Staff, Ilse
- Lebensdaten
- 1928 – 2017
- Geburtsort
- Hannover
- Sterbeort
- Kronberg (Hochtaunuskreis
- Beruf/Funktion
- Juristin ; Staatsrechtslehrerin ; Hochschullehrerin
- Konfession
- evangelisch-lutherisch
- Normdaten
- GND: 123585236 | OGND | VIAF: 24618002
- Namensvarianten
-
- Hupe, Ilse / geborene
- Staff, Ilse
- Hupe, Ilse / geborene
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Staff, Ilse (geborene Ilse Hupe)
1928 – 2017
Juristin, Staatsrechtslehrerin
Ilse Staff war 1969 die erste in der Bundesrepublik Deutschland im Öffentlichen Recht habilitierte Frau und 1971 hier die erste Professorin für Staatsrecht, daneben seit 1970 erstes und bis 1983 einziges weibliches Mitglied der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Als Wissenschaftlerin war sie bedeutend für die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Rechtspolitik und der undemokratischen Vergangenheit der bundesdeutschen Justiz, ferner für die Rezeption Hermann Hellers (1891–1933) und den Austausch mit der italienischen Rechtswissenschaft.
Lebensdaten
Geboren am 16. Mai 1928 in Hannover Gestorben am 15. November 2017 in Kronberg (Hochtaunuskreis Grabstätte Hauptfriedhof in Kelkheim (Main-Taunus-Kreis) Konfession evangelisch-lutherisch -
Autor/in
→Martin Otto (Hagen)
-
Zitierweise
Otto, Martin, „Staff, Ilse“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.01.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/123585236.html#dbocontent
Staff besuchte Schulen in Großburgwedel bei Hannover, Hildesheim und Hannover. Nach dem Abitur 1947 und einem Studium der Rechtswissenschaften in Würzburg, Frankfurt am Main und Pisa wurde sie 1954 bei ihrem späteren Ehemann Curt Staff (1901–1976) und dem Strafrechtler Wilhelm Claß (1901–1973) mit einer rechtshistorischen und rechtsphilosophischen Arbeit zum Gnadenrecht zur Dr. iur. promoviert. Nach dem Referendariat war Staff anwaltlich tätig, u. a. in der Rechtsabteilung des Hessischen Rundfunks. 1964 wechselte sie als Lehrkraft im Hochschuldienst an die erziehungswissenschaftliche Abteilung der Universität Frankfurt am Main. Ihre ersten Veröffentlichungen behandelten das Bildungsrecht, setzten sich aber auch kritisch mit der jüngsten deutschen Justizgeschichte und deren Aufarbeitung auseinander.
1969 wurde Staff mit einer von Günther Jaenicke (1914–2008) und Hans-Jürgen Schlochauer (1906–1990) betreuten staatsrechtlichen Arbeit als erste Frau in der Bundesrepublik Deutschland für Öffentliches Recht habilitiert und 1971 Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Frankfurt am Main, was sie bis zu ihrer Emeritierung 1993 blieb. Von 1969 bis 1983 war sie erstes und einziges weibliches Mitglied der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer.
Staff begann als Juristin mit einem besonderen Schwerpunkt im Bildungs- und Wissenschaftsrecht und erweiterte ihre Forschungen zunehmend auf Fragen der jüngeren juristischen Zeitgeschichte. Als eine der ersten Stimmen aus der universitäten Rechtswissenschaft hinterfragte sie die Rolle der Justiz im Nationalsozialismus (Justiz im Dritten Reich, 1964, 31979). Besondere Kritik galt dabei Carl Schmitt (1888–1985), in abgeschwächter Form auch Vertretern seiner Schule wie Ernst-Wolfgang Böckenförde (1930–2019). Anders als ihre Position als eine der ersten deutschen Professorinnen der Rechtswissenschaften nahelegt, war die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Rechtsstellung der Frau kein Schwerpunkt in ihrem Werk. Staffs besonderer wissenschaftlicher Einsatz galt der Erinnerung an den bis in die 1970er Jahre weitgehend in Vergessenheit geratenen Staatsrechtslehrer Hermann Heller (1891–1933) und der wechselseitigen Rezeption der italienischen und deutschen Staatsrechtswissenschaft.
Mit ihrem Ehemann war Staff in die linksliberalen Netzwerke im Umfeld der Frankfurter Schule und der Humanistischen Union in Frankfurt am Main eingebunden und befreundet u. a. mit Theodor W. Adorno (1903–1969). Eine besondere Freundschaft verband die Eheleute mit dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903–1968), bei dessen Trauerfeier in Frankfurt am Main Staff eine Gedenkrede hielt.
Staff legte mit ihrem Lebensthema, der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit, und insbesondere durch ihre Lehrtätigkeit und den Einsatz für ein juristisches Grundlagenstudium an ihrer Universität nachhaltig ein Fundament für eine kritische Juristengeneration.
1970 | Mitglied der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer |
1971 | Mitglied der Humanistischen Union (1984 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats) |
1992 | Ordine al merito della Repubblica Italiana, Ufficiale |
1996 | Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland |
2018 | Ilse-Staff-Preis für die beste juristische Hausarbeit, Fachbereich Rechtswissenschaften, Universität Frankfurt am Main (jährlich) |
Nachlass:
Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, Nachlass Curt und Ilse Staff.
Weitere Archivmaterialien:
Universitätsarchiv Frankfurt am Main. (Personalakte)
Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Grass-Archiv. (Brief mit Hilke Osohling an Günter Grass und Wolfram Schütte, 1998/99)
Deutsches Exil-Archiv 1933–1945, Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Nachlass Margarete Buber-Neumann. (Brief an Margarete Buber-Neumann, undatiert)
Monografien:
Ilse Hupe, Das Gnadenrecht. Eine rechtsphilosophisch-historische Betrachtung, 1954. (ungedr. Diss. iur.)
Das Hessische Hochschulgesetz. Kommentar, 1967.
Rechtskunde für junge Menschen, 1967, 61979.
Die Rechtsstellung der Parlamentarischen Staatssekretäre, 1970.
Wissenschaftsförderung im Gesamtstaat, 1971. (Habilitationsschrift)
Verfassungsrecht, 1976.
Lehren vom Staat, 1981.
Aufsätze:
Bewältigung der Vergangenheit (I), in: Blätter für deutsche und internationale Politik 8 (1963), S. 871–875.
Gelenkte Justiz. Zerstörung der Rechtsprechung im Dritten Reich, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 49 (1963), S. 3–30.
Das Grundrecht auf Bildung, in: Heinz-Joachim Heydorn/Berthold Simonsohn/Friedrich Hahn/Anselmus Hert (Hg.), Bildung und Konfessionalität, 1967, S. 109–126.
In memoriam Fritz Bauer, in: Tribüne 7 (1968), S. 1857–1859.
Schulaufsicht und pädagogische Freiheit des Lehrers, in: Die öffentliche Verwaltung 22 (1969), S. 627–630.
Neue Perspektiven der Bildungsplanung? Ein Beitrag zum Zwischenbericht der Enquȇte-Kommission für Fragen der Verfassungsreform, in: Die öffentliche Verwaltung 26 (1973), S. 725–732.
Hermann Heller. Demokratische Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, in: Juristische Schulung 24 (1984), S. 669–672.
Zum Begriff der Politischen Theologie bei Carl Schmitt, in: Ilse Staff/Gerhard Dilcher (Hg.), Christentum und modernes Recht. Beiträge zum Problem der Säkularisation, 1984, S. 182–210.
Der soziale Rechtsstaat. Zur Aktualität der Staatstheorie Hermann Hellers, in: Ilse Staff/Christoph Müller (Hg.), Der soziale Rechtsstaat. Gedächtnisschrift für Hermann Heller 1891–1933, 1984, S. 25–41.
Schul- und Hochschulrecht, in: Hans Meyer/Michael Stolleis (Hg.), Hessisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1986, S. 421–441.
Die Wahrung staatlicher Ordnung. Ein Beitrag zum technologischen Staat und seinen rechten Propheten Carl Schmitt und Ernst Forsthoff, in: Leviathan 15 (1987), S. 141–164.
Fritz Bauer (1903–1968). „Im Kampf um des Menschen Rechte“, in: Thomas Blanke (Hg.), Streitbare Juristen. Eine andere Tradition. Jürgen Seifert, Mithg. der Kritischen Justiz, zum 60. Geburtstag, 1988, S. 440–450.
Hermann Heller, in: Bernhard Diestelkamp/Michael Stolleis (Hg.), Juristen an der Universität Frankfurt am Main, 1989, S. 187–199.
Verfassungstheoretische Probleme in der demokratischen Republik Italien. Ein Beitrag zur Staatstheorie Constantino Mortatis, in: Der Staat 35 (1996), S. 271–283.
Staatstheorie und Verwaltung im nationalsozialistischen Deutschland und im faschistischen Italien, in: Jahrbuch für europäische Verwaltungsgeschichte 10 (1998), S. 49–72.
Kompetenzerweiterung des Bundesverfassungsgerichts durch Böckenförde, in: Kritische Justiz 32 (1999), S. 103 f.
Zur Rezeption totalitärer Staatstheorie in Italien, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 82 (1999), S. 444–451.
Der Nomos Europas. Anmerkungen zu Carl Schmitts Konzept einer Weltpolitik, in: Charlotte Gaitanides/Stefan Kadelbach/Gil Carlos Rodriguez Iglesias (Hg.), Europa und seine Verfassung. Festschrift für Manfred Zuleeg zum siebzigsten Geburtstag, 2005, S. 35–45.
Das rechtliche Steuerungspotential im NS-Staat im Blickwinkel des italienischen Faschismus, in: Dieter Gosewinkel (Hg.), Wirtschaftskontrolle und Recht in der nationalsozialistischen Diktatur, 2005, S. 383–420.
Unser schönes Hessenland, in: Rechtsgeschichte 11 (2007), S. 200–205.
Herausgeberschaft:
Justiz im Dritten Reich. Eine Dokumentation, 1964, 21978. (zugangsbeschränkte Onlineressource)
Bettina von Arnim, Dies Buch gehört dem König, 1982.
Dokumentarfilm:
Das Bild des deutschen Richters. Eine kritische Untersuchung von Ilse Staff, Norddeutscher Rundfunk 1965.
Irmtrud Wojak, Fritz Bauer 1903–1968. Eine Biographie, 2009, S. 12, 17 f., 21, 23 u. 460.
Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 4, 2012, S. 144, 426 u. 639.
Ute Sacksofsky, Ilse Staff, die erste deutsche Staatsrechtslehrerin, in: 100 Jahre Rechtswissenschaft in Frankfurt. Herausforderungen, Erwartungen, Erfahrungen, 2014, S. 185–200.
Stefan Kadelbach, Ilse Staff, in: UniReport 51 (2018), Ausg. 1/2018 vom 1.2.2018, S. 22. (Nachruf)
Ute Sacksofsky, Kritische Vorreiterin und erste deutsche Staatsrechtslehrerin. Nachruf auf Ilse Staff (1928–2017), in: Kritische Justiz 51 (2018), S. 3-6.
Rosemarie Will, Die Vergangenheit erinnern. Nachruf für Ilse Staff, in: vorgänge 221/222 (2018), S. 229–232. (Onlineressource)
Ulrike Schultz/Anja Böning/Ilka Peppmeier/Silke Schröder, De jure und de facto. Professorinnen in der Rechtswissenschaft, 2018.
Ute Sacksofsky, Ilse Staff (1928–2017), in: Michael Kilian/Heinrich Amadeus Wolff/Peter Häberle (Hg.), Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts. Nachtragsband Deutschland - Österreich - Schweiz, 2024, S. 80–95. (P)