Lebensdaten
1926 – 2002
Geburtsort
Wien
Sterbeort
Bremen
Beruf/Funktion
Katholischer Priester ; Theologe ; Philosoph ; Historiker ; Priester ; Soziologe
Konfession
römisch-katholisch
Normdaten
GND: 118555456 | OGND | VIAF: 108129419
Namensvarianten
  • Ilič, Ivan (1926–1941)
  • Pseudonym: Canon, Peter
  • Illich, Ivan
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Illich, Ivan, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118555456.html [14.08.2024].

CC0

  • Ivan Illich trat für ein kulturelles, technologisches und institutionelles Umdenken ein, um die Gesellschaften vor dem ökologischen, kulturellen und sozialen Untergang zu bewahren sowie Verarmung, Entmenschlichung und Klimakatastrophe entgegenzuwirken. Seine Streitschriften befassen sich v. a. mit den Grenzen ökologischer, technologischer, wirtschaftlicher und politischer Entwicklung in den Gesellschaften moderner Industriestaaten.

    Lebensdaten

    Geboren am 4. September 1926 in Wien
    Gestorben am 2. Dezember 2002 in Bremen
    Grabstätte Oberneulander Friedhof in Bremen
    Konfession römisch-katholisch
  • Lebenslauf

    4. September 1926 - Wien

    1932 - 1941 - Wien-Pötzleinsdorf; Wien-Josefstadt

    Schulbesuch

    Volksschule; seit 1936 Piaristengymnasium (seit 1938 Oberschule für Jungen)

    1941 - Florenz

    Übersiedlung

    1944 - Florenz

    Abitur als Externer

    Wissenschaftliches Lyzeum Leonardo da Vinci

    1944 - 1945 - Florenz

    Studium der Chemie und Geschichte (ohne Abschluss)

    Universität

    1945 - 1951 - Rom

    als Diözesankandidat von Split Studium der Philosophie, seit 1947 der Katholischen Theologie (Abschlüsse: lic. phil. 1947; lic. theol. 1951)

    Päpstliche Universität Gregoriana

    24.3.1951 - Rom

    Priesterweihe

    September 1951 - Salzburg

    Promotion (Dr. phil.)

    Theologische Universitätsfakultät

    1951 - New York City

    Übersiedlung

    1954

    US-amerikanischer Staatsbürger

    1952 - 1956 - Manhattan (New York City)

    Pfarrer der Kirchengemeinde Incarnation

    Erzdiözese New York

    1956 - 1959 - Ponce (Puerto Rico)

    Vize-Rektor im Auftrag der Erzdiözese New York

    Katholische Universität Santa Maria

    1960 - 1960 - Lateinamerika; Pernambuco (Brasilien)

    viermonatige Reise; Mitgründer eines Bildungszentrums

    1961 - 1976 - Cuernavaca (Mexiko)

    Mitgründer; seit 1965 Leiter

    Center for Intercultural Formation (seit 1965 Centro Intercultural de Documentación)

    1969

    Niederlegung aller priesterlichen Funktionen

    1979 - Kassel; Marburg an der Lahn; Oldenburg; Bremen

    Gastprofessor

    Universität

    1980 - 1980 - Berkeley (USA)

    Regents’ Lecturer

    University of California

    1981 - 1982 - Berlin-West

    Gastwissenschaftler

    Wissenschaftskolleg

    1983 - 1984 - Marburg an der Lahn

    Gastprofessor

    Universität

    1985 - 1986 - Marburg an der Lahn

    Gastprofessor

    Universität

    1986 - 1996 - (Pennsylvania, USA)

    Externer Lehrbeauftragter (Visiting Faculty)

    Science, Technology and Society Program der Penn State University

    1991 - 2002 - Bremen

    Gastprofessor für Kultur- und Bildungsforschung

    Universität

    2. Dezember 2002 - Bremen
  • Genealogie

    Vater Ivan Petar (Gian Piero) Ilič 1890–1942 aus wohlhabender kroatisch-italienischer Familie mit Liegenschaften in Split und Brač (Dalmatien); Bauingenieur; gest. in Split
    Großvater väterlicherseits Ivan-Dinko Ilić (Gian Domenico Antonio Maria Ilich) 1858–1924 aus Split; Besitzer von Liegenschaften in Brač und Split; Produzent und Exporteur von Olivenöl; Erbe des Ilič Dvor (Anwesen) in Brač; gest. in Split
    Großmutter väterlicherseits Olga Marija Jacinta Domenika Ilić, geb. Katalinić 1870–1960 aus kroatischem Lokaladel in Split; gest. ebenda
    Mutter Ellen (Maexie) Rose Ilič (seit 1941 Illich), geborene Regenstreif 1909–1965 evangelisch-lutherisch, seit der Heirat 1925 römisch-katholisch; seit 1932 von ihrem Ehemann getrennt lebend; seit 1950 in New York City; gest. ebenda
    Großvater mütterlicherseits Friedrich (Fritz) Regenstreif 1868–1941 jüdisch; aus Czernowitz (Bukowina, Österreich-Ungarn, heute Tscherniwzi, Ukraine), Holzindustrieller mit Liegenschaften in Bosnien und Herzegowina; gest. in Wien
    Großmutter mütterlicherseits Johanna Regenstreif, geb. Ortlieb 1877–1924 jüdisch, dann evangelisch-lutherisch; aus München; Tochter eines deutschen Holzunternehmers (Eissler & Ortlieb); gest. in Wien
    Bruder Alexander (Sascha) Ilič (seit 1941 Illich) 1928– 2009 seit 1950 in New York City; Architekt in Massachusetts (USA)
    Bruder Michael (Mischa) Ilič (seit 1941 Illich) geb. 1928 seit 1950 in New York City; Geschäftsmann ebenda; lebt seit 2003 in Wien
    Heirat ledig
    Kinder keine
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    Illich, Ivan (1926 – 2002)

    • Vater

      Ivan Petar Gian Piero Ilič

      1890–1942

      aus wohlhabender kroatisch-italienischer Familie mit Liegenschaften in Split und Brač (Dalmatien); Bauingenieur; gest. in Split

      • Großvater väterlicherseits

        Ivan-Dinko Ilić Gian Domenico Antonio Maria Ilich

        1858–1924

        aus Split; Besitzer von Liegenschaften in Brač und Split; Produzent und Exporteur von Olivenöl; Erbe des Ilič Dvor (Anwesen) in Brač; gest. in Split

      • Großmutter väterlicherseits

        Olga Marija Jacinta Domenika Ilić

        1870–1960

        aus kroatischem Lokaladel in Split; gest. ebenda

    • Mutter

      Maexie Ilič Illich

      1909–1965

      evangelisch-lutherisch, seit der Heirat 1925 römisch-katholisch; seit 1932 von ihrem Ehemann getrennt lebend; seit 1950 in New York City; gest. ebenda

      • Großvater mütterlicherseits

        Fritz Regenstreif

        1868–1941

        jüdisch; aus Czernowitz (Bukowina, Österreich-Ungarn, heute Tscherniwzi, Ukraine), Holzindustrieller mit Liegenschaften in Bosnien und Herzegowina; gest. in Wien

      • Großmutter mütterlicherseits

        Johanna Regenstreif

        1877–1924

        jüdisch, dann evangelisch-lutherisch; aus München; Tochter eines deutschen Holzunternehmers (Eissler &·Ortlieb); gest. in Wien

    • Bruder

      Alexander Sascha) Ilič Illich

      1928– 2009

      seit 1950 in New York City; Architekt in Massachusetts (USA)

    • Bruder

      Michael Mischa Ilič Illich

      geb. 1928

      seit 1950 in New York City; Geschäftsmann ebenda; lebt seit 2003 in Wien

    • Heirat

      • Mutter

        Maexie Ilič Illich

        1909–1965

        evangelisch-lutherisch, seit der Heirat 1925 römisch-katholisch; seit 1932 von ihrem Ehemann getrennt lebend; seit 1950 in New York City; gest. ebenda

  • Biografie

    Jugend und Studium

    Illich wuchs dreisprachig (Deutsch, Kroatisch, Italienisch) in einer wohlhabenden Familie auf der dalmatinischen Insel Brač auf und wurde in katholischem Glauben erzogen. Nach der Trennung seiner Eltern 1932 lebte er mit seiner Mutter und seinen Zwillingsbrüdern bei den Großeltern in Wien-Pötzleinsdorf in deren Villa Regenstreif, wo er Persönlichkeiten wie Rudolf Steiner (1861–1925) kennenlernte. Als Folge der Nürnberger Rassengesetze galt die Familie seit 1938 amtlich als jüdisch. Im März 1941 wurde der Großvater gezwungen, seine Villa unter Wert an die Deutsche Arbeitsfront zu verkaufen. Da Dalmatien seit 1941 zu Italien gehörte, übersiedelte die Familie nach Florenz und benutzte seitdem die italienische Namensschreibweise Illich.

    1944 erhielt Illich sein Abitur als Externer am Leonardo da Vinci-Wissenschaftslyzeum in Florenz. 1945 begann er, an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom Philosophie und Theologie zu studieren. Hier absolvierte er 1947 ein Lizentiat in Philosophie und 1951 in Theologie. Am 24. März 1951 fand in Rom die Priesterweihe statt. Illich erhielt im September 1951 seinen Doktortitel aufgrund seiner Dissertation „Die Philosophie Toynbees. Die philosophischen Grundlagen der Geschichtsschreibung bei Arnold Toynbee“ bei P. Albert Auer, OSB (1891–1973) und Thomas Michels (1892–1979) an der Theologischen Universitätsfakultät Salzburg, ehe er 1951 Mutter und Brüdern nach New York City folgte. 1954 wurde er US-amerikanischer Staatsbürger.

    Illich, der Priester

    Mit Kollegen von der jesuitischen Fordham University arbeitete Illich in der Pfarrgemeinde Incarnation im Viertel Washington Heights (Manhattan, New York City) für Arbeitsmigranten aus Puerto Rico. Francis Kardinal Spellman (1889–1967), der Erzbischof von New York, ernannte ihn 1956 zum Monsignore, um seine Leistung zu würdigen. Anschließend entsandte Spellman ihn als Vize-Rektor der Katholischen Universität Santa Maria nach Ponce (Puerto Rico). Illich gründete und leitete hier ein universitäres Zentrum für die Vorbereitung von Freiwilligen aus den Diözesen New York und Boston, die in Lateinamerika missionarisch tätig sein sollten. Nach einem Konflikt über die Einmischung des Bischofs von Puerto Rico in die Präsidentschaftswahlen musste Illich 1959 das karibische US-Protektorat verlassen. Er nutzte das Netzwerk seines Lehrers an der Gregoriana, Jacques Maritain (1882–1973), für eine viermonatige Reise durch Lateinamerika und gründete 1960 mit dem Befreiungstheologen und lebenslangen Freund Dom Hélder Câmara (1909–1999) ein Bildungszentrum in Pernambuco (Brasilien), das nach dem Staatsstreich 1964 aufgelöst wurde.

    1961 initiierte Illich mit dem Missionar John J. Considine (1897–1982) und mit Unterstützung von Spellman das Center for Intercultural Formation in Cuernavaca (Mexiko). Formal eine Dependance der Fordham University in New York City, diente es dem Spracherwerb junger Menschen, dem Austausch von Wissenschaftlern, Intellektuellen und Vertretern der katholischen Kirche sowie der Veröffentlichung von aktuellen Berichten und Studien zum religiösen Leben sowie Fachartikeln und Monografien zu gesellschaftlichen Themen in Lateinamerika. 1965 wurde es in Centro Intercultural de Documentación (CIDOC) umbenannt. Es entwickelte sich unter Illichs de facto Leitung zu einem offenen Begegnungsort ohne ideologische Vorbehalte. Unterstützt wurde Illich von seinem Vorgesetzten und engsten Freund Bischof Sergio Méndez Arceo (1907–1992) sowie seinem väterlichen Vertrauten, dem Psychologen Erich Fromm (1900–1980). Mit dem aus Brasilien geflohenen Pädagogen Paulo Freire (1921–1997) verband ihn die Suche nach Lernerfahrungen, die keiner Institution bedurften. Unter anderem förderte er die Publikation der Schriften des Priesters und Guerilleros Camilo Torres (1929–1966).

    In der Befreiungstheologie sah Illich ein politisches Heilsversprechen, das er ablehnte, weil sich die Kirche seiner Überzeugung nach nicht in die Politik einmischen sollte. 1966 prangerte er unter dem Pseudonym Peter Canon die Missionstätigkeit der katholischen Kirche an, die in Lateinamerika zu einer Art Entwicklungshilfeagentur der USA geworden sei. Er wandte sich auch gegen die mit der Entwicklungshilfe verbundene Sozialpolitik des Heiligen Stuhls nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und forderte, die Kirche solle keine politische Macht ausüben, sondern nur als spirituelle Gemeinschaft dienen. Daraufhin geriet Illich 1967 in Konflikt mit dem Vatikan. Er wurde von Vertretern des Opus Dei in der mexikanischen Kirche persönlich angegriffen. Die Vorwürfe richteten sich allerdings v. a. gegen seinen Vorgesetzten, Méndez Arceo, der sich öffentlich zum christlichen Sozialismus bekannte. Um weiteren Diskussionen aus dem Weg zu gehen, erklärte sich Illich 1969 zum Priester ohne Amt und nahm fortan keine längerfristige Anstellung in einer Institution mehr an. Am CIDOC, das säkularer und erfolgreicher geworden war, blieb er bis zu dessen Schließung 1976 akademischer Direktor.

    Illichs sozialkritische Schriften

    In den 1970er Jahren wurde Illich durch seine Schriften bekannt, die rasch in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. In „Celebration of Awareness. A Call for Institutional Revolution“ (1969) fasste er seine Kritik am Machtapparat der katholischen Kirche zusammen; in „Deschooling Society“ (1971) wandte er sich gegen die allgemeine Schulpflicht, worunter er nicht die Abschaffung der Schule, sondern der Praxis verstand, dass die Anzahl der in Bildungseinrichtungen verbrachten Jahre über die beruflichen Chancen eines Menschen entscheiden solle. In „Tools for Convivialty“ (1973) führte er den Begriff „Conviviality“ als Bezeichnung für einen selbstbegrenzten Umgang mit Technologie ein; in „Energy and Equity“ (1974) griff er das Thema der Selbstbegrenzung erneut auf und bezog es auf die Energiekrise von 1973. Eine große Leserschaft fand sein Band „Limits to Medicine. Medical Nemesis. The Expropriation of Health” (1976), in dem er die Apparatemedizin anprangerte und davor warnte, dass die gesellschaftliche Medikalisierung nicht der Heilung der Kranken diene, sondern Heilung zu einem Bedürfnis bzw. zu einem knappen Gut mache. Erstmals schrieb Illich von der Schwelle oder Wasserscheide, die, einmal überschritten, das ursprünglich Gute ins Gegenteil verkehre. Kontraproduktiv nannte er eine Medizin, die Krankheiten schaffe.

    Wie Paul Goodman (1911–1972) vor und Michel Foucault (1926–1984) nach ihm, sah Illich die Mechanismen der Bürokratie nicht im Dienst der Menschen, sondern der Macht. Seine Kritik an der modernen Konsumgesellschaft verschärfte er in seinen Pamphleten „The Right of Useful Unemployment“ und „Torward a History of Needs“ (beide 1978). Darin wandte er sich gegen die Erzeugung unstillbarer Bedürfnisse, die den Menschen manipulieren.

    Illich als öffentlicher Intellektueller

    1980 ging Illich als Regents‘ Lecturer für ein Semester an die University of California nach Berkeley (USA) und diskutierte ein Manuskript, das u. d. T. „Gender“ wenige Monate danach als Buch erschien. Hierin richtete er sich gegen die Reduktion von Frauen und Männern auf ihr biologisches Geschlecht und plädierte dafür, stattdessen die kulturell und historisch spezifischen Komplementärbeziehungen, also Genderverhältnisse, zu erforschen. Er wurde von den ersten Professorinnen für Frauenforschung in Berkeley heftig kritisiert, weniger wegen seiner Position als wegen seiner angeblichen Aneignung eines Frauenthemas.

    Illich zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und lebte seit 1982 als Privatgelehrter abwechselnd in Mexiko, den USA und Deutschland. 1983/84 und 1985/86 lehrte er als Gastprofessor an der Theologischen Fakultät der Universität Marburg an der Lahn. Von 1986 bis 1996 verbrachte er jeweils das Herbstsemester an der Penn State University (Pennsylvania, USA), wo er Seminare im Science, Technology and Society Program hielt. In seinen letzten Jahren lehrte er regelmäßig an der Universität Bremen.

    Illichs Weggefährten

    Eine langjährige fruchtbare, freundschaftliche Zusammenarbeit verband Illich mit der Historikerin Barbara Duden (geb. 1942), die sein Interesse auf die Geschichte des Körpers und der Sinne lenkte. Illich verband dies mit seiner Kritik an der im 19. Jahrhundert neu definierten Warenförmigkeit des menschlichen Körpers und an der als öffentliche Anmaßung empfundenen medizinischen Aufforderung, die eigene Gesundheit zu erhalten. Illich lehnte eine Behandlung seiner Krebserkrankung ab und lebte die letzten 21 Jahre seines Lebens mit einer von der Krankheit gezeichneten Gesichtshälfte.

    Von Illichs wachsendem Interesse an historiografischen Themen zeugt der Band „In the Mirror of the Past. A Commentary to Hugh‘s Didascalicon“ (1996). Darin spannte er anhand eines mittealalterlichen Texts den Bogen von der Erfindung des Buchdrucks, die das stille Lesen einleitete, bis hin zur Produktion von Informationen, die nicht mehr zum Nachdenken anregen.

    Illichs Positionen lassen sich keiner Denkrichtung zuordnen und auch nicht ideologisch vereinnahmen. Sie riefen mitunter Unverständnis hervor. So vertrat er etwa die Ansichten, eine Sprache lasse sich durch gemeinsames Schweigen erlernen, Konsumismus mache dumm, intolerant und unpolitisch, das Denken in Systemen befördere autoritäre Regime, Friede sei ein Gemeingut und Konvivialität eine ständig zu übende Praxis.

    Illich hatte weltweit zahlreiche einflussreiche Schülerinnen und Schüler und regte viele Gelehrte an. Auch Bischof Samuel Ruiz (1924–2012) war am CIDOC. 1994 trat er als wichtigster Unterstützer des Aufstands der indigenen Zapatisten auf; Illichs Freund und Schüler Jerry Brown (geb. 1938) war von 1975 bis 1983 und von 2011 bis 2019 Gouverneur von Kalifornien.

    Nach Illichs Tod formierte sich 2006 in Bremen eine Gruppe Gelehrter mit dem Namen „Denken nach Illich“, die seine Ideen weiter verfolgten. 2013 gründete Marianne Gronemeyer (geb. 1941) in Wiesbaden die „Stiftung Convivial“, die neben Originalmanuskripten Quellen und Materialien zu Illichs Leben und Werk sammelt. 2014 wurde das Periodikum „International Journal of Illich Studies“ eingerichtet, dessen Nachfolgepublikation „Conspiratio“ ist.

  • Auszeichnungen

    1956 Monsignore (päpstlicher Hausprälat)
    1998 Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon, Bremen
    seit 2013 Stiftung Convivial, Wiesbaden (mit Illich-Archiv)
  • Quellen

    Nachlass:

    kein öffentlich zugänglicher Nachlass erhalten.

    Weitere Archivmaterialien:

    Illich-Archiv der Stiftung Convivial, Wiesbaden. (weiterführende Informationen)

  • Werke

    Monografien und Aufsatzsammlungen:

    Die Philosophie Toynbees. Die philosophischen Grundlagen der Geschichtsschreibung bei Arnold Toynbee, ungedr. Diss. phil., Salzburg 1951.

    Celebration of Awareness, 1970, dt. Almosen und Folter. Verfehlter Fortschritt in Lateinamerika, 1970, Neuaufl. 1996 u. d. T. Klarstellungen. Pamphlete und Polemiken.

    Deschooling Society, 1971, dt. Schulen helfen nicht. Über das mythenbildende Ritual der Industriegesellschaft, 1972, Neuaufl. 1995 u. d. T. Entschulung der Gesellschaft. Eine Streitschrift.

    Tools of Conviviality 1973, dt. Vom Recht auf Gemeinheit, 1982.

    Energy and Equity, 1974, dt. In Fortschrittsmythen, 1983, S. 74–113.

    Limits to Medicine. Medical Nemesis. The Expropriation of Health, 1975, dt. Die Enteignung der Gesundheit, 1975, Neuaufl. 1981 u. d. T. Die Nemesis der Medizin. Von den Grenzen des Gesundheitswesens, 52007, Neuaufl. 1995 u. d. T. Die Nemesis der Medizin. Die Kritik der Medikalisierung des Lebens.

    The Right to Useful Unemployment, 1978 (Nachtrag zu Tools for Conviviality), dt. in Fortschrittsmythen, 1983, S. 15–71.

    Shadow Work, 1981.

    Gender, 1982, dt. Genus. Zu einer historischen Kritik der Gleichheit, 1983.

    Fortschrittsmythen, 1983.

    Schule ins Museum. Phaedros und die Folgen, 1984.

    H2O and the Waters of Forgetfulness, 1985, dt. H2O und die Wasser des Vergessens, 1987.

    Ivan Illich/Barry Sanders, ABC. The Alphabetization of the Popular Mind, 1988, dt. Das Denken lernt schreiben. Lesekultur und Identität, 1988.

    In the Vineyard of the Text. A Commentary to Hugh’s Didascalicon, 1993, dt. Im Weinberg des Textes. Ein Kommentar zu Hugos „Didascalicon“, 1991.

    In the Mirror of the Past. Lectures and Addresses, 1978–1990, 1992.

    The Powerless Church and other Selected Writings, 1955–1985, hg. v. Valentina Borremans/Sajay Samuel, 2018, dt. Kirche ohne Macht. Beiträge zu Feier des Wandels. Mit einem Vorw. v. Giorgio Agamben, 2023.

    Beyond Economics and Ecology. The Radical Thought of Ivan Illich, hg. v. Sajay Samuel, 2013.

    Gespräche:

    David Cayley (Hg.), Ivan Illich in Conversation, 1992.

    The Rivers North of the Future. The Testament of Ivan Illich as Told to David Cayley, 2005, dt. In den Flüssen nördlich der Zukunft. Letzte Gespräche über Religion und Gesellschaft mit David Cayley, 2006, 22020.

  • Literatur

    Periodikum:

    The International Journal of Illich Studies, 2014–2020, seit 2021 u. d. T. Conspiratio. (Onlineressource)

    Monografien und Sammelbände:

    Stephan H. Pfürtner (Hg.), Wider den Turmbau zu Babel. Disput mit Ivan Illich, 1985.

    David A. Gabbard, Silencing Ivan Illich. A Foucauldian Analysis of Intellectual Exclusion, 1993.

    Lee Hoinacki/Carl Mitcham (Hg.), Challenges of Ivan Illich. A Collective Reflection, 2002.

    Hagen Siemers, Das Menschenbild bei Ivan Illich. Ansätze einer neuen Rezeption für die Pädagogik nach dem Ende der Entschulungsdiskussion, 2004.

    Martina Kaller-Dietrich, Ivan Illich (1926–2002). Sein Leben, sein Denken, 2008. (P)

    Rainer Flöhl (Hg.), Maßlose Medizin? Antworten Auf Ivan Illich. 2013.

    Werner Pieper (Hg.), Ivan Illich. Der visionäre Wurzelwerker, 2015. (P)

    Todd Hartch, The Prophet of Cuernavaca. Ivan Illich and the Crisis of the West, 2015.

    Martin Fortier/Thierry Paquot (Hg.), Ivan Illich, l’alchimiste des possibles, 2016.

    Thierry Paquot, Ivan Illich. Denker und Rebell, 2017. (P)

    Marianne Gronemeyer/Reimer Gronemeyer/Charlotte Jurk/Marcus Jurk/Manuel Pensé (Hg.), „Aber ich will nicht in diese Welt gehören...“. Beiträge zu einem konvivialen Denken nach Ivan Illich, 2019.

    Samuel E. Ewell, Faith Seeking Conviviality. Reflections on Ivan Illich, Christian Mission, and the Promise of Life Together, 2020.

    Rosa del Carmen Bruno-Jofré/Jon Igelmo Zaldívar, Ivan Illich Fifty Years Later. Situating Deschooling Society in his Intellectual and Personal Journey, 2020, span. 2012.

    Jean-Michael Djian, Ivan Illich. L’homme qui a libéré l'avenir, 2020. (P)

    John Baldacchino, Educing Ivan Illich: Reform, Contingency and Disestablishment, 2020.

    David Cayley, Ivan Illich. An Intellectual Journey, 2021.

    Mauro Bozzetti, Ecologia e giustizia. Ivan Illich e Alexander Langer, 2023.

    Aufsätze und Beiträge:

    Hans Halter, Entführungen ins Schattenreich, in: Der Spiegel, Nr. 48 v. 26.11.1979, S. 268–272.

    Martina Kaller, Kritik und Utopie bei Ivan Illich. Die Wirtschaftskrise als Wende auf dem Weg zur Befreiung“, in: Hubert Christian Ehalt/Wilhelm Hopf/Konrad P. Liessmann (Hg.), Kritik und Utopie. Positionen & Perspektiven, 2009, S. 139–143.

    Wolfgang Palaver, Ivan Illich (1926–2002). Kritiker der Moderne und apokalyptischer Christ, in: Michael Benedikt/Reinhold Knoll/Cornelius Zehetner (Hg.), Verdrängter Humanismus – verzögerte Aufklärung, Bd. 6, 2010, S. 1160–1170.

    Martina Kaller, Peace, a Gift of Grace, Turned into Modern Horror. Ivan Illich, Visionary of the Twentieth Century, in: Wolfgang Dietrich/Josefina Echavarría Alvarez/Gustavo Esteva/Daniela Ingruber/Norbert Koppensteiner (Hg.), The Palgrave International Handbook of Peace Studies. A Cultural Perspective, 2011, S. 511–524.

    Helmut Woll, Ivan Illichs sozialphilosophische Kritik an der modernen Industriegesellschaft, in: Zeitschrift für Sozialökonomie 5 (2016), H. 188/189, S. 45–52.

    Martina Kaller, The American Way of Life as seen by Ivan Illich (1926–2002), in: Guenter Bischof (Hg.), Quiet Invaders Revisited. Biographies of Twentieth Century Immigrants to the United States, 2017, S. 277–286.

    Winfried Süß, Enteignete Gesundheit? Ivan Illich und die Pathologien der Industriemoderne, in: Zeithistorische Forschungen 17 (2020), S. 378–385.

    Fabio Milana, Introduzione, in: Ivan Illich, Celebrare la consapevolezza. Opere complete. Bd. 1, hg. v. Fabio Milana, 2020, S. 13–91.

    Fabio Milana, Ivan Illich al Collegio Capranica (1945–1950), in Cristianesimo nella storia. Ricerche storiche, esegetiche, teologiche 1 (2023), S. 59–137.

    Martina Kaller, Ivan Illich. Priest in the 1950s and 1960s, in: Oliver Dürr/Barbara Hallensleben/Luca Baschera (Hg.), Laughter and the Kingdom, in Vorbereitung.

  • Onlineressourcen

  • Autor/in

    Martina Kaller (Wien)

  • Zitierweise

    Kaller, Martina, „Illich, Ivan“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2024, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118555456.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA