Leers, Johann
- Lebensdaten
- 1902 – 1965
- Geburtsort
- Gut Vietlübbe (Mecklenburg-Schwerin)
- Sterbeort
- Kairo (Ägypten)
- Beruf/Funktion
- NS-Propagandist ; Publizist ; Historiker ; Journalist ; Jurist
- Konfession
- evangelisch-lutherisch, seit 1932 „gottgläubig“, seit 1957 muslimisch
- Normdaten
- GND: 116854804 | OGND | VIAF: 78822039
- Namensvarianten
-
- Leers, Johann Jakob Werner Wilhelm Hans Friedrich Ernst Rudolf von
- Leers, Johann
- Leers, Johann Jakob Werner Wilhelm Hans Friedrich Ernst Rudolf von
- Leers, Johann von
- Leers, J. von
- Leers, Johann Jacob Werner Wilhelm Hans Friedrich Ernst Rudolf von
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- Edgar Tatarin-Tarnheyden (1882–1966)
- Gamal Abdel Nasser (1918–1970)
- Hans F. K. Günther (1891–1968)
- Heinrich Himmler (1900–1945)
- Herman Wirth (1885–1981)
- Joseph Goebbels (1897–1945)
- Julius Streicher (1885–1946)
- Maurice Bardèche (1907–1998)
- Mohammed Amin al-Husseini (gest. 1974)
- Paul Rassinier (1906–1967)
- Richard Walther Darré (1895–1953)
- Theodor Fritsch (1852–1933)
Orte
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Leers, Johann Jakob Werner Wilhelm Hans Friedrich Ernst Rudolf von
Pseudonyme u. a.: M. Thomas (vor 1945); Hans A. Euler; Felix Schwarzenborn; Gordon Fitzstuart; Kai Jensen
1902 – 1965
NS-Propagandist, Publizist, Historiker
Johann von Leers, promovierter Jurist und seit 1929 Mitglied der NSDAP, zählte zu den produktivsten antisemitischen Publizisten der NS-Bewegung. Von 1936 bis 1945 lehrte er „Geschichte auf rassischer Grundlage“ an der Universität Jena. Nach Internierung und einer Phase der Illegalität setzte er seine Propaganda fort ‒ erst von Buenos Aires aus, wohin er 1950 ausgewandert war, anschließend von 1956 bis zu seinem Tod in Kairo.
Lebensdaten
Johann von Leers, BArch / Bildarchiv (InC) -
Autor/in
→Martin Finkenberger (Bonn)
-
Zitierweise
Finkenberger, Martin, „Leers, Johann“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2022, URL: https://www.deutsche-biographie.de/116854804.html#dbocontent
Aus einem mecklenburgischen Adelsgeschlecht stammend, studierte Leers seit 1921 Rechtswissenschaft und Geschichte in Kiel, Berlin und Rostock, wo er 1925 bei dem Völker- und Staatsrechtler Edgar Tatarin-Tarnheyden (1882–1966) zum Dr. iur. promoviert wurde. Anschließend trat er eine Ausbildung zum Attaché im Auswärtigen Amt an, die er aufgrund seiner unverhohlenen Verachtung der Weimarer Demokratie und antisemitischen Einstellung 1928 abbrechen musste. Seit 1929 Mitglied der NSDAP, wurde er dank rhetorischen Talents und schriftstellerischer Begabung rasch zu einem parteiintern angesehenen Journalisten und Versammlungsredner in Berlin an der Seite von Joseph Goebbels (1897–1945). Ideologisch beeinflusst wurde er v. a. von dem völkischen Publizisten und Herausgeber des „Handbuchs der Judenfrage“, Theodor Fritsch (1852–1933), sowie von Julius Streicher (1885–1946), dem er 1933 seine Schrift „Juden sehen Dich an“ widmete, das rund 60 verunglimpfende Porträts von Persönlichkeiten der Weimarer Kultur, Kunst, Wissenschaft und Politik umfasste, die den Nationalsozialisten besonders verhasst waren.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme profilierte sich Leers in der Phase der „Gleichschaltung“ als Vorstandsmitglied verschiedener Verbände auf kulturpolitischem Gebiet und beteiligte sich an völkisch(-religiösen) Sammlungsbewegungen (Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung und Bund Völkischer Europäer). Als Herausgeber der Zeitschrift „Nordische Welt“ von 1933 bis 1937 war er bemüht, die Theorien des völkischen Laienforschers Herman Wirth (1885–1981) zu popularisieren. Trotz anfangs großer Aufmerksamkeit in Wissenschaft und Presse geriet dieser indes bald ins Abseits.
Seit 1936 Mitglied der SS, war Leers einer der wichtigsten Autoren für deren Schulungsorgan „Leitheft“. Ähnliches gilt für Publikationen des Reichsnährstands (u. a. „Odal“) und des Nationalsozialistischen Lehrerbunds (u. a. „Der Deutsche Erzieher“, „Hilf mit“). Kennzeichnend für Leers’ Schriften waren die Idealisierung eines an Boden und „Scholle“ gebundenen und „rassisch gereinigten“ Bauerntums sowie ein aggressiver Antisemitismus, der sich gängiger völkischer Stereotype bediente. Dank der Protektion des „Reichsbauernführers“ Richard Walther Darré (1895–1953) sowie des Reichsführers-SS Heinrich Himmler (1900–1945) wurde Leers 1936 als Lehrbeauftragter an die Universität Jena berufen. Ein wichtiger Förderer seiner akademischen Karriere war der Rassentheoretiker Hans F. K. Günther (1891–1968).
Von 1940 bis 1945 war Leers ordentlicher Professor für Deutsche Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Bauerngeschichte. Er profilierte sich weiter auf dem Gebiet der nationalsozialistischen „Judenforschung“, konnte mit seinem neu geschaffenen Lehrstuhl jedoch nicht zu den konkurrierenden Einrichtungen in Frankfurt am Main (Institut zur Erforschung der Judenfrage), München (Forschungsabteilung Judenfrage des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands) und Eisenach (Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben) aufschließen. Leers’ Bedeutung liegt v. a. in seiner Allgegenwart als antisemitischer Propagandist aus der zweiten Reihe. Je deutlicher sich die Kriegsniederlage abzuzeichnen begann und die Dimension der Verbrechen im Zuge der „Endlösung der Judenfrage“ öffentlich wurde, desto präsenter war er in Presse, Rundfunk und durch Buchpublikationen.
Im April 1945 an seinem Wohnort bei Jena von US-amerikanischen Einheiten verhaftet und in Darmstadt interniert, tauchte Leers nach seiner Flucht 1946 in der Nähe von Bonn unter und wanderte 1950 mit gefälschten Papieren nach Argentinien aus. In Buenos Aires setzte er seine antisemitische Propaganda fort und gehörte unter mehreren Pseudonymen (darunter Felix Schwarzenborn und Gordon Fitzstuart) zu den maßgeblichen Autoren der Zeitschrift „Der Weg“, die sich unter seinem Einfluss zu einem Schulungsorgan im Geiste der SS wandelte. Unter dem Namen Hans Euler gelangen ihm anfangs auch Veröffentlichungen in unverfänglichen Zeitungen und Zeitschriften wie „Christ und Welt“, „Der Arbeitgeber“ und „Zeitschrift für Geopolitik“.
1956 siedelte Leers nach Kairo über, wo er sich in den Dienst der unter Präsident Gamal Abdel Nasser (1918–1970) geförderten antizionistischen und antiisraelischen Propaganda stellte. 1957 zum Islam konvertiert, nahm er den Namen Omar Amin von Leers an. Seine Aufträge verdankte er den Kontakten zu einflussreichen Funktionären des Informationsministeriums und der Arabischen Liga, v. a. aber zum Mufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini (gest. 1974). Seit Februar 1957 war er zudem für mehrere Jahre als „Politische Quelle“ Informant des Bundesnachrichtendiensts.
Leers unterhielt ein lose strukturiertes Netzwerk politisch-ideologisch Gleichgesinnter, dem rechtsextreme Publizisten wie Maurice Bardèche (1907–1998) und Paul Rassinier (1906–1967) angehörten und deren Ausstoß an Propagandaschriften zeitweise beträchtlich war. Obgleich in der zeitgenössischen Presse wiederholt zum zentralen Akteur einer „antisemitischen Internationale“ stilisiert, war Leers’ Einfluss nach 1945 – auch bedingt durch fortschreitenden geistigen Verfall infolge zweier Schlaganfälle – geringer, als die Öffentlichkeit bis zu seinem Tod angenommen hat.
1931 | Studienmitglied der Gesellschaft zum Studium des Faschismus |
1933 | Mitglied im Führerrat der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung |
1933 | Schriftführer des PEN-Zentrums Deutschland |
1933 | Mitglied im Nationalen Club von 1919 |
1933 | Beirat der Deutsch-Japanischen Gesellschaft |
1934 | Präsident des Bundes Völkischer Europäer (Abteilung Deutschland) |
1939 | Beirat des Vereins für Bauerntumskunde |
Studienleiter der Verwaltungsakademie Berlin |
Nachlass:
Bundesarchiv, Koblenz, N 2168. (weiterführende Informationen)
Russisches Staatliches Militärarchiv, Moskau, Fond 1283. (weiterführende Informationen)
Ein privater Nachlass für die Jahre nach 1945 ist nicht bekannt.
Weitere Archivmaterialien:
Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, NS 8 (Kanzlei Rosenberg); NS 15 (Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP); NS 21 (Forschungs- und Lehrgemeinschaft „Das Ahnenerbe“); R 58 (Reichssicherheitshauptamt).
Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Q 1/30. (Korrespondenz mit Klaus Mehnert)
Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. (Korrespondenz mit Ernst Jünger)
Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel, Cb 92.56. (Korrespondenz mit Hans Friedrich Blunck)
Hoover Institute Archiv, Stanford University (Kalifornien, USA). (Korrespondenz mit Karl August Wittfogel)
Universitätsarchiv Jena.
Als Quellen der Jahre nach 1945 sind Unterlagen verschiedener Sicherheitsbehörden relevant, v. a. der CIA (NARA RG 236, ZZ-16, Box 32, NND 36822), des Bundesnachrichtendiensts (BND-Archiv, Sig. 24822) und des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV-Archiv, Sig. 054-P-10013). Im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes ist die Auseinandersetzung um den Reisepass von Leers dokumentiert (PA AA, B 82, V3-88, Nr. 250 und 444).
14 Jahre Judenrepublik. Die Geschichte eines Rassenkampfes, o. J., 21933.
Juden sehen Dich an, 1933, 51935.
Forderung der Stunde: Juden raus!, o. J. [um 1933].
Rassische Geschichtsbetrachtung Was muss der Lehrer davon wissen?, 1934, 41941.
Odal. Das Lebensgesetz eines ewigen Deutschland, 1935, 21936.
Rassengeschichte des deutschen Volkes, 1936.
Die Kriminalität des Judentums, 1936.
Das Lebensbild des deutschen Handwerks, o. J. [1938].
Die geschichtlichen Grundlagen des Nationalsozialismus, 1938.
(mit Henrich Hansen), Der deutsche Lehrer als Kulturschöpfer, 1939.
Wie kam der Jude zum Geld?, o. J. [1939].
Kräfte hinter Roosevelt, 1940, 31942.
Judentum und Gaunertum. Eine Wesens- und Lebensgemeinschaft, o. J. [1940].
Juden hinter Stalin, o. J. [1941].
Die Verbrechernatur der Juden, 1944.
Reichsverräter, 3 Bde., 1954–1956.
Ulrich Nanko, Die Deutsche Glaubensbewegung. Eine historische und soziologische Untersuchung, 1993, S. 143–158.
Holger M. Meding, „Der Weg“. Eine deutsche Emigrantenzeitschrift in Buenos Aires 1947–1957, 1997.
Frank-Lothar Kroll, Utopie als Ideologie. Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich, 1998.
Uwe Hoßfeld/Jürgen John/Oliver Lemuth/Rüdiger Stutz (Hg.), „Kämpferische Wissenschaft“. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, 2003.
Gregory Paul Wegner, A Propagandist of Extermination. Johann von Leers and the Anti-Semitic Formation of Children in Nazi Germany, in: Paedagogica Historica 43 (2007), S. 299–325.
Jeffrey Herf, The Jewish Enemy. Nazi Propaganda during World War II and the Holocaust, 2008.
Martin Finkenberger, Art. „Johann von Leers“, in: Wolfgang Benz (Hg.), Handbuch des Antisemitismus, Bd. 2/2, 2009, S. 464–466.
Bettina Stangneth, Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders, 2011, S. 197–241.
Marco Sennholz, Johann von Leers. Ein Propagandist des Nationalsozialismus, 2013.
Hans-Christian Harten, Himmlers Lehrer. Die Weltanschauliche Schulung in der SS 1933–1945, 2014.
Martin Finkenberger, Art. „Johann von Leers“, in: Michael Fahlbusch/Ingo Haar/Alexander Pinwinkler (Hg.), Handbuch der Völkischen Wissenschaften, Bd. 1, 2017, S. 412–416.
Martin Finkenberger, Johann von Leers (1902–1965). Völkische Weltanschauung und antisemitische Agitation, 2023.
Fotografie, 1929, Bildarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek München, Sammlung Heinrich Hoffmann.
Fotografie, 1933, Digitales Bildarchiv des Bundesarchivs.