Nicolai, Walter
- Lebensdaten
- 1873 – 1947
- Geburtsort
- Braunschweig
- Sterbeort
- Moskau
- Beruf/Funktion
- Offizier ; Spion ; Oberst
- Konfession
- evangelisch-lutherisch
- Normdaten
- GND: 12327110X | OGND | VIAF: 30440642
- Namensvarianten
-
- Nicolai, Walter Immanuel
- Nicolai, Walter
- Nicolai, Walter Immanuel
- Nicolai, Walther
- Nikolai, Val'ter
- Nikolai, Val'ter G.
- Nikolai, Walter
- Nicolai, Walther Immanuel
- Nikolai, Val'ther
- Nikolai, Val'ther G.
- Nikolai, Walther
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Nicolai, Walter
1873 – 1947
Offizier
Walter Nicolai gilt als früher Organisator des Geheimdienstes im deutschen Kaiserreich. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs stieg er zu einer der militärischen Schlüsselfiguren in den Feldern Nachrichtendienst, Presse, Propaganda und innere Sicherheit auf. Mit der Niederlage von 1918 fand seine Karriere ihr Ende. In der Folge trat Nicolai als Publizist und als Berater rechtsgerichteter Organisationen in Erscheinung.
Lebensdaten
Geboren am 1. August 1873 in Braunschweig Gestorben am 4. Mai 1947 in Moskau Grabstätte Donskoi-Friedhof in Moskau Konfession evangelisch-lutherisch -
Autor/in
→Markus Pöhlmann (Potsdam)
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Zitierweise
Pöhlmann, Markus, „Nicolai, Walter“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.04.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/12327110X.html#dbocontent
Nicolai entstammte einer Familie von Pastoren und Amtsmännern aus dem Herzogtum Anhalt und der preußischen Provinz Sachsen, die nach dem Tod seines Vaters infolge einer Verwundung aus dem Krieg 1870/71 in wirtschaftliche Notlage geriet. Nicolai besuchte das Gymnasium in Halberstadt und erhielt eine Kadettenausbildung in Diez an der Lahn und Berlin. 1893 trat er in das Infanterieregiment Nr. 12 in Göttingen ein. Von 1900 bis 1903 absolvierte er die Generalstabsausbildung an der preußischen Kriegsakademie in Berlin. Sein weiterer militärischer Werdegang verlief – mit Ausnahme eines Truppenkommandos in Erfurt von 1910 bis 1912 – ausschließlich in Stabsverwendungen des militärischen Nachrichtenwesens (Hauptmann 1906). So baute Nicolai von 1906 bis 1910 in Königsberg den neugeschaffenen Posten des Nachrichtenoffiziers auf, der im Bereich des dortigen I. Armeekorps die Spionage gegen Russland betrieb.
1912 zum Major befördert, übernahm Nicolai, der russisch, englisch, französisch und japanisch sprach, als Nachfolger von Wilhelm Heye (1869–1947) die Führung der für geheimen Nachrichtendienst zuständigen Sektion IIIb des Großen Generalstabs. Diese wurde zu Beginn des Ersten Weltkriegs bei der Obersten Heeresleitung (OHL) angesiedelt und umfasste ein großes Aufgabenfeld – von Spionage, Spionageabwehr und Zensur über die Betreuung der verbündeten und neutralen Militärattachés bis hin zur Pressearbeit und Propaganda. Ihre Heraufstufung zu einer Abteilung im Juni 1915 folgte einem Vorkriegsplan und spiegelte ihre gewachsene Bedeutung innerhalb der OHL. Seit Herbst 1916 konzentrierte sich Nicolai zunehmend auf Propagandafragen und delegierte das operative Nachrichtendienstgeschäft weitgehend an seine für die einzelnen Fronten zuständigen Untergebenen. Die in der Forschungsliteratur als Schlüsseldokument der Totalisierung des Kriegs interpretierten „Leitsätze für den vaterländischen Unterricht unter den Truppen“ vom Juli 1917 trugen weitgehend seine Handschrift. Nicolai galt als Sprachrohr der annexionistischen Siegfriedenpolitik der Dritten OHL unter Paul von Hindenburg (1847–1934) und Erich Ludendorff (1865–1937). Diese Politisierung des Nachrichtendiensts führte dazu, dass er, am 27. Januar 1918 zum Oberstleutnant befördert, nach Kriegsende jedoch nicht mehr in die Reichswehr übernommen wurde und 1920 seinen Abschied als Oberst erhielt.
Nicolai war nicht am verdeckten Wiederaufbau des Nachrichtendiensts der Reichswehr beteiligt und wurde auch bei der Abfassung der amtlichen Geschichte seines Diensts von der Reichswehrführung nicht eingebunden. Grund hierfür war seine Vergangenheit als Exponent der innenpolitischen Überwachung und Zensur während des Kriegs. In der Weimarer Republik betätigte er sich politisch im Umfeld der Deutschnationalen Volkspartei, als „Medienberater“ für die Wehrorganisation „Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten“, als Militärberater für die türkische Armee sowie als Buchautor und Redner. Angebliche Verbindungen zu republikfeindlichen Verschwörerkreisen waren Gegenstand der zeitgenössischen politischen Publizistik, sind aber nicht belegt.
Nicolais Bemühungen, seit Januar 1933 wieder im Nachrichtendienst bzw. in der Propaganda verwendet zu werden, blieben erfolglos. Sowohl die nationalsozialistischen Machthaber als auch die Führung der Wehrmacht betrachteten ihn als Mann der Vergangenheit. Stattdessen erhielt er 1936 eine Anstellung am „Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands“, dessen Sachverständigenbeirat er zeitweilig angehörte und wo er bis Kriegsende an seinen Kriegsaufzeichnungen arbeitete, die Fragment blieben.
Im September 1945 wurde Nicolai in Nordhausen im Harz durch die sowjetische Geheimpolizei festgenommen und nach Moskau verschleppt. Die sowjetischen Behörden nahmen fälschlich an, dass Nicolai eine Graue Eminenz im nationalsozialistischen Geheimdienst gewesen sei und inhaftierten ihn im Moskauer Butyrka-Gefängnis, wo er 1947 an einem Herzinfarkt verstarb. 1999 wurde Nicolai durch die russische Militärstaatsanwaltschaft rehabilitiert. Sein in Moskau archivierter Nachlass bildet eine wichtige Quelle zur Frühgeschichte der deutschen Nachrichtendienste.
1912 | Roter Adlerorden IV. Klasse |
1912 | Offizierskreuz des Österreichisch-Ungarischen Franz-Josephs-Ordens |
1914 | Offizierskreuz des Königlich Italienischen Ritterordens des Hl. Mauritius und Lazarus |
1914 | Eisernes Kreuz II. Klasse |
1915 | Eisernes Kreuz I. Klasse |
1915 | Ritterkreuz I. Klasse des Königlich Sächsischen Albrechts-Ordens mit der Krone und Schwertern |
1916 | Ritterkreuz mit Schwertern des Königlichen Hausordens von Hohenzollern |
Nachlass:
Rossiiskii Gosudarstvenni Voennyi Arkhiv, Moskau, Fonds 1414.
Gedruckte Quellen:
Michael Epkenhans/Gerhard P. Groß/Markus Pöhlmann/Christian Stachelbeck (Hg.), Geheimdienst und Propaganda im Ersten Weltkrieg. Die Aufzeichnungen von Oberst Walter Nicolai 1914 bis 1918, 2018.
Nachrichtendienst, Presse und Volksstimmung im Weltkrieg, 1920.
Nachrichtenwesen und Aufklärung, in: Max Schwarte (Hg.), Der Weltkampf um Ehre und Recht […], Bd. 6, 1921, S. 475–517.
Geheime Mächte. Internationale Spionage und ihre Bekämpfung im Weltkrieg und heute, 1923.
Die Gesamtlage, in: Süddeutsche Monatshefte 21 (1924), H. 7, S. 32–36.
Einblicke in den Nachrichtendienst der Feindstaaten im Bereich der Mittelmächte, in: Friedrich Felger (Hg.), Was wir vom Weltkrieg nicht wissen, 1929, S. 118–131.
Markus Pöhlmann, German Intelligence at War, 1914–1918, in: Journal of Intelligence History 5 (2005), S. 33–62.
Klaus-Walter Frey, Oberst Walter Nicolai, Chef des deutschen militärischen Nachrichtendienstes III B im Großen Generalstab (1913–1918). Mythos und Wirklichkeit. Biographische Beiträge, in: Jürgen W. Schmidt (Hg.), Geheimdienste, Militär und Politik in Deutschland, 2008, 22009, S. 135–198.
Kenneth J. Campbell, Colonel Walter Nicolai. A Mysterious but Effective Spy, in: American Intelligence Journal 27 (2009), H. 1, S. 83–89.
Hans-Jürgen Grönke (Hg.), Nordhäuser Persönlichkeiten aus elf Jahrhunderten, 2009, S. 223 f.
Jürgen W. Schmidt, Gegen Russland und Frankreich. Der deutsche militärische Geheimdienst 1890–1914, 32009.
Lukas Grawe, Deutsche Feindaufklärung vor dem Ersten Weltkrieg. Informationen und Einschätzungen des deutschen Generalstabs zu den Armeen Frankreichs und Russlands 1904 bis 1914, 2017.
Christian Stachelbeck, „Dunkelmann“ oder Bürokrat in Uniform? Walter Nicolai und der militärische Nachrichtendienst im Ersten Weltkrieg, in: Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung 1 (2017), S. 10–13.
Markus Pöhlmann, Oberst Walter Nicolai, in: Lukas Grawe (Hg.), Die militärische Elite des Kaiserreichs. 24 Lebensläufe, 2020, S. 239–248.
Zeichnung v. Arnold Busch (1876–1951), 1916, Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Port. Slg. / Mil. gr. / Nicolai, Walter, Nr. 1.