Schiemann, Theodor
- Lebensdaten
- 1847 – 1921
- Geburtsort
- Grobin (Kurland)
- Sterbeort
- Berlin
- Beruf/Funktion
- Osteuropa-Historiker ; Historiker ; Archivar
- Konfession
- evangelisch
- Normdaten
- GND: 118794981 | OGND | VIAF: 30333117
- Namensvarianten
-
- Schiemann, Theodor Heinrich Christian Karl
- Schiemann, Theodor
- Schiemann, Theodor Heinrich Christian Karl
- Schiemann, Ch.
- Schiemann, Th.
- Šiman, F. F.
- Šiman, Teodor
- Šiman, Theodor
- Schiemann, Theodor Heinrich Christian Carl
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Schiemann, Theodor Heinrich Christian Karl
Osteuropa-Historiker, * 5./17.7.1847 Grobin (Kurland), † 26.1.1921 Berlin. (evangelisch)
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Genealogie
Aus um d. Mitte d. 18. Jh. v. Königsberg (Pr.) nach Reval eingewanderter Fam.;
V Theodor, Stadtsekr. in Mitau, S d. →Carl (1763–1835), Dr. med., Arzt in Mitau, Ehrenmitgl. d. Physikal. Ges. in Göttingen 1801, d. Naturforsch. Ges. in Moskau 1806, d. Soc. f. d. ges. Mineral. in Jena 1823, o. Mitgl. d. Med. Ges. in Edinburgh u. d. Kurländ. Ges. f. Lit. u. Kunst (s. Dt.balt. Biogr. Lex.);
M Nadežda (Nadine) Rodde;
Ur-Gvv Alexander Friedrich, Hofger.advokat;
– ⚭ Mitau 1875 Caroline (1849–1937), T d. →Wilhelm Friedrich v. Mulert (1815–97), Dr. med. et. chir., Arzt in Mitau, 1867-91 Medizinalinsp., Schmetterlingssammler, russ. Wirkl. Staatsrat (s. Dt.balt. Biogr. Lex), u. d. Elisabeth Reinfeldt († 1880);
K aus 3) →Elisabeth (s. 3), Gertrud, Musikerin;
Gvv d. Ehefrau Johann Mulert, aus Göttingen, Industr.; Schwager →Friedrich v. Mulert (* 1859), Arzt, Prof. f. Violoncello u. Komp. in Kiew (s. Riemann; Dt.balt. Biogr. Lex.);
N →Paul (s. 2). -
Biographie
Nach dem Besuch des Gymnasiums Petrinum in Mitau immatrikulierte S. sich an der dt. Univ. Dorpat für das Studium der Geschichte. Hier wurde ihm →Carl Schirren (1826–1910), der 1869 die Kampfschrift gegen die Russifizierung der balt. Provinzen veröffentlichte, aus dem Amt entlassen wurde und das Land für immer verließ, in vielem zum Vorbild. Im Wintersemester 1873/74 setzte S. das Studium in Göttingen bei →Georg Waitz (1813–86) fort und wurde 1874 promoviert (Salomon Hennings Livländ.-Kurländ. Chronik). Nach Dorpat zurückgekehrt, erwarb er 1875 das Geschichtsdiplom und nahm die Stelle eines Oberlehrers am Landesgymnasium in Fellin an. Neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit machte er sich in den folgenden acht Jahren auch als politischer Publizist in den dt.balt. Diskussionen einen Namen. Dieses Engagement zur „Verteidigung des alten Rechts“, der dt. Sprache und der ev. Konfession setzte er seit 1883 als Stadtarchivar in Reval fort. Das neue Amt gab ihm mehr Zeit für die wissenschaftliche Forschung; als deren Früchte erschienen neben kleineren Arbeiten Studien zur balt. Geschichte (Hist. Darst. u. archival. Studien, Btrr. z. Balt. Gesch., 1886) sowie eine zweibändige Geschichte von „Rußland, Polen und Livland bis ins 17. Jh.“ (1886/87). Die Berliner Universität, wo →Heinrich v. Treitschke (1834–96) zu seinen Förderern gehörte, erkannte die vorgelegten Schriften als Habilitationsleistung an. Zunächst hielt S. in Berlin Geschichtsvorlesungen an der Kriegsakademie; 1889 wurde er in den preuß. Archivdienst aufgenommen. 1892 kam es zur Einrichtung eines Extraordinariats, 1902 zur Gründung des Seminars für Osteurop. Geschichte und Landeskunde (des ersten seiner Art in Dtld.), 1906 zur Ernennung zum Ordinarius.
S.s wissenschaftliches Hauptwerk wurde die auf Archivstudien in Petersburg, Berlin, London und Paris beruhende „Geschichte Rußlands unter Nikolaus I.“ (4 Bde., 1904–19). Seit 1910 gab er zusammen mit seinem Schüler →Otto Hoetzsch (1876–1946) sowie den Kollegen Leopold Karl Goetz (Bonn) und Hans Uebersberger (Wien) das erste Fachorgan der neuen Disziplin, die „Zeitschrift für osteurop. Geschichte“ heraus.
Bekannter als durch sein wiss. Werk wurde S. einer breiteren Öffentlichkeit durch die umfangreiche publizistische Tätigkeit, v. a. seine rund 1000 Artikel zur Außenpolitik, die 22 Jahre lang, jeweils Mittwochs, in der „Neuen Preuß. Zeitung“ (Kreuzzeitung) erschienen, auch in Buchform vorgelegt wurden, und den Verfasser mit ranghohen Politikern in Verbindung brachten. Seit 1904 mit dem Kaiser persönlich bekannt, den er 1905 nach Marokko und wiederholt auf Nordlandfahrten, zur Kieler Woche und auf Jagdausflügen begleitete, umgab die Artikel die Aura des Offiziösen, wobei spekuliert wurde, wie weit sie (u. deren Verfasser) die Berliner Außenpolitik mitprägten, wie weit sie ihr als Sprachrohr dienten. Zum ceterum censeo der Artikel gehörten das Bild Rußlands als „halboriental. Despotie“, der jede rechtsstaatliche Tradition fehle, sowie die Warnung vor dessen Nihilismus, Radikalismus und Nationalismus als „politischer Gefahr“; mit der Revolution und der Machtübernahme der Bolschewiki sah S. sich in diesen Auffassungen bestätigt. Überzeugt, daß die „Kultur der Ostseeprovinzen“ noch immer „deutsch“ sei, betrieb er ihren Anschluß an das Dt. Reich, um diesem damit zugleich das Dominium maris Baltici zu sichern.
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Werke
Weitere W Die Vergewaltigung d. Russ. Ostseeprovinzen, Appell an d. Ehrgefühl d. Protestantismus, Von e. Balten, 1886;
Heinrich v. Treitschkes Lehr- u. Wanderj. 1834-1866, 1896;
Die Ermordung Pauls u. d. Thronbesteigung Nikolaus' I., Neue Materialien, veröff. u. eingel., 1902;
Russ. Köpfe, 1915;
– Hg.:
Victor Hehn, De moribus Ruthenorum, Zur Charakteristik d. russ. Volksseele, Tageb.bll. aus d. J. 1857-1873, 1892. -
Literatur
Klaus Meyer, T. S. als pol. Publizist, 1956 (W-Verz.);
ders., T. S. u. d. russ. Gesch., in: Zs. f. Ostforsch. 28, 1979, S. 588-601;
G. v. Rauch (Hg.), Gesch. d. dt.balt. Gesch.schreibung, 1986 (P);
G. Camphausen, Die wiss. hist. Rußlandforsch. 1892-1933, in: Forschungen z. Osteurop. Gesch. 42, 1989, S. 7-108;
G. Voigt, Rußland in d. dt. Gesch.schreibung 1843-1945, 1994;
Dt.balt. Biogr. Lex.;
Ostdt. Gedenktage 1997 (L, P). -
Autor/in
Helmut Altrichter -
Zitierweise
Altrichter, Helmut, "Schiemann, Theodor" in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 741-742 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118794981.html#ndbcontent