Pöhl, Karl-Otto
- Lebensdaten
- 1929 – 2014
- Geburtsort
- Hannover
- Sterbeort
- Zürich
- Beruf/Funktion
- Volkswirt ; Staatssekretär ; Bundesbankpräsident ; Wirtschaftswissenschaftler ; Wirtschaftsjournalist
- Konfession
- evangelisch-lutherisch
- Normdaten
- GND: 107017385 | OGND | VIAF: 47270393
- Namensvarianten
-
- Pöhl, Karl-Otto
- Pöhl, Karl Otto
- Pöhl, Karl O.
- Pöhl, Karl-Otto
- Pöhl, Carl-Otto
- Pöhl, Carl Otto
- Pöhl, Carl O.
- Pöhl, Carl-Otto
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- Axel Weber (geb. 1957)
- Edouard Balladur (geb. 1929)
- Hans-Dietrich Genscher (1927–2016)
- Helmut Kohl (1930–2017)
- Helmut Schmidt (1918–2015)
- Jacques Delors (1925–2023)
- Josef Esch (geb. 1956)
- Karl Schiller (1911–1994)
- Margaret Thatcher (1925–2013)
- Otmar Emminger (1911–1986)
- Theo Waigel (geb. 1939)
- Willy Brandt (1912–1992)
- zugangsbeschränkte Onlineressource
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Pöhl, Karl-Otto
1929 – 2014
Volkswirt, Staatssekretär, Bundesbankpräsident
Karl-Otto Pöhl war einer der Architekten der heutigen europäischen Finanz- und Währungsordnung. Von Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918–2015) 1980 zum Präsidenten der Deutschen Bundesbank ernannt, verfolgte er entgegen Schmidts Erwartungen eine eher restriktive Politik der Geldwertstabilität. Unter Bundeskanzler Helmut Kohl (1930–2017) warnte er vor einer überstürzten deutsch-deutschen Währungsunion. Im Vorfeld der von ihm skeptisch betrachteten europäischen Währungsunion trug er wesentlich zur Übertragung des deutschen Zentralbankmodells auf die europäische Ebene bei.
Lebensdaten
Geboren am 1. Dezember 1929 in Hannover Gestorben am 9. Dezember 2014 in Zürich Konfession evangelisch-lutherisch -
Autor/in
→Harold James (Princeton, New Jersey, USA)
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Zitierweise
James, Harold, „Pöhl, Karl-Otto“ in: NDB-online, URL: https://www.deutsche-biographie.de/107017385.html#dbocontent
Herkunft, Ausbildung und Position als Staatssekretär
Pöhl wuchs in bescheidenen Verhältnissen in Hannover auf. Er besuchte seit 1935 die Volksschule, das Realgymnasium und die Freie Waldorfschule in Hannover, 1951 erhielt er das Zeugnis über die Hochschulreife-Begabtenprüfung. Er studierte zunächst drei Semester an der Hochschule für Arbeit Politik und Wirtschaft in Wilhelmshaven-Rüstersiel, ab 1952 bis zu seinem Diplom 1955 Volkswirtschaft an der Universität Göttingen, wo er seinen Lebensunterhalt als Sportjournalist finanzierte. 1948 wurde er Mitglied der SPD. 1955 trat er eine Stelle als Abteilungsleiter für Publizistik am ifo Institut in München an. 1961 wechselte er in den Wirtschaftsjournalismus und schrieb für die Wirtschaftszeitung „Der Volkswirt“ und die Wochenzeitung „DIE ZEIT“. Nach dem Wahlsieg der SPD ging er 1969 in das Bundeswirtschaftsministerium unter Karl Schiller (1911–1994) und wurde Berater von Bundeskanzler Willy Brandt (1912–1992), bevor er 1972 im Bundesfinanzministerium unter Helmut Schmidt (1918–2015) zum Staatssekretär für Grundsatzfragen der Finanz-, Kredit- und Währungspolitik ernannt wurde. Dort fungierte er als Chefunterhändler bei den G7-Gipfeltreffen der wichtigsten westlichen Industriestaaten.
Bundesbankpräsident
Schmidt, der die unabhängige Bundesbank unter dem Präsidenten Otmar Emminger (1911–1986) als stetigen Bremser bei seiner Europapolitik und dem Aufbau eines Deutsch-Französischen Bündnisses für ein neues Europäisches Währungssystem betrachtete, bezweckte mit der Ernennung seines Freundes Pöhl zu deren Vize-Präsidenten 1977 und Präsidenten 1980 eine Änderung der Bundesbankpolitik in seinem Sinne. Pöhl führte jedoch die traditionellen geldpolitischen Prioritäten der Bundesbank mit ihrer Hochzins- und Währungsstabilitätspolitik fort und betrachtete sie als ein wirtschaftspolitisches Gegengewicht zur sozialliberalen Regierung und deren kreditfinanzierten staatlichen Investitionsprogrammen.
Europäische Währungsunion
Auch unter der CDU-Regierung Helmut Kohls (1930–2017) war Pöhl uneins mit der Bundesregierung, insbesondere Ende der 1980er Jahre bei den Planungen für eine europäische Währungsunion auf Initiative des französischen Außenministers Edouard Balladur (geb. 1929) und des bundesdeutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher (1927–2016) 1988, die er zunächst ablehnte. Auf Pöhls Intervention wurde der von dem Präsidenten der Europäischen Kommission, Jacques Delors (1925–2023), geleitete Sachverständigenausschuss zur Prüfung der Umsetzung einer Währungsunion mehrheitlich aus Zentralbankpräsidenten, darunter auch Pöhl, zusammengesetzt. Pöhl versuchte, die Arbeit des Ausschusses zu blockieren, unterstützt von der britischen Premierministerin Margaret Thatcher (1925–2013), musste aber wegen seiner weitgehenden Isolation dem Abschlussbericht des Ausschusses vom 17. April 1989 zustimmen, der den Weg in die europäische Währungsunion ebnete. Er erreichte jedoch die Einfügung einer fiskalischen Regel in den Bericht, die das öffentliche Defizit begrenzte, das im Maastricht-Vertrag von 1992 auf 3 % des Bruttoinlandsprodukts festgelegt wurde.
Anschließend suchte Pöhl das Statut der neuen Institution der Europäischen Zentralbank (EZB) eng an die Traditionen der Bundesbank anzulehnen. Seine Vorschläge als Vorsitzender des Ausschusses der Zentralbankpräsidenten der EWG beinhalteten Formulierungen über die Unabhängigkeit der EZB, die Verwendung der Geldmenge als Zwischenziel für die Geldpolitik sowie über Neuerungen im institutionellen Aufbau, einschließlich einer Änderung der Sitzordnung, um die Teilnahme am Runden Tisch auf die Zentralbankpräsidenten und wenige andere zu beschränken. Mit diesen Forderungen, die eine Kontinuität zwischen der Bundesbank und der EZB herstellten, setzte er sich durch.
Deutsche Einheit
Ein zweiter Konflikt Pöhls mit der Regierung Kohl entzündete sich an der Frage der währungspolitischen Folgen der deutschen Einheit. Im Februar 1990 bezeichnete Pöhl die deutsche Währungsunion als „sehr phantastische Idee“ und setzte sich in der Folgezeit mit der Bundesbank für einen realistischen Wechselkurs zwischen Ost-Mark und D-Mark ein. Er kritisierte scharf die von Kohl aus politischen Gründen ohne Rücksprache mit der Bundesbank getroffene Entscheidung für einen Umrechnungskurs Ost-Mark zu D-Mark von teilweise 1:1, teilweise 2:1, was er mit der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft begründete, die zur Schließung von Fabriken und hoher Arbeitslosigkeit führen würde.
Rücktritt als Bundesbankpräsident
Im Mai 1991 kündigte Pöhl überraschend seinen Rücktritt als Bundesbankpräsident aus persönlichen Gründen an, was auch auf sein verschlechtertes Verhältnis zu Kohl und v. a. seine Frustration über die deutsche Finanzpolitik nach der deutschen Wiedervereinigung zurückgeführt wurde. Während Pöhl auf Steuererhöhungen gedrängt hatte, um deren Kosten zu finanzieren, war dies von Finanzminister Theo Waigel (geb. 1939) zurückgewiesen und politischen Argumenten erneut der Vorrang gegeben worden.
1992 wurde Pöhl Teilhaber, 1993 Sprecher der Teilhaber der Kölner Privatbank Sal. Oppenheim in einer Zeit, in der die Bank sich immer enger mit dem Bauunternehmer und Anbieter von Immobilienfonds Josef Esch (geb. 1956) verband. Pöhl verließ Oppenheim 1998.
Einordnung und Nachwirkung
Pöhls Rücktritt wurde zum Muster für nachfolgende Bundesbankpräsidenten, insbesondere Axel Weber (geb. 1957), die zurücktraten, als sie feststellten, dass sie in den Debatten im EZB-Rat minorisiert wurden. Pöhl diagnostizierte die Unzulänglichkeiten und Probleme der Währungsunion richtig, jedoch ist die Schaffung der EZB als einer unabhängigen europäischen Notenbank nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank, die Pöhl als eine seiner wichtigsten Errungenschaften betrachtete, insofern ambivalent, als die Bundesbank durch Pöhls Schritte bei europäischen und internationalen Währungsangelegenheiten kein Vetorecht mehr hat, was sie bei der Gestaltung der europäischen Geldpolitik praktisch obsolet werden ließ.
1975 | Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1977 Großes Verdienstkreuz, 1984 mit Stern und Schulterband, 1991 Großkreuz) |
1983 | Dr. h. c., Georgetown University, Washington DC |
1983 | Dr. rer. pol. h. c., Universität Bochum |
1985 | Großes Silbernes Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich |
1987 | Karl-Bräuer-Preis des Bundes der Steuerzahler (dreijährlich) |
1987 | Dr. h. c., University of Maryland |
1988 | Großkreuz des Verdienstordens der Italienischen Republik |
1990 | Hessischer Verdienstorden |
1990 | Kommandeur des schwedischen Königlichen Nordstern-Ordens |
1991 | Großkreuz des Verdienstordens des Großherzogtums Luxemburg |
1991 | Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik |
1992 | Kommandeur der französischen Ehrenlegion |
1992 | Großkreuz des Ordens von Oranien-Nassau des Königreichs der Niederlande |
1992 | Dr. h. c., University of Buckingham |
1992 | Dr. h. c., University of London |
2000 | Dr. h. c., Universität Frankfurt am Main |
Nachlass:
Historisches Archiv der Deutschen Bundesbank, Frankfurt am Main, N 4, Nachlass Karl Otto Pöhl.
Weitere Archivmaterialen:
Universitätsarchiv Göttingen, Akte der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft Wilhelmshaven-Rüstersiel, Wilh. Stud. 13 u. Matrikelbücher.
Bundesarchiv, Koblenz, Bestand Deutsche Bundesbank, BArch B 330.
Europäische Zentralbank, Frankfurt am Main, Archiv, Sitzungen des Ausschusses der Zentralbankpräsidenten, Tagesordnungen, Protokolle 1964 bis 1993. (Onlineressource)
Europäische Zentralbank, Frankfurt am Main, Archiv, Der Delor-Ausschuss (1988/1989), Dokumente. (Onlineressource)
Bayer in der Welt, 1958.
Wirtschaftliche und soziale Aspekte des technischen Fortschritts in den USA. Ein Bericht im Auftrag der Stiftung Volkswagenwerk. Mit dem Bericht einer amerikanischen Sachverständigen-Kommission, 1967.
Aktuelle Probleme der Währungspolitik. Wiedergabe eines am 5. November 1973 im Institut für Finanzwissenschaft und Steuerrecht gehaltenen Vortrages, 1974.
Probleme der internationalen Währungs- und Wirtschaftspolitik. Vortrag am 6. April 1977 im Institut für Weltwirtschaft, 1977.
Aspekte deutscher und internationaler Währungspolitik. Aus der Vortragsreihe des Verbandes Österreichischer Banken und Bankiers, 1983.
Karl Otto Pöhl/Otto Wolff von Amerongen (Hg.), Kapital, Zins, Währung. DIHT-Kongress in Frankfurt 18. u. 19. Oktober 1983, 1984.
Aktuelle Fragen der Währungspolitik, 1985.
Gemeinsamer Binnenmarkt und europäische Währungsunion, 1989.
Kenneth H. Dyson/Kevin Featherstone, The Road to Maastricht. Negotiating Economic and Monetary Union, 1999.
Harold James, Making the European Monetary Union, 2012.
Harold James, Karl Otto Pöhl. The Pole Position, in: ders., Architects of the Euro, 2016, S. 170–192.
Markus Brunnermeier/Harold James/Jean-Pierre Landau, Euro. Der Kampf der Wirtschaftskulturen, 2018. (zugangsbeschränkte Onlineressource)
Clemens Krauss, Geldpolitik im Umbruch. Die Zentralbanken Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland in den 1970er Jahren, 2021.
Rudolf Augstein, Pöhls Hinschmiß, in: Der Spiegel Nr. 21 v. 19.5.1991.
Karl Otto Pöhl ist tot, in: WirtschaftsWoche v. 10.12.2014.
Gedenkfeier: Bundesbank gedenkt Karl Otto Pöhls, 14.1.2014, in: Deutsche Bundesbank.
Europäische Zentralbank, Geschichte, in: EZB.
Dr. h. c. mult. Karl Otto Pöhl, Lebenslauf, Nachruf, in: Deutsche Bundesbank. (P)
Fotografien, 1974–1999, Digitales Bildarchiv des Bundesarchivs. (Onlineressource)