Lebensdaten
1909 – 2002
Geburtsort
Wien
Sterbeort
Wien
Beruf/Funktion
Widerstandskämpferin ; Juristin ; Ärztin ; Psychoanalytikerin ; Widerstandskämpferin
Konfession
evangelisch (Augsburger Bekenntnis)
Normdaten
GND: 11703228X | OGND | VIAF: 22908364
Namensvarianten
  • Reiner, Ella
  • Lingens, Ella
  • Reiner, Ella
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Lingens, Ella, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd11703228X.html [16.07.2024].

CC0

  • Ella Lingens unterstützte nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich seit 1938 bedrohte Wiener Jüdinnen und Juden v. a. durch Verstecken und Fluchthilfe. Von 1943 bis 1945 in den Konzentrationslagern Auschwitz und Dachau interniert, wirkte Lingens nach dem Zweiten Weltkrieg v. a. als Tuberkuloseärztin. 1980 wurde sie durch die israelische Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt.

    Lebensdaten

    Geboren am 18. November 1908 in Wien
    Gestorben am 30. Dezember 2002 in Wien
    Grabstätte Zentralfriedhof (Ehrengrab, Gr. 40, Nr. 90) (weiterführende Informationen) in Wien
    Konfession evangelisch (Augsburger Bekenntnis)
    Ella Lingens, Yad Vashem (InC)
    Ella Lingens, Yad Vashem (InC)
  • Lebenslauf

    18. November 1908 - Wien

    Oktober 1915 - 1926 - Wien

    Schulbesuch (Abschluss: Matura)

    Mädchen-Volksschule Hilda von Gunesch; seit 1920 Mädchen-Lyzeum Luithlen

    1918 - 1938

    jugoslawische Staatsbürgerin

    1926 - Wien

    Mitglied

    Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs

    Sommersemester 1927 - Sommersemester 1931 - Wien; Zürich

    Studium der Rechtswissenschaften

    Universität

    13.5.1932 - Wien

    Promotion (Dr. iur.)

    Universität

    1935 - Dezember 1945 - Wien; München; Marburg an der Lahn

    Studium der Humanmedizin (1942–1945 unterbrochen durch Inhaftierung)

    Universität

    7.2.1938

    deutsche Staatsbürgerin

    13.10.1942 - 15.2.1943 - Wien

    Verhaftung durch die Gestapo; Inhaftierung

    Polizeigefängnis Roßauer Lände

    15.2.1943 - 19.11.1944 - Auschwitz-Birkenau

    Inhaftierung; April 1943 schwere Flecktyphus-Erkrankung

    Konzentrationslager

    4.12.1944 - 29.4.1945 - Dachau

    Inhaftierung

    Konzentrationslager

    1.7.1945 - 1948 - Kötschach-Mauthen (Kärnten)

    Tuberkuloseärztin

    Heilstätte Laas

    17.9.1946

    österreichische Staatsbürgerin

    1948 - ca. 1952 - Alland (Niederösterreich)

    Ärztin

    Heilstätte

    1952 - ca. 1954 - Wien

    städtische Fürsorgeärztin

    1954 - 1973 - Wien

    ärztliche Fachreferentin; Leiterin des Tuberkulosereferats

    Bundesministerium für soziale Verwaltung (Sozialministerium)

    1964 - 1965 - Frankfurt am Main

    Zeugin im Auschwitz-Prozess in 22 Fällen

    1975 - 1988

    verantwortliche Redakteurin

    Sigmund Freud House Bulletin

    30. Dezember 2002 - Wien
  • Genealogie

    Vater Friedrich Reiner römisch-katholisch; Bahnbeamter; später Besitzer des Landguts Ernestinovo (Slawonien, Kroatien)
    Mutter Elsa Reiner, geb. Thommen evangelisch (Augsburger Bekenntnis)
    Großvater mütterlicherseits Achilles Thommen 25.5.1832–21.8.1893 aus Basel; Bahnbauingenieur; 1867–1869 Direktor der Österreichisch-Ungarischen Staatseisenbahngesellschaft; 1869 königlicher Rat; seit 1883 k.k. Oberbaurat in Wien
    Großmutter mütterlicherseits Emma Thommen, geb. Bratanisch
    Bruder Friedl Reiner
    Schwester Edith Reiner
    Schwester Hertha Reiner
    Bruder Helmut Reiner
    Heirat 7.3.1938
    Ehemann Kurt Maria Lingens 31.5.1912–1966 (oder 1967) aus Düsseldorf; Arzt; Widerstandskämpfer; am 23.10.1942 verhaftet, anschließend einer Strafkompanie in der Sowjetunion zugeteilt, hier schwer verwundet; nach dem Zweiten Weltkrieg als Psychiater in den USA tätig
    Schwiegervater Walther Lingens 14.3.1882–28.1.1940 aus Aachen; Verwaltungsbeamter; 1932–1935 Polizeipräsident in Köln
    Schwiegermutter Eugenie (Nini) Lingens, geb. Piedboeuf 22.8.1886–20.6.1917 Tochter des Louis Piedboeuf (1838–1891), belgischer Ingenieur und Unternehmer, Dampfkesselfabrikant in Düsseldorf
    Scheidung 1947
    Sohn Peter Michael Lingens geb. 3.8.1939 Journalist, Publizist, Herausgeber
    Diese Grafik wurde automatisch erzeugt und bietet nur einen Ausschnitt der Angaben zur Genealogie.

    Lingens, Ella (1909 – 2002)

    • Vater

      Friedrich Reiner

      römisch-katholisch; Bahnbeamter; später Besitzer des Landguts Ernestinovo (Slawonien, Kroatien)

    • Mutter

      Elsa Reiner

      evangelisch (Augsburger Bekenntnis)

      • Großvater mütterlicherseits

        Achilles Thommen

        25.5.1832–21.8.1893

        aus Basel; Bahnbauingenieur; 1867–1869 Direktor der Österreichisch-Ungarischen Staatseisenbahngesellschaft; 1869 königlicher Rat; seit 1883 k.k. Oberbaurat in Wien

      • Großmutter mütterlicherseits

        Emma Thommen

    • Bruder

      Friedl Reiner

    • Schwester

      Edith Reiner

    • Schwester

      Hertha Reiner

    • Bruder

      Helmut Reiner

    • Heirat

      • Ehemann

        Kurt Lingens

        31.5.1912–1966 (oder 1967)

        aus Düsseldorf; Arzt; Widerstandskämpfer; am 23.10.1942 verhaftet, anschließend einer Strafkompanie in der Sowjetunion zugeteilt, hier schwer verwundet; nach dem Zweiten Weltkrieg als Psychiater in den USA tätig

  • Biografie

    alternativer text
    Ella Lingens, Imago Images (InC)

    Lingens legte 1926 unter ihrem Geburtsnamen Reiner an dem privaten Mädchen-Lyzeum Luithlen in Wien die Matura ab, trat im selben Jahr der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs bei und hielt sich anschließend in London auf. Seit 1927 studierte sie Rechtswissenschaften an den Universitäten Wien und Zürich und wurde nach judiziellen, staatswissenschaftlichen und rechtshistorischen Prüfungen im Mai 1932 zur Dr. iur. promoviert. In den Februarkämpfen 1934 stellte Lingens ihre Wohnung der „Arbeiter-Zeitung“ zur Verfügung und organisierte laut eigenen Angaben die Verteilung von Schriften der Revolutionären Sozialisten. Ihre Hinwendung zum Marxismus wurde u. a. von dem Mathematiklehrer und späteren Soziologen Paul Felix Lazarsfeld (1901–1976) befördert, mit dem sie kurzzeitig verlobt war.

    Nachdem sich ihr Wunsch, Richterin zu werden, zerschlagen hatte, begann Lingens 1935 ein Medizinstudium an der Universität Wien mit dem Ziel, Psychoanalytikerin zu werden. Studienaufenthalte führten sie nach München (1936) und Marburg an der Lahn (1938). Lingens entschied sich nach dem „Anschluss“ Österreichs an das „Dritte Reich“ mit ihrem Ehemann Kurt Lingens (1912–ca. 1966) zum Verbleib in Wien und bot während der Novemberpogrome 1938 jüdischen Familien Unterschlupf. Als im Sommer 1942 Deportationen von Juden aus Wien begannen, formte sich um das Ehepaar Lingens und den befreundeten Psychoanalytiker Karl Motesiczky (1904–1943) eine Widerstandsgruppe. Ausgehend von Motesiczkys Familienanwesen in der Hinterbrühl (Niederösterreich) führte die Gruppe Hilfs- und Solidaritätsaktionen für Jüdinnen und Juden durch, nahm untergetauchte Personen bei sich auf, versorgte Verfolgte mit Lebensmitteln und unterstützte sie bei der Flucht in das Ausland. Zu den Personen, die in dem Anwesen Unterschlupf fanden, zählten u. a. die Physiker Karl Przibram (1878–1973), Anna Urbach (1905–1993) und Franz Urbach (1902–1969) sowie die Pianistin Erna Gál (1899–1995).

    Bei einer 1942 organisierten Fluchthilfe für polnische Juden in die Schweiz arbeitete das Ehepaar Lingens mit Rudolf Klinger (1889–1943), einem Angehörigen der „Judenpolizei“, zusammen, der sich als Gestapo-Spitzel erwies und kurz darauf nach Auschwitz deportiert wurde. Am 13. Oktober 1942 verhaftet, wurde Lingens am 15. Februar 1943 in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie als Ärztin im Krankenrevier tätig und dem SS-Arzt Josef Mengele (1911–1979) unterstellt wurde. Im April 1943 erkrankte sie an Flecktyphus, wurde aber von ihrem ehemaligen Studienkollegen, dem SS-Arzt Werner Rohde (1904–1946), gerettet.

    Anfang Dezember 1944 wurde Lingens in das Konzentrationslager Dachau überstellt, wo sie in einem Frauen-Außenkommando in München sowie im Dachauer Frauenkrankenrevier als Ärztin wirkte. Nach der Befreiung des Lagers durch US-amerikanische Truppen arbeitete sie als Tuberkuloseärztin in der Lungenheilstätte Laas (Kärnten) und seit 1948 in Alland (Niederösterreich). Anfang Dezember 1945 beendete Lingens ihr Medizinstudium an der Universität Wien und absolvierte eine fachärztliche Ausbildung in Pulmologie. Von 1954 bis zu ihrer Pensionierung 1973 als ärztliche Fachreferentin und Leiterin des Tuberkulosereferats im Bundesministerium für soziale Verwaltung tätig, wirkte sie am Wiederaufbau des österreichischen Gesundheits- und Sozialwesens mit. Auf Lingens’ Initiative wurden seit 1954 die Tuberkuloseerkrankungen in ganz Österreich statistisch erfasst; die jährlich publizierten Berichte dienten als Grundlage der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Tuberkulose.

    Zeitlebens an Psychoanalyse interessiert, gehörte Lingens dem Vorstand der 1968 in Wien gegründeten Sigmund Freud Gesellschaft an und war bis 1986 deren Vizepräsidentin und Generalsekretärin. Von 1975 bis 1988 war sie u. a. neben Harald Leupold-Löwenthal (1926–2007) und Hans Lobner (1944–2011) verantwortliche Redakteurin des „Sigmund Freud House Bulletin“, in dem sie Artikel und Rezensionen veröffentlichte, die zur Aufarbeitung der Geschichte der Psychoanalyse unter der NS-Herrschaft beitrugen. 1964/65 sagte Lingens in dem in Frankfurt am Main verhandelten ersten Auschwitz-Prozess in 22 Fällen als Zeugin aus und trug als eine von 220 Überlebenden dazu bei, den in Auschwitz verübten Massenmord historisch zu dokumentieren.

    Lingens förderte bis zu ihrem Tod zudem als v. a. in Schulen und Lehrerseminaren präsente Zeitzeugin die Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Ihre 1947 verfassten Erinnerungen wurden von Ilse Barea-Kulcsar (1902–1973) in das Englische übertragen und 1948 u. d. T „Prisoners of Fear“ veröffentlicht. Das Buch avancierte zu einem Klassiker der frühen analytischen Literatur zum KZ-System, gilt als bedeutendes Dokument der Erinnerungsliteratur und wurde 2003 erstmals vollständig in deutscher Sprache von Lingens’ Sohn herausgegeben, der das Buch aktualisierte und um Details aus Gesprächen mit seiner Mutter ergänzte.

  • Auszeichnungen

    1924 Mitglied im Verein Sozialistischer Mittelschüler
    1928 Mitglied im Verband Sozialistischer Studenten
    seit 1960 Präsidentin der Österreichischen Lagergemeinschaft Auschwitz (später Ehrenpräsidentin)
    1968 Mitglied im Vorstand der Sigmund Freud Gesellschaft, Wien (bis 1986 Vizepräsidentin und Generalsekretärin)
    1980 Auszeichnung als „Gerechte unter den Völkern“ durch die israelische Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem (mit Kurt Lingens)
    2006 Ella Lingens-Gymnasium, Gerasdorfer Straße 103, Wien
    2012 Ella-Lingens-Straße, Wien
    2016 Ella-Lingens-Platz, München
  • Quellen

    Nachlass:

    nicht bekannt.

    Gedruckte Quellen:

    Ella Lingens, Fleckfieber, in: Karin Berger/Elisabeth Holzinger/Lotte Podgornik/Lisbeth N. Trallori (Hg.), „Ich geb Dir einen Mantel, daß du ihn noch in Freiheit tragen kannst“. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen, 1987, S. 157 ff.

    Ella Lingens, in: Brigitte Bailer (Hg.), Jüdische Schicksale. Berichte von Verfolgten, 21993, S. 632–634.

    Peter Michael Lingens, Ansichten eines Außenseiters, 2009.

  • Werke

    Monografien und Aufsätze:

    Prisoners of Fear, 1948, dt. u. d. T. Gefangene der Angst. Ein Leben im Zeichen des Widerstandes, hg. u. mit einem Vorw. vers. v. Peter Michael Lingens, 2003, Taschenbuchausg. 2005.

    Ella Lingens-Reiner/Leopoldine Schmiedek, Aus der Sektion 5 des Bundesministeriums für soziale Verwaltung. Die Tuberkulose-Situation in Österreich im Jahre 1960, 1962.

    Eine Frau im Konzentrationslager, 1966.

    Als Ärztin in Auschwitz und Dachau, in: Dachauer Hefte 4 (1988), H. 4, S. 22–58.

    Biographisches Nachwort, in: Alexander Weißberg-Cybulski, Im Verhör. Ein Überlebender der stalinistischen Säuberungen berichtet, 1993, S. 347–358.

    Ein anderer Mengele? Nachwort II, in: Lucette Matalon Lagnado/Sheila Cohn Dekel, Die Zwillinge des Dr. Mengele. Der Arzt von Auschwitz und seine Opfer, 1994, S. 263–272.

    Herausgeberschaften:

    H. G. Adler/Hermann Langbein/Ella Lingens-Reiner (Hg.), Auschwitz. Zeugnisse und Berichte, 1962, 72020.

  • Literatur

    Erika Weinzierl, Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938–1945, 41997, S. 129, 134 f. u. 163 f.

    Elisabeth Welzig, „Ich konnte Familie und Beruf nur theoretisch vereinbaren“. Ella Lingens, in: dies. (Hg.), Leben und Überleben. Frauen erzählen vom 20. Jahrhundert, 2006, S. 175–187.

    Ilse Korotin (Hg.), „Die Zivilisation ist nur eine ganz dünne Decke…“. Ella Lingens (1908–2002). Ärztin – Widerstandskämpferin – Zeugin der Anklage, 2011.

    Peter Michael Lingens, Zeitzeuge eines Jahrhunderts. Eine Familiengeschichte zwischen Adolf Hitler, Bruno Kreisky, Donald Trump und Wladimir Putin, 2023, S. 15–95.

    Brigitte Ungar-Klein, „Ich bin dagegen, das Land diesen Verbrechern zu überlassen.“ Ella Lingens. Ärztin und Widerstandskämpferin, in: Wir hätten es nicht ausgehalten, dass die Leute neben uns umgebracht werden. Hilfe für verfolgte Juden in Österreich 1938–1945, hg. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, 2023, S. 281–315.

  • Onlineressourcen

  • Porträts

    Fotografien, Yad Vashem, Righteous Among the Nations Collection, Jerusalem.

  • Autor/in

    Ilse Korotin (Wien)

  • Zitierweise

    Korotin, Ilse, „Lingens, Ella“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2024, URL: https://www.deutsche-biographie.de/11703228X.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA