Hanika, Josef
- Lebensdaten
- 1900 – 1963
- Geburtsort
- Mies (Böhmen, heute Stříbro, Tschechien)
- Sterbeort
- München
- Beruf/Funktion
- Volkskundler
- Konfession
- römisch-katholisch
- Normdaten
- GND: 116453478 | OGND | VIAF: 115121169
- Namensvarianten
-
- Hanika, Josef
- Hanika, Joseph
Vernetzte Angebote
- Katalog des Bibliotheksverbundes Bayern (BVB)
- Deutsche Digitale Bibliothek
- Normdateneintrag des Südwestdeutschen Bibliotheksverbundes (SWB)
- * Deutsches Literaturarchiv Marbach - Kallías
- Österreichischer Bibliothekenverbund (OBV)
- Gemeinsamer Verbundkatalog (GBV)
- * Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte München - Berlin
- * Jahresberichte für deutsche Geschichte - Online
Verknüpfungen
Orte
Symbole auf der Karte
Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.
-
Hanika, Josef
1900 – 1963
Volkskundler
Nach langjähriger Tätigkeit als Lehrer und Schriftleiter in Reichenberg (Böhmen, heute Liberec, Tschechien) und Prag, stieg Josef Hanika im Zweiten Weltkrieg zu einem maßgeblichen Volkskundler im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren auf und unterstützte mit seiner Forschung die dortigen politisch-ideologischen Ziele des NS-Regimes. 1946 aus der Tschechoslowakei ausgewiesen, wurde er zu einem Mitbegründer der sog. Vertriebenenvolkskunde und prägte die bundesdeutsche universitäre Volkskunde der 1950er Jahre.
Lebensdaten
Geboren am 30. Oktober 1900 in Mies (Böhmen, heute Stříbro, Tschechien) Gestorben am 29. Juli 1963 in München Grabstätte Waldfriedhof (Grab aufgelöst) in München Konfession römisch-katholisch -
Autor/in
→Martin Zückert (München)
-
Zitierweise
Zückert, Martin, „Hanika, Josef“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/116453478.html#dbocontent
Hanika wuchs im westböhmischen Mies (heute Stříbro, Tschechien) auf und betätigte sich früh in der Wandervogel-Bewegung. Der im Oktober 1918 gegründeten Tschechoslowakei skeptisch gegenüber stehend, studierte er seit 1919 Germanistik, Slawistik und Volkskunde an der Deutschen Universität Prag, u. a. bei Gerhard Gesemann (1888–1948), Erich Gierach (1881–1943), Adolf Hauffen (1863–1930), Gustav Jungbauer (1886–1942) und August Sauer (1855–1926). Hanika wandte sich der sog. Sprachinselvolkskunde zu, der Untersuchung deutscher Siedlungsgebiete bei starker Betonung ihrer Abgrenzung gegenüber ihrer anderssprachigen Umwelt, und bereiste v. a. deutschsprachige Siedlungen in der Mittelslowakei. 1925 wurde er mit der Studie „Hochzeitsbräuche der Kremnitzer Sprachinsel“ zum Dr. phil. promoviert.
Von 1923 bis 1927 war Hanika Assistent am Seminar für Deutsche Philologie der Deutschen Universität Prag und wirkte anschließend bis 1938 als Lehrer in Reichenberg (heute Liberec, Tschechien) und Prag. Von 1928 bis 1938 zudem als Schriftleiter der Zeitschrift „Karpathenland“ tätig, in der v. a. Forschungen zur Geschichte und Kultur der deutschsprachigen Bevölkerung der Slowakei erschienen, habilitierte er sich 1937 mit der Schrift „Grundlagen der weiblichen Tracht, Kopftracht und Artung“, die als erster Band der später nicht fortgeführten Schriftenreihe „Sudetendeutsche Volkstrachten“ erschien. Politischer Kontext dieses Themas war die von der Sudetendeutschen Partei (SdP) um Konrad Henlein (1898–1945) geförderte, nationalitätenpolitisch aufgeladene Trachtenerneuerungsbewegung, die das Ziel verfolgte, die Einigung der Deutschen in der Tschechoslowakei zu befördern.
Seit 1937 war Hanika Dozent für Volkskunde an der Deutschen Universität Prag und wurde im Januar 1938 Mitglied der SdP. Nach dem „Münchner Abkommen“ und der deutschen Besetzung des Sudetenlands trat er zum 1. November 1938 der NSDAP bei und arbeitete erneut als Gymnasiallehrer in Mies und Eger (heute Cheb, Tschechien), wo er 1940 nach Zustimmung der Stadtverwaltung, der NSDAP und der Leitung des Reichsgaus Sudetenland mit der Errichtung eines volkskundlichen Museums und der Leitung einer volkskundlichen Außenstelle der Reichenberger Sudetendeutschen Anstalt für Landes- und Volksforschung beauftragt wurde. Seit 1940 führte Hanika volkskundliche Untersuchungen bei Deutschen aus Bessarabien durch, die vom NS-Regime umgesiedelt worden waren. Ziel war es, Lieder, Tänze und weitere kulturelle Überlieferungen zu sammeln, um sie in der „Volkstumsarbeit“ im Zuge der Neuansiedlung nutzen zu können.
1943 übernahm Hanika mit Edmund Schneeweis (1886–1964) die Leitung des Instituts für die Volkskunde Böhmens und Mährens in der Reinhard-Heydrich-Stiftung in Prag, die mit dem Ziel gegründet worden war, die nationalsozialistische Germanisierungspolitik in der Region zu unterstützen. 1943/44 wirkte er als außerordentlicher Professor für Volkskunde und Stammesgeschichte Mährens an der Deutschen Karls-Universität in Prag und übernahm hier zum Wintersemester 1944/45 den Lehrstuhl für deutsche Altertums- und Volkskunde. Hanika diente sich mit seiner Forschung gezielt den politisch-ideologischen Interessen des NS-Regimes an, u. a. indem er in der Studie „Sippennamen und völkische Herkunft im böhmisch-mährischen Raum“ (1943) darauf zielte, „das anteilige Verhältnis des deutschen Blutes im tschechischen Volkskörper“ zu erheben.
Bei Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Hanika in Prag interniert, leistete Zwangsarbeit und wurde im Januar 1946 nach Bayern ausgesiedelt. In seinem Münchner Spruchkammerverfahren im Januar 1948 als „Mitläufer“ eingestuft, wirkte er anschließend bis 1954 als Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege. Vor allem dank seines stark rezipierten Vortrags „Volkskunde und Heimatverwiesene“ auf dem Deutschen Volkskundekongress 1949 in Freiburg im Breisgau wurde er zu einem prägenden Akteur der universitären Volkskunde im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik und zu einem Mitbegründer der sog. Vertriebenenvolkskunde. Neben der Forderung, Sagen, Märchen, Lieder und Bräuche unter den Vertriebenen zu sammeln, skizzierte er, wie der Eingliederungsprozess der Vertriebenen erforscht werden solle; sein Vortrag regte zur Gründung der Kommission für Volkskunde der Heimatvertriebenen (heute nach mehreren Umbenennungen Kommission Kulturelle Kontexte des östlichen Europa) an.
Hanika trat seit 1950 mit Alfred Karasek (1902–1970) als Leiter des Münchner Instituts für Kultur- und Sozialforschung hervor und erhielt 1951 einen Lehrauftrag an der Universität München, wo er 1955 zum außerordentlichen Professor und 1959 zum Ordinarius für Volkskunde avancierte. Seit den späten 1960er Jahren wurde seine Forschung in der sich stark verändernden Disziplin indes kaum mehr rezipiert.
1938 | korrespondierendes Mitglied der Deutschen Gesellschaft der Wissenschaften und Künste für die Tschechoslowakische Republik |
1941 | Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften, Prag |
1938 | Mitglied der Historischen Kommission für Schlesien, Breslau (heute Wrocław, Polen) |
vor 1945 | Medaille zur Erinnerung an den 1. Oktober 1938 (für Verdienste um den „Anschluss“ des „Reichsgaus Sudetenland“ an das Deutsche Reich) |
ca. 1949 | stellvertretender Vorsitzender der Kommission für Volkskunde der Heimatvertriebenen im Verband der Vereine für Volkskunde |
1950 | Mitglied des Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrats, Marburg an der Lahn |
1950 | Mitglied der Historischen Kommission der Sudetenländer, Heidelberg |
1961 | Mitglied des Collegium Carolinum e.V., München |
Teilnachlass:
Státní okresní archiv v Chebu [Staatliches Bezirksarchiv], Cheb (Tschechien).
Weitere Archivmaterialien:
Archiv Akademie věd České republiky v Praze [Archiv der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag], NAD 10. (Deutsche Gesellschaft der Wissenschaften und Künste, Personalakte)
Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Personalakten. (Bestand BDC)
Universitätsarchiv München, E II N-Hanika. (Personalakte)
Staatsarchiv München, K620: Josef Hanika. (Spruchkammerakten)
Monografien:
Hochzeitsbräuche der Kremnitzer Sprachinsel, 1927. (Diss. phil.)
Die Erforschung der westböhmischen Volkstrachten, 1929.
Ostmitteldeutsch-bairische Volkstumsmischung im westkarpatischen Bergbaugebiet. Dargestellt an Herkunft, Besiedlung, Recht und Mundart der Sprachinsel Kremnitz-Deutsch Proben, 1933.
Sudetendeutsche Volkstrachten, Bd. 1: Grundlagen der weiblichen Tracht, Kopftracht und Artung, 1937. (Habilitationsschrift)
Neue sudetendeutsche Heimattrachten. Grundsätze und Richtlinien, hg. v. d. Gesellschaft für deutsche Volksbildung, 1938.
Sippennamen und völkische Herkunft im böhmisch-mährischen Raum, 1943.
Volkskundliche Wanderungen zu den Chodenbauern, 1943.
Volkskunde der Sudetendeutschen, 1951.
Siedlungsgeschichte und Lautgeographie des deutschen Haulandes in der Mittelslowakei, 1952.
Volkskundliche Wandlungen durch Heimatverlust und Zwangswanderung, 1957.
Die Volkssage im Fichtelgebirge und seinem Umland, 1959.
Aufsätze:
Die Kremnitzer Sprachinsel, in: Eduard Winter (Hg.), Die Deutschen in der Slowakei und in Karpathorussland, 1926, S. 47–69.
Die Erforschung der westböhmischen Volkstrachten, in: Sudetendeutsche Zeitschrift für Volkskunde 2 (1929), S. 1–5, 51–65 u. 110–119.
Deutsche und tschechische Artung, in: Volk an der Arbeit 18 (1937), S. 251–261.
Die Karpatendeutschen, in: Martin Wähler (Hg.), Der deutsche Volkscharakter. Eine Wesenskunde der deutschen Volksstämme und Volksschläge, 1937, S. 514–523.
Rassenseele und Stammescharakter. Ein Beispiel, in: Deutsches Archiv für Landes- und Volksforschung 3 (1939), S. 41–49.
Volkskundliche Erhebungen in den bessarabiendeutschen Lagern, in: Sudetendeutsche Monatshefte 7/9 (1941), S. 371–376.
Vom deutschen Anteil am Chodenbauerntum, in: Kurt Oberdorffer (Hg.), Wissenschaft im Volkstumskampf. Festschrift Erich Gierach zu seinem 60. Geburtstag, 1941, S. 233–250.
Der Aufbau der volkstümlichen Kultur im böhmisch-mährischen Raum, in: Rudolf Benze (Hg.), Böhmen und Mähren im Werden des Reiches, 1943, S. 105–111.
Die Volkstrachten, in: Friedrich Heiss (Hg.), Das Böhmen und Mähren-Buch. Volkskampf und Reichsraum, 1943, S. 319–324.
Volkskundliche Erforschung völkischer Wesensart, in: Deutsche Volksforschung in Böhmen und Mähren 3 (1944), S. 313–331.
Volkskunde und Heimatverwiesene, in: Mitteilungen des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde 57 (1949), S. 10–20.
Institut für Kultur- und Sozialforschung in München e.V., in: Jahrbuch für Volkskunde der Heimatvertriebenen 1 (1955), S. 209–212.
Die „verlassene Braut“ im Hochzeitsbrauch und die Aufgebotsszene in Wittenweilers „Ring“, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1957 (1958), S. 103–112.
Bruno Schier, Prof. Dr. Josef Hanika zum 60. Geburtstag, in: Zeitschrift für Volkskunde 57 (1961), S. 90–94. (Onlineressource)
Bruno Schier, Josef Hanika zum Gedenken, in: Bohemia 4 (1963), S. 457–466. (L, P) (Onlineressource)
Heribert Sturm, Art. „Hanika, Josef, Professor für Volkskunde“, in: ders. (Hg.), Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, Bd. 1, 1979, S. 526 f. (Onlineressource)
Rudolf Hemmerle, Prof. Dr. Josef Hanika, 30. Todestag, in: Mitteilungen des Sudetendeutschen Archivs München 112 (1993), S. 32 f.
Walter Dehnert, Volkskunde an der Deutschen Universität Prag 1918–1945, in: Kurt Dröge (Hg.), Alltagskulturen zwischen Erinnerung und Geschichte, 1995, S. 197–212.
Martin Zückert, Josef Hanika (1900–1963). Volkskundler. Zwischen wissenschaftlicher Forschung und „Volkstumskampf“, in: Monika Glettler/Alena Míšková (Hg.), Prager Professoren 1938–1948. Zwischen Wissenschaft und Politik, 2001, S. 205–220.
Alena Míšková, Němečká (Karlova) univerzita od Mnichova k 9. květnu 1945, 2002.
Tobias Weger, „Völkische“ Wissenschaft zwischen Prag, Eger und München. Das Beispiel Josef Hanika, in: Christiane Brenner /K. Erik Franzen/Peter Haslinger/Robert Luft (Hg.), Geschichtsschreibung zu den böhmischen Ländern im 20. Jahrhundert, 2006, S. 176–208. (Onlineressource)
Petr Lozoviuk, Interethnik im Wissenschaftsprozess. Deutschsprachige Volkskunde in Böhmen und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen, 2008, bes. S. 165–168.
Karin Pohl, Zwischen Integration und Isolation. Zur kulturellen Dimension der Vertriebenenpolitik in Bayern (1945–1975), 2009, S. 290–311.
Ota Konrád, „Denn die Uneignung der slawischen Völkergruppe bedarf keines Beweises mehr“. Die „sudetendeutsche Wissenschaft“ und ihre Einbindung in die zeitgenössischen Diskurse 1918–1945, in: Judith Schachtmann/Michael Strobel/Thomas Widera (Hg.), Politik und Wissenschaft in der prähistorischen Archäologie. Perspektiven aus Sachsen, Böhmen und Schlesien, 2009, S. 69–97, bes. S. 93–95.
Ota Konrád, Dějepisectví, germanistika a slavistika na Německé univerzitě v Praze 1918–1945, 2011.
Johannes Moser, Die Gründung des Münchner Instituts für deutsche und vergleichende Volkskunde. Ein wissenschaftsgeschichtlicher Blick in die 1950er und 1960er Jahre, in: ders./Irene Götz/Moritz Ege (Hg.), Zur Situation der Volkskunde 1945–1970. Orientierungen einer Wissenschaft in Zeiten des Kalten Krieges, 2015, S. 69–92, bes. S. 80–92.
Elisabeth Fendl, Die Etablierung der Vertriebenenvolkskunde: Kontinuitäten – Kontroversen – Konzepte, in: ebd., S. 157–175.
Fotografie, Abbildung in: Bruno Schier, Josef Hanika zum Gedenken, in: Bohemia 4 (1963), nach S. 464. (Onlineressource)