Hassenstein, Bernhard

Lebensdaten
1922 – 2016
Geburtsort
Potsdam
Sterbeort
Freiburg im Breisgau
Beruf/Funktion
Verhaltensbiologe ; Hochschullehrer ; Biologe
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 117757861 | OGND | VIAF: 271695397
Namensvarianten

  • Hassenstein, Bernhard
  • Hassenstein, Bernhard Walter Georg
  • Hassenstein, Bernhard Walther Georg

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Zitierweise

Hassenstein, Bernhard, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117757861.html [31.01.2025].

CC0

  • Hassenstein, Bernhard Walter Georg

    1922 – 2016

    Verhaltensbiologe

    Als Pionier der Biokybernetik leistete Bernhard Hassenstein entscheidende Beiträge zur Datenverarbeitung beim Bewegungssehen von Insekten, beim Farbensehen des Menschen und zur Verhaltenssteuerung. Grundlegend sind ferner seine Analysen zur Verhaltensbiologie und Entwicklung des Kindes, zu Formen der Aggression, insbesondere der ansteckenden Gruppenaggression, und Einsichten zum Einfluss von Genom und Umwelt bei der realisierten Intelligenz. Er prägte die Begriffe „Tragling“ und „Injunktion“.

    Lebensdaten

    Geboren am 31. Mai 1922 in Potsdam
    Gestorben am 16. April 2016 in Freiburg im Breisgau
    Grabstätte Friedhof in Merzhausen bei Freiburg
    Konfession evangelisch
  • 31. Mai 1922 - Potsdam

    - 1940 - Potsdam

    Schulbesuch (Abschluss: Abitur)

    Gymnasium

    1940 - 1941 - Berlin; Göttingen

    Studium der Biologie, Chemie und Physik

    Universität

    1941 - 1945 - Glindow bei Potsdam

    Kriegsdienst

    u. a. Funkstelle der Luftwaffe

    1945 - 1948 - Göttingen; Heidelberg

    Studium der Biologie, Chemie und Physik

    Universität

    1950 - Heidelberg

    Promotion (Dr. rer. nat.)

    Universität

    1948 - 1953 - Wilhelmshaven

    Assistent

    Abteilung Verhaltensphysiologie des Max-Planck-Instituts für Meeresbiologie

    1954 - 1958 - Tübingen

    wissenschaftlicher Assistent

    Zoophysiologisches Institut der Universität

    1957 - Tübingen

    Habilitation für Zoologie

    Universität

    1958 - 1960 - Tübingen

    Mitglied der Forschungsgruppe Kybernetik

    Max-Planck-Institut für Biologie

    1960 - 1984 - Freiburg im Breisgau

    Professor für Zoologie

    Universität

    1967 - 1971 - Bonn; Berlin-West

    Mitglied des Wissenschaftsrats

    Bundesregierung

    1974 - 1981 - Stuttgart

    Vorsitzender der Kommission „Anwalt des Kindes“

    Ministerium für Kultus und Sport in Baden-Württemberg

    16. April 2016 - Freiburg im Breisgau

    Nach dem Abitur 1940 in Potsdam und Reichsarbeitsdienst begann Hassenstein, der sich in seiner Jugend intensiv entomologisch betätigt hatte, ein Studium der Biologie, Chemie und Physik in Berlin mit Fortsetzung in Göttingen, um es 1945 – unterbrochen durch Kriegsdienst und kurze britische Gefangenschaft – in Heidelberg fortzuführen. Hier wurde er 1950 mit einer Arbeit über das Bewegungssehen von Insekten bei Erich von Holst (1908–1962) zum Dr. rer. nat. promoviert. Seit 1948 war er wissenschaftlicher Assistent bei von Holst am Max-Planck-Institut für Meeresbiologie (Abteilung Verhaltensphysiologie) in Wilhelmshaven und seit 1954 bei Franz Peter Möhres (1912–1989) am Institut für Tierphysiologie der Universität Tübingen, wo er sich 1957 für Zoologie habilitierte.

    Mit den Physikern Werner Reichardt (1924–1992) und Hans Wenking (1923–2007) begründete Hassenstein 1958 die Forschungsgruppe Kybernetik am Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen, die Keimzelle des späteren Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik. Von 1960 bis 1984 hatte er den Lehrstuhl für Zoologie an der Universität in Freiburg im Breisgau inne, an der er mit dem Botaniker Hans Mohr (1930–2016) in der Zeit der Expansion der Universitäten das Biologiestudium reformierte und die Biologie zu einer eigenen Fakultät mit zwölf Ordinariaten aufbaute.

    Mit von Holst und Reichardt gilt Hassenstein als Begründer der Biokybernetik, die am intakten Organismus durch Messung des reagierenden Verhaltens die Prozesse der Informationsverarbeitung im Nervensystem aufklärt. Nach Untersuchungen zum Bewegungssehen von Insekten verfolgte er diesen Ansatz bei der Datenverarbeitung des Farbensehens des Menschen. Zur anschaulichen Darstellung theoretischer Konzepte der Verhaltenssteuerung, aber auch zur Prüfung auf Vollständigkeit und mögliche innere Widersprüche entwickelte er Funktionsschaltbilder, die Eingang in Lehrbücher und Schulunterricht fanden. Bedeutsame Analysen betreffen seine Unterscheidung verschiedener Lernvorgänge und ursächlich verschiedener Formen der Aggression, die bis dahin monokausal begründet wurden. Dabei ergründete er das in der Natur des Menschen liegende Syndrom der Gruppenaggression durch ansteckend und solidarisierend wirkende verbale Diffamierung vermeintlicher Gruppengegner. Die von Demagogen missbrauchte Gruppenaggression ist rational nur anfangs noch zügelbar.

    Angestoßen durch die Psychotherapeutin Christa Meves (geb. 1925) und beeinflusst durch den väterlichen Freund Konrad Lorenz (1903–1989), erforschte Hassenstein mit seinen Schülern und Schülerinnen, z. B. Michael Morath (geb. 1942), Evelin Kirkilionis (geb. 1952) und Gabriele Haug-Schnabel (geb. 1952), und seiner Ehefrau die Verhaltensentwicklung des Kindes einschließlich erfahrungsbedingter Verhaltensstörungen. Ein eigenes Forschungsprogramm entwickelte sich durch die Charakterisierung des Menschenkinds als „Tragling“, eines von seinen Eltern regelmäßig herumgetragenen Wesens, mit entsprechenden Anpassungen und Bedürfnissen. Aufgrund seiner Erkenntnisse über die frühkindliche Entwicklung und dem Kindeswohl verpflichtet, übernahm Hassenstein mittels verschiedener Initiativen und in Gremien familien- und bildungspolitische Verantwortung, z. B. von 1974 bis 1981 als Vorsitzender der Kommission „Anwalt des Kindes“ beim baden-württembergischen Ministerium für Kultus und Sport. Dabei erzielte er einige Wirkung auf Humanbiologie, Kinderheilkunde, Familienrecht und Schulwesen durch Leitlinien einer Schulreform, Empfehlungen zur verstärkten Humanisierung des Schulalltags, Argumentationshilfe für faktische Elternschaft und Kindeswohl sowie Unterstützung des Programms Mutter und Kind für alleinerziehende Frauen.

    Hassenstein gelang der Brückenschlag zwischen Verhaltensbiologie, Psychologie und Medizin; bei interdisziplinären Veranstaltungen war er ein gern gesehener Diskutant und Redner, der auch für eine interessierte Öffentlichkeit über eine große Themenvielfalt vortrug, u. a. zu erkenntnistheoretischen, naturphilosophischen und ethischen Problemen der Naturwissenschaften. Seine theoretische Durchdringung und Begriffsklärung waren geschätzt, wozu auch sein Begriff „Injunktion“ für einen nicht klar zu definierenden Gegenstandsbereich mit fließenden Übergängen zu Nachbargebieten gehört. Weitere Schüler Hassensteins sind Kuno Kirschfeld (geb. 1933), Christoph von Campenhausen (geb. 1936) und Otto von Helversen (1943–2009).

    1961 Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
    1965 Mitglied der Leopoldina
    1975 Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde
    1981 Max-Born-Medaille der Gesellschaft für Verantwortung in der Wissenschaft
    1981 Karl-Küpfmüller-Ring der TH Darmstadt
    1984 Preis der Stiftung Dr. Albert Wander, Bern
    1992 Dr. h. c., Universität Prag
    1993 Cothenius-Medaille der Leopoldina
    1995 Exponat „Spangenglobus und Korrelationsauswertung“ im Deutschen Museum Bonn
    2002 Ehrengabe des Reinhold-Schneider-Preises der Stadt Freiburg im Breisgau (mit Ehefrau Helma Hassenstein)

    Nachlass:

    nicht bekannt.

    Monografien:

    Biologische Kybernetik, 1965, 51977, engl. u. d. T. Information and Control in the Living Organism, 1971.

    Verhaltensbiologie des Kindes, 1973, 62007.

    Instinkt, Lernen, Spielen, Einsicht. Einführung in die Verhaltensbiologie, 1980.

    Klugheit. Bausteine zu einer Naturgeschichte der Intelligenz, 1988, 32004.

    Artikel:

    Wie sehen Insekten Bewegungen?, in: Naturwissenschaften 48 (1961), S. 207-214.

    Modellrechnung zur Datenverarbeitung beim Farbensehen des Menschen, in: Kybernetik 4 (1968), S. 209–223.

    Mittel der Verhaltenslenkung. Aggression und Information. in: Neue Sammlung 8 (1968), S. 399–421.

    Bedingungen für Lernprozesse. teleonomisch gesehen, in: Nova Acta Leopoldina 37 (1972), S. 289–320.

    Art. „Injunktion“, in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, 1976, Bd. 4, S. 367 f.

    Erbgut, Umwelt, Intelligenzquotient und deren mathematisch-logische Beziehungen, in: Zeitschrift für Psychologie 190 (1982), S. 345–365.

    Funktionsschaltbilder als Hilfsmittel zur Darstellung theoretischer Konzepte in der Verhaltensbiologie, in: Zoologische Jahrbücher (Physiologie) 87 (1983), S. 181–189.

    Widersacher der Vernunft und der Humanität in der menschlichen Natur, in: Jahrbuch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften für 1985 (1986), S. 72–89.

    Bernhard Hassenstein/Evelin Kirkilionis, Der menschliche Säugling. Nesthocker, Nestflüchter oder Tragling?, in: Wissenschaft und Fortschritt 42 (1992), S. 24–28.

    Mitherausgeberschaften:

    Zoologische Jahrbücher, 1959–1971.

    Kybernetik, seit 1961 (seit 1975 Biological Cybernetics)

    Autobiografisches:

    Erzählte Erfahrung. Der Biologe Bernhard Hassenstein, in: Freiburger Universitätsblätter 30 (1991), H. 114, S. 85–112. (P)

    Volker Johst, Verhaltensbiologe, Biokybernetiker, Anwalt des Kindes, in: Naturwissenschaftliche Rundschau 55 (2002), S. 246–255. (P)

    Dierk Franck, Eine Wissenschaft im Aufbruch. Chronik der Ethologischen Gesellschaft 1949–2000, 2008, S. 128–131. (P)

    Claus Vogt, Bernhard Hassenstein zum Gedenken. in: Freiburger Universitätsblätter 55 (2016), H. 212, S. 163 f. (P)

    Thomas Holstein, Nachruf auf Bernhard Hassenstein, in: Heidelberger Akademie der Wissenschaften Jahrbuch 2016 (2017), S. 309–312. (Onlineressource)

    Walter Sudhaus, Nachruf auf den Sinnesphysiologen, Biokybernetiker, Verhaltensbiologen und Anwalt des Kindes Bernhard Hassenstein, in: Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft (2017), S. 51–60. (P) (Onlineressource)

    Fotografie v. Christian Fischer, 1988, Privatbesitz.

  • Autor/in

    Walter Sudhaus (Berlin)

  • Zitierweise

    Sudhaus, Walter, „Hassenstein, Bernhard“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.01.2024, URL: https://www.deutsche-biographie.de/117757861.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA