Hückel, Erich
- Lebensdaten
- 1896 – 1980
- Geburtsort
- Berlin
- Sterbeort
- Marburg an der Lahn
- Beruf/Funktion
- Theoretischer Physiker ; Chemiker ; Hochschullehrer ; Physiker
- Konfession
- evangelisch-lutherisch
- Normdaten
- GND: 118554344 | OGND | VIAF: 14928860
- Namensvarianten
-
- Hückel, Erich Armand Arthur Joseph
- Hückel, Erich
- Hückel, Erich Armand Arthur Joseph
- Hückel, Erich
- Hückel, Erich Armand Arthur Joseph
- Hückel, Erich Armand Arthur Josef
- Hückel, Erich Armand Arthur Josef
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Hückel, Erich Armand Arthur Joseph
1896 – 1980
Theoretischer Physiker
Erich Hückel war in den 1920er Jahren Mitbegründer der Theorie von starken Elektrolyten (Debye-Hückel-Theorie) und Pionier der Quantenchemie, insbesondere der Theorie von Molekularorbitalen der aromatischen Verbindungen.
Lebensdaten
Geboren am 9. August 1896 in Berlin Gestorben am 16. Februar 1980 in Marburg an der Lahn Grabstätte in Marburg an der Lahn Konfession evangelisch-lutherisch -
Autor/in
→Alexander Kipnis (Mannheim)
-
Zitierweise
Kipnis, Alexander, „Hückel, Erich“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.01.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118554344.html#dbocontent
Hückel genoss eine ausgezeichnete vielseitige Erziehung im Elternhaus und besuchte seit 1902 Schulen in Göttingen, wo er nach dem Abitur 1914 Physik studierte. Mitte 1916 als bedingt kriegstauglich eingestuft, wurde er drei Wochen lang als Hilfssoldat und dann als wissenschaftliche Hilfskraft bei Ludwig Prandtl (1875–1953) eingesetzt. Seit 1919 arbeitete Hückel an der Universität Göttingen bei dem Physiker Peter Debye (1884–1966) an seiner Dissertation „Zerstreuung von Röntgenstrahlen durch anisotrope Flüssigkeiten“, in der er zeigte, dass sog. Flüssige Kristalle eigentlich keine Kristalle sind, auch wenn sie Anisotropie besitzen. Mit Debye, der 1920 an die ETH Zürich wechselte, war vereinbart, dass Hückel nach der Promotion zum Dr. phil. (1921) als Assistent nachkommt. Aufgrund formaler Beschränkungen konnte Hückel erst ab Herbst 1922 in der Schweiz arbeiten, sodass er zuvor als Assistent David Hilberts (1862–1943) und Max Borns (1882–1970) tätig war.
In Zürich forschte Hückel mit Debye zur Theorie der starken Elektrolyte, die 1923 und 1924 erstmals veröffentlicht wurde und als Debye-Hückel-Theorie mit einigen Verfeinerungen und Erweiterungen heute zum Lehrbuchwissen für Physikalische Chemie gehört. Im Dezember 1924 habilitierte sich Hückel mit der Schrift „Zur Theorie konzentrierter wässriger Lösungen starker Elektrolyte“ an der ETH Zürich für Physik. Von seinem Schwiegervater Richard Zsigmondy (1865–1929), Professor für anorganische Chemie in Göttingen, angeregt, untersuchte Hückel Probleme der Kolloidwissenschaft, deren Ergebnisse er 1928 in der Monografie „Adsorption und Kapillarkondensation“ zusammenfasste.
Mit einem von Debye vermittelten Rockefeller-Stipendium ging Hückel 1928 zu dem Chemiker Frederick Donnan (1870–1956) an das University College London, wo er seine Forschungsrichtung wechselte und sich der Quantenmechanik zuwandte und ihre Zusammenhänge mit chemischer Valenz erforschte. 1929 kam er nach Kopenhagen, in die Hochburg der Quantenmechanik unter Niels Bohr (1885–1962), der ihm nach der eben erfolgten quantenmechanischen Theorie des einfachsten Moleküls (H2) vorschlug, die Quantenmechanik auf Doppelbindungen anzuwenden. Hückel wählte Kohlenstoffatome (C=C) und fand mit der Aufteilung der Elektronen nach ihren Wellenfunktionen in π- und σ-Elektronen und der kühnen Vereinfachung, dass zwischen beiden Elektronenarten keine Wechselwirkung bestehe, eine geniale Lösung. Mit dieser Pionierarbeit der Organischen Quantenchemie erklärte er das stereochemische Verhalten von C=C- und C=N-Doppelbindungen, d. h. ihre Stabilität gegen das Verdrehen.
Aufgrund fehlender Lehrstühle auf dem Gebiet der Quantenchemie musste sich Hückel 1930 mit einem von Debye vermittelten Lehrauftrag für Chemische Physik an der TH Stuttgart zufriedengeben. Trotz ungünstiger Rahmenbedingungen waren die Stuttgarter Jahre für die erste Erarbeitung der Quantenchemie entscheidend. Anfang 1931 habilitierte Hückel sich um für das Fach Chemische Physik mit der Schrift „Quantentheoretischer Beitrag zum Benzolproblem. Die Elektronenkonfiguration des Benzols und verwandter Verbindungen“ und entwickelte 1933 die heute sog. Hückel-Molekular-Orbital-Theorie (HMO-Theorie). Er fand heraus, dass nicht der Ring aus Atomen, sondern das Elektronengerüst des Moleküls für aromatisches Verhalten verantwortlich ist, wozu die Zahl der π-Elektronenpaare ungerade sein muss. Diese heute als Hückel-Regel bekannte Formel ermöglichte die Vorhersage einer Reihe unbekannter aromatischer Moleküle und freier Radikale, die in den 1950er und 1960er Jahren v. a. in den USA synthetisiert wurden.
Während Hückel und seine Erkenntnisse im Ausland bekannt waren, wurden seine Arbeiten in Deutschland wegen der Dominanz der empirischen Organischen Chemie und der politisch einflussreichen „Deutschen Physik“ kaum rezipiert, sodass er Schwierigkeiten hatte, eine dauerhafte Anstellung zu finden. Nach dem Eintritt in die NSDAP 1937 konnte er den Ruf auf die planmäßige außerordentliche Professur für Theoretische Physik an der Universität Marburg annehmen, wo er aufgrund hoher Lehrbelastung und fehlenden Personals keine Möglichkeiten für eigene Forschungen hatte. Erst 1948 erhielt Hückel einen ersten Hilfsassistenten. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er als „Mitläufer“ eingestuft.
Auch wenn wissenschaftliche, politische und persönliche Umstände Hückels Anerkennung jahrzehntelang verzögerten, so erlebte er krank und verbittert seinen späten Ruhm und ist heute als Pionier der Quantenchemie bekannt. Als Hückels Schüler gilt der Mathematiker Horst Tietz (1921–2012).
1965 | Otto-Hahn-Preis für Chemie und Physik |
1966 | Dr. rer. nat. h. c., TH Stuttgart |
1966 | Mitglied der Leopoldina |
1973 | Dr. phil. h. c., Universität Uppsala |
1977 | auswärtiges Mitglied der Royal Society, London |
1977 | Ehrenmitglied der Bunsengesellschaft |
2016 | Erich-Hückel-Preis der Gesellschaft Deutscher Chemiker (zweijährlich) (Onlineressource) |
Nachlass:
nicht bekannt.
Weitere Archivmaterialien:
Universitätsarchiv Göttingen, Phil Prom H5, 25. (Promotionsakte)
Universitätsarchiv Göttingen, Kur 7 555; Kur 7 471. (Dokumente zur Einstellung)
Bibliothek und Archiv der ETH Zürich, SR 3: 1924, Nr. 1558, Nr. 1638, SR2: Schulratsprotokolle 1925, Sitzung Nr. 1 vom 17.1.1925. (Habilitation)
Monografien:
Adsorption und Kapillarkondensation, 1928.
Grundzüge der Theorie ungesättigter und aromatischer Verbindungen, 1938, Reprint (USA) 1980.
Ein Gelehrtenleben. Ernst und Satire, 1975. (P)
Aufsätze:
Zerstreuung von Röntgenstrahlen durch anisotrope Flüssigkeiten, in: Physikalische Zeitschrift 22 (1921), S. 561–563. (Diss. phil.)
Max Born/Erich Hückel, Zur Quantentheorie mehratomiger Molekeln, in: Physikalische Zeitschrift 24 (1923), S. 1–12.
Peter Debye/Erich Hückel, Zur Theorie der Elektrolyte, I. u. II., in: Physikalische Zeitschrift 24 (1923), S. 185–206 u. 305–323.
Zur Theorie der Elektrolyte, in: Ergebnisse der exakten Naturwissenschaften 3 (1924), S. 199–276.
Zur Theorie konzentrierter wässeriger Lösungen starker Elektrolyte, in: Physikalische Zeitschrift 26 (1925), S. 93–147. (Habilitationsschrift)
Richard Zsigmondy/Erich Hückel, Über Reduktionsgeschwindigkeit und das Wachstum kleiner Goldteilchen bei der Herstellung kolloider Goldlösungen, in: Zeitschrift für physikalische Chemie 166 (1925), S. 291–303.
Zur Quantentheorie der Doppelbindung, in: Zeitschrift für Physik 60 (1930), S. 423–456.
Zur Quantentheorie der Doppelbindung und ihres stereochemischen Verhaltens, in: Zeitschrift für Elektrochemie 36 (1930), S. 641–645.
Quantentheoretische Beiträge zum Benzolproblem. I. Die Elektronenkonfiguration des Benzols und verwandter Verbindungen, u. II. Quantentheorie der induzierten Polaritäten, in: Zeitschrift für Physik 70 (1931), S. 204–286 u. 72 (1931), S. 310–337.
Erich Hückel/Walter Hückel, Theory of Induced Polarities in Benzene, in: Nature 129 (1932), S. 937 f.
Quantentheoretische Beiträge zum Problem der aromatischen und ungesättigten Verbindungen. III., in: Zeitschrift für Physik 76 (1932), S. 628–648.
Die freien Radikale der organischen Chemie. Quantentheoretische Beiträge zum Problem der aromatischen und ungesättigten Verbindungen. IV., in: Zeitschrift für Physik 83 (1933), S. 632–668.
Die Bedeutung der neuen Quantentheorie für die Chemie, in: Zeitschrift für Elektrochemie 42 (1936), S. 657–662.
Grundzüge der Theorie ungesättigter und aromatischer Verbindungen, in: Zeitschrift für Elektrochemie 43 (1937), S. 752–788 u. 827–849.
Die Mesomerievorstellung und einige ihrer Anwendungen in der organischen Chemie, in: Angewandte Chemie 58 (1939), S. 42 f.
Erich Hückel/Brigitte Krause, Über die relative Stabilität von Methylacenen und Methylendihydroacenen, in: Zeitschrift für Naturforschung 6a (1951), S. 112–116 u. 514 f.
Erich Hückel/Günther Krafft, Untersuchungen über den Einfluß der endlichen Ionengrößen auf das thermodynamische Verhalten von Elektrolytlösungen, in: Zeitschrift für physikalische Chemie, N. F. 3 (1955), S. 135–175 u. 5 (1955) S. 305–311.
Zur Entwicklung der Denkmodelle in der Chemie, in: Naturwissenschaftliche Rundschau 9 (1956), S. 92–98.
Zur modernen Theorie ungesättigter und aromatischer Verbindungen, in: Zeitschrift für Elektrochemie 61 (1957), S. 866–890.
Chemiker im Gespräch. Erich Hückel, in: Chemie in unserer Zeit 4 (1970), S. 180–187. (P)
Erinnerungen an Peter Debye und an meine Lehrjahre, in: Physikalische Blätter 28 (1972), S. 53–57.
Monografien:
Walther Jaenicke, 100 Jahre Bunsen-Gesellschaft, 1994, S. 216.
Jerome A. Berson, Chemical Creativity. Ideas from the Work of Woodward, Hückel, Meerwein and Others, 1999, S. 33–75.
Ute Deichmann, Flüchten, Mitmachen, Vergessen. Chemiker und Biochemiker in der NS-Zeit, 2001, S. 157–159.
Andreas Karachalios, Erich Hückel (1896–1980). Von der Physik zur Quantenchemie, 2003, engl. 2010.
Artikel:
Werner Haberditzl, 50 Jahre Theorie der chemischen Bindung, in: Zeitschrift für Chemie 18 (1978), S. 353–359.
Jerome A. Berson, Erich Hückel. Pionier der Organischen Quantenchemie. Leben, Wirken und späte Anerkennung, in: Angewandte Chemie 108 (1996), S. 2922–2937.
Helge Kragh, Before Quantum Chemistry. Erich Hückel and the Physics-Chemistry Interface, in: Centaurus 43 (2001), S. 1–16.
Würdigungen und Nachrufe:
Ralph Edward Oesper, Erich Hückel, in: Journal of Chemical Education 28 (1950), S. 674. (P)
Hans Falkenhagen, Erich Hückel. 60 Jahre, in: Physikalische Blätter 12 (1956), S. 367 f.
Anne Hückel, Erich Hückel, in: Nachrichten aus Chemie und Technik 13 (1965), S. 382 f. (P)
Richard Kuhn, Rede aus Anlass der Verleihung an Erich Hückel des Otto-Hahn-Preises, in: Nachrichten aus Chemie und Technik 13 (1965), S. 384.
Manfred Kaminsky, Prof. Dr. Erich Hückel zum siebzigsten Geburtstage, in: Annalen der Physik 473 (1966), S. 2–5. (P)
E. Gerischer, Erich Hückel zum 75. Geburtstag, in: Berichte der Bunsen-Gesellschaft für physikalische Chemie 75 (1971), S. 723. (P)
Wilhelm Walcher, Erich Hückel 75 Jahre, in: Physikalische Blätter 27 (1971), S. 364.
Robert G. Parr, Erich Hückel and Friedrich Hund. Pioneers in Quantum Chemistry, in: Per-Olof Löwdin/Yngve Öhrn (Hg.), Proceedings of the International Symposium on Atomic, Molecular, and Solid-State Theory, Collision Phenomena, and Computational Methods Held at Sanibel Island, Florida, January 16–22, 1977, 1977, S. 29–37.
Kurt Suchy, Erich Hückel, in: Physics Today 33 (1980), H. 5, S. 72–75. (P) (Onlineressource)
Kurt Suchy, Erich Hückel zum Gedenken, in: Physikalische Blätter 36 (1980), S. 248 f. (P)
Hermann Hartmann/Hugh Christopher Lomguet-Higgins, Erich Hückel. 9 August 1896–16 February 1980, in: Biographical Memoirs of Fellows of the Royal Society 28 (1982), S. 152–162. (P) (Onlineressource)
Gernot Frenking, 100. Geburtstag von Erich Hückel, in: Chemie in unserer Zeit 31 (1997), S. 27–31 (P).
Nachschlagewerke:
J. C. Poggendorffs biographisch-literarisches Handwörterbuch der exakten Naturwissenschaften, Bd. 6, 1937, S. 1173, Bd. 7a, 1958, S. 564 u. Bd. 8, 2002, S. 1561 f.
N. N., Art. „Hückel, Erich“, in: Inge Auerbach (Hg.), Catalogus professorum Academiae Marburgensis, Bd. 2, 1979, S. 828.
[Annelore Fischer], Art. „ Hückel, Walter“, in: Winfried R. Pötsch/Annelore Fischer/Wolfgang Müller (Hg.), Lexikon bedeutender Chemiker, 1989, S. 214.
Klaus Beneke, Erich Hückel (1896–1980), in: ders. (Hg.), Biographien und wissenschaftliche Lebensläufe von Kolloidwissenschaftlern, deren Lebensdaten mit 1996 in Verbindung stehen. Beiträge zur Geschichte der Kolloidwissenschaften, 1999, S. 274–304. (Onlineressource)
Alexander Kipnis, Erich Hückel in: Baden-Württembergische Biographien, Bd. 6, 2016, S. 196–200. (Onlineressource)
Fotografien, u. a. Abbildung in: Ralph Edward Oesper, Erich Hückel, in: Journal of Chemical Education 28 (1950), S. 674; Erich Hückel, Ein Gelehrtenleben, 1975, Frontispiz, S. 18, 19, 100 u. 169; Hermann Hartmann/Hugh Christopher Lomguet-Higgins, Erich Hückel, in: Biographical Memoirs of Fellows of the Royal Society 28 (1982), S. 152 u. Walther Jaenicke, 100 Jahre Bunsen-Gesellschaft, 1994, S. 257.
Fotografie mit Walter Hückel, 1914, Abbildung in: Chemie in unserer Zeit 4 (1970), S. 182.
Fotografie mit Peter Debye, 1938, Abbildung in: Dieter Hoffmann/Mark Walker (Hg.), „Fremde“ Wissenschaftler im Dritten Reich, 2011, S. 137.
Fotografie mit den Brüdern, 1938, Abbildung in: ebd., S. 185.