Jochmann, Rosa
- Lebensdaten
- 1901 – 1994
- Geburtsort
- Wien
- Sterbeort
- Wien
- Beruf/Funktion
- Politikerin ; Widerstandskämpferin ; Verbandsfunktionärin
- Konfession
- römisch-katholisch, seit ca. 1923 konfessionslos
- Normdaten
- GND: 118557599 | OGND | VIAF: 102458643
- Namensvarianten
-
- Drechsler, Josefine
- Frau Friedrich
- Jochmann, Rosa
- Drechsler, Josefine
- Frau Friedrich
- Drechsler, Josephine
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Jochmann, Rosa
Decknamen: Josefine Drechsler; Frau Friedrich
1901 – 1994
Politikerin, Widerstandskämpferin, Verbandsfunktionärin
Rosa Jochmann war eine prominente österreichische Sozialdemokratin, Widerstandskämpferin gegen den Austrofaschismus und das NS-Regime sowie Überlebende des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück. Als politische Akteurin und Zeitzeugin prägte sie die österreichische Geschichts- und Erinnerungspolitik der Zweiten Republik.
Lebensdaten
Geboren am 19. Juli 1901 in Wien Gestorben am 28. Januar 1994 in Wien Grabstätte Zentralfriedhof (Ehrengrab, Gruppe 14 C, Nr. 1A) in Wien Konfession römisch-katholisch, seit ca. 1923 konfessionslos -
Autor/in
→Veronika Duma (Frankfurt am Main)
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Zitierweise
Duma, Veronika, „Jochmann, Rosa“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.01.2024, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118557599.html#dbocontent
Jochmann wuchs in einer aus Mähren stammenden, sozialdemokratisch geprägten Arbeiterfamilie in Wien auf, wo sie die Volks- und Bürgerschule besuchte und seit ihrem 14. Lebensjahr in verschiedenen Fabriken tätig war. Seit 1920 Vollwaise, versorgte sie in der Folgezeit ihre beiden jüngeren Schwestern, trat von 1925 bis 1932 als Gewerkschaftssekretärin im Verband der Chemiearbeiter hervor und gehörte zu den Mitarbeiterinnen des 1930 von ihrer Mentorin Käthe Leichter (1895–1942) herausgegebenen „Handbuchs der Frauenarbeit in Österreich“. Seit spätestens 1925 Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), avancierte sie in der Partei 1932 zur Sekretärin des Frauenzentralkomitees und wurde 1933 mit Hella Postranecky (1903–1995) Mitglied des Parteivorstands.
Jochmann verfolgte eine moderne Lebensweise, orientierte sich an dem Bild der „Neuen Frau“ und lebte seit spätestens 1926 in einer Beziehung mit dem Sozialdemokraten und späteren Widerstandskämpfer Franz Rauscher (1900–1988), ohne diesen zu heiraten. Großen Einfluss auf ihr politisches Denken und Handeln hatte ein Netzwerk etwa gleichaltriger Parteimitglieder, zu dem neben Postranecky u. a. Maria Emhart (1901–1981), Rudolfine Muhr (1900–1984) und Frieda Nödl (1898–1979) zählten und das in engem Austausch zu Vorkämpferinnen der österreichischen Sozialdemokratie stand, darunter Adelheid Popp (1869–1939), Therese Schlesinger (1863–1940) und Amalie Seidel (1876–1952).
Während der Februarkämpfe 1934, die mit der Etablierung des Austrofaschismus endeten, hielt Jochmann sich mit dem Leiter des Republikanischen Schutzbunds, Julius Deutsch (1884–1968), und dem stellvertretenden SDAP-Vorsitzenden, Otto Bauer (1881–1938), in der Kampfzentrale in einem Wiener Gemeindebau auf. Nach dem Verbot der Sozialdemokratie war Jochmann Mitbegründerin der SDAP-Nachfolgeorganisation Revolutionäre Sozialisten Österreichs und setzte ihre politische Aktivität unter dem Decknamen Josefine Drechsler im Untergrund fort. Im Sommer 1934 festgenommen und bis November 1935 im Landesgericht Wien inhaftiert, nahm sie anschließend die politische Arbeit im Untergrund wieder auf.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland 1938 wurde Jochmann im August 1939 mit mehreren hohen Parteifunktionären von der Gestapo verhaftet und im März 1940 in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück deportiert, wo sie bis 1943 als Blockälteste des Politischen Blocks fungierte. Sie baute hier ein geheimes Unterstützungsnetzwerk des „politischen Blocks“ auf, das im Frühjahr 1943 zerschlagen wurde, woraufhin sie für ein halbes Jahr in den „Bunker“, das lagerinterne Gefängnis, gesperrt wurde. Danach leistete sie bis zur Befreiung des Lagers am 30. April 1945 Zwangsarbeit im Industrieblock. Während ihrer Zeit im Konzentrationslager entstand eine Beziehung mit der Kommunistin Cäcilie Helten (1908–1974), mit der sie seit 1962 in Wien zusammenlebte.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs avancierte Jochmann zu einer bedeutenden Funktionärin der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ), die sie von Dezember 1945 bis Mai 1967 im Nationalrat vertrat. Sie setzte sich – auch in ihren Funktionen als Frauensekretärin (1945–1959) und Bundesfrauenvorsitzende (1959–1967) ihrer Partei – v. a. für die Verbesserung der sozialen und rechtlichen Situation arbeitender Frauen und Mütter ein. In Parlament und Medien sowie auf Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen versuchte Jochmann, dem Verdrängen bzw. Relativieren der nationalsozialistischen Vergangenheit in Österreich entgegenzutreten. Desillusioniert ob der geringen Wirkung ihrer Bemühungen, vernichtete sie ihre autobiografischen Manuskripte.
1967 trat Jochmann von allen Parteiämtern zurück, um sich auf ihre erinnerungspolitische Arbeit im Rahmen des Bunds Sozialistischer Freiheitskämpfer (1949–1994 Vorsitzende), der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück (1984–1994 Vorsitzende) und des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands zu konzentrieren. Vor allem seit den späten 1970er Jahren, als die Zeitzeugenschaft im Kontext der „Oral History“ an Bedeutung gewann, gelang es Jochmann, als gefragte Vortragsrednerin und Interviewpartnerin in Fernsehen, Presse und Rundfunk den vergangenheitspolitischen Diskurs der Zweiten Republik zu prägen. Besondere Beachtung fand ihr Auftritt in der ORF-Diskussionssendung „Club 2“ am 4. März 1979 im Anschluss an die Erstausstrahlung der Fernsehserie „Holocaust”.
1981 | Preis der Dr. Karl-Renner-Stiftung der Stadt Wien |
1981 | Ehrenbürgerin der Stadt Wien |
1981 | Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte der Bruno Kreisky Stiftung, Wien |
1992 | Ehrenvorsitzende des Bundes Sozialistischer Freiheitskämpfer (heute Bund Sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen) |
1994 | Rosa-Jochmann-Schule, Fuchsröhrenstraße 25, Wien-Simmering |
1994 | Rosa-Jochmann-Gasse, St. Pölten (Niederösterreich) |
1995 | Rosa-Jochmann-Ring, Wien-Simmering |
1995 | Rosa-Jochmann-Park, Weintraubengasse 23, Wien-Leopoldstadt |
1998 | Rosa Jochmann-Gasse, Traiskirchen (Niederösterreich) |
2006 | Rosa-Jochmann-Straße, Wels (Oberösterreich) |
2013 | Rosa-Jochmann-Hof (Gemeindebau), Simmeringer Hauptstraße 142–150, Wien |
2015 | Rosa-Jochmann-Plakette des Bunds Sozialistischer Freiheitskämpfer |
Silbernes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich | |
Ehrenzeichen für Verdienste um die Befreiung Österreichs | |
Goldene Ehrenmedaille des Bundesverbands der Israelitischen Kultusgemeinde Österreichs | |
Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland | |
Große Victor-Adler-Plakette der SPÖ | |
Große Otto-Bauer-Plakette des Bundes Sozialistischer Freiheitskämpfer |
Nachlass:
Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, Wien. (weiterführende Informationen)
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Wien. (Teilnachlass)
Weitere Archivmaterialien:
Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, Wien. (u. a.Neues Parteiarchiv der SPÖ u. Bestand Organisationen, Illegale Flugschriften)
Wiener Stadt- und Landesarchiv, Polizei- und Gerichtsakten 1930er Jahre.
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Standort Düsseldorf, Gestapo-Akten RW 58. (zu Cäcilie Helten)
Archiv der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Sammlung der Zeitzeugin Erika Buchmann.
International Institute of Social History, Amsterdam, NachlassAngelica Balabanoff. (Korrespondenz)
Deutsches Exilarchiv, Frankfurt am Main, Deutsche Nationalbibliothek, Nachlass Margarete Buber-Neumann. (Korrespondenz)
Bundesarchiv, Stasi-Unterlagen-Archiv, Berlin,BestandMinisterium für Staatssicherheit.
Privatarchive.
Gedruckte Quellen:
Maria Sporrer/Herbert Steiner, Rosa Jochmann. Zeitzeugin, 1983.
Maria Emhart. Briefe aus dem Gefängnis. Korrespondenz mit Rosa Jochmann 1935–1936, hg. v. Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, 2001.
Rosa Jochmann. 1901–1994. Demokratin, Sozialistin, Antifaschistin, hg. v. Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, 2001.
Rosa Jochmann. Eine außergewöhnliche Frau. 1901–1994. Briefe, Fotos, Dokumente, hg. v. Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, 2008.
Aufsätze und Artikel:
Die Arbeiterin in der chemischen Industrie, in: Käthe Leichter (Hg.), Handbuch der Frauenarbeit in Österreich, 1930, S. 58–77.
Die Zerstörung des Simmeringer Arbeiterheimes, in: Die Frau. Sozialdemokratische Monatsschrift für Politik, Wirtschaft, Frauenfragen und Literatur 41 (1932), Nr. 12, S. 3 f.
Die Todesopfer von Wiener Neustadt, in: ebd., S. 7 f.
Sie rufen den Henker zu Hilfe, in: Die Frau. Sozialdemokratische Monatsschrift für Politik, Wirtschaft, Frauenfragen und Literatur 42 (1933), Nr. 9, S. 3.
Der Weg in die Heimat, in: Mitteilungsblatt der Österreichischen Lagergemeinschaft, Mai 1975, S. 3 f.
Mit offenen Augen, in: Karin Berger/Elisabeth Holzinger/Lotte Podgornik/Lisbeth N. Trallori (Hg.), Ich geb Dir einen Mantel, da du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen, 1987, S. 177–186.
Ich bin eine stolze Proletarierin, in: Webportal des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands. Oral-History-Projekt „Erzählte Geschichte“. (Onlineressource)
Edierte Reden:
Rosa Jochmann/Josef Hindels. 30 Jahre Sozialistische Freiheitskämpfer. Ansprachen bei der Bundeshauptversammlung 1977 des Bundes Sozialistischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus, hg. v. Dr.-Karl-Renner-Institut, 1977.
Rede am Parteitag 1945, in: Der sozialistische Kämpfer. Organ des Bundes Sozialistischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus, Mai/Juni 1991, S. 1 f.
Hans Waschek (Hg.), Rosa Jochmann. Ein Kampf, der nie zu Ende geht. Reden und Aufsätze, 1994.
Monografien:
Franz Richard Reiter, Wer war Rosa Jochmann?, 1997.
Andrea Steffek, Rosa Jochmann. „Nie zusehen, wenn Unrecht geschieht.“ Ihr Leben und Wirken von 1901–1945 als Grundlage für ihre stetige Mahnung gegen Faschismus, Nationalsozialismus und das Vergessen, 1999.
Veronika Duma, Rosa Jochmann. Politische Akteurin und Zeitzeugin, 2019, 22020.
Rainer Mayerhofer, „Doch die Menschen liebe ich über alles“. Rosa Jochmann. Eine Biographie in Briefen, 2020.
Festschrift:
Rosa Jochmann. Porträt einer Sozialistin. Festschrift zum 85. Geburstag, hg. v. Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, 1986.
Aufsätze und Artikel:
Irene Etzersdorfer, Rosa Jochmann, in: Herbert Dachs/Peter Gerlich/Wolfgang Müller (Hg.), Die Politiker. Karrieren und Wirken bedeutender Repräsentanten der Zweiten Republik, 2007, S. 244–249.
Veronika Duma/Hanna Lichtenberger, Geschlechterverhältnisse im Widerstand. Revolutionäre Sozialistinnen im Februar 1934, in: Michaela Maier (Hg.), Abgesang der Demokratie. Der 12. Februar 1934 und der Weg in den Faschismus, 2013, S. 55–82.
Hannelore Stoff, Der Rosa-Jochmann-Hof. Würdigung einer großen österreichischen Antifaschistin, in: Mitteilungsblatt der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück & FreundInnen, Dezember 2013, S. 19–23. (Onlineressource)
Veronika Duma, Rosa Jochmann. „Zeitzeugin eines ganzen Jahrhunderts“, in: Wolfgang Neugebauer (Hg.), Aufrechter Gang in neuen Zeiten. Ernst Nedwed. Sozialdemokrat. Volksbildner. Antifaschist, 2015, S. 171–191.
Christine Kanzler, Art. „Rosa Jochmann“, in: Ilse Korotin (Hg.), biografiA. Lexikon österreichischer Frauen, Bd. 2, 2016, S. 1501–1503. (Onlineressource)
Christl Wickert, Rosa Jochmann (1901–1994), in: Gisela Notz (Hg.) Wegbereiterinnen. Berühmte, bekannte und zu Unrecht vergessene Frauen aus der Geschichte, 2018, S. 286 f.
Webportale und Kurzbiografien:
Rosa Jochmann. 1901–1994, in: Webportal des Vereins der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung. (zahlreiche Bilder, Texte, Ton- und Videoaufnahmen)
ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück.
Webportal des Parlaments Österreich. (P)
Kurzbiografie, in: Internationales Ravensbrück Komitee. (P)
Kurzbiografie, in: Das Rote Wien. Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie. (P)
Kurzbiografie, in: Frauen in Bewegung 1848–1938, Ariadne. Österreichische Nationalbibliothek. (P)
Kurzbiografie, in: Webportal des Wiener Zentralfriedhofs. (P)
Dokumentationen, Ton- und Bildaufnahmen:
Interview mit Rosa Jochmann v. Siglinde Bolbecher Konstantin Kaiser, Wien 1984.
Fotografien, Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, Wien. (Nachlass Rosa Jochmann)
Fotografien, Bildarchiv und Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien.