Conti, Leonardo
- Lebensdaten
- 1900 – 1945
- Geburtsort
- Lugano (Kanton Tessin)
- Sterbeort
- Nürnberg
- Beruf/Funktion
- Arzt ; Reichsgesundheitsführer ; Politiker
- Konfession
- Senne-Friedhof
- Normdaten
- GND: 122087976 | OGND | VIAF: 72266503
- Namensvarianten
-
- Conti, Leonardo Ambrogio Giorgio Giovanni
- Conti, Leonardo
- Conti, Leonardo Ambrogio Giorgio Giovanni
- Conti, Leonardi
- Conti, Leonardo Giorgio Ambrogio Giovanni
- Konti, Leonardo
- Konti, Leonardo Ambrogio Giorgio Giovanni
- Konti, Leonardi
- Konti, Leonardo Giorgio Ambrogio Giovanni
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Conti, Leonardo Ambrogio Giorgio Giovanni
1900 – 1945
Reichsgesundheitsführer
Der deutsch-schweizerische Arzt Leonardo Conti stieg während des Nationalsozialismus an die Spitze der parteiamtlichen Gesundheitsführung und des öffentlichen Gesundheitsdienstes auf; von 1939 bis 1944 trug er den Titel „Reichsgesundheitsführer“. Conti war in mehrere Medizinverbrechen involviert. Nach Kriegsende verhaftet, beging er am 6. Oktober 1945 im Militärgefängnis Nürnberg Suizid.
Lebensdaten
-
Autor/in
→Maike Rotzoll (Marburg); Christoph Beckmann (Marburg)
-
Zitierweise
Rotzoll, Maike / Beckmann, Christoph, „Conti, Leonardo“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.03.2024, URL: https://www.deutsche-biographie.de/122087976.html#dbocontent
Kindheit und Jugend
Der in der Schweiz geborene Conti zog 1902 nach der Trennung seiner Eltern mit seiner deutschen Mutter Nanna Conti (1881–1951) und den zwei Geschwistern nach Leipzig, lebte 1903 bei Bekannten der Mutter, während diese sich zur Hebamme ausbilden ließ, und übersiedelte 1904 mit seiner Familie nach Berlin, wo die Mutter als Hebamme arbeitete. Conti, seit 1915 auch preußischer Staatsbürger, meldete sich nach seinem Notabitur 1918 in Berlin freiwillig zum Militär, wurde jedoch im Ersten Weltkrieg nicht mehr eingesetzt.
Parallele Karrieren
Conti verfolgte anschließend drei parallele Karrieren: die medizinische Ausbildung, das Engagement in verschiedenen völkischen Parteien und die Mitgliedschaft in unterschiedlichen Freikorps und illegalen Organisationen. Er studierte seit 1918 an den Universitäten in Berlin und Erlangen Medizin, wurde 1924 in Berlin zum Dr. med. promoviert und 1925 in München approbiert. Anschließend arbeitete er als Volontärarzt an verschiedenen Kinderkrankenhäusern in Berlin. Da ihm aufgrund seines politischen Engagements eine Festanstellung verwehrt blieb, ließ er sich 1925 als Kinderarzt nieder. 1930 beendete Conti seine ärztliche Arbeit weitgehend, um sich auf seine politische Karriere zu konzentrieren.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schloss sich Conti 1919 der Garde-Kavallerie-Schützen-Division an, zu diesem Zeitpunkt eine Mischung aus regulärem Truppenteil und Freikorps, und war an der Niederschlagung des Berliner Spartakusaufstands beteiligt, sowie am Versuch der „Technischen Nothilfe“, die aus der „Technischen Abteilung“ des Freikorps hervorgegangen war, den Generalstreik gegen den Kapp-Putsch zu unterlaufen. Conti war weiterhin bis 1923 in der rechtsterroristischen „Organisation Consul“ aktiv.
Kurz nach Ende des Weltkriegs begann Contis Weg durch die Landschaft deutschnationaler und völkischer Parteien: Von 1919 bis 1922 war er Mitglied der DNVP, die ihm jedoch nicht antisemitisch genug war. 1923 kurzzeitig Mitglied der SA, schloss er sich der Deutschvölkischen Freiheitspartei an, die während des Verbots der NSDAP eng mit deren Ersatzorganisationen kooperierte. 1924 wurde er deren Berliner Ortsgruppenführer. Nach deren Bruch mit den Nationalsozialisten 1926 verließ er die Partei und wurde im folgenden Jahr Mitglied der NSDAP.
1927 trat Conti wieder der SA bei und nun mehr als Arzt in Erscheinung; bis 1929 baute er in Berlin das Sanitätswesen der SA auf und leitete auf dem Reichsparteitag 1929 den Sanitätsdienst. Bei dieser Gelegenheit beteiligte er sich an der Gründung des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebunds (NSDÄB). Im Zuge von Auseinandersetzungen innerhalb der NSDAP, verließ Conti 1930 die SA zugunsten einer Mitgliedschaft in der SS, in der er bis 1944 zum Obergruppenführer aufstieg. Seit 1935 war er SS-Führer zur besonderen Verwendung im Stab Heinrich Himmlers (1900–1945).
In diese Zeit fiel Contis Hochzeit mit Elfriede von Meerscheidt-Hüllessem (1902–2002). Sie entstammte einer gut vernetzten Familie, aus der eine Reihe preußischer Generäle hervorgegangen war, und stand ihrem Ehemann in ihrer nationalsozialistischen Überzeugung in nichts nach. Beide Eheleute waren Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP. Die Ehe trug maßgeblich zu Contis Aufstieg bei.
Politische Karriere
Im Februar 1933 von Hermann Göring (1893–1946) zum Staatskommissar zur besonderen Verwendung im Preußischen Ministerium des Innern berufen, avancierte Conti am 1. April 1933 zum ordentlicher Ministerialrat in der Medizinalabteilung. 1935 übernahm er das Referat für Sport- und Jugendfragen im Reichministerium des Innern und im November 1936 zusätzlich das Amt des Stadtmedizinalrats von Berlin, womit er dem Gesundheitswesen der Reichshauptstadt vorstand.
Parallel verfolgte Conti seine Parteikarriere weiter. Er wurde im Februar 1934 Gauamtsleiter für Volksgesundheit und Gauobmann des NSDÄB in Berlin und nach heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der mächtigen NS-Ärzteorganisation 1939 Nachfolger des verstorbenen NSDÄB-Chefs Gerhard Wagner (1888–1939). Conti war nun Leiter des Hauptamts für Volksgesundheit der NSDAP, leitender Funktionär des NSDÄB, der Reichsärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung. Nach dem Aufstieg an die Spitze der parteiamtlichen „Gesundheitsführung“ ernannte ihn Adolf Hitler (1889–1945) zum Staatssekretär im Reichministerium des Innern, womit „Reichsgesundheitsführer“ Conti in Personalunion ranghöchster Mediziner in Staat und Partei war. Allerdings konnte er diese Position im polykratischen Machtgerangel nicht halten. Spiegelbildlich zum Aufstieg von Hitlers Begleitarzt Karl Brandt (1904–1948), seit 1944 Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, nahm Contis Einfluss ab.
Beteiligung an Medizinverbrechen
Im Rahmen seiner zahlreichen Ämter war Conti an verschiedenen Medizinverbrechen beteiligt und wirkte an vielen Entwicklungen im nationalsozialistischen Gesundheitswesen mit: Bereits 1932 hatte er an einem preußischen Gesetzesentwurf zur freiwilligen Sterilisation mitgearbeitet, der später die Grundlage für das Zwangssterilisationsgesetz wurde. 1933 beteiligte er sich als Staatskommissar im preußischen Innenministerium an der Entrechtung jüdischer Ärztinnen und Ärzte. 1940 setzte er sich für die Zwangssterilisation von „Zigeunern“ ein, gegen die kriegsbedingte Begrenzung des Sterilisationsprogramms auf Personen mit großer „Fortpflanzungsgefahr“ und für Zwangsabtreibungen bei Zwangsarbeiterinnen aus den östlichen Besatzungsgebieten. Weiterhin arbeitete er mit seiner Mutter, inzwischen „Reichshebammenführerin“, am Hebammengesetz von 1938.
Conti war auch in die „Euthanasie“ verstrickt. Laut Nachkriegsaussagen hatte zunächst er in einer Besprechung mit Hitler, Hans Lammers (1879–1962), Chef der Reichskanzlei, und Martin Bormann (1900–1945), Leiter der Parteikanzlei, den Auftrag für die spätere „Aktion T4“ erhalten, doch wurde ihm dieser kurz darauf wieder entzogen. Stattdessen wurden Brandt und Philipp Bouhler (1899–1945), der Chef der Kanzlei des Führers, „Euthanasiebevollmächtigte“. Ob Conti als zu zögerlich erschien oder Bedenken geäußert hatte, bleibt ungewiss; sicher ist, dass Konkurrenz zwischen den Kanzleien eine Rolle spielte. Trotz des entzogenen Auftrags war Conti bei der Probevergasung im Zuchthaus Brandenburg anwesend. Auch wirkte Contis Abteilung im Reichsinnenministerium an der bürokratischen Abwicklung der „Aktion T4“ mit. Er war in verbrecherische Forschung am Menschen involviert, u. a. war er Initiator der Fleckfieberimpfversuche der SS im Konzentrationslager Buchenwald. Nach seiner Verhaftung am 19. Mai 1945 in Flensburg sollte Conti im Nürnberger Ärzteprozess angeklagt werden; er entzog sich seiner Verurteilung durch Suizid.
1933 | Robert-Koch-Plakette der Stadt Berlin |
1936 | Olympia-Ehrenzeichen 1. Klasse |
1937 | Ehrenzeichen des Deutschen Roten Kreuzes 1. Klasse |
1937 | Danziger Rot-Kreuz-Ehrenzeichen 1. Klasse |
Goldenes Parteiabzeichen der NSDAP | |
Treuering und Ehrendegen der SS |
Nachlass:
Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, N 2377. (weiterführende Informationen)
Weitere Archivmaterialien:
Bundesarchiv, Koblenz, All. Proz. 2/FC 6 155 P. (Vernehmungsprotokoll)
Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, R 1501/2957, 3781–3783, 3785–3789, 3791–3796, 3798, 3800, 1802–3818, 20 261, 20 262, 20 740, 126 270, 126 476–126 486 u. 212 663. (Bestände „Büro des Reichsgesundheitsführers Staatssekretär Dr. Conti“)
Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Filmarchiv/VK 5 0651. (Rede Contis 1943)
Über Weichteilplastik im Gesicht, 1925. (Diss. med.)
Ärztliches Ehrengericht verbietet die nationalsozialistische Weltanschauung, in: Völkischer Beobachter, Nr. 52 v. 21.2.1932, Sonderblatt.
Rassenhygiene und soziale Fürsorge, in: Allgemeine Deutsche Hebammen-Zeitung 47 (1932), S. 394 f.
Braunschweiger Vorträge. Bevölkerungspolitik, in: Ziel und Weg (1933), H. 7/8, S. 160–166 u. 190–196.
Aufruf des Reichsgesundheitsführers Staatssekretär Dr. Conti an die Mitglieder der in der Bekämpfung der Alkohol- und Tabakgefahren eingesetzten Berufe, in: Die Deutsche Hebamme 54 (1939), S. 427.
Die Grundgedanken des neuen Hebammengesetzes, in: Deutsches Ärzteblatt 69 (1939), Nr. 3, S. 44–47.
Der Arzt im Kampf um das deutsche Volksschicksal. Rede des Reichsgesundheitsführers auf der gemeinsamen Sitzung des NS-Ärztebundes im Gau Berlin und der Berliner Medizinischen Gesellschaft am 24.4.1942, in: Deutsches Ärzteblatt 42 (1942), S. 200–206.
Die Bedeutung der Wissenschaft, insbesondere der kinderärztlichen, in der Gesundheitsführung, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 68 (1942), H. 3, S. 53–59.
Zur Neuordnung des Gesundheitswesens nach dem Siege. Denkschrift, 1943. (unveröff., Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, R 1501/3793)
Gerhard Wagner. Reden und Aufrufe, 1943. (Hg.)
Leonardo Conti/Nanna Conti, Deutsche Hebammen!, in: Die Deutsche Hebamme 59 (1944), S. 3.
Monografien:
Alfons Labisch/Florian Tennstedt, Der Weg zum „Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ vom 3. Juli 1934. Entwicklungslinien und -momente des staatlichen und kommunalen Gesundheitswesens in Deutschland, 2 Bde., 1985, Bd. 2, S. 345–349 u. 393–395.
Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik, 1986.
Ernst-Alfred Leyh, „Gesundheitsführung“, „Volksschicksal“, „Wehrkraft“. Leonardo Conti (1900–1945) und die Ideologisierung der Medizin in der NS-Diktatur, 2002.
Winfried Süß, Der Volkskörper im Krieg. Gesundheitspolitik, medizinische Versorgung und Krankenmord im nationalsozialistischen Deutschland 1939–1945, 2003.
Anja Peters, Der Geist von Alt-Rehse. Die Hebammenschule an der Reichsärzteschule 1935–1941, 2005.
Hans-Walter Schmuhl, Grenzüberschreitungen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik 1927–1945, 2005.
Wolfgang Uwe Eckart, Medizin in der NS-Diktatur, 2012.
Anja Peters, Nanna Conti (1881–1951). Eine Biografie der Reichshebammenführerin, 2018.
Aufsätze:
Michael Kater, Doctor Leonardo Conti and his Nemesis. The Failure of Centralized Medicine in the Third Reich, in: Central European History 18 (1985), H. 3/4, S. 299–325.
Winfried Süß, Der beinahe unaufhaltsame Aufstieg des Karl Brandt. Zur Stellung des „Reichskommissars für das Sanitäts- und Gesundheitswesen“ im gesundheitspolitischen Machtgefüge des „Dritten Reiches“, in: Wolfgang Woelk/Jörg Vögele (Hg.), Geschichte der Gesundheitspolitik in Deutschland. Von der Weimarer Republik bis in die Frühgeschichte der „doppelten Staatsgründung“, 2002, S. 197–223.
Anja Peters, Mutter und Sohn. Die Contis und ihre Nachkommen, in: Viola Schubert-Lehnhardt (Hg.), „In meiner Familie war niemand Nazi! – oder etwa doch?”, Bd. 2, 2008, S. 18–29.
Hans-Walter Schmuhl, Die biopolitische Entwicklungsdiktatur des Nationalsozialismus und der „Reichsgesundheitsführer“ Leonardo Conti, in: Klaus-Dietmar Henke (Hg.), Tödliche Medizin im Nationalsozialismus. Von der Rassenhygiene zum Massenmord, 2008, S. 101–117.
Lexikonartikel:
Matthias Meusch, Art. „Conti, Leonardo“, in: Werner E. Gerabek/Bernhard D. Haage/Gundolf Keil/Wolfgang Wegner (Hg.), Enzyklopädie Medizingeschichte, 2007, Bd. 1, S. 270.
Ansgar Fabri/Jessica Thönnissen, Art. „Conti, Leonardo“, in: Biographisches Archiv der Psychiatrie, 2017. (P) (Onlineressource)
Film:
Dokumentarfilm v. Michele Andreoli, 2009. (weiterführende Informationen)
Fotografien, ca. 1939–1943, Bundesarchiv, Digitales Bildarchiv.
Fotografien, ca. 1933–1945, Bayerische Staatsbibliothek München, Bildarchiv.
Fotografien, um 1939, Abbildung, in: Deutsches Ärzteblatt 69 (1939), S. 69 u. 342 f.