Drechsel, Sammy
- Lebensdaten
- 1925 – 1986
- Geburtsort
- Berlin
- Sterbeort
- München
- Beruf/Funktion
- Sportjournalist ; Reporter ; Kabarettleiter, -regisseur und -produzent ; Journalist ; Regisseur ; Schauspieler ; Kabarettist ; Filmproduzent
- Konfession
- evangelisch
- Normdaten
- GND: 105351431 | OGND | VIAF: 74312023
- Namensvarianten
-
- Drechsel, Heinz
- Drechsel, Heinz Waldemar
- Drechsel, Sammy
- Drechsel, Heinz
- Drechsel, Heinz Waldemar
- Kamke, Heini
- Kamke, Karl-Heinz
- Camke, Heini
- Camke, Carl-Heinz
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Personen im NDB Artikel
- Dieter Hildebrandt (1927–2013)
- Ernst Werner (1899–1984)
- Fred Kassen (1903–1972)
- Georg Fruhstorfer (1915–2003)
- Georg Preuße (geb. 1950)
- Hans Jürgen Dietrich (1923–2012)
- Klaus Havenstein (1922–1998)
- Klaus Peter Schreiner (1930–2017)
- Konstantin Wecker (geb. 1947)
- Reiner Kohler (1944–1995)
- Rolf Wernicke (1903–1953)
- Ursula Herking (1912–1974)
- Ursula Noack (1918–1988)
- Werner Schneyder (1937–2019)
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Drechsel, Sammy (eigentlich Heinz Waldemar Drechsel)
1925 – 1986
Sportjournalist, Reporter, Kabarettleiter, -regisseur und -produzent
Sammy Drechsel zählte zu den beliebtesten Sportreportern der westdeutschen Nachkriegszeit. Als Mitbegründer, Geschäftsführer und langjähriger Regisseur der Münchner Lach- und Schießgesellschaft entwickelte er diese zu einem der einflussreichsten und populärsten deutschen Kabaretts – früh auch präsent im Medium Fernsehen.
Lebensdaten
Geboren 25. April 1925 in Berlin Gestorben 19. Januar 1986 in München Begraben Nordfriedhof in München Konfession evangelisch -
Autor/in
→Judith Kemp (München)
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Zitierweise
Kemp, Judith, „Drechsel, Sammy“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2022, zuletzt geändert am 01.10.2022, URL: https://www.deutsche-biographie.de/105351431.html#dbocontent
Verhältnismäßig wenige offizielle Dokumente belegen die Stationen von Drechsels Leben. So speisen sich auch die Informationen zu seinen frühen Jahren überwiegend aus seinen eigenen Aussagen. Bekannt ist lediglich der Name der Mutter; von seinem Vater berichtete Drechsel, er sei ein persischer Diplomat jüdischen Glaubens gewesen. Als uneheliches Kind war Drechsel ab 1928 in der Obhut des Jugendamts Berlin-Wilmersdorf. Er kam in Pflege zu Paul Kamke, einem Packer in einer Berliner Lederwarenfabrik, und dessen Ehefrau, wo er mit der gleichen Zuwendung wie die beiden leiblichen Kinder aufwuchs. Von seinem Pflegevater übernahm er dessen Fußballbegeisterung, die seinen weiteren Werdegang maßgeblich prägte und sich auch in seinem 1955 erschienenen Buch „Elf Freunde müßt ihr sein“ niederschlug. Der stark autobiografisch geprägte „Fußballroman für die Jugend“ und sein Protagonist Heini Kamke verraten weitere Details über Drechsels Kindheit und Jugend, etwa, dass er die 5. Volksschule Berlin-Wilmersdorf besuchte und sehr erfolgreich in der Fußballmannschaft der Schule sowie in der Schülermannschaft des Berliner SV 1892 mitwirkte.
Nach Beendigung der Volksschule 1939 begann Drechsel eine kaufmännische Ausbildung in der Berufsschule für Industriekaufleute II und wurde kaufmännischer Lehrling bei der Berliner Zeitschrift „Der Westen“. Dem Abschluss der Berufsschule im März 1942 folgte der Eintritt in den Verlag der „Berliner Fußballwoche“, wo er Chefredakteur Ernst Werner (1899–1984) assistierte und Bekanntschaft mit Rolf Wernicke (1903–1953), Sportreporter und Leiter der Abteilung Sport beim Großdeutschen Rundfunk, machte. Über ihn kam Drechsel zum Radio, wo er sich bald mit ersten Fußballreportagen hervortat. Er geriet allerdings zunehmend in Bedrängnis, da die Identität seines leiblichen Vaters und damit auch dessen Konfession, die Drechsel als „Halbjuden“ abstempelte, den Behörden nicht verborgen blieben. Eine Zeitlang scheint er durch die Fürsprache von Wernicke sowie der Funktionäre des „BSV 92“ einen gewissen Schutz genossen zu haben, kam jedoch 1943 für mehrere Tage in das Untersuchungsgefängnis am Albrecht-Ufer. Die Verhöre verliefen aber offenbar glimpflich und hatten lediglich seine Verschickung nach Thessaloniki im April 1943 zur Folge, wo er sich im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes im Wehrmachtsender rasch einen Namen machte. Im Juli 1943 kam er an die Front mit Einsätzen in Weißrussland, der Ukraine und Polen. Drechsel wurde mehrfach verwundet und 1944 mit dem Verwundetenabzeichen in Schwarz ausgezeichnet. Sein Status als „Halbjude“ scheint hierbei ebenso wenig eine Rolle gespielt zu haben wie bei seiner medizinischen Versorgung in verschiedenen Lazaretten während des letzten Kriegsjahres, zuletzt in Ockholm an der Nordsee.
Drechsel kehrte nach Berlin zurück und war zunächst beim Berliner Rundfunk in der sowjetisch besetzten Zone der Stadt, danach beim Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS) tätig. Hier fiel er v. a. durch seine „Sensationsreportagen“ auf, bei denen er live während waghalsiger Aktionen berichtete, so z. B. 1948 bei einer Todesseilfahrt über den Gendarmenmarkt mit dem Artisten Cimarro oder als er sich 1949 von einem D-Zug überrollen ließ.
1949 ging Drechsel auf Einladung des Bayerischen Rundfunks (BR) nach München, das fortan seinen Lebensmittelpunkt bildete, und avancierte zu einem der wichtigsten Sportreporter des Senders. Zu seinen beliebtesten Formaten zählte die Kinder- und Jugendsendung „Sport, Spiel, Spannung“, die er ab 1959 monatlich gemeinsam mit Klaus Havenstein (1922–1998) moderierte. Hinzu kamen zahlreiche Sportsendungen für Rundfunk und Fernsehen des BR, wobei der Fußball den Schwerpunkt bildete. Zudem berichtete Drechsel für die anderen westdeutschen Rundfunkanstalten regelmäßig von nationalen und internationalen Sportereignissen wie den Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften verschiedener Disziplinen, darunter v. a. Eishockey und Bobsport. In der Rolle des Sportjournalisten – und seltener in anderen Rollen – wirkte Drechsel auch verschiedentlich in Spielfilmen und Fernsehserien mit; darüber hinaus trat er in anderen Sparten etwa als Sprecher, Interviewer und Regisseur in Erscheinung.
Auch als Fußballspieler war Drechsel weiterhin aktiv. 1953 gründete er in München nach dem Vorbild des Berliner Fußballprominentenclubs „Oase“, dem er vor seiner Einberufung angehört hatte, den „FC Schmiere“. Die 1964 ins Vereinsregister eingetragene Gruppierung setzte sich aus Künstlern, Journalisten und wenig später auch den Mitgliedern der Münchner Lach- und Schießgesellschaft zusammen, konnte für ihre Turniere aber immer wieder auch diverse Fußballprofis und Größen aus Politik und Unterhaltung gewinnen und wurde zur „wohl schillerndsten Prominenten-Elf der Republik“ (Süddeutsche Zeitung v. 9.12.2008). Die Spiele fanden häufig an den Tourneeorten der Lach- und Schießgesellschaft und in den erfolgreichsten Jahren vor bis zu 40 000 Zuschauern statt, die Erlöse der Eintrittskarten kamen Wohltätigkeitszwecken zugute. Drechsel, der mit der Rückennummer 9 antrat, ist mit 1500 erzielten Toren bis heute Torschützenkönig des Vereins, der noch immer existiert, seine Tätigkeit jedoch 2014 einstellte.
Neben dem Beruf als Sportjournalist wurde in seiner Münchner Zeit ein zweiter Tätigkeitsbereich für Drechsel immer wichtiger: Bereits bei der Truppe hatte er sich als Entertainer und Organisator bunter Abende profiliert und war nach Kriegsende Mitbegründer der Kleinkunstbühne Trocadero am Timmendorfer Strand gewesen, wobei ihm sein umfangreiches Netzwerk aus Berliner Größen der Schauspiel- und Rundfunkszene zugute gekommen war. In München nahm Drechsel diese Beschäftigung erneut auf und veranstaltete regelmäßig in dem von dem Komponisten und Pianisten Fred Kassen (1903–1972) geführten Schwabinger Lokal „Stachelschwein“, Ecke Haimhauser-/Ursulastraße, Kabarettabende mit wechselnden Künstlerinnen und Künstlern. Ende 1955 holte er das sehr erfolgreiche Studentenkabarett „Die Namenlosen“, dem u. a. Dieter Hildebrandt (1927–2013) und Klaus Peter Schreiner (1930–2017) angehörten, ins „Stachelschwein“ und betätigte sich als Regisseur des Ensembles. Nach der Auflösung der Truppe initiierte Drechsel die Gründung einer neuen Formation, der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, für die er neben Havenstein, Hildebrandt und Schreiner auch Hans Jürgen Dietrich (1923–2012), Ursula Herking (1912–1974) und etwas später Ursula Noack (1918–1988) gewinnen konnte, die 1959 an Herkings Stelle trat. Die Lach- und Schießgesellschaft, die 1956 ihr erstes Programm präsentierte („Denn sie müssen nicht was sie tun“), avancierte zu einem der einflussreichsten und beliebtesten Kabaretts der Nachkriegszeit. Maßgeblich war dies das Verdienst Drechsels, der dem Ensemble bis zu seinem Tod 1986 als Geschäftsführer vorstand und in dieser Zeit in 27 von 29 Programmen Regie führte. Drechsels Beziehungen zum BR und seinem Instinkt für das Potenzial des neuen Mediums Fernsehen war es außerdem zu verdanken, dass die Programme der Lach- und Schießgesellschaft von Anfang an im Fernsehen übertragen wurden und damit eine immense Popularität erlangten – auch hier führte er von 1957 bis zu seinem Tod 1986 Regie bei nahezu allen Produktionen.
Als Förderer und Entdecker neuer Talente wie Mary & Gordy, dargestellt von Georg Preuße (geb. 1950) und Reiner Kohler (1944–1995), oder Konstantin Wecker (geb. 1947), denen er auf der Bühne der Lach- und Schießgesellschaft ein Podium bot, nahm Drechsel großen Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Unterhaltungsszene. Drechsel prägte zukunftsweisende Kabarettformate, etwa von 1974 bis 1981 als Produzent und Manager des Kabarettduos Dieter Hildebrandt und Werner Schneyder (1937–2019) sowie als Regisseur der erfolgreichen Fernsehsendungen „Notizen aus der Provinz“ (1973–1979) und „Scheibenwischer“ (1980–1982) von und mit Hildebrandt. Drechsel, der im Alter von nur 60 Jahren einem Bauchspeicheldrüsenkrebs erlag, hat als Mitbegründer, Geschäftsführer und langjähriger Regisseur der Münchner Lach- und Schießgesellschaft Kabarettgeschichte geschrieben. Dabei kamen ihm seine von zahlreichen Weggefährten gerühmten Eigenschaften zugute: ein untrügliches dramatisches Gespür, Organisationstalent und Überzeugungskraft, Pfiffigkeit und Chuzpe, Charme sowie Loyalität und Menschlichkeit.
1944 | Verwundetenabzeichen in Schwarz |
1986 | Erster Münchner Großstadtpreis „Die Löwenpfote“ |
Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, B 563-1 KARTEI/D-672/499; B 563/6 6233, B 563/7 6173, B 563/7 2215; B 578/K 298, B 578/K 303, B 578/K 285, B 578/M 1805; ZA 11/Örtliches Kontrollblatt P.4 Heinz Drechsel.
Familienarchiv Gabriele Drechsel, Darmstadt.
Landesarchiv Berlin, A Rep. 341-05, Nr. 12 829. (Vormundschaftsakte Drechsel)
Stadtarchiv München, EWK-78-D-113. (Einwohnerkartei)
Münchner Stadtbibliothek Monacensia, Archiv der Münchner Lach- und Schießgesellschaft.
Programmhefte und Infobroschüren der „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“, 1956–2020, befindlich in der Münchner Stadtbibliothek Monacensia (1956–2002) und der Bayerischen Staatsbibliothek München (seit 1976).
Sammy Drechsel, Elf Freunde müßt ihr sein. Ein Fußballroman für die Jugend, 1955, 201994, Neuausg. 2012.
Regiearbeiten für den Rundfunk:
Ultimo 1959, BR 1959.
Ich geh allein hinterm Sarg, BR 1962.
Party-Sorgen, BR 1963.
Regiearbeiten für das Fernsehen:
Die Welt spielt Fußball, 1954.
Hinein! Fußball-Weltmeisterschaft 1958, 1958.
Melodien einer Stadt. Die Gratulanten kommen. Ein Kabarett anlässlich des 10jährigen Jubiläums des Senders Freies Berlin, SFB 1964.
Zwei Girls vom Roten Stern, 1966.
Mit Pauken und Plaketten, 1970.
Glücksspirale, 1970.
Funkstunden. Werner Schneyder: Solo mit Quartett mit dem Christoph Pauli Quartett, SFB 1983.
Filmauftritte:
Der Theodor im Fußballtor (1950).
Kitty und die große Welt (1956).
Tatort „3:0 für Veigl“ (1974).
Der Alte (1977, Folge 1: Die Dienstreise).
Kir Royal (1985, 6. Episode: Karriere).
Klaus Peter Schreiner, Die Zeit spielt mit. Die Geschichte der Lach- und Schießgesellschaft, 1976. (P)
Gestorben: Sammy Drechsel, 60, in: Der Spiegel, Nr. 5 v. 26.1.1986, S. 212.
Munzinger-Archiv. Internationales Biographisches Archiv - Personen aktuell 14/1986 v. 24.3.1986. (teils fehlerhafte Namensansetzung)
Klaus Budzinski/Reinhard Hippen, Art. „Drechsel, Sammy“, in: dies., Metzler Kabarett Lexikon, 1996, S. 77.
Klaus Budzinski/Reinhard Hippen, Art. „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“, in: ebd., S. 269–272.
Till Hofmann (Hg.), Verlängert. 50 Jahre Lach- und Schießgesellschaft, 2006.
Judith Kemp, Art. „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“, in: Historisches Lexikon Bayerns, 2021. (Onlineressource)
Katinka Strassberger, Löwenherz mit frecher Schnauze. Der Sportreporter und Kabarett-Regisseur Sammy Drechsel, Manuskript zur gleichnamigen Sendung im Deutschlandfunk, 4.12.2016.
Sammy Drechsel als Kapitän des von ihm gegründeten Fußballvereins FC Schmiere: Wohltätigkeitsfußball – Der FC Schmiere, Rundfunkbeitrag BR Retro, 30.9.2020.
Sammy Drechsel als Sportreporter. Interview zu Eishockey: Italien – Deutschland 1962, Rundfunkbeitrag BR Retro, 11.6.2021.
Fotografien v. Georg Fruhstorfer (1915–2003), Bildarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek München.
Claudia Eichhorn, Bildergalerie Sammy Drechsel des Bayerischen Rundfunks v. 14.1.2016. (Onlineressource)