Fauser, Jörg Christian
- Lebensdaten
- 1944 – 1987
- Geburtsort
- Bad Schwalbach (Taunus)
- Sterbeort
- München
- Beruf/Funktion
- Schriftsteller ; Journalist
- Konfession
- unbekannt
- Normdaten
- GND: 119101211 | OGND | VIAF: 118553053
- Namensvarianten
-
- Harry Gelb
- Caliban
- Geoffrey Gordon
- Fauser, Jörg Christian
- Harry Gelb
- Caliban
- Geoffrey Gordon
- Fauser, Jörg
- Kaliban
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Personen im NDB Artikel
- Achim Reichel (geb. 1944)
- Carl Weissner (1940–2012)
- Charles Bukowski (1920–1994)
- Erich Loest (1926–2013)
- Fjodor Dostojewskis (1821–1881)
- Gretel Rieber (geb. 1936)
- Hans Fallada (1893–1947)
- Helmut Maria Soik (1911–1989)
- Henryk M. Broder (geb. 1946)
- Hubert Fichte (1935–1986)
- Josef Wintjes‘ (1947–1995)
- Jürgen Ploog (1935–2020)
- Karl Günther Hufnagel (1928–2004)
- Karl Kollmann (1952–2019)
- Marcel Reich-Ranicki (1920–2013)
- Marius Müller-Westernhagen (geb. 1948)
- Maxim Biller (geb. 1960)
- Maxim Gorkis (1868–1936)
- Nelson Algrens (1909–1981)
- Nicolas Born (1937–1979)
- Peter F. Bringmann (geb. 1946)
- Reinhard Priessnitz (1945–1985)
- Rolf Dieter Brinkmann (1940–1975)
- Thomas Landshoff
- Udo Breger (geb. 1941)
- Viktor Niemann (geb. 1940)
- Wolf Wondratschek (geb. 1943)
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Fauser, Jörg Christian
Pseudonym: Harry Gelb; Caliban; Geoffrey Gordon
1944 – 1987
Schriftsteller, Journalist
Jörg Fauser war ein deutscher Autor, der in mehreren Genres veröffentlichte. Seine – v. a. postume – Reputation basiert zu großen Teilen auf seiner Haltung und einem Schreiben, das Unterhaltung mit literarischem Anspruch verband. Die Verfilmung seines ersten Romans „Der Schneemann“ (1981), mehr noch das autobiografische Werk „Rohstoff“ (1984), etablierten ihn als Pionier der Popliteratur, die erst nach seinem Tod Wertschätzung erfuhr.
Lebensdaten
Geboren am 16. Juli 1944 in Bad Schwalbach (Taunus) Gestorben am 17. Juli 1987 in München Grabstätte Ostfriedhof in München -
Autor/in
→Matthias Penzel (Berlin)
-
Zitierweise
Penzel, Matthias, „Fauser, Jörg Christian“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2022, URL: https://www.deutsche-biographie.de/119101211.html#dbocontent
Fauser wurde durch seinen Vater geprägt, der sich antifaschistisch betätigt hatte und im September 1945 aus kanadischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. 1950 übersiedelte die Familie nach Frankfurt am Main. Hier wuchs Fauser als kulturell und künstlerisch gebildeter, unangepasster Jugendlicher auf. Als „68er“ verweigerte er den Kriegsdienst und reiste nach London, wo er Amphetamine konsumierte. Zurück in Frankfurt, nahm er in Jazzkellern, dann in der Türkei und während seines Zivildienstes in einem Krankenhaus harte Drogen. Fauser desertierte mehrmals, wurde in Istanbul kurzzeitig inhaftiert und fand in dieser Zeit Inspirationsquellen in den Gedanken Maxim Gorkis (1868–1936), Fjodor Dostojewskis (1821–1881) und Nelson Algrens (1909–1981). Die Erlebnisse dieser unsteten von Drogensucht geprägten Jahre – mit den Protestbewegungen in der Bundesrepublik und in Berlin-West, anfänglicher Ablehnung seiner Literatur und ersten Veröffentlichungen in Kleinverlagen – verarbeitete er später in dem autobiografischen Roman „Rohstoff“ (1984).
Literarisch weiterhin nicht anerkannt, entsagte Fauser Anfang der 1970er Jahre den harten Drogen und ließ sich von Freunden wie Wolf Wondratschek (geb. 1943), Jürgen Ploog (1935–2020), Udo Breger (geb. 1941) und v. a. Carl Weissner (1940–2012) zu einer Fortsetzung seiner Dichterkarriere ermutigen. Er veröffentlichte in Josef Wintjes‘ (1947–1995) „Ulcus Molle“ und anderen „Little-mags“, wobei er sich an dem von Weissner übersetzten Charles Bukowski (1920–1994) und anderen sozialen Außenseitern der USA orientierte. Mit „Die Harry Gelb Story“ (1973) entstanden Gedichte ohne Reim und sehr auf Pointe komponiert. Vorbild für sein Verständnis des Kleinbürgertums wurde Hans Fallada (1893–1947). Nach Aushilfsjobs betätigte er sich seit 1974 zunehmend als Autor für Radiosender, u. a. mit Henryk M. Broder (geb. 1946), in Sendeformaten wie „Mediathek“ (Westdeutscher Rundfunk) und „Pop Sunday“ (Bayerischer Rundfunk) sowie von fünf verwirklichten Hörspielen (Saarländischer Rundfunk; Deutschlandfunk; Hessischer Rundfunk).
Fauser stand in engem Austausch mit anderen Autoren, v. a. Außenseitern der zeitgenössischen Literatur, so mit Karl Günther Hufnagel (1928–2004), Helmut Maria Soik (1911–1989), Reinhard Priessnitz (1945–1985), Karl Kollmann (1952–2019) und Erich Loest (1926–2013). Journalistisch wie in Gedichten und Prosa widmete er sich – die Grenzen zur Unterhaltungsliteratur bewusst überschreitend – den Randzonen der Gesellschaft und stellte unübliche Protagonisten in das Zentrum der Darstellung (Vertreter, Gastarbeiter, Arbeitssuchende, Kleinkriminelle); ferner thematisierte er den Gebrauch und die Folgen von Rauschmitteln und beschrieb ein Überleben mithilfe der Kunst, z. B. in „Der Strand der Städte, Zeitungsartikel und Radioessays 1975–77“ (1978) und in der Novelle „Alles wird gut“ (1979).
Nach seiner mehrfach aufgelegten Biografie „Marlon Brando. Der versilberte Rebell“ (1978) erlebte Fauser 1979 seinen literarischen Durchbruch, als sein Gedicht „Der Zwang zur Prosa“ mit einer Interpretation von Wondratschek in der von Marcel Reich-Ranicki (1920–2013) redigierten Frankfurter Anthologie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. August 1979 erschien und er im Verlag „Rogner & Bernhard“ unter Thomas Landshoff ein verlegerisches Zuhause fand, bevor er 1983 zu Viktor Niemann (geb. 1940) bei Ullstein wechselte. 1981 wurde die Vertonung eines Texts von Fauser durch den Produzenten und Musiker Achim Reichel (geb. 1944) u. d. T. „Der Spieler“ aus seinem Konzeptalbum „Blues in Blond“ ein Hit in den deutschen Schlagercharts, von dessen Erlösen Fauser bis zu seinem Tod profitierte. Zu Fausers größtem, auch finanziellem, Erfolg wurde der mehrfach übersetzte und wieder aufgelegte Roman „Der Schneemann“ (1981) über einen Überlebenskünstler, der zufällig in den Besitz von Kokain gelangt und dies zu verkaufen versucht. Die Verfilmung von Peter F. Bringmann (geb. 1946) mit Marius Müller-Westernhagen (geb. 1948) in der Hauptrolle kam 1985 in die deutschen Kinos. Seine Erfahrungen in der Drogenszene inspirierten Fauser zu dem Roman „Rohstoff“ (1984), der bis heute Autoren wie Maxim Biller (geb. 1960) (in: The New Yorker v. 2.7.2007) beschäftigt.
Im Gegensatz zu anderen Autoren der Popliteratur wie Wondratschek, Rolf Dieter Brinkmann (1940–1975), Nicolas Born (1937–1979) und Hubert Fichte (1935–1986) musste Fauser lange auf literarische Ehren hinarbeiten. Bald nach seinem Tod bei einem Verkehrsunfall erschienen eine „Jörg-Fauser-Edition“ (8 Bde. mit Beiheft, hg. v. Carl Weissner, 1990) und weitere Werkausgaben. 2019 startete das Projekt einer Gesamtausgabe. Die bis heute andauernde literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit seinem Werk setzte in den 1990er Jahren ein.
1984 | Teilnahme am Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis der Stadt Klagenfurt |
1988 | Glauser Ehrenpreis (besondere Verdienste für den deutschen Kriminalroman) des Friedrich-Glauser-Preises der Criminale |
Nachlass:
Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar.
Aqualunge. Ein Report, 1971.
Tophane, Cut-up Montage, 1972, Neuaufl. 2011.
Die Harry Gelb Story, Gedichte, 1973, 21985, 32001, niederländ. 1979.
Death of an Anarchist; Trotzky, Goethe, and Luck, übers. v. Carl Weissner, hg. v. Charles Plymell, 1976.
Open end. Fünf Gedichte, 1977.
Marlon Brando. Der versilberte Rebell, Biographie, 1978, 41986.
Der Strand der Städte, Zeitungsartikel und Radioessays 1975–77, 1978, 21985.
Requiem für einen Goldfisch, Erzählungen, 1979.
Alles wird gut, Novelle, 1979, 21982.
Der Schneemann, Roman, 1981, 21981, 41985, 62000, engl. 2004, ital. 2005, franz. 2005, span. 2010.
Mann und Maus, Erzählungen, 1982, 21983.
Rohstoff, Roman, 1984, 21984, 51997; franz. 2010, katalan. 2013, niederländ. 2014, engl. 2014, 22016, türk. 2015, ital. 2017.
Blues für Blondinen. Essays zur populären Kultur, 1984.
Das Schlangenmaul, Krimi, 21985, 41997.
Kant, Krimi, 1987.
Jörg Fauser/Achim Reichel/Elfi Küster, Blues in Blond. Songs und Balladen, 1992.
Ich habe eine Mordswut. Briefe an die Eltern 1957–1987, 1993.
Lese-Stoff. Von Joseph Roth bis Eric Ambler, 2003.
Die Tournee. Roman aus dem Nachlaß, hg. v. J. Bürger/R. Weiss, 2007, Taschenbuchausg. 2014, Neuausg. 2022.
Eine Freundschaft. Briefe 1971–87 [von und an Carl Weissner], hg. v. M. Penzel/S. Porombka, 2021.
zahlreiche Artikel, u. a. in: Tintenfisch, Playboy, National-Zeitung (Basel), FAZ, Stern und Lui.
Übersetzungen:
John Howlett, James Dean, Biografie, 1977.
James Taylor, Songbook. 70 Songs mit Noten, 1978.
Joan Baez, Tagesanbruch, 1978.
Louis James Phillips, Der Fall Arbuckle, Hörspiel, 1979, 22003.
Hörspiele und -reportagen:
Ein englisches Krankenhaus, Reportage, 1966.
Abenteuer Droge, Reportage, 1969.
Emma Goldmann. Das Leben einer Anarchistin, Porträt, 1969.
Briefe aus der Einzelzelle. Angela Davis und George Jackson, Feature, 1972.
Der Preis ihrer Seele. Die irische Sozialistin Bernadette Devlin, Porträt, 1973.
Die Einstellung zur Droge, Reportage, 1973.
Die Colette. Porträt der französischen Schriftstellerin, Porträt, 1974.
Café Nirwana. Bilder einer Krankheit, Reihe: Hörspiel in der Diskussion, 1974.
Mord ist keine Kunst, T. 1: „Die Montage des Schneebesens für die Küche“, T. 2: „Auf der Suche nach der verborgenen Wahrheit“, Reihe: Radiothek, 1975.
Clara Zetkin. Ihr Weg in den Stalinismus, Porträt, 1975.
Heiße Spur in Haidhausen, Reihe: Sonntagsbeilage, Erzählung, 1976.
Requiem für einen Goldfisch, Reihe: Pop Sunday, Erzählung, 1976.
Die Wiederkehr des Hercule Poirot, Agatha Christie Porträt, Reihe: Sonntagsbeilage, 1976.
Die von der Reservebank / Wenn wir drankommen, ist das Spiel hoffentlich verloren, Hörspiel mit Broder Boyksen, 1976.
Alle Gringos dieser Welt, Reihe: Pop Sunday, Erzählung, 1976, 21983.
Die Legende des Duluoz, Jack Kerouac Feature, 1976.
Eddie Constantine, Porträt, Reihe: Sonntagsbeilage, 1977.
Jimmy, komm bald wieder, James Dean Porträt, Reihe: Sonntagsbeilage, 1977.
Die heiße Welt des Chester Himes, zweiteiliges Porträt, Reihe: Kulturkritik, 1977.
Der Tod der Nilpferde, Hörspiel, 1977, 21978, 4+52001.
Für eine Mark und acht, Hörspiel, 1978, 21981.
Werkausgaben:
Jörg-Fauser-Edition in acht Bdn. mit Beiheft, hg. v. Carl Weissner, 1990.
Jörg-Fauser-Edition in drei gebundenen Bdn., hg. v. Carl Weissner, 1994.
Neue Edition / Gesamtausgabe, 9 Bde., 2004–2009, Taschenbuchausg. 2014.
Gesamtausgabe, seit 2019, bislang 9 Bde.
Skripte für Film und Fernsehen:
Dr. Peter Coulmas, geb. Petros Koulmassis (1914–2003): Zehn Jahre deines Lebens: Ein Dokumentarbericht aus Anlaß der Wiederkehr der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945, Hauptrolle, Regie: Fritz Umgelter (ARD), 21955.
C’est la vie Rose/Hommage à Marcel Duchamp, Drehbuch, Regie: Hans Christof Stenzel, 1976.
Jürgen Tomm/Hellmuth Karasek, Autor-Scooter, Eine Fragestunde mit Jörg Fauser (SFB), 1984, 22012.
Der Schneemann. Kokain ist sein Geschäft, Romanverfilmung, Regie: Peter F. Bringmann, 1984.
Das Frankfurter Kreuz, nach Hörspiel (Für eine Mark und Acht), Regie: Romuald Karmakar, 1998, 21999.
Christoph Rüter, Rohstoff. Ein Film über den Schriftsteller Jörg Fauser mit Franz Dobler, 2006.
Tonträger:
Road to Morocco, mit Theo Romvos, 1973.
The Austria Connection, Beitrag, hg. v. Karl Kollmann, 1973.
Junk City Express. Eine Reise mit Harry Gelb und John Coltrane, Audiorevue, 1976.
Fauser O-Ton, Doppel-CD zusammengestellt v. Christian Lyra, 1997.
LEBENdIGITAL, Fausertracks, 2005.
Herausgeberschaften:
Udo Breger/Jörg Fauser/Jürgen Ploog/Carl Weissner, UFO, 1971.
Jörg Fauser/Jürgen Ploog/Carl Weissner, Gasolin 23, 1973.
Anthony Waine, Recent German Writing and the Influence of Popular Culture, in: Keith Bullivant (Hg.), After the “Death of Literature” – West German Writing of the 1970s, 1989, S. 69–87.
Anthony Waine, Anatomy of a Serious Thriller. Jörg Fauser’s „Der Schneemann“, in: Neophilologus 77 (1993), S. 99–112.
A.E. Waine/J. Woolley, Blissful, Torn, Intoxicated. Brinkmann, Fauser, Wondratschek and the Beats, Issue 27.1: Teaching Beat Literature, 2000.
Kostas Myrsiades (Hg.), The Beat Generation: Critical Essays, 2002.
Volker Weidermann, Rohstoff. 1984 – Die Moral hat einen Rausch, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 17.3.2002.
Matthias Penzel/Ambros Waibel, Rebell im Cola-Hinterland. Jörg Fauser. Die Biografie, hg. v. Klaus Bittermann, 2004.
Andreas Kramer, Schnittstellen. Beobachtungen zu deutschen Cut-Up-Texten um 1970, in: Dirck Linck/Gert Mattenklott (Hg.), Abfalle. Stoff- und Materialrepräsentation in der deutschen Pop-Literatur der 60er Jahre, 2006, S. 57–74.
Jonathan Woolley, „Informationen für das tägliche überleben“. The Influence of Charles Bukowski on the Poetry of Jörg Fauser, in: Neophilologus 92 (2008), S. 109–125.
Michael Köhlmeier, Fausers Hawaiihemd, in: Heike Gfrereis (Hg.), Reisen. Fotos von unterwegs (Marbacher Kataloge), 2014, S. 480–483.