstellerisch. Dabei bemühte sie sich weiter, die Katastrophen des 20. Jahrhunderts – besonders Totalitarismus und Holocaust – zu verstehen und mischte sich mit Essays etwa über „Little Rock“ (1959), „Civil Disobedience“ (1970) und „Lying in Politics“ (1971) in aktuelle Debatten der US-amerikanischen Politik ein. Höhepunkt ihrer Laufbahn als „Public Intellectual“ wurde ihre Rede zur 200-Jahr-Feier der Unabhängigkeit der USA im Rahmen des Boston Bicentennial Forums, die am 20. Mai 1975 vom National Public Radio ausgestrahlt wurde. In diese Rede brachte sie ihre Erfahrungen mit dem „terrible century“ ihrer Lebenszeit ein und äußerte sich im Angesicht der Niederlage in Vietnam zur Krise der US-amerikanischen Republik.
In Westdeutschland, wohin sie mehrfach zu (Rundfunk-)Vorträgen reiste, wurde Arendt seit 1945 von Jaspers, Dolf Sternberger (1907–1989) und später Klaus Piper (1911–2000) gefördert und 1955 durch die deutsche Übersetzung ihres Totalitarismusbuchs bekannt. Auch wenn sie nicht in den Kreis der bundesrepublikanischen „Medien-Intellektuellen“ aufrückte, erhielt sie zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit durch ihr Buch „Eichmann in Jerusalem“ (1963, deutsch 1964) und die damit verbundenen Auftritte, insbesondere das Gespräch mit Günter Gaus (1929–2004) in der Reihe „Zur Person“ des ZDF 1964.
Werk
Ihren Ruf als politische Theoretikerin und Philosophin verdankt Arendt drei Monografien: „The Origins of Totalitarianism“ (1951), „The Human Condition“ (1958) und „On Revolution“ (1963), die von ihr selbst ins Deutsche übertragen wurden: „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1955), „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ (1960) und „Über die Revolution“ (1965). Die Bücher sind bis heute in beiden Sprachen erhältlich, nach einer je eigenen Veröffentlichungsgeschichte.
Das Totalitarismusbuch mit Beschreibung und Analyse der Systeme des Nationalsozialismus und Bolschewismus in seinem dritten Teil, das Vita-activa-Buch von der menschlichen Bedingtheit mit den Untersuchungen über die drei phänomenologisch unterschiedenen Tätigkeiten des „Arbeitens“, „Herstellens“ und „Handelns“ (Labor, Work, Action) wie das Revolutionsbuch, in dem der Vergleich der beiden großen Revolutionen des 18. Jahrhunderts, der amerikanischen (1775) und der französischen (1789), zur Klärung der grundsätzlichen Frage dient, „was eine Revolution tatsächlich ist“, sind Basistexte der Arendtschen politischen Theorie der menschlichen Pluralität, des Handelns und Urteilens, der republikanischen (partizipatorischen) Demokratie.
In diesen Werken zeigt sich die an Jaspers, Heidegger und Edmund Husserl (1859–1938) geschulte Philosophin mit einem jeweils eigenwilligen geistigen Zugriff, der sich keiner bestimmten Methode und keinem System unmittelbar zurechnen und die Fachdiskussionen weitgehend außer Acht lässt. Das gilt auch für zwei frühe deutschsprachige Arbeiten, in denen die Verwurzelung Arendts in der deutschen (Existenz-)Philosophie noch deutlich zutage tritt: ihre 1929 veröffentlichte Dissertation und die als „post-doctoral“-Projekt begonnene, in Paris fertiggestellte und 1958 veröffentlichte Studie über das Leben der Rahel Varnhagen (1771–1833) unter den Bedingungen der jüdischen Assimilation im Preußen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts mit ihren Erkenntnissen über das Dasein als „Paria“ oder „Parvenü“.
Arendts Bericht über den Eichmann-Prozess, der 1963 in dem Magazin „The New Yorker“, kurz darauf als englische Buchausgabe und 1964 in autorisierter deutscher Übersetzung erschien, wurde ihr meist kommentiertes Werk und löste die sog. Arendt-Kontroverse aus. Obwohl inzwischen häufig widerlegt, halten sich bis in die Gegenwart die gegen den Bericht erhobenen Vorwürfe, v. a. gegen die biografische Darstellung Adolf Eichmanns (1906–1962) als „Funktionär“ eines totalitären Herrschaftsapparates und gegen die Ausführungen über die Rolle der offiziellen jüdischen Vertreter während des Holocaust. In Arendts Gesamtwerk nimmt „Eichmann in Jerusalem“ eine Mittel- (Vermittler-)Stellung zwischen dem frühen Totalitarismusbuch und den späten Reflexionen über das Denken und Urteilen ein. Das dem Erlebnis „Eichmann“ geschuldete, im Untertitel des Buchs erstmals in die Öffentlichkeit gelangte Schlagwort von der „Banalität des Bösen“ wurde zu einer geistigen Herausforderung, der Arendt im erst postum veröffentlichten Spätwerk, dem aus Gifford Lectures hervorgegangenen „The Life of the Mind“ (1978), nachging. Mit „Banalität des Bösen“ meint Arendt: Dieses Böse hat keine Tiefe, ist nicht radikal, nicht dämonisch; aber es ist in seiner Oberflächlichkeit extrem und „fürchterlich“ (fearsome). Die „Banalität des Bösen“ bezeichnet sie als „word-and-thought-defying“, im Grunde versage vor ihr das Wort, und das Denken scheitere an ihr. Umso intensiver müsse das Bemühen sein, diese Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen, um sich ihr entgegenstellen zu können.
Arendt sah den Essay als besonders geeignete literarische Form für ihre Art des Denkens an und pflegte ihn entsprechend. In Essays stellte sie v. a. „Exercises in Political Thought“ vor, Übungen im politischen Denken etwa zu den Themen „Geschichte“ und „Natur“, zu Begriffen wie „Autorität“, „Freiheit“, „Revolution“, „Macht“ und „Gewalt“ sowie zu Problemfeldern (Erziehung, Kultur, Religion, Wahrheit/Lüge). Sie nutzte den Essay auch, um sich in aktuelle US-amerikanische Debatten einzumischen. Zu Lebzeiten erschienen im englischen Sprachraum die Sammlungen „Between Past and Future“ (1961, erweitert 1968) und „Crises of the Republic“ (1972), zusätzlich die Porträt-Sammlung „Men in Dark Times“ (1968). Postum wurden zahlreiche umfängliche, das Gesamtwerk berücksichtigende englische und deutsche Ausgaben zusammengestellt.
Arendts umfangreiches Briefwerk wurde aus dem Nachlass veröffentlicht. Es unterstreicht das Bild einer breit vernetzten Schriftstellerin, öffentlichen Intellektuellen wie auch Freundin und Korrespondenzpartnerin von Blumenfeld, Heidegger, Karl Jaspers und seiner Ehefrau Gertrud Jaspers (1879–1974), Mary McCarthy (1912–1989), Hermann Broch (1886–1951), Uwe Johnson (1934–1984), Walter Benjamin (1892–1940), Gershom Scholem (1897–1982) und Dolf Sternberger (1907–1989) sowie Anne Weil (1903–1984), Hilde Fränkel (1897–1950), Lotte Beradt (1907–1986), Rose Feitelson (1914–2001) und Helen Wolff (1906–1994).
Wirkung
Arendt wirkte von den 1940er Jahren bis zu ihrem Lebensende in den USA als akademische Lehrerin der „Political Science“, wovon zahlreiche bisher nur teilweise veröffentlichte Vorlesungsmanuskripte in ihrem Nachlass zeugen. Als schulbildend verstand sie diese Tätigkeit nicht, ja wehrte sich ausdrücklich gegen sie, weil sie nicht „indoktrinieren“ wolle. Das bestätigen ihre Studentinnen und Studenten Peter Stern, Jean Yarbrough, Elisabeth Young-Bruehl (1946-2011), Larry May (geb. 1952) und Jerome Kohn (geb. 1931), seit 2000 „Executor“ des Hannah Arendt Bluecher Literary Trust, in ihren Veröffentlichungen.
Wenn nicht schulbildend, so entfaltete Arendt doch besonders in den 1950er und 1960er Jahren eine Wirkung in Wissenschaft und Öffentlichkeit, die sich nach ihrem Tod von etwa Mitte der 1980er Jahre bis in die Gegenwart steigerte. Arendt hielt Distanz zur traditionellen akademischen (politischen) Philosophie und den empirischen Sozialwissenschaften und erwarb sich einen Ruf als streitbare Denkerin. Im deutschen Sprachraum wurde sie nach 1945 als Autorin der Zeitschrift „Die Wandlung“ bekannt. Ihr erster dort erschienener Artikel „Organisierte Schuld“ (1946) stieß auf große Resonanz in und außerhalb der akademischen Welt. Mit „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1955) und dem Essayband „Fragwürdige Traditionsbestände im politischen Denken der Gegenwart“ (1957) wurde sie über die Politikwissenschaft hinaus zur „Klassikerin“ der Totalitarismustheorie – auch deshalb, weil viele Vertreter der sich etablierenden Disziplin transatlantische Kontakte pflegten, so etwa Karl-Dietrich Bracher (1922–2016), Iring Fetscher (1922–2014), Jürgen Habermas (geb. 1929), Peter Graf Kielmannsegg (geb. 1937), Reinhart Koselleck (1923-2006), Peter C. Ludz (1931–1979), Kurt Sontheimer (1928–2005) und Sternberger. Im studentischen, eher linksorientierten Milieu der Bundesrepublik der 1960er und 1970er Jahre wurde sie dagegen weniger zur Kenntnis genommen oder nicht selten als „reaktionär“ angefeindet.
Eine auch „Renaissance“ genannte Rezeption begann in den 1980er Jahren mit Arendt-Lektüren hinter dem erodierenden Eisernen Vorhang (auch in der DDR) und deren internationalen Rückwirkungen. Spätestens seit den 1990er Jahren gilt Arendt jenseits und diesseits des Atlantiks als wichtige politische Denkerin des 20. Jahrhunderts und öffentliche Intellektuelle. Eine Verklärung als Idol blieb nicht aus. Zeitlich parallel lief die Entdeckung ihres Werks durch feministische Wissenschaftlerinnen sowie ihrer Gedanken zur Menschenrechtsproblematik (über „das Recht, Rechte zu haben“). Im Zuge der Herausgabe von Briefwechseln aus dem Nachlass weitete sich die Rezeption auf Arendts (privates) Leben aus. Die Veröffentlichung des „Denktagebuchs 1950–1973“ (2002) leitete eine weitere Phase ein. Arendts ungewöhnlicher Denkstil wurde auf neuer Grundlage ebenso thematisiert wie ihr Schreibstil. Mit dem Blick auf „Hannah Arendt und die Dichter“ öffneten sich im 21. Jahrhundert einmal mehr neue Zugänge für die Interpretation ihrer Schriften (literarische Texte als Quelle von Erfahrung und Erkenntnis).
Zahlreiche Institutionen berufen sich heute auf Arendt, so das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden (gegründet 1992), die ungarische Hannah-Arendt-Gesellschaft (1997), die Forschungsstelle Hannah-Arendt-Zentrum (mit Archiv) an der Universität Oldenburg (1999), das Hannah Arendt Center at the New School University, New York (2000) und das mit dem wöchentlichen Online-Newsletter „Amor Mundi“ international präsente The Hannah Arendt Center for Politics and Humanities am Bard College in Annandale-on-Hudson (2009). Auch in Südamerika gibt es Arendt-Forschungsinstitute, so an der Universität von São Paulo, an der katholischen Universität PUC in Rio de Janeiro und in Venezuela das Observatorium Hannah Arendt.
Mehrere internationale Periodika widmen sich der Verbreitung der Ergebnisse der Arendt-Forschung; mit dem Hannah-Arendt-Preis des Instituts für die Wissenschaft vom Menschen, Wien, und der Körber-Stiftung (verliehen 1995–1999) sowie dem Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken e.V., der seit 1995 von der Stadt Bremen und der Heinrich-Böll-Stiftung jährlich vergeben wird, wurden und werden ihr Denken, ihr Werk und deren bemerkenswerte Aktualität gewürdigt.
1935 | Mitglied der Jewish Agency for Palestine |
1946 | Mitglied der Conference on Jewish Social Studies |
1954 | Mitglied der American Political Science Association |
1958 | Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt |
1959 | Dr. h. c., Bard College, Annandale-on-Hudson (New York, USA) |
1959 | Lessingpreis der Freien und Hansestadt Hamburg |
1960 | Mitglied des Spanish Refugee Aid |
1960 | Dr. h. c., Goucher College, Baltimore (Maryland, USA) |
1962 | Mitglied der American Academy of Arts and Sciences |
1964 | Mitglied der American Academy of Arts and Letters |
1964 | Dr. h. c., Western College of Women, Oxford (Ohio, USA) |
1964 | Dr. h. c., Eastern Michigan University Ypsilanti (Michigan, USA) |
1966 | Dr. h. c., Smith College, Northampton (Massachusetts, USA) |
1967 | Mitglied von Amnesty International |
1967 | Mitglied der American Academy (National Institute) of Arts and Letters |
1967 | Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung |
1968 | Dr. h. c., York University, Toronto (Kanada) |
1969 | Emerson-Thoreau Medal for Social and Political History and Philosophy der American Academy of Arts and Sciences |
1970 | Dr. h. c., Loyola University, Chicago (Illinois, USA) |
1971 | Mitglied des International PEN Club (American Center) |
1971 | M. Carey Thomas Award for Eminent Achievement by an American Woman des Bryn Mawr College, Philadelphia (Pennsylvania, USA); |
1971 | Dr. h. c., Yale University, New Haven (Connecticut, USA) |
1972 | Dr. h. c., Notre Dame University, Notre Dame (Indiana, USA) |
1972 | Dr. h. c., Fordham University, New York (New York, USA) |
1972 | Dr. h. c., Princeton University, Princeton (New Jersey, USA) |
1972 | Dr. h. c., Dartmouth College, Hanover (New Hampshire, USA) |
1975 | Sonningprisen for Meritorious Work for the Advancement of European Civilization der University of Copenhagen (Dänemark) |
1975 | Erste Preisträgerin des Benjamin E. Lippincott Award in Political Theory der American Political Science Association (APSA) |
1990/91 | ICE-Express 573 „Hannah Arendt“ der Deutschen Bahn |
Dr. h. c., Case Western Reserve University, Cleveland (Ohio, USA) |
Nachlass:
Library of Congress, Washington, DC, Collection Hannah Arendt Papers. (weiterführende Informationen)
Teilnachlässe:
Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. (hierzu: Ulrich von Bülow, Hannah Arendt in Marbach, 2015)
Stevenson Library at Bard College, Annandale-on-Hudson (New York).
Archives and Special Collections, New School University, New York City.
Leo Baeck Institute, Center for Jewish History, New York City.
Hannah Arendt Zentrum mit Archiv, Universität Oldenburg.
Universitätsarchive Marburg an der Lahn, Freiburg im Breisgau, Heidelberg. (Studienunterlagen)
Der Liebesbegriff bei Augustin. Versuch einer philosophischen Interpretation, 1929, Neuausg. 2006, 2018, Studienausg. 2021. (Diss. phil.)
Sechs Essays, 1948, Neuausg. in: Kritische Gesamtausgabe, Bd. 3, 2019.
The Origins of Totalitarianism/The Burden of Our Time, 1951, seit 21958 u. d. T. The Origins of Totalitarianism, Ausg. in 3 Bdn. 1968, Ausg. in einem Bd. [6]2004, dt. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft 1955, 31962, Ausg. in 3 Bdn. 1975, Ausg. in einem Bd. [5]1986, Studienausg. 2022.
Fragwürdige Traditionsbestände im politischen Denken der Gegenwart. Vier Essays, 1957, Studienausg. 2021.
The Human Condition, 1958, 21959, Taschenbuchausg. 1989, dt. Vita activa oder Vom tätigen Leben, 1960, Studienausg. 2020.
Rahel Varnhagen. The Life of a Jewess, 1958, Neuausg. u. d. T. Rahel Varnhagen. The Life of a Jewish Woman, 1974, dt. Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, 1959, Studienausg. 2021; engl. u. dt. Fassung letzter Hand, in: Kritische Gesamtausgabe, Bd. 2, 2021.
Between Past and Future. Six Exercises in Political Thought, 1961.
Eichmann in Jerusalem. A Report on the Banality of Evil, 1963, durchgesehene u. erw. Ausg. 1965, dt. Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, 1964, Neuausg. 1986, erw. Taschenbuchausg. 1996, Studienausg. 2022.
On Revolution, 1963, durchgesehene u. erw. Ausg. 1965, dt. Über die Revolution, 1965, Studienausg. 2020.
Between Past and Future. Eight Exercises in Political Thought, 1968 u. ö.
Men in Dark Times, 1968.
Macht und Gewalt, 1970, 21971, Neuausg. 1995.
Walter Benjamin – Bertolt Brecht. Zwei Essays, 1971, 21986.
Crises of the Republic. Lying in Politics – Civil Disobedience – On Violence – Thoughts on Politics and Revolution, 1972.
Die verborgene Tradition. Acht Essays, 1976, Neuausg. in: Kritische Gesamtausgabe, Bd. 3, 2019.
The Life of the Mind [1970–1975], hg. v. Mary McCarthy, 2 Bde., 1978.
Lectures on Kant’s Political Philosophy [1970], hg. v. Ronald Beiner, 1982.
Was ist Politik? Fragmente aus dem Nachlass [1950–1959], hg. v. Ursula Ludz, 1993.
Love and Saint Augustine [1929 und 1963], hg. v. Joanna Vecchiarelli Scott/Judith Chelius Stark, 1996.
Denktagebuch 1950 bis 1973, hg. v. Ursula Ludz u. Ingeborg Nordmann, 2 Bde., 2002, Taschenbuchausg. 2016, Taschenbuchausg. in einem Bd. 2020, 22022.
The Modern Challenge to Tradition. Fragmente eines Buchs [June 1952–September 1954], hg. v. Barbara Hahn/James McFarland, Kritische Gesamtausgabe, Bd. 6, 2018.
Bibliografien:
Joan Nordquist, Hannah Arendt, 1989.
John M. Spalek/Joseph Strelka/Sandra H. Hawrylchak (Hg), Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933, Bd. 4.1 (1994), S. 83–99.
Bibliographie. Zusammenstellung aller deutsch- und englischsprachigen Veröffentlichungen von Hannah Arendt [Primärliteratur 1929–2005], in: Ursula Ludz (Hg.), Hannah Arendt, Ich will verstehen. Selbstauskünfte zu Leben und Werk, 82020, S. 257–341.
Literaturliste, Hannah Arendt – Hannah Arendt in Hannover, zusammengestellt v. Günter Magiera, laufend aktualisiert v. Detlef Horster. (Onlineressource)
Bibliographie, in: HannahArendt.net. Zeitschrift für politisches Denken. (Onlineressource)
Bibliographie, in: Wolfgang Heuer/Stefanie Rosenmüller (Hg.), Arendt Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, 2011, 22022, S. 489–497 u. 500–505.
Gesamtausgaben:
Kritische Gesamtausgabe. Druck und Digital, hg. v. Anne Eusterschulte/Eva Geulen/Barbara Hahn/Hermann Kappelhoff/Ingeborg Nordmann/Patchen Markell/Annette Vowinckel/Thomas Wild, seit 2018, bislang 3 Bde. erschienen.
Studienausgabe, hg. v. Thomas Meyer, seit 2020, bislang 5 Bde. erschienen.
David Riesman, The Path to Total Terror, in: Commentary 11 (1951), S. 392–398.
Eric Voegelin, The Origins of Totalitarianism, in: The Review of Politics 15 (1953), S. 68–76 (Hannah Arendt, A Reply, ebd., S. 76–84; Eric Voegelin, Concluding Remark, ebd. S. 84 f.), dt. in: Hannah Arendt/Eric Voegelin, Disput über den Totalitarismus, hg. v. Hannah-Arendt-Institut in Zusammenarbeit mit dem Voegelin-Zentrum, 2015, S. 43–64.
Wystan Hugh Auden, Thinking What We Are Doing, in: Encounter 69 (1959), S. 72–76.
Helmut Kuhn, Hannah Arendt, The Human Condition, in: Philosophische Rundschau 8 (1960), S. 126–131.
Arnold Gehlen, Vom tätigen Leben, in: Merkur 15 (1961), S. 482–486.
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Ausstellungskataloge:
Alte Synagoge (Hg.), Hannah Arendt. „Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin …“, 1995.
Barbara Hahn/Marie Luise Knott (Hg.), Hannah Arendt – Von den Dichtern erwarten wir Wahrheit, 2007.
Volker März, Das Lachen der Hannah Arendt, 2007.
Doris Blume/Monika Boll/Raphael Gross (Hg.), Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert, 2020.
Filme:
Hannah Arendt und die Pflicht zum Ungehorsam. Dokumentarfilm, 2015, 90 Min., Buch u. Regie: Ada Ushpiz, arte/WDR, 2016.
Hannah Arendt – Ihr Denken veränderte die Welt. Spielfilm, Deutschland u. a. 2012, 113 Min., Regie: Margarethe von Trotta mit Barbara Sukowa als Hannah Arendt.
Denken und Leidenschaft. Hannah Arendt (A Passionate Thinker), Dokumentarfilm, 2006, 67 Min., Regie: Jochen Kölsch, arte/BR/SWR.
Hannah Arendt – Das Mädchen aus der Fremde. Dokumentarfilmreihe in fünf Teilen à 15 Min., 2006, Buch: Carolin Otto, BR.
Deutsche Lebensläufe: Hannah Arendt – Eine Jüdin aus Deutschland. Dokumentation, 2005, 60 Min., Regie: Simone Reuter und Monika Boll, SWR.
Hannah Arendt, La jeune fille étrangère. Dokumentarfilm, 1997, 51 Min., Buch u. Regie: Eglal Errera u. Alain Ferrari, Cinétévé/La Sept Arte/INA/Centre Georges-Pompidou.
1,70 DM-Briefmarke der Deutschen Post, 1988.
Gedenktafel mit Porträt und Zitat „Niemand hat das Recht zu gehorchen“ v. BeNeR1 u. Kevin Lasner, 2015 (Hannover-Linden, Lindener Marktplatz 2).