Tzschirner, Samuel
- Lebensdaten
- 1812 – 1870
- Geburtsort
- Bautzen (Sachsen)
- Sterbeort
- Leipzig
- Beruf/Funktion
- sächsischer Politiker ; Rechtsanwalt ; Jurist ; Politiker
- Konfession
- evangelisch
- Normdaten
- GND: 117639036 | OGND | VIAF: 22924167
- Namensvarianten
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- Tzschirner, Samuel Erdmann
- Tzschirner, Samuel
- Tzschirner, Samuel Erdmann
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Tzschirner, Samuel Erdmann
|Rechtsanwalt, Politiker, * 29.6.1812 Bautzen (Sachsen), † 17.2.1870 Leipzig. (evangelisch)
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Genealogie
V →Samuel Gottlob (1768–1818, ⚭ 1] N. N., † um 1807), Strumpfwirkermeister in B.;
M Susanne Erdmuthe Orb (1772–1856, ⚭ 1] →Karl Bernhard Graßmann, † 1807); ledig. -
Biographie
Es gibt keine Quellen über T.s Jugend und zur Beantwortung der Frage, warum er trotz seiner Abstammung aus einer verarmten Handwerkerfamilie und vaterlos das Bautzener Gymnasium besuchen und anschließend 1831–34 in Leipzig Jura studieren konnte. Seit 1840 arbeitete er in Bautzen als Armenanwalt, spezialisiert auf die Vertretung von Bauern in Prozessen gegen Rittergutsbesitzer und andere Adlige, in denen es um die Ablösung der Feudallasten ging. Aufgrund seines sozialen Engagements wurde er 1846 in die Bautzener Stadtverordnetenversammlung gewählt (stellv. Vors. 1847). Als Mitgründer des sächs. Advokatenvereins 1844 fiel er dem Organisator der radikalen sächs. Opposition, →Robert Blum (1807–48), auf. 1848 gründete T. in Bautzen den „Vaterlandsverein“, agitierte auf Volksversammlungen und seit April im Landtag gegen Adelsprivilegien, für das demokratische Wahlrecht und die Enteignung kirchlichen Grundbesitzes zugunsten armer Bauern. Er radikalisierte sich dabei vom Anhänger einer parlamentarisch-demokratischen Monarchie (wie →Blum) zum Republikaner mit sozialistischem Einschlag.
Vor dem Hintergrund der rechtswidrigen Erschießung Blums führten die Landtagswahlen Ende 1848 zu einem überwältigenden Sieg der Demokraten. In diesem radikalsten Parlament in Deutschland führte T. die republikanische Opposition, die auf eine zweite Revolution setzte. Im Rahmen der Kampagne zur Durchsetzung der vom sächs. wie vom preuß. König abgelehnten Paulskirchenverfassung ließ sich T. zu einem der drei Vorsitzenden des mehrere 10 000 Mitglieder starken Verbands der sächs. Vaterlandsvereine wählen und bereitete mit →Michail Bakunin (1814–76) den Dresdener Maiaufstand vor, in dessen Verlauf er in die provisorische Regierung gewählt wurde. Nach wenigen Tagen kapitulierten die Aufständischen vor der regulären Armee. T. floh und beteiligte sich in verschiedenen Funktionen am bad.-pfälz. Aufstand gegen die preuß. Intervention. Die von Karl Marx redigierte „Neue Rheinische Zeitung“ nannte T.s revolutionäre Energie „eine unerhörte Erscheinung, eine Nationalanomalie“ (Nr. 256 v. 27. 3. 1849, S. 2).
Im Sommer 1849, nach der Niederschlagung der letzten Aufstände, entkam T. in die Schweiz und entging damit dem Todesurteil, das ein Standgericht in Dresden gegen ihn verhängt hatte. In Zürich versuchte er als Gründer und Präsident der „Revolutionären Zentralisation“, eine neue Revolution in Europa auszulösen, scheiterte aber am Sektierertum in der Vereinigung. Wie die meisten „48er“ erhielt T. in der Schweiz kein Asyl. Über London, wo er in Kontakt mit dem „Bund der Kommunisten“ kam, wanderte er 1854 in die USA aus. Sein Schicksal dort ist unerforscht. 1861 soll er eine Anstellung am New Yorker Zollamt erhalten haben. Als er 1863 schwer erkrankte, bat er die sächs. Regierung um Begnadigung. T. durfte zwar zurückkehren, aber nicht wieder als Anwalt arbeiten. Zuletzt lebte er verarmt, krank und zeitweise obdachlos in Leipzig.
T. gehörte zu den „48ern“, die sich der demokratischen „Realpolitik“ verweigerten und in radikaler republikanischer Opposition verharrten. Am Ende seines Lebens stand er der Sozialdemokratie nahe. →August Bebel (1840–1913) hielt seine Grabrede. Politisch fehlte T., wie sein Mitstreiter →August Röckel (1814–76) analysierte, „der entschieden rücksichtslose Willen, die Sache um jeden Preis durchzuführen“. Das abschreckende Beispiel der jakobinischen Tugenddiktatur stand ihm vor Augen.
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Auszeichnungen
A T.-Platz, Dresden (seit 1949).
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Literatur
L ADB 39;
A. Röckel, Sachsens Erhebung u. d. Zuchthaus zu Waldheim, 1865, Nachdr. 1963;
R. Weber, in: Männer d. Rev. v. 1848, hg. v. Arb.kr. Vorgesch. u. Gesch. d. Rev. v. 1848/49, 1970, S. 297–328;
E. Lodni, in: Bautzener Kulturschau 2, 1970, S. 1–15 (P);
H. Schulz, Tumulte, Verslgg. u. Petitionen, Die Stadt Bautzen u. d. Rev. 1848/49, in: Mus. Bautzen (Hg.), 14. J.schr., 2008, S. 37–111;
Ch. Jansen, Auf Dresdens Barrikaden, Wie d. Armenanwalt S. T. 1849 in d. Dt. Rev. z. Volkstribun wurde, in: Die Zeit v. 28. 6. 2012, S. 24;
Reinalter II/1; Stadtlex. Dresden. -
Porträts
P Ztg.ill. u. Lith. (Stadtmus. Dresden), Abb. in: Lodni (s. L), S. 6 f.
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Autor/in
Christian Jansen -
Zitierweise
Jansen, Christian, "Tzschirner, Samuel" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 510-511 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117639036.html#ndbcontent
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Tzschirner, Samuel Erdmann
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Biographie
Tzschirner: Samuel Erdmann T., Führer der sächsischen äußersten Linken in den Revolutionsjahren 1848 und 1849, geboren 1812 (oder richtiger 1814?) in Bautzen, † am 17. Februar 1870 in Leipzig, studirte 1831 bis 1834 und übte von 1840 an in seiner Vaterstadt die advocatorische Praxis aus. Auf dem Felde der Politik hatte er als Mitglied des sächsischen Landtags und der Frankfurter Nationalversammlung eine hervorragende Thätigkeit in demokratischem Sinne entfaltet, als der Dresdner Maiaufstand ausbrach und Veranlassung ward, daß er neben zwei gemäßigteren Politikern: Heubner und Todt zum Mitgliede einer revolutionären provisorischen Regierung erwählt wurde. Der Vorwurf, der den leitenden Personen jenes Aufstandes zu machen ist, daß sie in heuchlerischer Weise die Anerkennung der Reichsverfassung von 1849 als Zweck der Erhebung ausgaben, obschon diese Verfassung ihrer demokratischen Staatsidee keineswegs entsprach und obgleich sich die äußerste Linke in der sächsischen zweiten Kammer noch am 14. April gegen ihre Annahme erklärt hatte, trifft T. in erster Linie, rechtfertigt sich auch besonders dadurch, daß er in seiner Dictatorstellung dem professionellen internationalen Revolutionär Michael Bakunin entscheidenden Einfluß auf den Gang der Ereignisse einräumte. Nach Niederschlagung des Dresdner Aufstandes hatten T. und Heubner noch in Tharand zusammen gewirkt; dann entzog sich jener der siegreichen Staatsgewalt durch die Flucht in einem Zeitpunkte, wo letzterer mit Bestimmtheit darauf rechnete, auch noch in dem nahen Freiberg mit ihm zusammenzutreffen. Die Amnestie vom 27. Mai 1865 ermöglichte ihm, in die Heimath zurückzukehren. Sein bald nach der Rückkehr erfolgter Tod war die Folge einer Erkrankung, derentwegen er am selben Tage, an dem er starb, in das Leipziger Jakobshospital gebracht worden war.
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Literatur
Carl Krause, Der Aufruhr in Dresden. Dresden 1849, S. 19 f., 23 f., 39 f. u. s. w. — Otto Heubner, Selbstvertheidigung. Zwickau 1850, S. 136. — Richard Frhr. v. Friesen, Erinnerungen aus meinem Leben. 2. Auflage, Bd. 1. Dresden 1882, S. 85, 101, 108, 115 f. —
Karl Biedermann, Dreißig Jahre deutscher Geschichte. Bd. 1. Breslau o. I., S. 443 f., 450. — Einem mir mitgetheilten Auszuge aus den Acten des Leipziger Jakobshospitals zufolge starb T. 56 Jahre alt, wonach er nicht 1812 geboren sein könnte. -
Autor/in
F. Schnorr v. Carolsfeld. -
Zitierweise
Schnorr von Carolsfeld, Franz, "Tzschirner, Samuel" in: Allgemeine Deutsche Biographie 39 (1895), S. 66 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117639036.html#adbcontent