Gersdorff, Rudolf-Christoph

Lebensdaten
1905 – 1980
Geburtsort
Lüben (Niederschlesien, heute Lubin, Polen)
Sterbeort
München
Beruf/Funktion
Offizier ; Widerstandskämpfer ; Soldat
Konfession
evangelisch-lutherisch
Normdaten
GND: 118538799 | OGND | VIAF: 13098872
Namensvarianten

  • Gersdorff, Rudolf-Christoph Freiherr von
  • Gersdorff, Rudolf-Christoph Heinrich Viktor Hermann Carl Gero Freiherr von
  • Gersdorff, Rudolf-Christoph
  • Gersdorff, Rudolf-Christoph Freiherr von
  • Gersdorff, Rudolf-Christoph Heinrich Viktor Hermann Carl Gero Freiherr von
  • Gersdorff, Rudolf-Christoph von
  • Gersdorff, Rudolf-Christof
  • Gersdorff, Rudolf-Christoph Heinrich Viktor Hermann Karl Gero Freiherr von

Vernetzte Angebote

Verknüpfungen

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Gersdorff, Rudolf-Christoph, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118538799.html [30.01.2025].

CC0

  • Gersdorff, Rudolf-Christoph Heinrich Viktor Hermann Carl Gero Freiherr von

    1905 – 1980

    Offizier, Widerstandskämpfer

    Als Offizier wusste Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff um die Verbrechen der Wehrmacht seit Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion 1941 und beteiligte sich 1943/44 zentral am militärischen Widerstand gegen das NS-Regime. Seine Aussagen in der Nachkriegszeit beeinflussten lange das öffentliche Bild des Widerstands, gelten heute aber als unzuverlässige Quelle.

    Lebensdaten

    Geboren am 27. März 1905 in Lüben (Niederschlesien, heute Lubin, Polen)
    Gestorben am 26. Januar 1980 in München
    Grabstätte Ostfriedhof in München
    Konfession evangelisch-lutherisch
    Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff, BArch / Bildarchiv (InC)
    Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff, BArch / Bildarchiv (InC)
  • 27. März 1905 - Lüben (Niederschlesien, heute Lubin, Polen)

    - bis 1923 - Lüben (Niederschlesien, heute Lubin, Polen)

    Schulbesuch (Abschluss: Abitur)

    Realgymnasium

    1923 - Breslau (Schlesien, heute Wrocław, Polen)

    Eintritt in die Reichswehr

    7. (preußisches) Reiterregiment

    1924 - 1925 - Lüben

    Militärdienst

    2. Reiterregiment 7

    1925 - 1926 - Ohrdruf bei Erfurt; Hannover

    Ausbildung

    Infanterieschule; Kavallerieschule

    1926 - 1935 - Breslau

    Militärdienst (1926 Leutnant, 1934 Rittmeister)

    7. (preußisches) Reiterregiment

    1935 - 1938 - Brieg (Schlesien, heute Brzeg, Polen)

    Schwadronschef

    Reiterregiment 8

    1938 - 1939 - Berlin

    Generalstabslehrgang

    Kriegsakademie

    1939 - 1939 - Polen

    Dritter Ordonnanzoffizier

    14. Armee, später 12. Armee

    1939 - 1940 - Westwall

    Dritter Generalstabsoffizier (I c/AO)

    XII. Armeekorps

    1940 - 1941 - Frankreich

    Erster Generalstabsoffizier (I a)

    86. Infanteriedivision

    1941 - 1943 - Ostfront

    Dritter Generalstabsoffizier (I c)

    Heeresgruppe Mitte

    13.3.1943 - Smolensk (Sowjetunion)

    Attentatsversuch auf Adolf Hitler (1889–1945)

    Hauptquartier Heeresgruppe Mitte

    September 1943

    krankheitsbedingte Versetzung in die Führerreserve des Heeres

    1944 - 1945 - Westfront

    Chef des Stabes (Januar 1945 Generalmajor)

    LXXXII. Armeekorps, 7. Armee

    1945 - 1947 - Saint-Germain-en-Laye; Oberursel (Taunus); Allendorf bei Marburg; Neustadt (Hessen)

    Kriegsgefangenschaft

    v. a. Militärstützpunkt „Camp Hill“

    1948 - 1953

    Geschäftsführer

    Verband Deutscher Amateur-Rennreiter e. V.; Verband Westdeutscher Rennstallbesitzer; Kölner Reit- und Fahrverein

    1952 - 1963 - Bad Pyrmont (Niedersachsen)

    Gründungspräsident; Vorsitzender

    Johanniter-Unfall-Hilfe

    1952 - 1970

    Mitarbeiter

    Organisation Gehlen (seit 1956 Bundesnachrichtendienst)

    1963 - München

    Übersiedlung

    1967 - München

    Querschnittslähmung nach Reitunfall

    26. Januar 1980 - München

    Nach dem Abitur 1923 trat Gersdorff der Familientradition folgend als Offizieranwärter in die Reichswehr ein. Politisch konservativ orientiert, stand er der Weimarer Republik distanziert gegenüber. Nach der NS-Machtübernahme begrüßte er die Aufrüstungspolitik Adolf Hitlers (1889–1945), lehnte den proletarisch-sozialrevolutionären Gestus der Nationalsozialisten aber ab. Bis 1938 diente er im Reiterregiment 8, zuletzt als Schwadronschef. Auf Initiative von Oberst Erich Marcks (1891–1944) wurde Gersdorff 1938/39 an der Berliner Kriegsakademie zum Generalstabsoffizier ausgebildet und nahm anschließend als I c-Offizier (Militärische Sicherheit, Feindaufklärung) im Stab der 14. Armee am Überfall der Wehrmacht auf Polen teil.

    Im Westfeldzug gegen Frankreich 1940 war Gersdorff als Erster Generalstabsoffizier (I a) in der 86. Infanterie-Division eingesetzt und wurde im April 1941 Dritter Generalstabsoffizier (I c) im Oberkommando der Heeresgruppe Mitte. Nach Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion im Juni 1941 war er u. a. für die Partisanenbekämpfung im rückwärtigen Heeresgebiet verantwortlich, die auch als Vorwand für die Beteiligung der Wehrmacht am nationalsozialistischen Vernichtungskrieg diente. Die Aussage in Gersdorffs Memoiren (1977), im Oberkommando der Heeresgruppe Mitte habe man um die massenhafte Ermordung von Juden durch die im rückwärtigen Bereich tätige Einsatzgruppe B nicht gewusst, widerlegte die Historikerin Rafaela Hiemann (geb. 1985) 2016 als Schutzbehauptung.

    Zugleich ist aktenkundig, dass Gersdorff seit Spätherbst 1941 im Oberkommando der Heeresgruppe gegen deutsche Kriegsverbrechen protestierte, nachdem ihm als Verantwortlichen für die Sicherung des rückwärtigen Heeresgebiets Meldungen der Einsatzgruppen des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS zur Kenntnis gekommen waren. Gersdorff war ebenfalls zuständig für die Behandlung der Kriegsgefangenen und daher über den Befehl informiert, gefangene politische Kommissare der Sowjetarmee zu ermorden (Kommissarbefehl). Zum Widerstandskreis um Henning von Tresckow (1901–1944), dem I a der Heeresgruppe Mitte, stieß Gersdorff vermutlich erst im Kontext des gescheiterten Bombenattentats auf das Flugzeug Hitlers bei dessen Besuch in Smolensk im März 1943, an dem er nach eigenen Angaben nicht beteiligt war.

    Kurz darauf erklärte sich Gersdorff bereit, sich im Rahmen einer vom Stab Tresckows zusammengestellten Ausstellung sowjetischer Beutewaffen im Berliner Zeughaus am 21. März 1943 mit Hitler und weiteren führenden NS-Funktionären in die Luft zu sprengen. Da Hitler die Veranstaltung vorzeitig verließ, scheiterte der Attentatsversuch. An Gersdorffs späterer Schilderung der Ereignisse sind inzwischen Zweifel laut geworden; ob dieser Versuch wirklich stattgefunden hat, ist nach Hiemann zumindest zweifelhaft.

    Im Frühjahr 1943 wurden in Gersdorffs Verantwortungsbereich die Massengräber der von sowjetischen Einheiten ermordeten polnischen Offiziere bei Katyn (Russland) entdeckt und exhumiert. Gersdorff nahm an mehreren Besuchen von polnischen und internationalen Delegationen bei den Massengräbern teil, die von der NS-Propaganda gegen die Sowjetunion ausgenutzt wurden. Seit Februar 1944 wurde er als Generalstabschef zuerst des LXXXII. Armeekorps, dann der 7. Armee, an der Westfront verwendet. Seine Versuche, den ihm aus gemeinsamer Zeit in der Heeresgruppe Mitte bekannten Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall Günther von Kluge (1882–1944), für den militärischen Widerstand zu gewinnen, blieben ohne Erfolg. An den Geschehnissen des 20. Juli 1944 war er nicht beteiligt.

    Von August 1945 bis November 1947 in US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft, verfasste Gersdorff für die Historical Division der United States Army Berichte über Operationen des Zweiten Weltkriegs, darunter einen über die Entdeckung der Massengräber polnischer Offiziere bei Katyn. 1952 beteiligte er sich an der Gründung der Johanniter-Unfall-Hilfe, deren Vorsitzender er bis 1963 war. Neben anderen beruflichen Tätigkeiten war Gersdorff von 1952 bis 1970 für die Organisation Gehlen (seit 1956 Bundesnachrichtendienst) tätig. Seine Bemühungen um eine Wiederverwendung in der 1955 gegründeten Bundeswehr blieben vergeblich, wofür er Vorbehalte ehemaliger Wehrmachtsoffiziere gegen Angehörige des militärischen Widerstands verantwortlich machte.

    Seit einem Reitunfall 1967 querschnittsgelähmt, legte Gersdorff 1977 seine Memoiren „Soldat im Untergang“ vor. Infolge der Publikation wurde er lange als einer der wenigen Überlebenden des militärischen Widerstands gegen das NS-Regime wahrgenommen. Das heute verfügbare Quellenmaterial sowie das gesicherte Wissen über die Rolle der Wehrmacht im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion lassen jedoch erkennen, dass Gersdorff in Mordaktionen im Hinterland, v. a. gegen Juden und politische Kommissare, verwickelt war.

    1944 Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes
    1979 Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
    1981 Generalmajor-Freiherr-von-Gersdorff-Kaserne, Euskirchen
    Ehrenkommendator des Johanniterordens

    Nachlass:

    Familienarchiv Gersdorff-Parsko.

    Weitere Archivmaterialien:

    Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin, München, ZS 47. (Zeugenschrifttum Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff, Teil 1, Teil 2, Teil 3)

    Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg im Breisgau, RH 19-II/127. (OKH-Lageberichte Ost, Lage bei den Heeresgruppen Süd und Nord, Bd. 2, enthält u. a. Berichts Gersdorffs über eine Frontreise vom 5.–8.12.1941 im Bereich der 4. Armee mit Erwähnung der Erschießung von Juden)

    Gedruckte Quellen:

    Hans-Adolf Jacobsen (Hg.), „Spiegelbild einer Verschwörung“. Die Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 in der SD-Berichterstattung. Geheime Dokumente aus dem ehemaligen Reichssicherheitshauptamt, 2 Bde., 1984.

    Soldat im Untergang, 1977, 41977. (Autobiografie)

    Christian Gerlach, Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944, 1999.

    Johannes Hürter, Auf dem Weg zur Militäropposition. Tresckow, Gersdorff, der Vernichtungskrieg und der Judenmord. Neue Dokumente über das Verhältnis der Heeresgruppe Mitte zur Einsatzgruppe B im Jahr 1941. Dokumentation, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 52 (2004), S. 527–562. (Onlineressource)

    Gerhard Ringshausen, Kuriergepäck und Pistolen. Neue Quellen zu den Attentatsplänen in der Heeresgruppe Mitte im März 1943, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56 (2008), S. 415–430. (Onlineressource)

    Rafaela Hiemann, Widerstand und kumulative Erinnerungskonstruktion. Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff, in: Magnus Brechtken (Hg.), Life Writing and Political Memoir. Lebenszeugnisse und politische Memoiren, 2012, S. 145–201.

    Rafaela Hiemann, Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff als Zeuge des Widerstands, in: dies./Christoph Studt (Hg.), „Weder überflüssig noch unterlegen“. Neue Forschungen zum Widerstand im „Dritten Reich“, 2016, S. 71–88.

    Esther-Julia Howell, Von den Besiegten lernen? Die kriegsgeschichtliche Kooperation der U.S. Armee und der ehemaligen Wehrmachtselite 1945–1961, 2016, S. 86, 94, 310 u. 315–317. (Onlineressource)

    Winfried Heinemann, Unternehmen „Walküre“. Eine Militärgeschichte des 20. Juli 1944, 2019.

  • Autor/in

    Winfried Heinemann (Cottbus)

  • Zitierweise

    Heinemann, Winfried, „Gersdorff, Rudolf-Christoph“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2022, zuletzt geändert am 01.01.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118538799.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA