Ganzenmüller, Albert
- Lebensdaten
- 1905 – 1996
- Geburtsort
- Passau
- Sterbeort
- München
- Beruf/Funktion
- Staatssekretär ; stellvertretender Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn ; Ingenieur ; Politiker
- Konfession
- römisch-katholisch
- Normdaten
- GND: 12239822X | OGND | VIAF: 69809247
- Namensvarianten
-
- Ganzenmüller, Albert Leopold Eduard
- Ganzenmüller, Albert
- Ganzenmüller, Albert Leopold Eduard
- Ganzenmüller, Albert
- Ganzenmueller, Albert
- Ganzenmüller
- Ganzenmüller, A.
Vernetzte Angebote
Verknüpfungen
Orte
Symbole auf der Karte
Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.
-
Ganzenmüller, Albert Leopold Eduard
Deckname: Albert Wismer
1905 – 1996
Staatssekretär, stellvertretender Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn
Albert Ganzenmüller war von 1942 bis 1945 Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium und stellvertretender Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn. Durch sein Eingreifen und mit seiner Billigung wurden seit Juli 1942 die Deportationen jüdischer Menschen im besetzten Polen zu den Vernichtungslagern ermöglicht. Ganzenmüller war der einzige Reichsbahnbeamte des Ministeriums, gegen den nach 1945 ein Strafverfahren wegen wissentlicher Beihilfe zum Holocaust eröffnet wurde.
Lebensdaten
Geboren am 25. Februar 1905 in Passau Gestorben am 20. März 1996 in München Grabstätte Waldfriedhof Solln in München Konfession römisch-katholisch -
Autor/in
→Susanne Kill (Berlin)
-
Zitierweise
Kill, Susanne, „Ganzenmüller, Albert“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.01.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/12239822X.html#dbocontent
Ganzenmüller wuchs in Passau und seit 1909 in München auf, wo er das Neue Realgymnasium besuchte. Als Schüler schloss er sich einer paramilitärischen Gruppe des Bunds „Bayern und Reich“ an und nahm im November 1923 an dem gescheiterten Putschversuch Adolf Hitlers (1889–1945) teil. Nach dem Abitur 1924 studierte Ganzenmüller Maschinenbau und Elektrotechnik an der TH München, wurde Mitglied der schlagenden Verbindung Corps Rheno-Palatia und beendete sein Studium im August 1928 als Diplom-Ingenieur. Anschließend war er Referendar bei der Gruppenverwaltung Bayern der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft in München.
Nach erfolgreicher Staatsprüfung wurde Ganzenmüller im Juli 1931 von der Reichsbahn für eine Laufbahn im höheren technischen Dienst übernommen. Sein berufliches Interesse galt v. a. der Elektrifizierung des Schienennetzes, der Entwicklung von elektrischen Lokomotiven sowie den technischen und ökonomischen Herausforderungen des Schienen-Straßen-Verkehrs. 1934 wurde Ganzenmüller an das Forschungsinstitut des Reichsbahn-Zentralamts in München versetzt und im Februar 1934 mit der Dissertation „Der Bau und die Wirtschaftlichkeit von Schienen-Straßen-Fahrzeugen“ bei Georg Lotter (1878–1949) an der TH Breslau (Schlesien, heute Wrocław, Polen) zum Dr.-Ing. promoviert.
Am 1. April 1931 in die NSDAP aufgenommen, begrüßte Ganzenmüller die nationalsozialistische Machtübernahme sowie die rassenideologisch motivierte Personalpolitik der Reichsbahn seit 1933. Seit 1935 Leiter der Abteilung Elektrische Lokomotiven in München-Freimann, wurde Ganzenmüller 1937 als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in das Reichsverkehrsministeriums im Referat für elektrischen Zugbetrieb in Berlin abgeordnet. Im Mai 1939 kehrte er als Dezernent in das Reichsbahnzentralamt nach München zurück und meldete sich im Juni 1940 freiwillig zur Instandsetzung elektrischer Strecken in dem von Deutschland besetzten Paris. Es folgten leitende Positionen in Breslau, Salzburg und Innsbruck.
Im Oktober 1941 meldete sich Ganzenmüller freiwillig für den Kriegseinsatz im Osten und übernahm die Leitung der Haupteisenbahndirektion Ost in Poltawa (Sowjetunion, heute Ukraine). Von hier aus sollte die Heeresgruppe Süd Stalingrad (Sowjetunion, heute Wolgograd, Russland) und das Kaukasusgebiet erobern. Obwohl es in kürzester Zeit gelang, die sowjetische Breitspur auf Normalspur umzubauen, waren die Eisenbahndirektionen in den besetzten sowjetischen Gebieten im Winter 1941/42 nicht in der Lage, die Militärtransporte im geforderten Maße zu fahren. Ganzenmüller gelang es unter den Bedingungen einer unklaren Arbeitsteilung zwischen Wehrmacht und Reichsbahn, wichtige Strecken betriebsfähig zu halten. Im Juni 1942 wurde Ganzenmüller, dessen Organisationstalent und unbedingte Loyalität zum Regime Albert Speer (1905–1981) aufgefallen war, zum Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium sowie zum stellvertretenden Generaldirektor der Reichsbahn befördert. Aufgrund der häufigen Abwesenheit des Reichsverkehrsministers Julius Dorpmüller (1869–1945) nahm Ganzenmüller im Ministerium und bei der Reichsbahn eine führende Stellung ein. Unter den Propagandaparolen „Räder müssen rollen für den Sieg“ und „Unnötiges Reisen verlängert den Krieg“ schwor er Eisenbahner und Bevölkerung auf die Kriegsziele des Regimes ein.
Die Hauptverwaltung der Reichsbahn im Reichsverkehrsministerium kooperierte unter Ganzenmüllers Führung eng mit dem Referat Adolf Eichmanns (1906–1962) im Reichssicherheitshauptamt. Gemeinsam wurde die Bereitstellung der Sonderzüge für die Deportation der europäischen Juden geplant, das Ministerium legte hierzu u. a. den Erlass „Sonderzüge für Umsiedler, Erntehelfer und Juden“ vor. Im Juli 1942 sorgte Ganzenmüller auf Wunsch des Adjutanten Heinrich Himmlers (1900–1945), Karl Wolff (1900–1984), für die Bereitstellung von Zügen zu den Vernichtungslagern Treblinka und Bełżec; der Briefwechsel wurde später zum Beweismittel mehrerer staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gegen deutsche Kriegsverbrecher.
Kurz nach Kriegsende begleitete Ganzenmüller Dorpmüller nach Frankreich zu Gesprächen mit General Dwight D. Eisenhower (1890–1969) über den Zustand der Reichsbahn. Nach Deutschland zurückgekehrt, kam Ganzenmüller in automatischen Arrest und wurde in ein US-amerikanisches Internierungslager in Moosburg an der Isar überstellt. Im Dezember 1945 gelang ihm die Flucht nach Argentinien, wo er unter dem Geburtsnamen seiner Mutter als Berater der Staatseisenbahnen tätig war.
In seinem Entnazifizierungsverfahren vor der Hauptkammer München wurde Ganzenmüller im Dezember 1949 in Abwesenheit als „belastet“ (Gruppe II) eingestuft, im März 1952 amnestiert. Im November 1955 kehrte er nach Deutschland zurück und fand Anstellung bei der Hoesch AG in Dortmund, für die er bis April 1968 als Ingenieur für Transportfragen und Prokurist tätig war. Mehrere Strafanzeigen und der Prozess gegen Wolff veranlassten die Staatanwaltschaft Dortmund 1962, Ermittlungen gegen Ganzenmüller aufzunehmen. Im April 1973 wurde das Hauptverfahren wegen Beihilfe zum Mord jüdischer Menschen vor dem Landgericht Düsseldorf eröffnet. Die Staatsanwaltschaft hatte umfassendes Beweismaterial gegen Ganzenmüller, das Verfahren wurde jedoch im März 1977 wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten eingestellt. Die Dokumente, Gutachten und Zeugenbefragungen fanden Eingang in die Forschung zur Rolle der Reichsbahn im Holocaust.
1933 | Blutorden der NSDAP |
1943 | Goldenes Ehrenzeichen der NSDAP |
Teilnachlass:
DB Museum Nürnberg, Sammlung Gottwaldt. (Familienbriefe)
Weitere Archivmaterialien:
Archiv der TU München, PA.Stud.Ganzenmüller,A. (Studentenakte)
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Duisburg, Gerichte Rep. 230 Nr. 791–799 (Strafsache gegen Ganzenmüller 1967–1977); NW 875 Nr. 14 024 (Ermittlungsakten 1957–1977, Aktenzeichen 2 AR 2437/67: Justizministerium, Berichte in Strafsachen); NW 377 Nr. 3810 (Ermittlungsakten 1957–1959, Justizministerium); NW 130 Nr. 810 (u. a. Innenministerium, Einzelentscheidungen Art. 131 GG, hier Klassifikationspunkt 2: Aberkennung von Beamtenrechten wegen enger Verbindung zum Nationalsozialismus)
Gedruckte Quellen:
Raul Hilberg, Sonderzüge nach Auschwitz, 1981, S. 181.
Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Bd. 9, bearb. v. Klaus-Peter Friedrich, 2014, S. 355 f.
Der Bau und die Wirtschaftlichkeit von Schienen-Straßen-Fahrzeugen, 1934. (Diss. Ing.)
Kommt eine Renaissance der Schiene?, in: Nahverkehrs-Praxis 4 (1956), S. 311–315.
Die Argentinischen Eisenbahnen, 1957.
Der amphibische Transport mit besonderer Berücksichtigung der Massenbeförderung, in: Glasers Annalen. Zeitschrift für Eisenbahnwesen und Verkehrstechnik 84 (1960), S. 28–34.
Gerald Reitlinger, Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939–1945, 1956, S. 288 u. 298.
Raul Hilberg, Sonderzüge nach Auschwitz, 1980.
Heiner Lichtenstein, Mit der Reichsbahn in den Tod. Massentransporte in den Holocaust 1941–1945, 1985.
Alfred C. Mierzejeweski, The Most Valuable Asset of the Reich. A History of the German National Railway, Bd. 2, 1999.
Günter Neliba, Staatssekretär Kleinmann und Nachfolger Ganzenmüller im NS-Reichsverkehrsministerium ab 1937, in: ders., Staatssekretäre des NS-Regimes. Ausgewählte Aufsätze, 2005, S. 73–99.
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle, „Juden ist die Benutzung von Speisewagen untersagt“. Die antijüdische Politik des Reichsverkehrsministeriums zwischen 1933 und 1945, 2007, S. 105–112.
Fotografien, 1942–1944, Bildarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek München, Fotoarchiv Hoffmann.
Fotografie, 28.5.1942, Digitales Bildarchiv des Bundesarchivs, Bild 183-H08 528.