Gruenter, Undine
- Lebensdaten
- 1952 – 2002
- Geburtsort
- Köln
- Sterbeort
- Paris
- Beruf/Funktion
- Schriftstellerin
- Normdaten
- GND: 11926434X | OGND | VIAF: 71451882
- Namensvarianten
-
- Gruenter, Undine
- Gruenther, Undine
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Gruenter, Undine
1952 – 2002
Schriftstellerin
Undine Gruenter zählt neben Unica Zürn (1916–1970) zu den bedeutendsten Vertreterinnen surrealistischer Prosa in der deutschsprachigen Literatur nach 1945. Zu Lebzeiten nur wenigen Fachleuten bekannt, erzielte sie mit ihrem letzten, erst postum veröffentlichten Roman „Der verschlossene Garten“ (2004) ihren größten Erfolg.
Lebensdaten
Geboren am 27. August 1952 in Köln Gestorben am 5. Oktober 2002 in Paris Grabstätte Cimetière de Montmartre in Paris -
Autor/in
→Stephan Wolting (Poznań, Polen)
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Zitierweise
Wolting, Stephan, „Gruenter, Undine“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2024, URL: https://www.deutsche-biographie.de/11926434X.html#dbocontent
Gruenter verbrachte die ersten anderthalb Jahre ihres Lebens in einem Waisenhaus vermutlich in Neuss und lebte danach bei der Mutter in Düsseldorf sowie bei ihrer Großmutter väterlicherseits und dem Vater in einer Wassermühle in Neubrück bei Neuss-Holzheim. Im Anschluss an das Abitur 1973 studierte sie bis 1979 Rechtswissenschaften in Heidelberg und Bonn sowie von 1980 bis 1986 Allgemeine Literaturwissenschaft und Philosophie in Wuppertal, ohne einen Abschluss zu erlangen.
Enttäuscht von dem „Provinziellen“ der Bundesrepublik übersiedelte Gruenter 1987 nach Paris. Die französische Metropole, die sie bei Kindheitsbesuchen mit ihrem Vater kennengelernt hatte, galt ihr als Hauptstadt der Künstler, Philosophen und Schriftsteller und wurde zum wiederkehrenden zentralen Motiv ihres Schaffens. 1992 scheiterte der Versuch bald, sich mit ihrem Ehemann Karl Heinz Bohrer (1932–2021) in dessen Elternhaus in Köln niederzulassen, sodass beide nach Paris zurückkehrten.
Bereits 1986 hatte Gruenter ihr erstes Werk, den Roman „Ein Bild der Unruhe“, veröffentlicht, der v. a. im Rheinland und in Wuppertal angesiedelt ist und und die fieberhafte Suche einer Protagonistin nach sich selbst schildert, die sie nach Paris führt. 1987 wurde ihre schriftstellerische Existenz zum Gegenstand des Dokumentarfilms „Stadtaugen“. Seit dieser Zeit galt sie als literarischer Geheimtipp. 1989 und 1991 folgten ihre Erzählbände „Nachtblind“ und „Das gläserne Café“, die sich durch kleine Pariser Stadtszenen mit diversen Protagonistinnen und Protagonisten auszeichnen. In Gruenters Roman „Vertreibung aus dem Labyrinth“ (1992) geht es um den Theaterschriftsteller Blok und dessen Entourage aus drei Freundinnen. Ihr nächster Roman, „Das Versteck des Minotaurus“ (2001), gilt als das hermetischste Werk Gruenters. Er entwirft das Bild eines real existierenden Gebäudekomplexes, eines der frühen Hochhäuser aus dem Ende des 19. Jahrhunderts in der Cité des Platanes (Narbonne), als Labyrinth und widmet sich den merkwürdigen Verflechtungen seiner Bewohner. Ihre Existenz als Schriftstellerin in Paris reflektierte Gruenter in ihrem Journal „Der Autor als Souffleur“ (1992), von dem Passagen als Grundlage für den Dokumentarfilm bzw. Filmessay „Undine Gruenter. Das Projekt der Liebe“ (2015) von Anita Hugi (geb. 1975) dienten.
Literarische Bedeutung erlangte die öffentlichkeitsscheue Gruenter v. a. durch ihr mehrfach wiederaufgelegtes Spätwerk, das nach ihrem Tod von Michael Krüger (geb. 1943), der als Gruenters Entdecker gilt, im Hanser Verlag veröffentlicht wurde. Es ist wie fast alle ihre Werke in Paris und am Atlantik in der Nähe von Trouville-sur-Mer (Département Calvados, Normandie, Frankreich) angesiedelt, wo sie mit ihrem Ehemann ein Haus besaß. Der Roman „Der verschlossene Garten“ (2004) spielt an der Marne und beschreibt die Beziehung des alternden Schriftstellers und Gelehrten Soudain zur „undinenhaften“ jungen Frau Equilibre. In dessen Versuch, der Angebeteten eine Art „schreckliches Paradies“ in Form des Kosmos eines mittelalterlichen Hortus conclusus zu schaffen, bricht der junge Anwalt Saint-Polar aus Paris ein. Der Band „Sommergäste in Trouville“ (2003) enthält Erzählungen von Personen in und aus Trouville und Umgebung. Vor allem die letzten beiden Werke wurden in allen großen deutschsprachigen Zeitungen überaus positiv rezensiert, u. a. von Andrea Köhler (geb. 1970) und Marcel Reich-Ranicki (1920–2013) (u. a. im Literarischen Quartett).
Gruenter war in ihrem Schreiben stark von den Pariser Surrealisten André Breton (1896–1966) und Louis Aragon (1897–1982) sowie von Marguerite Duras (1914–1996) beeinflusst. Ihr Prosastil ist teils präzise und karg, teils äußerst anspruchsvoll formuliert und ausladend. Ihre genauen Betrachtungen lassen sich auch als Hyperrealismus bezeichnen und wurden mit Walter Benjamins (1892–1940) „Passagenwerk“ (verfasst 1927–1940) in Bezug gesetzt. Gruenters Nachlass im Deutschen Literaturarchiv, Marbach am Neckar, enthält noch zahlreiche unveröffentlichte Werke, darunter fast das gesamte lyrische Werk.
1986 | Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für Literatur |
Nachlass:
Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar.
Ein Bild der Unruhe, 1986. (Roman)
Nachtblind, 1989. (Erzählungen)
Das gläserne Café, 1991. (Erzählungen)
Vertreibung aus dem Labyrinth, 1992. (Roman)
Epiphanien, abgeblendet, 1993, Neuaufl. 2010. (Prosastücke)
Der Autor als Souffleur. Journal 1986–1992, 1995.
Das Versteck des Minotauros, 2001. (Roman)
Sommergäste in Trouville. Erzählungen, 2003.
Der verschlossene Garten. Roman, 2004.
Pariser Libertinagen, 2005. (Prosa)
Durch den Horizont. Ein Poem, 2008.
Marion Gees, Journal und Selbstmaskierung (Undine Gruenter), in: dies., Schreibort Paris. Zur deutschsprachigen Tagebuch- und Journalliteratur 1945 bis 2000, 2006, S. 97–108.
Manfred Schmeling, Narrativer Konstruktivismus in den Labyrinthen der Postmoderne. Undine Gruenter, Lars Gustafsson und Felix Philipp Ingold, in: ders., Labyrinth und Spiel. Umdeutungen eines Mythos, 2007, S. 252–266.
Monika Wolting, Weibliche Gestalten im Pariser Exil am Beispiel ausgewählter Texte von Undine Gruenter, in: Studia Germanica Gedanensia 15 (2007), S. 143–151.
Oliver Sill, Undine Gruenter. „Der verschlossene Garten“ (2004), in: ders., Sitte – Sex – Skandal. Die Liebe in der Literatur seit Goethe, 2009, S. 170–179.
Monika Wolting, Der Garten als Topos im Werk von Marie Luise Kaschnitz, Undine Gruenter und Sarah Kirsch, 2009.
Stephan Wolting, „Zurückgekehrt in einen Traum, der nur Kulisse ist“. „Le Spleen de Paris“ bei Undine Gruenter vor dem Hintergrund fremdkultureller literarischer Parisbeschreibungen, in: Neues historisches Erzählen, hg. v. Monika Wolting, 2019, S. 205–220.
Stephan Wolting, Undine Gruenter. Deutsche Schriftstellerin mit Ziel Paris, 2020.
Dokumentarfilme:
Stadtaugen, WDR 3, 1987.
Undine Gruenter. Das Projekt der Liebe, SRF 1, 2015, Buch u. Regie: Anita Hugi.
sieben Fotografien v. Isolde Ohlbaum (geb. 1953), Paris, März 2001. (Onlineressource)