Schlegel, Willhart

Lebensdaten
1912 – 2001
Geburtsort
Bad Soden am Taunus
Sterbeort
Bad Homburg vor der Höhe (Taunus)
Beruf/Funktion
Sexualforscher ; Internist ; Dichter ; Arzt ; Schriftsteller
Konfession
evangelisch-lutherisch, seit 1935 „gottgläubig“
Normdaten
GND: 108205517 | OGND | VIAF: 59623324
Namensvarianten

  • Schlegel, Willhart Siegmar
  • Schlegel-Privat, Willhart
  • Privat, Roger de Saint
  • Schlegel, Willhart
  • Schlegel, Willhart Siegmar
  • Schlegel-Privat, Willhart
  • Privat, Roger de Saint
  • Schlegel, Willhart S.
  • Saint Privat, Roger de
  • Schlegel, W. S.
  • Schlegel-Privat, Willhart Siegmar

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Zitierweise

Schlegel, Willhart, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd108205517.html [02.04.2025].

CC0

  • Schlegel, Willhart Siegmar (auch Willhart Schlegel-Privat)

    Pseudonym: Roger de Saint Privat

    1912 – 2001

    Sexualforscher, Internist, Dichter

    In den 1960er Jahren dominierte der Hamburger Arzt Willhart S. Schlegel die populärwissenschaftlichen Diskussionen um die Frage der Reform des Sexualstrafrechts in der Bundesrepublik. Er bewarb die freie Entfaltung von Sexualität, worunter er neben der Hetero- und Homosexualität der Erwachsenen intergenerationelle Beziehungen verstand. Mit seiner These, wonach die sexuelle Veranlagung angeboren und somit die Bestrafung ihrer Ausübung widernatürlich sei, trug er mit zur Reform des Sexualstrafrechts und zur sexuellen Revolution bei.

    Lebensdaten

    Geboren am 13. August 1912 in Bad Soden am Taunus
    Gestorben am 25. Januar 2001 in Bad Homburg vor der Höhe (Taunus)
    Grabstätte Friedhof (aufgelassen) in Kronberg im Taunus
    Konfession evangelisch-lutherisch, seit 1935 „gottgläubig“
    Willhart S. Schlegel, Universitätsarchiv Frankfurt am Main (InC) = Willhart S. Schlegel, 1932, Quelle: Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 604, Nr. 151, Fotograf(in): unbekannt.
    Willhart S. Schlegel, Universitätsarchiv Frankfurt am Main (InC) = Willhart S. Schlegel, 1932, Quelle: Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 604, Nr. 151, Fotograf(in): unbekannt.
  • 13. August 1912 - Bad Soden am Taunus

    1928 - 1932 - Frankfurt am Main-Höchst

    Schulbesuch (Abschluss: Abitur)

    Reformgymnasium

    22.4.1932 - 1945 - Frankfurt am Main

    Mitglied

    NSDAP

    1934 - 1938 - Frankfurt am Main

    Studium der Humanmedizin

    Universität

    1937 - 1939/40 - Frankfurt am Main

    Assistent

    Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene an der Universität

    1938 - Frankfurt am Main

    Promotion (Dr. med.)

    November 1939 - Mai 1945 - u. a. Frankreich; Ostfront; Westerland (Sylt)

    Kriegsdienst als Sanitäter

    1939 Luftwaffen-Sanitäts-Ersatzkompanie 12; 1939 Fliegerhorstkommandantur Eschwege; seit 1940 Sanitätsersatzkompanie 6; seit 1942 Luftwaffen-Felddivision 6

    1946 - 1948 - Westerland

    Facharztausbildung zum Internisten

    Nordsee-Klinik Sylt

    1955 - 1984 - Hamburg

    Internist

    eigene Praxis

    1970 - 1972 - Hamburg

    Lehrbeauftragter für Anthropologie und Sexualmedizin

    Universität

    25. Januar 2001 - Bad Homburg vor der Höhe (Taunus)

    Schlegel war Zeit seines Lebens bemüht, Details seiner Herkunft und Karriere vor 1945 zu verschleiern; Zeitgenossen und Historiker folgten seinen Darstellungen. Die von ihm behauptete Ehe und die Geburt des Sohns gab es ebenso wenig wie die Universitätskarrieren seines Vaters und Großvaters. Trotz gegenteiliger Behauptungen war er nicht der Enkel des Mathematikers Viktor Schlegel (1843–1905). Auch die in der Literatur kolportierten Geschwister sind ebenso erfunden wie die bürgerliche Atmosphäre in Bad Soden am Taunus und die spätere Distanz zum NS-Regime. Schlegel wurde zwar in Bad Soden geboren, wuchs aber in Frankfurt-Höchst auf, wo er 1932 das Abitur erhielt und anschließend Medizin in Frankfurt am Main studierte. Er spezialisierte sich auf Innere Medizin und wurde noch während des Studiums 1937 Mitarbeiter am Institut für Erbbiologie unter Othmar von Verschuer (1896–1969), wo er Kollege Josef Mengeles (1911–1979) war.

    Seit 1932 Mitglied der NSDAP, diente Schlegel im Zweiten Weltkrieg bei der Luftwaffe. Während dieser ärztlichen Tätigkeit infizierte er sich mit Tuberkulose, weshalb er sich einer längeren Behandlung unterziehen musste. 1948 schloss er seine Facharztausbildung in der Nordsee-Klinik Sylt ab. Seit den frühen 1950er Jahren betätigte er sich in der Sexualforschung und kombinierte die Konstitutionslehren Ernst Kretschmers (1888–1964) mit den Ergebnissen der Arbeiten Magnus Hirschfelds (1868–1935) und der Studien am Institut für Erbbiologie. Schlegel behauptete, dass der sexuelle Trieb weitgehend angeboren und spätestens mit Einsetzen der Pubertät unveränderlich sei. Eine strenge Sexualkontrolle durch Pädagogen und Theologen lehnte er ab und bewarb in engem Schulterschluss zur homosexuellen Emanzipationsbewegung eine umfassende Liberalisierung des Sexualstrafrechts. Hierbei geriet er frühzeitig in Konflikt mit der etablierten Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung und ihren Proponenten Hans Giese (1920–1970) sowie Hans Bürger-Prinz (1897–1976). Während Schlegel die Theorie vertrat, dass Homosexualität angeboren sei, ließen Giese und Bürger-Prinz diese Fragen offen.

    Schlegel wurde 1965 in der Bundesrepublik bekannt durch sein verbreitetes Aufklärungswerk „Sexuelle Partnerschaft“. 1966 auf Betreiben von Bürger-Prinz von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften auf den Index gesetzt, steigerte es Schlegels Popularität und machte ihn zum gefragten Ansprechpartner der Tagespresse. Sein Buch wurde als deutschsprachiger Gegenentwurf zu den „Kinsey-Reports“ (1948/53) beworben und vielfach in der Presse und Populärwissenschaft verwendet.

    Schlegel thematisierte die NS-Vergangenheit seiner Konkurrenten und erinnerte 1967 erstmals an das Schicksal homosexueller Menschen im Nationalsozialismus. Nach dem Tod Gieses unterrichtete er 1970 kurzzeitig Sexualwissenschaft an der Universität Hamburg, geriet aber aufgrund seiner konservativen Ansichten und der Ablehnung der neuen, von ihm ursprünglich mit initiierten „Schwulenbewegung“ ins Abseits.

    Schlegel wandte sich in dieser Zeit politisch den Konservativen zu und entwickelte ein Interesse für Schriftstellerei und Dichtkunst. Unter Pseudonym veröffentlichte er Essays und Gedichte. Über seinen Mitarbeiter Johannes Werres (1923–1990) beeinflusste er bis Ende der 1970er Jahre die Inhalte der bundesdeutschen homosexuellen Presselandschaft. Seit den 1970er Jahren stand er im Austausch mit Margarete Buber-Neumann (1901–1989), Franz-Josef Strauß (1915–1988) und Hubertus Prinz zu Löwenstein (1906–1984) zur weiteren Reform des § 175, nach dem homosexuelle Handlungen strafrechtlich verfolgt wurden. 1984 zog sich Schlegel nach Kronberg im Taunus zurück.

    1950–1966 Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung
    1978 Mitglied des Landesverbands Hessen des Freien Deutschen Autorenverbandes (1978–1989/90 Vorstandsmitglied)

    Nachlass:

    nicht bekannt.

    weitere Archivmaterialien:

    Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, HA II, Rep. 47, 1300, HA III, 086A-089 u. HA III, 086A, 204, 243, 291 u. 579. (Korrespondenz zu Schlegel)

    Archiv der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz, Bonn. (Akte zu Verbotsverfahren)

    Archiv der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn. (Akten zu Anträgen)

    Archiv der Kurt-Hiller-Gesellschaft, Berlin. (Korrespondenz)

    Archiv für Christlich-Soziale Politik, München, NL Franz-Josef-Strauß. (Korrespondenz)

    Bundesarchiv, Berlin-Lichtenfelde, R9 347 Reichsärzteregister, R9 361-VII/VIII/IX. (Karteikarte zu NSDAP-Mitgliedschaft)

    Bundesarchiv, Koblenz, BW 24/785, AZ 42-13-26. (Akten des Sanitäts- und Gesundheitswesens der Bundeswehr)

    Deutsches Literaturarchiv, Marbach, NL Joseph Breitbach. (Korrespondenz)

    Deutsches Exilarchiv, Frankfurt am Main, NL Margarete Buber-Neumann, EB 89/193-B.02.0134. (Korrespondenz)

    Staatsarchiv Hamburg, 352-6_1117. (Unterlagen zu Schlegels anthropologischen Untersuchungen an Hamburger Schülern)

    Stadtarchiv Bad Soden. (Geburtsurkunde)

    Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 126, Nr. 2073, Abt. 604, Nr. 151. (Personalakte)

    Wellcome Center London, Papers of Charlotte Wolff, EP_002233_001. (Korrespondenz)

    Ein klinisch-erbbiologischer Beitrag zur Frage der Asthenie, in: Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie 38 (1939), S. 175–209. (Diss. med.)

    Körper und Seele. Eine Konstitutionslehre für Ärzte, Juristen, Pädagogen und Theologen, 1957.

    Die Sexualinstinkte des Menschen. Eine naturwissenschaftliche Anthropologie der Sexualität, 1962, franz. 1964, ital. 1965.

    Sexuelle Partnerschaft in Ehe und Gesellschaft. Variationen und Perversionen, 1965, Nachdr. 1967, 1969.

    Das große Tabu. Zeugnisse und Dokumente zum Problem der Homosexualität, 1967. (Hg.)

    Willhart Schlegel/Ludwig von Brunn/Helmuth Leonhardt/Herbert Lewandowsky/Günter Pössinger (Hg.), Lexikon der Sexualität, 1969.

    Ägäische Legende, 1971. (unter dem Pseudonym Roger de Saint Privat)

    Die Bisexualität des Mannes. Die unterschiedlichen Menschentypen, 1994.

    Rolf. Eine zeitgeschichtliche Erzählung, 1995. (Autobiografie) (P)

    Detlef von Zerssen, Die „Anthropologie der Sexualität“ in naturwissenschaftlicher Sicht, in: Jahrbuch für Psychologie 12 (1965), S. 319–327.

    Heinz Hunger, Die Lehre W. S. Schlegels über die Sexualinstinkte des Menschen als Gefährdung des sexualpädagogischen Anliegens, in: Hans Bürger-Prinz/Hans Giese (Hg.), Sexualität in Wort und Bild. Das Problem Jugendschutz und Sexualität im Alter. Vorträge, gehalten auf dem 9. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung vom 9.–11. Juni 1966 in Rinteln, 1967, S. 110–121.

    Florian G. Mildenberger/Wolfram Setz, Goethe und das Schwarzbunte oder: Konstitutionsbiologie und Literatur. Willhart S. Schlegel und Roger de Saint Privat, in: Forum Homosexualität und Literatur 43 (2005), S. 43–55.

    Volkmar Sigusch, Geschichte der Sexualwissenschaft, 2008, S. 394–396 u. 445.

    Florian G. Mildenberger, Art. „Willhart S. Schlegel“, in: Volkmar Sigusch/Günter Grau (Hg.), Personenlexikon der Sexualforschung, 2009, S. 629–631.

    Robert Pausch, Konstitutionsforschung und Männerbund. Werk und Wirken des Sexualforschers Willhart S. Schlegel, in: Zeitschrift für Sexualforschung 29 (2016), S. 1–20.

    Moritz Liebeknecht, Wissen über Sex. Die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung im Spannungsfeld westdeutscher Wandlungsprozesse, 2020, S. 112 f., 225, 228–231, 248 u. 259.

    Fotografien, Bundesarchiv Berlin-Lichtenberg, R 9361-VIII NSDAP-Zentralkartei.

  • Autor/in

    Florian G. Mildenberger (Düsseldorf)

  • Zitierweise

    Mildenberger, Florian G., „Schlegel, Willhart“ in: NDB-online, veröffentlicht am 1.4.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/108205517.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA