Herwarth von Bittenfeld, Hans-Heinrich
- Lebensdaten
- 1904 – 1999
- Geburtsort
- Berlin
- Sterbeort
- Küps (Oberfranken)
- Beruf/Funktion
- Diplomat ; Beamter
- Konfession
- evangelisch-lutherisch
- Normdaten
- GND: 118550101 | OGND | VIAF: 112633520
- Namensvarianten
-
- Hans von Herwarth
- Johnny von Herwarth
- Herwarth von Bittenfeld, Hans-Heinrich
- Hans von Herwarth
- Johnny von Herwarth
- Herwarth, Hans von
- Herwarth von Bittenfeld, Hans Heinrich
- Herwarth von Bittenfeld, Hans von
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- Adolf Hitlers (1889–1945)
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- Charles W. Thayer (1910–1969)
- Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907–1944)
- Erica Pappritz (1893–1972)
- Ernst Köstring (1876–1953)
- Ernst von Weizsäcker (1882–1951)
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- Heinrich Lübke (1894–1972)
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- Konrad Adenauer (1876–1967)
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Herwarth von Bittenfeld, Hans-Heinrich
Namensvarianten: Hans von Herwarth; Johnny von Herwarth
1904 – 1999
Diplomat
Seit 1931 an der deutschen Botschaft in Moskau tätig, informierte Hans-Heinrich Herwarth von Bittenfeld im August 1939 alliierte Diplomaten über das geheime Zusatzprotokoll des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts. Im Zweiten Weltkrieg beteiligte er sich v. a. an den Planungen zur Aufstellung „fremdvölkischer Verbände“ aus übergelaufenen sowjetischen Kriegsgefangenen. Nach 1945 trat Herwarth erneut in den diplomatischen Dienst und beförderte die Integration der Bundesrepublik in das Lager der westlichen Demokratien.
Lebensdaten
Geboren am 14. Juli 1904 in Berlin Gestorben am 21. August 1999 in Küps (Oberfranken) Konfession evangelisch-lutherisch -
Autor/in
→Winfried Heinemann (Cottbus)
-
Zitierweise
Heinemann, Winfried, „Herwarth von Bittenfeld, Hans-Heinrich“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118550101.html#dbocontent
Herwarth wuchs in einer preußischen Offiziers- und Beamtenfamilie auf, legte im März 1922 auf dem humanistischen Viktoria-Gymnasium in Potsdam das Abitur ab und trat nach dem Studium der Rechtswissenschaften und Nationalökonomie in Berlin, München und Breslau (Schlesien, heute Wrocław, Polen) im April 1927 in den Auswärtigen Dienst ein. Im Mai 1931 ging er an die Deutsche Botschaft in Moskau, wo er den Spitznamen „Johnny“ erhielt und – obgleich „Vierteljude“ – auch nach der NS-Machtübernahme tätig blieb. Die nationalsozialistische Ideologie und Politik ablehnend, versuchte Herwarth im Frühjahr 1938 im Auftrag des Kreises um Staatssekretär Ernst von Weizsäcker (1882–1951), über Bekannte in westlichen Botschaften die Regierungen in London und Paris zur Ablehnung von Adolf Hitlers (1889–1945) Forderungen nach Abtretung des Sudetengebiets zu bewegen. Herwarth stand u. a. mit Fitzroy MacLean (1911–1996) von der britischen Botschaft sowie mit den US-amerikanischen Diplomaten Charles E. Bohlen (1904–1974) und Charles W. Thayer (1910–1969) in enger Verbindung. Diesen Kontakten übermittelte er 1939 Geheiminformationen zu den deutsch-sowjetischen Beziehungen sowie zuletzt den Inhalt des geheimen Zusatzprotokolls des „Hitler-Stalin-Pakts“, der die Aufteilung Polens und des Baltikums im Kriegsfall regelte.
Ende August 1939 schied Herwarth auf eigenen Wunsch aus dem diplomatischen Dienst aus, bewarb sich als Reserveoffizier im Reiterregiment 1 und nahm mit diesem Verband am Überfall auf Polen teil. Im Sommer 1940 vom Wehrmachtführungsstab angefordert, wirkte er an einer Studie über einen möglichen Angriff auf die Sowjetunion mit, deren eigentlicher Zweck darin bestand, Hitler von der Unmöglichkeit eines erfolgreichen Angriffs zu überzeugen. Im Sommer 1942 wechselte Herwarth in die Organisationsabteilung des Oberkommandos des Heeres (OKH), wo er Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907–1944) begegnete. Aus Besprechungen mit Offizieren von der Ostfront hatte Herwarth Kenntnisse vom nationalsozialistischen Massenmord an den europäischen Juden, die er im Mai 1942 an Stauffenberg weitergab. Stauffenberg informierte Herwarth über seine Pläne, Hitler zu töten und den Krieg zu beenden, ohne ihm eine konkrete Aufgabe beim Staatsstreich zuzuweisen. Herwarths Mitwisserschaft am Umsturzversuch des 20. Juli 1944 blieb der Gestapo verborgen.
Herwarth diente von Juni 1942 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs als Adjutant des Generals der Kavallerie Ernst Köstring (1876–1953), der führend an der Aufstellung von Verbänden aus sowjetischen Freiwilligen für die Wehrmacht beteiligt war und zuletzt als General der Freiwilligen-Verbände im OKH diente. Im Sommer 1944 begleiteten Herwarth und Köstring Generalmajor Helmuth von Pannwitz (1898–1947) nach Kroatien, wo die von Pannwitz geführte 1. Kosaken-Kavallerie-Division im Rahmen der Partisanenbekämpfung schwere Kriegsverbrechen beging.
Nach kurzer US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft, während der er im Rahmen der Special State Department Mission for the Interrogation of German Personnel zu Fragen über das NS-Regime und die deutsch-sowjetischen Beziehungen vernommen wurde, wechselte Herwarth im Herbst 1945 auf Veranlassung Anton Pfeiffers (1888–1957) in die Bayerische Staatskanzlei. Hier war er für den Austausch mit der US-amerikanischen Besatzungsmacht zuständig und vermittelte 1948/49 im Vorfeld der Gründung der Bundesrepublik zwischen den stärker partikularistischen und föderalistischen Interessen Bayerns und jenen der anderen Bundesländer.
Im Sommer 1949 wechselte Herwarth als Leiter des neu geschaffenen Arbeitsstabs Protokoll in das Berliner Bundeskanzleramt und avancierte mit seiner Stellvertreterin Erica Pappritz (1893–1972) zur prägenden Figur für die protokollarischen Formen der frühen Bundesrepublik. Zugleich übernahm ihn Theodor Heuss (1884–1963) als stellvertretenden Chef des Bundespräsidialamts unter Manfred Klaiber (1903–1981). Als die Außenbeziehungen aus dem Bundeskanzleramt ausgegliedert wurden, wurde Herwarth im März 1951 von Konrad Adenauer (1876–1967) zum Chef des Protokolls im Auswärtigen Amt ernannt, ehe er von Mai 1955 bis August 1961 als deutscher Botschafter in London wirkte. Herwarth gelang es, dass Bundespräsident Heuss 1958 zum ersten Staatsbesuch der Nachkriegszeit nach London reisen konnte; in seine Amtszeit fiel zudem die Eröffnung des Goethe-Instituts in London.
Seit September 1961 war Herwarth als enger Vertrauter des Bundespräsidenten Heinrich Lübke (1894–1972) Chef des Bundespräsidialamts im Rang eines Staatssekretärs. 1965 schied er aus dieser Verwendung aus, weil er eine zweite Amtszeit Lübkes aufgrund von dessen angegriffener Gesundheit ablehnte. Anschließend ging er bis Februar 1969 als Botschafter beim Quirinal nach Rom und übernahm von 1969 bis 1971 den Vorsitz der Kommission zur Reform des Auswärtigen Dienstes, welche die Diplomatenlaufbahn auch für Nicht-Juristen öffnete. Von 1969 bis 1977 engagierte sich Herwarth als Vorstandsvorsitzender der Deutsch-Englischen Gesellschaft weiter für die Pflege der deutsch-britischen Beziehungen und leitete seit 1971 zugleich das Münchner Goethe-Institut zur Pflege der deutschen Sprache und Kultur im Ausland.
1955 | Falkenorden des Staates Island |
1958 | Grand Cross of the Royal Victorian Order |
1962 | Großes Silbernes Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich |
1989 | Ehrenbürger der Universität Augsburg |
Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland mit Stern und Schulterband | |
Mitglied der Prince Albert Society |
Teilnachlass:
Russisches Staatliches Militärarchiv, Moskau.
Weitere Archivmaterialien:
Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, B 136/129 555. (Personalakte)
Anglo-American Relations, in: International Affairs 39 (1963), S. 511–520.
Der diplomatische Dienst in einer sich wandelnden Welt. Zwischenbericht der Kommission für die Reform des Auswärtigen Dienstes, in: Politische Studien 20 (1969), S. 541–550.
Against two Evils. Memoirs of a Diplomat-Soldier during the Third Reich, 1981, erw. dt. Ausg. u. d. T. Zwischen Hitler und Stalin. Erlebte Zeitgeschichte 1931–1945, 1982, poln. 1992.
Von Adenauer zu Brandt. Erinnerungen, 1990, poln. 1995.
Monografien:
Charles Eustis Bohlen, Witness to History. 1929–1969, 1973, S. 69–83 u. 86–88.
Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, durchges. u. aktual. Neuausg. 2003, S. 677 f.
Peter Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Die Biographie, 2007, bes. S. 262 f., 271 u. 275.
Simone Derix, Bebilderte Politik. Staatsbesuche in der Bundesrepublik 1949–1990, 2009, S. 31 f.
Eckart Conze/Norbert Frei/Peter Hayes/Moshe Zimmermann (Hg.), Das Amt und die Vergangenheit. Die deutschen Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, 2010, bes. S. 358 u. 363–374.
Thomas Maulucci, Adenauer’s Foreign Office. West German Diplomats and Diplomacy in the Shadow of the Third Reich. 1945–1955, 2012, bes. S. 64–67 u. 72,
Linda von Keyserlingk-Rehbein, Nur eine „ganz kleine Clique“? Die NS-Ermittlungen über das Netzwerk vom 20. Juli 1944, 2. durchges. Aufl. 2019, S. 144.
Winfried Heinemann, Unternehmen „Walküre“. Eine Militärgeschichte des 20. Juli 1944, 2019, S. 165.
Festschrift:
Wilhelm Reissmüller (Hg.), Der Diplomat. Eine Festschrift zum 70. Geburtstag von Hans von Herwarth, 1974.
Nachrufe:
Karl Moersch, Hans von Herwarth wollte vor dem Hitler-Stalin-Pakt warnen – nur die Amerikaner nahmen ihn ernst, in: Tagesspiegel v. 1.9.1999.
Hermann Baron von Richthofen, Hans Herwarth von Bittenfeld, in: The Guardian v. 16.9.1999.
Fotografie, 29.6.1954, Bundesarchiv, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bild-00018 051. (Onlineressource)