Bräutigam, Otto
- Lebensdaten
- 1895 – 1992
- Geburtsort
- Wesel
- Sterbeort
- Coesfeld (Münsterland)
- Beruf/Funktion
- Jurist ; Diplomat ; NS-Funktionär ; Soldat
- Konfession
- römisch-katholisch
- Normdaten
- GND: 118673009 | OGND | VIAF: 54516218
- Namensvarianten
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- Bräutigam, Otto Heinrich Felix Engelbert
- Bräutigam, Otto
- Bräutigam, Otto Heinrich Felix Engelbert
- Bräutigam, Otto
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- Alfred Rosenbergs (1892–1946)
- Erhard Wetzel (1903–1975)
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- Heinrich Himmler (1900–1945)
- Heinrich Lingemann (1880–1962)
- Heinrich von Brentano (1904–1964)
- Hinrich Lohse (1896–1964)
- Joseph Wulf (1912–1974)
- Léon Poliakov (1910–1997)
- Wolfgang Mittermaier (1867–1956)
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Bräutigam, Otto Heinrich Felix Engelbert
1895 – 1992
Jurist, Diplomat, NS-Funktionär
Seit 1920 im diplomatischen Dienst tätig, erwarb sich Otto Bräutigam Ansehen als Experte für die sowjetische Wirtschaft. 1936 trat er der NSDAP bei und avancierte im Zweiten Weltkrieg zu einem führenden Mitarbeiter in Alfred Rosenbergs (1892–1946) Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete. Nach 1945 setzte er seine Karriere in der Organisation Gehlen sowie – begleitet von öffentlichen Kontroversen – im Auswärtigen Amt fort.
Lebensdaten
Geboren am 14. Mai 1895 in Wesel Gestorben am 30. April 1992 in Coesfeld (Münsterland) Grabstätte St. Lamberti in Coesfeld Konfession römisch-katholisch Otto Bräutigam, Politisches Archiv des AA (InC) -
Autor/in
→Andreas Zellhuber (Durach bei Kempten)
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Zitierweise
Zellhuber, Andreas, „Bräutigam, Otto“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.04.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118673009.html#dbocontent
Bräutigam erhielt 1913 am Humanistischen Gymnasium in Coesfeld (Münsterland) das Abitur und begann anschließend ein Studium der Rechtswissenschaften, das er im August 1914 mit seiner Meldung als Kriegsfreiwilliger unterbrach. Bis November 1918 im I. Westfälischen Feldartillerieregiment an der Westfront eingesetzt, schloss er 1919 sein Studium an der Universität Münster ab, wechselte im Juli 1920 als Attaché in das Auswärtige Amt (AA) und wurde im September 1923 bei Wolfgang Mittermaier (1867–1956) an der Universität Gießen zum Dr. iur. promoviert. Bräutigam bekleidete wechselnde diplomatische Positionen in In- und Ausland, die ihn von 1923 bis 1930 in die Sowjetunion führten, wo er zuletzt als Legationssekretär in der Deutschen Botschaft in Moskau diente. In dieser Zeit erwarb er seinen Ruf als Experte für die sowjetische Wirtschaft.
1936 wechselte Bräutigam als Leiter der Konsularabteilung an die deutsche Botschaft in Paris und trat der Landesgruppe Frankreich der NSDAP bei. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs nach Berlin zurückbeordert, leitete er 1939/40 als Legationsrat I. Klasse das Generalreferat für Wirtschaft und Finanzen im AA und sammelte in der Haupttreuhandstelle Ost sowie in deren Nebenstelle in Krakau Erfahrungen auf dem Gebiet der Besatzungsverwaltung. 1940/41 kurzzeitig Generalkonsul in Batumi (Sowjetunion, heute Georgien), kehrte Bräutigam im März 1941 nach Berlin zurück, wurde Mitglied des „Rußlandkomitees“ im AA und verfasste zu Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion im Juni 1941 „Allgemeine Richtlinien für die politische und wirtschaftliche Verwaltung der besetzten Ostgebiete“, die – in Übereinstimmung mit Alfred Rosenberg (1892–1946) – für eine politisch konziliante Haltung gegenüber den Ethnien der Sowjetunion warben, um diese für die deutschen Ziele zu gewinnen. Bräutigam forderte zudem spätestens seit 1942 in Schreiben an das Oberkommando der Wehrmacht und andere mit Fragen der Besatzungspolitik befasste Dienststellen einen schonenderen Umgang mit sowjetischen Kriegsgefangenen, was ihm den Vorwurf der „Humanitätsduselei“ des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler (1900–1945), einbrachte.
Im November 1941 wechselte Bräutigam in das von Rosenberg geführte Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete (RMfbO), in dem er als Leiter der Abteilung Allgemeine Politische Angelegenheiten und stellvertretender Leiter der von Georg Leibbrandt (1899–1982) geführten Hauptabteilung Politik eine Schlüsselposition einnahm. Er erarbeitete mit seinen Mitarbeitern, u. a. dem Juristen und Rassenideologen Erhard Wetzel (1903–1975), politische Vorgaben für die deutschen Besatzungsbehörden, darunter im September 1941 die sog. Braune Mappe, die – z. T. verbindliche – rechtliche, politische und organisatorische Direktiven für das Reichskommissariat „Ostland“ (baltische Staaten, Belorussland) unter Hinrich Lohse (1896–1964) und das von Erich Koch (1896–1986) geführte Reichskommissariat Ukraine umfasste.
Durch seine Tätigkeit im RMfbO wurde Bräutigam zu einem Mitwisser und Mitverantwortlichen des Holocaust. Im September 1941 übermittelte er dem AA und dem Führerhauptquartier den Vorschlag Rosenbergs, als Reaktion auf die von den sowjetischen Behörden durchgeführte Verschleppung hunderttausender ethnisch Deutscher nach Sibirien die jüdische Bevölkerung Zentraleuropas nach Osteuropa zu deportieren. Im Dezember 1941 antwortete er auf eine Anfrage Lohses, ob trotz kriegswirtschaftlicher Notwendigkeiten „alle Juden im Ostland liquidiert werden sollen“, dass wirtschaftliche Belange „grundsätzlich unberücksichtigt bleiben“ sollten. Am 29. Januar 1942 leitete Bräutigam im RMfbO eine Nachfolgekonferenz von Vertretern verschiedener NS-Behörden zur Präzisierung der auf der Wannsee-Konferenz getroffenen Beschlüsse.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam Bräutigam in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft und sagte als Zeuge der Anklage u. a. in den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher und im Wilhelmstraßen-Prozess aus. Von 1947 bis 1953 war er in der Organisation Gehlen, aus der 1956 der Bundesnachrichtendienst hervorging, Leiter der politischen Auswertung. 1949 wurde Bräutigam in einem Entnazifizierungsverfahren als „entlastet“ (Kategorie V) eingestuft; 1950 eröffnete die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth wegen des Verdachts des mehrfachen Mordes ein Ermittlungsverfahren gegen ihn, das im selben Jahr eingestellt wurde.
Seit Februar 1953 war Bräutigam erneut für das AA tätig, stieg zum Leiter der Abteilung Ost auf und wurde im September 1955 zum Ministerialdirigenten befördert. Infolge der Veröffentlichung der von Léon Poliakov (1910–1997) und Joseph Wulf (1912–1974) herausgegebenen Quellensammlung „Das Dritte Reich und die Juden“ (1955), die Bräutigams Mitwirkung am Holocaust erstmals öffentlich nachwies, wurde er im Januar 1956 auf parlamentarischen Druck v. a. seitens der SPD durch den Bundesminister des Auswärtigen, Heinrich von Brentano (1904–1964), beurlaubt. 1957 nach einer Untersuchung durch Oberlandesgerichtspräsident a. D., Heinrich Lingemann (1880–1962), aus Mangel an Beweisen rehabilitiert, kehrte Bräutigam im März 1958 in das AA zurück und wurde bis April 1960 als Generalkonsul in Hongkong eingesetzt. Die folgenden Jahre widmete er der Niederschrift seiner 1968 veröffentlichten Autobiografie, die v. a. als apologetische Schrift zu lesen ist, daneben aber u. a. Einblicke in das NS-Verwaltungshandeln während des Zweiten Weltkriegs bietet.
1942 | Kriegsverdienstkreuz |
1959 | Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland |
Nachlass:
Bundesarchiv, Koblenz, N1721. (weiterführende Informationen)
Weitere Archivmaterialien:
Bundesarchiv, Koblenz, PERS 101/7 3097 u. PERS 101/9 1562 (Personalakten); B 120/570 (Institut für Besatzungsfragen; Besprechungen mit Zeitzeugen und anderen Wissensträgern).
Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg im Breisgau, MSG 123/57 u. MSG 2/1828. (Ergänzungen zu dem Buch „Ereignisse und Gestalten der deutschen Ostpolitik“, undatiert, Kopie)
Bundesarchiv, Berlin Lichterfelde, R 9 361-II/105 099 (Bestand BDC, Personenbezogene Unterlagen der NSDAP/Parteikorrespondenz); VBS 1027 (R 6) / ZD I 2586 (Personaleinsatz in den besetzten Ostgebieten; Personalunterlagen des Ministerialdirigenten).
Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München, Zeugenschrifttum, ZS 400, Bd. 1 (Onlineressource), 2 (Onlineressource), 3 (Onlineressource), 4 (Onlineressource) u. 5 (Onlineressource).
Landesarchiv Berlin, B Rep. 057-01, Nr. 118. (Generalstaatsanwaltschaft beim Kammergericht/Arbeitsgruppe RSHA)
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, NW 0377, Nr. 3621 (Justizministerium, Berichte in Strafsachen; Ermittlungsverfahren gegen Dr. Otto Bräutigam wegen Verdacht auf Anstiftung zum Mord; Ermittlungsverfahren gegen u. a. die „Bonner Rundschau“ wegen Beleidigung); NW 1041, Nr. 202 (Entnazifizierung).
Universitätsarchiv Gießen, Jur. Prom. Nr. 398. (Promotionsakte)
Gedruckte Quellen:
Robert Gibbons, Allgemeine Richtlinien für die politische und wirtschaftliche Verwaltung der besetzten Ostgebiete, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25 (1977), S. 252–261. (Onlineressource)
Das Kriegstagebuch des Diplomaten Otto Bräutigam, eingel. u. komm. v. Hans-Dieter Heilmann, in: Götz Aly/Peter Chroust/Hans-Dieter Heilmann/Hermann Langbein (Hg.), Biedermann und Schreibtischtäter. Materialien zur deutschen Täter-Biographie, 1987, 21989, S. 123–187.
Der Wahrheitsbeweis bei Beleidigungen und sein Verhältnis zur Schuldfrage, 1923. (ungedr. Diss. iur.)
Die Landwirtschaft in der Sowjetunion, [1941], niederl. 1943.
Überblick über die besetzten Ostgebiete während des 2. Weltkrieges, 1954.
Chinas Stellung in der Weltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen Gegebenheiten, 1962.
Der Berliner Vertrag vom 24. April 1926, in: Osteuropa 16 (1966), S. 341–346.
So hat es sich zugetragen... Ein Leben als Soldat und Diplomat, 1968. (Autobiografie)
N. N., Art. „Bräutigam, Otto“, in: Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, bearb. v. Johannes Hürter/Martin Kröger/Rolf Messerschmidt/Christiane Scheidemann, Bd. 1, 2000, S. 248–250. (P)
Ernst Piper, Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, 2005.
Andreas Zellhuber, „Unsere Verwaltung treibt einer Katastrophe zu ...“. Das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete und die deutsche Besatzungsherrschaft in der Sowjetunion 1941–1945, 2006.
Eckart Conze/Norbert Frei/Peter Hayes/Moshe Zimmermann (Hg.), Das Amt und die Vergangenheit. Die deutschen Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, 2010.
Heinz Schneppen, Generalkonsul a. D. Dr. Otto Bräutigam. Widerstand und Verstrickung. Eine quellenkritische Untersuchung, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 60 (2012), S. 301–330.
René Schulz, Otto Bräutigam, in: Portal Rheinische Geschichte, ca. 2015. (Onlineressource) (P)
Fotografie, 1955, ullstein bild.