Goldmann, Nahum
- Lebensdaten
- 1895 – 1982
- Geburtsort
- Wiśniewo (Russisches Kaiserreich, heute Belarus)
- Sterbeort
- Bad Reichenhall (Oberbayern)
- Beruf/Funktion
- Diplomat ; Publizist ; Präsident des Jüdischen Weltkongresses ; Politiker ; Schriftsteller ; Herausgeber
- Konfession
- jüdisch
- Normdaten
- GND: 118540491 | OGND | VIAF: 14891741
- Namensvarianten
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- Pseudonym: Ben Kohelet
- Goldmann, Nahum
- Pseudonym: Ben Kohelet
- Goldman, Nahum
- Goldman, Naḥum
- Goldman, Noḥem
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- Goldmann, N.
- Goldmann, Nachum
- Goldmann, Nahoum
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- Pseudonym: Ben Cohelet
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Goldmann, Nahum
Pseudonyme: Ben Kohelet
1895 – 1982
Diplomat, Publizist, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Präsident der Conference on Jewish Material Claims against Germany
Nahum Goldmann war einer der bedeutendsten jüdischen und zionistischen Diplomaten des 20. Jahrhunderts. Er vertrat seit 1933 die Rechte jüdischer Minderheiten im Völkerbund, setzte sich für die Schaffung einer jüdischen Heimat in Palästina ein und führte von 1949 bis 1977 als Präsident den Jüdischen Weltkongress. Sein größter Erfolg war 1952 der Abschluss des Luxemburger Abkommens zwischen Israel, der Conference on Jewish Material Claims against Germany und der Bundesrepublik über Wiedergutmachungen für Verbrechen des NS-Regimes.
Lebensdaten
Geboren am 10. Juli 1895 in Wiśniewo (Russisches Kaiserreich, heute Belarus) Gestorben am 29. August 1982 in Bad Reichenhall (Oberbayern) Grabstätte Herzlberg in Jerusalem Konfession jüdisch -
Autor/in
→Rachel Blumenthal (Jerusalem)
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Zitierweise
Blumenthal, Rachel, „Goldmann, Nahum“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.04.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118540491.html#dbocontent
Herkunft, Ausbildung und Wirken im Ersten Weltkrieg
Goldmann verbrachte seine ersten Lebensjahre bei seinen Großeltern väterlicherseits in Wiśniewo, einem „Schtetl“ im Russischen Kaiserreich. 1900 zog er zu seinen Eltern nach Frankfurt am Main, wo er mit Jakob Klatzkin (1882–1948) lebenslange Freundschaft schloss und für drei Jahre die Israelitische Realschule, dann das Realgymnasium „Musterschule“ besuchte. Nach dem Abitur begann Goldmann im April 1912 ein Studium der Rechtswissenschaften und Nationalökonomie an der Universität Heidelberg, wo er auch Philosophie-Vorlesungen bei Karl Jaspers (1883–1969) und Heinrich Rickert (1863–1936) hörte und Martin Buber (1878–1965) kennenlernte, an dessen Monatsschrift „Der Jude“ er zeitweilig mitwirkte. Besonders prägend war die Begegnung mit dem Talmudisten Salman Baruch Rabinkow (1882–1941), den Goldmann in seiner Autobiografie als „großartigste Verkörperung des Lehrers und Meisters“ in seinem Leben beschrieb.
Nach Beginn des Ersten Weltkriegs unterbrach Goldmann sein Studium und meldete sich als Freiwilliger, wurde aber abgelehnt, weil er keine deutsche Staatsbürgerschaft besaß. Als freier Mitarbeiter der „Frankfurter Zeitung“ legte Goldmann 1914/15 patriotische Artikel vor, in denen er den „Militarismus“ des kaiserlichen Deutschlands gegen die westlich-liberale „Zivilisation“ verteidigte und die, gesammelt in der Broschüre „Der Geist des Militarismus“ (1915), starke Verbreitung fanden.
Dank seiner Freundschaft mit Ernst Jäckh (1875–1959) wechselte Goldmann 1915 in die Nachrichtenabteilung des Auswärtigen Amts, wo er die Einrichtung einer eigenen, damals einzigartigen Abteilung für jüdische Fragen anregte, die 1918 in das Referat „Deutsch-Jüdische Beziehungen“ unter der Leitung von Moritz Sobernheim (1872–1933) überführt wurde. Zugleich journalistisch tätig, verlangte er 1919 in der Schrift „Die drei Forderungen des jüdischen Volkes“ Gleichberechtigung in allen Ländern, nationale Autonomie in Osteuropa sowie ein eigenständiges politisches Zentrum in Palästina.
Mitarbeiter der „Encyclopedia Judaica“ und Funktionär der Jewish Agency
Im Juli 1919 beendete Goldmann sein Studium in Heidelberg und wurde 1920 bei Karl von Lilienthal (1853–1927) mit der Studie „Die Nebenstrafen an der Ehre, unter Berücksichtigung des ausländischen Rechts und der Strafrechtsreform“ zum Dr. iur. promoviert. Nach dem raschen Scheitern der mit Klatzkin herausgegebenen Zeitschrift „Freie Zionistische Blätter“ zog er sich 1921 nach Murnau am Staffelsee zurück und übersiedelte 1923 nach Berlin, wo u. a. Albert Einstein (1879–1955) und der Pianist Artur Schnabel (1882–1951) zu engen Vertrauten wurden.
In Berlin trieb Goldmann maßgeblich die Gründung der „Encyclopedia Judaica“ voran – ein monumentales, von Klatzkin und Ismar Elbogen (1874–1943) herausgegebenes Lexikon zur jüdischen Kultur und Geschichte, in dem er mit dem Rabbiner Benno Jacob (1862–1945) die Rubrik „Das Judentum der Gegenwart“ betreute. Von dem Lexikon, finanziert durch ein von Jakob Goldschmidt (1882–1955) geführtes Komitee deutsch-jüdischer Bankiers, erschienen von 1928 bis 1934 zehn Bände; die Fertigstellung fünf weiterer geplanter Bände wurde durch die nationalsozialistische Machtübernahme unmöglich.
Ende März 1933 übersiedelte Goldmann nach Genf, wo er auf Bitte David Ben-Gurions (1886–1973) Vertreter der Jewish Agency beim Völkerbund wurde und bis 1940 – unterstützt u. a. durch Gerhart Riegner (1911–2001) – in führender Funktion die Rechte der jüdischen Minderheiten vertrat, auch gegenüber der britischen Mandatsmacht in Palästina. Als entschiedener Befürworter einer Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat wurde er von führenden Zionisten, u. a. Menachem Ussishkin (1863–1941) und Berl Katznelson (1887–1944), kritisiert.
Im Juni 1935 durch das NS-Regime ausgebürgert, war Goldmann 1936 neben dem US-amerikanischen Rabbiner Stephen S. Wise (1874–1949) die zentrale Figur bei der Gründung des Jüdischen Weltkongresses (WJC). Im Juni 1940 übersiedelte er nach New York City, wo er die freie Einwanderung von Juden nach Palästina forderte und an der Rettung prominenter jüdischer Intellektueller aus dem nationalsozialistisch besetzten Frankreich beteiligt war, darunter Georg Bernhard (1875–1944). Dank der Unterstützung juristisch versierter Mitarbeiter wie Siegfried Moses (1887–1974) und Jacob Robinson (1889–1977) präsentierte Goldmann während des Zweiten Weltkriegs erste Pläne zur kollektiven Entschädigung des jüdischen Volkes für die durch das NS-Regime verantworteten Verbrechen.
Präsident des Jüdischen Weltkongresses und Luxemburger Abkommen
Seit 1949 Präsident des Jüdischen Weltkongresses, konzentrierte sich Goldmann bald ganz auf die Frage der Wiedergutmachung. Einen Monat nachdem Konrad Adenauer (1876–1967) im Bundestag die Bereitschaft der Bundesregierung zu Entschädigungsleistungen für deutsche Verbrechen an Juden betont hatte, initiierte Goldmann im Oktober 1951 die Gründung der Claims Conference – eines Zusammenschlusses von 23 jüdischen Diaspora-Organisationen zur Durchsetzung materieller Entschädigung für überlebende NS-Opfer. Auf Grundlage einer ersten geheimen Besprechung zwischen Adenauer und Goldmann in London am 6. Dezember 1951 begannen im März 1952 in Wassenaar bei Den Haag Verhandlungen, die zum Abschluss des Luxemburger Abkommens führten. Goldmann nahm an den eigentlichen Verhandlungen nicht teil, hatte durch vermittelnde, persönliche Gespräche mit Adenauer und dem Leiter der deutschen Delegation, Franz Böhm (1895–1977), jedoch großen Anteil am Zustandekommen des Abkommens, das am 10. September 1952 von ihm, Adenauer und dem israelischen Außenminister Moshe Scharett (1894–1965) unterzeichnet wurde.
In der Folgezeit leitete Goldmann das im Mai 1953 gegründete Committee of Jewish Claims on Austria, das die Rückgabe jüdischen Eigentums von der österreichischen Regierung und Entschädigungszahlungen forderte, erzielte in seinen Verhandlungen mit Bundeskanzler Julius Raab (1891–1964) aber kaum Verhandlungserfolge. Vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Aufstiegs der Bundesrepublik drängte Goldmann als Leiter der Claims Conference in den 1960er und 1970er Jahren auf eine Ausweitung der bundesdeutschen Entschädigungszahlungen. Er hatte großen Anteil an der Verabschiedung des Bundesentschädigungsschlussgesetzes von 1965, das einen Härtefonds von 1,2 Milliarden D-Mark für jüdische NS-Opfer vorsah, die Osteuropa nach 1953 verlassen hatten, und initiierte 1973 in einer Besprechung mit Bundeskanzler Willy Brandt (1913–1992) eine „Abschlussgeste“ der Wiedergutmachung, die dann 1979 in Höhe von 440 Millionen D-Mark beschlossen wurde.
Goldmann trat für eine friedliche Koexistenz zwischen Arabern und Israelis ein, um die Zukunft des jüdischen Staates zu sichern. Nach dem Sechstagekrieg 1967 schlug er einen Besuch beim ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser (1918–1970) vor, um einen Friedensprozess mit Israel zu fördern, die Initiative wurde jedoch wegen israelischer Opposition abgebrochen. Goldmann veröffentlichte nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973 weiterhin Artikel, in denen er die israelische Regierung vergeblich aufforderte, Friedensgespräche mit der arabischen Welt aufzunehmen. Er initiierte den Bau des Museums der jüdischen Diaspora in Tel Aviv, das kurz vor seinem Tod eröffnet wurde.
1912 | Mitglied im Kartell Jüdischer Verbindungen, Heidelberg |
1926 | Mitglied des Zionistischen Aktionskomitees |
1936–1968 | Mitglied der Exekutive des Zionistenkongresses |
1988 | Nahum-Goldmann-Allee, Bonn |
Nachlass:
Central Zionist Archives, Jerusalem.
Weitere Archivmaterialien:
Central Zionist Archives, Jerusalem, A 40. (Nachlass Jakob Klatzkin)
Hebrew University of Jerusalem, Oral History, Nahum Goldmann Interview v. 14.11.1961.
Erez-Israel. Reisebriefe, 1914, Neuausg. 1982 u. d. T. Erez-Israel. Reisebriefe aus Palästina 1914. Rückblick nach siebzig Jahren. (Onlineressource)
Der Geist des Militarismus, 1915, Neuausg. 1985.
Von der weltkulturellen Bedeutung und Aufgabe des Judentums, 1916. (Onlineressource)
Die drei Forderungen des jüdischen Volkes, 1919, Neuausg. 1974. (Onlineressource)
Der Jüdische Weltkongreß. Seine Aufgaben und Ziele, 1934.
From the Danger of Annihilation to the Dawn of Redemption. 4 Speeches, 1958.
Martin Buber/Nahum Goldmann, Die Juden in der UdSSR, 1961.
Deutsche und Juden, 1967.
Zionism. Ideal and Realism, 1969.
Staatsmann ohne Staat. Autobiographie, 1970, engl. 1970, franz. 1971, hebr. 1972, 1980 erw. Neuausg. u. d. T. Mein Leben als deutscher Jude, Neuausg. 1983. (P)
Nahum Goldmann/Wanda Kampmann, Die Juden und die Völker. Antizionismus. Neue Form der Judenfeindschaft?, 1972.
Israel muß umdenken! Die Lage der Juden 1976. Mit einem Gespräch zum deutsch-jüdischen Verhältnis, 1976.
Community of Fate. Jews in the Modern World. Essays, Speeches and Articles, 1977.
Das jüdische Paradox. Zionismus und Judentum nach Hitler, 1978, 31988, Neuausg. 1992, engl. 1978, hebr. 1978.
Mein Leben. USA, Europa, Israel, 1984.
Ronald W. Zweig, German Reparations and the Jewish World. A History of the Claims Conference, 2001.
Constantin Goschler, Die Bundesrepublik und die Entschädigung von Ausländern seit 1966, in: Hans Günter Hockerts/Claudia Moisel/Tobias Winstel (Hg.), Grenzen der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa 1945–2000, 2006, S. 94–146.
Mark A. Raider (Hg.), Nahum Goldmann. Statesman without a State, 2009.
Emmanuel Deonna, Art. „Jüdischer Weltkongress“, in: Dan Diner (Hg.), Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur, Bd. 3, 2012, S. 263–268.
Arndt Engelhardt, Arsenale jüdischen Wissens. Zur Entstehungsgeschichte der „Encyclopaedia Judaica“, 2014.
Carole Fink, Negotiations after Negotiations. Nahum Goldmann, West Germany and the Origins of the 1980 Hardship Fund, in: Jahrbuch des Simon Dubnow Instituts 15 (2016), S. 287–305.
Rachel Blumenthal, Right to Reparations. The Claims Conference and Holocaust Survivors. 1951–1964, 2021.
N. N., Art. „Goldman, Nachum (Nahum)“, in: Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, Bd. 9, hg. v. d. Archiv Bibliographia Judaica, 2001, S. 88–99.