Heyde, Werner
- Lebensdaten
- 1902 – 1964
- Geburtsort
- Forst (Lausitz)
- Sterbeort
- Butzbach (Hessen)
- Beruf/Funktion
- Psychiater ; Neurologe
- Konfession
- unbekannt
- Normdaten
- GND: 118704419 | OGND | VIAF: 22936208
- Namensvarianten
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- Sawade, Fritz / Pseudonym
- Heyde, Werner
- Sawade, Fritz / Pseudonym
- Sawade, Fritz
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Heyde, Werner
Pseudonym: Fritz Sawade
1902 – 1964
Psychiater
Werner Heyde, von 1940 bis 1945 Ordinarius für Psychiatrie in Würzburg, war auf vielfältige Art und Weise an der nationalsozialistischen Rassen- und Vernichtungspolitik beteiligt. Im Rahmen der NS-„Euthanasie“ (T4) fungierte er als Obergutachter und war für die Ermordung zehntausender Psychiatriepatienten mitverantwortlich. Nach 1945 gelang es ihm unter dem Pseudonym Fritz Sawade wieder als Arzt tätig zu sein, ehe er 1959 enttarnt und festgenommen wurde.
Lebensdaten
Geboren am 25. April 1902 in Forst (Lausitz) Gestorben am 13. Februar 1964 (Suizid) in Butzbach (Hessen) Konfession evangelisch -
Autor/in
→Philipp Rauh (München)
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Zitierweise
Rauh, Philipp, „Heyde, Werner“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.01.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118704419.html#dbocontent
Heyde besuchte – unterbrochen vom Ersten Weltkrieg – von 1908 bis 1920 das Reform Realgymnasium in Forst, später die Oberrealschule in Cottbus. Seit Sommer 1918 nahm er als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil und erhielt nach dem Ende des Kriegs sein Abitur. Als im März 1920 der Kapp-Putsch ausbrach, schloss sich Heyde in Cottbus als Freikorpskämpfer den Putschisten an. Im Anschluss studierte er Medizin an den Universitäten in Berlin, Freiburg im Breisgau, Marburg an der Lahn, Rostock und Würzburg. Nach dem medizinischen Staatsexamen und seiner Promotion zum Dr. med. mit der Dissertation über „Hernia encystica incarcerata“ in Würzburg 1925 absolvierte er zwei kurze Praktika in Cottbus und Berlin. Von 1928 bis 1930 war Heyde als Stipendiat der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft für das Chemische Staatslabor in München tätig. Zurückgekehrt an die Würzburger Universitätsnervenklinik, widmete er sich – gefördert von Martin Reichardt (1874–1966) – der Psychiatrie. Anfangs untersuchte Heyde die Schizophrenie neuroanatomisch. Zusätzlich kristallisierte sich mit der Begutachtungswissenschaft ein zweiter Forschungsschwerpunkt Heydes heraus. 1932 habilitierte sich Heyde an der Universität Würzburg für Psychiatrie und Neurologie.
1933 trat Heyde in die NSDAP und 1936 in die SS ein. Im „Dritten Reich“ stellte er seine psychiatrische Expertise in den Dienst der NS-Rassenpolitik. Sich als Teil einer Weltanschauungselite begreifend, wirkte er freiwillig und auf vielfältige Weise bei der forcierten Umgestaltung der Gesellschaft entsprechend der NS-Ideologie mit. Er fungierte seit 1935 als Kreisamtsleiter des Rassenpolitischen Amts im Gau Mainfranken. Ebenfalls seit 1935 war er als Beisitzer am Erbgesundheitsgericht in Würzburg an der Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ beteiligt, das die Zwangssterilisation von ca. 350 000 Frauen und Männern zur Folge hatte. Ab 1936 erstellte Heyde psychiatrische Gutachten für die Gestapo.
Eine wichtige Rolle auf Heydes Weg zum NS-Medizintäter spielte seine Bekanntschaft seit 1933 mit dem Kommandanten des Konzentrationslagers Dachau, Theodor Eicke (1892–1943), dessen Vorschlag Heyde im Frühjahr 1936 zustimmte, innerhalb der Sanitätsabteilung der SS-Totenkopfverbände einen psychiatrisch-neurologischen Dienst aufzubauen. Heydes Aufgabe in den Konzentrationslagern war es, per Gutachten über die Zwangssterilisation oder -kastration von KZ-Häftlingen zu entscheiden.
Im Sommer 1939 wurde Heyde als Obergutachter der „Krankenmordaktion T4“ angeworben, im Mai 1940 wurde er zum medizinischen Leiter der „Euthanasie“-Zentrale in Berlin ernannt. Er war federführend für die Ermordung von über 70 000 geistig behinderten und psychisch kranken Menschen verantwortlich. Mit zwei anderen Obergutachtern entschied er anhand von Meldebögen mit Informationen zur dauernden Anstaltsbedürftigkeit bzw. Unheilbarkeit und „Erblichkeit“ der Erkrankung, Therapie- und Arbeitsfähigkeit, zum Verhalten sowie Familienanschluss über den „Lebenswert“ von Anstaltspatienten. Auf Grundlage der Gutachten von Heyde und seinen Kollegen wurden die selektierten Psychiatriepatienten in eigens eingerichtete Tötungsanstalten deportiert und dort mittels Kohlenmonoxid ermordet. Heydes Mitarbeit am NS-Krankenmord beförderte auch seine universitäre Karriere. So setzte sich Philipp Bouhler (1899–1945), Chef der „Kanzlei des Führers“, im Berufungsverfahren für ihn ein; Heyde wurde 1940 zum Ordinarius für Psychiatrie und Nervenheilkunde sowie zum Leiter der Psychiatrischen und Nervenklinik an der Universität Würzburg ernannt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Heyde interniert; 1947 gelang ihm die Flucht. Er tauchte unter falschem Namen in Schleswig-Holstein unter und baute sich – mit dem Wissen von Teilen der Justiz und Kollegen – unter dem Decknamen Fritz Sawade eine neue Existenz als Arzt auf. 1959 wurde Heyde enttarnt und festgenommen. Die Ermittlungen gegen ihn übernahm die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft unter Fritz Bauer (1903–1968). Bis Mai 1962 wurde eine umfangreiche Anklageschrift erstellt, die Heyde als zentrale Figur der NS-„Euthanasie“ konturierte. Dem bevorstehenden Prozess entzog er sich 1964 durch Suizid im Gefängnis.
Nachlass:
nicht bekannt.
Weitere Archivmaterialien:
Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, SSO/95-A. (SS-Führerpersonalakten)
Universitätsarchiv Würzburg, P 87. (Personalakte)
Über Hernia encystica incarcerata, 1925. (Diss. med.)
Untersuchungen über Gehirnfermente, 1932. (Habilitationsschrift)
Klaus-Detlev Godau-Schüttke, Die Heyde-Sawade-Affäre, 2001.
Thomas Vormbaum (Hg.), „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/M. gegen Dr. Werner Heyde u. a. vom 22. Mai 1962, 2005.
Niels Weise, Eicke. Eine SS-Karriere zwischen Nervenklinik, KZ-System und Waffen-SS, 2013.
Martin Krupinski, Werner Heyde. Psychiater und Massenmörder. Eine forensisch-psychiatrische Perspektive, in: Der Nervenarzt 5 (2019), S. 528–533.
Herr Heyde, Gemälde (Öl/Leinwand) v. Gerhard Richter (geb. 1932), 1965, Neue Nationalgalerie in Berlin. (weiterführende Informationen)