Brenner, Otto
- Lebensdaten
- 1907 – 1972
- Geburtsort
- Hannover
- Sterbeort
- Frankfurt am Main
- Beruf/Funktion
- Gewerkschafter ; Vorsitzender der IG Metall ; Funktionär ; Gewerkschaftsmitglied
- Konfession
- konfessionslos
- Normdaten
- GND: 118673807 | OGND | VIAF: 49267708
- Namensvarianten
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- Brenner, Friedrich Otto
- Brenner, Otto
- Brenner, Friedrich Otto
- Brenner, Otto Friedrich
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Brenner, Friedrich Otto
1907 – 1972
Gewerkschafter, Vorsitzender der IG Metall
Otto Brenner brachte als Bundesvorsitzender die IG Metall in den 1950er und 1960er Jahren u. a. mit der Durchsetzung der 5-Tage-Woche und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall 1956 in die Führungsrolle innerhalb der bundesdeutschen Gewerkschaftsbewegung und machte sie zur größten demokratischen Mitgliedsgewerkschaft der Welt. Die von Brenner angestrebte evolutionäre Überwindung des Kapitalismus durch die umfassende Demokratisierung von Staat und Gesellschaft („Wirtschaftsdemokratie“) scheiterte an den politischen Kräfteverhältnissen.
Lebensdaten
Geboren am 8. November 1907 in Hannover Gestorben am 15. April 1972 in Frankfurt am Main Grabstätte Hauptfriedhof in Frankfurt am Main Konfession konfessionslos -
Autor/in
→Jens Becker (Düsseldorf/Starnberg am See)
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Zitierweise
Becker, Jens, „Brenner, Otto“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2024, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118673807.html#dbocontent
Brenner wurde durch die Klassengegensätze im Deutschen Kaiserreich geprägt; bereits als Schüler musste er zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Politisiert durch den Ersten Weltkrieg, die Novemberrevolution 1918/19 und die bürgerkriegsähnlichen Zustände in der frühen Weimarer Republik, trat er 1920 der Sozialistischen Arbeiterjugend, 1921 dem Deutschen Metallarbeiterverband und 1926 der SPD bei, zusätzlich engagierte er sich im Arbeiterabstinenzlerbund. Wegen chronischer Lungenbeschwerden hielt sich Brenner 1923/24 in einer Klinik auf und blieb lebenslang körperlich geschwächt. In den 1920er Jahren war er in Hannover Hilfsarbeiter im Lebensmittelhandel, später Elektromonteur bei Hanomag und qualifizierte sich daneben politisch und fachlich in der Arbeiterkultur- und -bildungsbewegung weiter.
Brenner betrachtete die Große Koalition aus SPD und bürgerlichen Parteien 1930 als politische Bankrotterklärung. Er engagierte sich, auch in Folge der Zustimmung der SPD-Reichstagsfraktion zum Panzerkreuzerbau, in der neu gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) und pflegte engere Kontakte zum Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK). Vergeblich versuchte er, der Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar 1933 und der Niederlage von SPD, KPD und Gewerkschaften mit anderen SAPD- und ISK-Aktivisten durch Appelle für ein Ende des „Bruderkampfes“, für eine Einheitsfront und den Generalstreik zu begegnen. Er organisierte die illegale Arbeit der SAPD im Bezirk Hannover, wurde im August 1933 verhaftet und im Juni 1935 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zwei Jahren Gefängnishaft verurteilt, die mit der Untersuchungshaft verrechnet wurde. Fortan stand er unter Polizeiaufsicht, seinen Lebensunterhalt verdiente er als Montagearbeiter in Hannover.
1945 begann Brenner mit Reorganisationsversuchen der zerstörten Hannoveraner Arbeiterbewegung mit dem Ziel eines sozialistischen Gesellschaftsprojekts, einer Überführung der privatwirtschaftlich-kapitalistischen in eine demokratische, geplante Volkswirtschaft in Deutschland („Wirtschaftsdemokratie“), was jedoch von den Besatzungsmächten abgelehnt wurde. 1945 trat er wieder der SPD bei und machte sich 1946 mit der Organisation des ersten Nachkriegsstreiks bei der Bode-Panzer AG, der zu mehr Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats bei Personalangelegenheiten und der Produktionsplanung des Unternehmens führte, überregional einen Namen. 1947 wurde er zum Bezirksleiter der IG Metall Hannover gewählt, 1953 zum Mitvorsitzenden und 1956 zum Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft. Der paritätischen Mitbestimmung in der bundesdeutschen Montanindustrie, auf die sich 1951 der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Hans Böckler (1875–1951), und Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876–1967) zur Vermeidung längerer Arbeitskämpfe geeinigt hatten, stand Brenner skeptisch gegenüber, da sie aus seiner Sicht den Kernforderungen des DGB-Grundsatzprogramms von 1949 zur volkswirtschaftlichen Gesamtplanung, Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum und umfassenden Mitbestimmung der Arbeiterschaft widersprach.
Brenners Festhalten an dieser Idee änderte indes nichts an seiner realistischen Einschätzung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und der Stimmungslage der Gewerkschaftsmitglieder, was sich 1955 in seinem „Aktionsprogramm“ für eine Erstarkung durch erfolgreiche Arbeitskämpfe und Tarifabschlüsse ausdrückte. Auf diese Weise führte Brenner die IG Metall in den 1950er und 1960er Jahren zu wichtigen organisations-, lohn- und tarifpolitischen Erfolgen. Der von ihm initiierte, mit Intellektuellen wie Fritz Opel (1912–1973) und Werner Thönnessen (1928–2011) zusammengesetzte „Braintrust“ im Frankfurter Hauptvorstand modernisierte die Organisations- und Öffentlichkeitsarbeit der IG Metall und verschaffte ihr durch eine professionelle, inhaltlich fundierte Kommunikationsstrategie wichtige Vorteile gegenüber den Arbeitgebern und einer überwiegend gewerkschaftsfeindlich eingestellten Medienlandschaft, z. B. in dem 16wöchigen Schleswig-Holstein-Streik 1956, mit dem die Metallgewerkschaft die bundesweite Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfall erkämpfte. Stufenweise setzte die IG Metall auch die Verkürzung der 48stündigen wöchentlichen Arbeitszeit (1956) auf 40 Stunden (1967) durch. Von den Erfolgen in der Ära Brenner, in der die Mitgliederzahl von 1 600 457 (1952) auf 2 354 975 (1972) stieg, profitierten auch die anderen DGB-Gewerkschaften; die IG Metall gilt seitdem als größte freie Industriegewerkschaft der Welt, die auch international eine Rolle spielt.
Brenner wurde 1961 Präsident des Internationalen Metallarbeiterbundes, seit 1954 war er auch Mitglied im Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und Mitglied zahlreicher Aufsichtsräte. Seit Gründung der Bundesrepublik kritisierte er die aus seiner Sicht arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindliche Politik der CDU-geführten Bundesregierungen und begrüßte die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD 1966/67 sowie 1969 die Wahl Willy Brandts (1913–1992) zum ersten SPD-Bundeskanzler. Brenner unterstützte den Widerstand der sog. Außerparlamentarischen Bewegung gegen die Notstandsgesetze und trug dazu bei, größere Eingriffe bei der Koalitions- und Versammlungsfreiheit zu verhindern. Jedoch unterliefen ihm auch Fehleinschätzungen, etwa 1969 bei den Septemberstreiks und anderen „wilden Streiks“ in der Metall- und Stahlindustrie, als er und sein engerer Mitarbeiterstab die Forderungen insbesondere der unorganisierten Arbeiterschaft nach signifikanten Lohnerhöhungen und Mitspracherechten missdeuteten.
Visionär waren Brenners Gedanken zur Zukunft der Arbeitsgesellschaft: Als erster Gewerkschaftsführer problematisierte er die Ambivalenzen des technologischen Fortschritts wie Arbeitslosigkeit durch Rationalisierung, die Entwertung von Berufsqualifikationen sowie die wachsende Unternehmenskonzentration und Monopolisierung der Märkte. Auch wies er auf die Kosten der Umweltverschmutzung und das gesellschaftliche Bedürfnis nach mehr Lebensqualität hin. Insgesamt sah Brenner die Aufgabe der Gewerkschaften darin, aktives Element des sozialen und technischen Wandels zu sein, um die Interessen der arbeitenden Menschen wirksam zu vertreten. Sein letztes Referat „Perspektiven der deutschen Mitbestimmung“, verlesen auf der Oberhausener Zukunftskonferenz der IG Metall am 11. April 1972, gilt als sein politisches Vermächtnis.
1967 | Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen |
1972 | Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall |
seit 2005 | Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus der Otto-Brenner-Stiftung |
2022 | Gedenktafel, Gerichtsviertel, Hannover |
Robert-Schuman-Medaille, verliehen von der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Prägung 1950 |
Nachlass:
Archiv der sozialen Demokratie in der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, darin enthalten das Zentralarchiv der IG Metall - Vorstand, u. a. mit den Nachlässen von Otto Brenner und anderen Gewerkschaftsvorsitzenden.
Weitere Archivmaterialien:
Landesarchiv Niedersachsen.
Stadtarchiv Hannover.
Zentralbibliothek der IG Metall, Frankfurt am Main, Ansprachen zur Trauerfeier für Otto Brenner zum 20. April 1972.
Gewerkschaftliche Dynamik in einer sich wandelnden Welt, in: Protokoll des 8. ordentlichen Gewerkschaftstages der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland in Bremen vom 6. bis 11. September 1965, hg. v. Vorstand der IG Metall, 1965.
Ausgewählte Reden 1946–1971, hg: v. Jens Becker/Harald Jentsch, 2007.
Briefe 1933–1955, hg. u. komm. v. Peter Wald, 2007.
Bibliografie:
Jens Becker/Harald Jentsch, Otto Brenner. Eine Biografie, 2007, S. 362–379.
Peter von Oertzen, Otto Brenner zum 60. Geburtstag, in: ders. (Hg.), Festschrift für Otto Brenner zum 60. Geburtstag, 1967, S. 7 f.
Anja Orczykowski, Otto Brenner. Rebell und Reformer, 1987. (ungedr. Examensarbeit, Universität Hannover)
Gerhard Beier, Art. „Otto Brenner“, in: Lexikon linker Leitfiguren, hg. v. Edmund Jacoby, 1988, S. 67–69. (P)
Peter von Oertzen, Zwischen Tradition und Modernisierung. Otto Brenner und die moderne Gewerkschaftsbewegung. Festvortrag, in: Visionen lohnen. Politisch-wissenschaftlicher Kongress der Otto-Brenner-Stiftung und Festveranstaltung der IG Metall zu Ehren Otto Brenners, Hannover 6.–8. November 1997, 1997, S. 95–122.
Rainer Kalbitz, Die Ära Otto Brenner in der IG Metall, 2001.
Werner Thönnessen, Mein Tor zur Welt. Ein Lebensweg als Gewerkschafter und Intellektueller, hg. v. Jens Becker mit einem Vorwort v. Oskar Negt, 2005.
Jens Becker/Harald Jentsch, „Es darf nie wieder zu einem 1933 kommen!“ Das gewerkschaftspolitische Selbstverständnis Otto Brenners in der Bundesrepublik Deutschland, in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen 35 (2006), S. 59–73.
Jens Becker/Harald Jentsch, Otto Brenner. Eine Biografie, 2007.
Jens Becker, Otto Brenner (8. November 1907 – 15. April 1972) – demokratischer Sozialist und linker Gewerkschafter, in: Geschichte der IG Metall. Zur Entwicklung und Gestaltungskraft, hg. v. Jörg Hoffmann/Christiane Benner, 2019, S. 592–607.
Jens Becker, Verbessern und umgestalten. Otto Brenners Beitrag zur politischen und sozialen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, 2021, S. 301–314. (P)
Otto-Brenner-Stiftung, 1972–2022. 50 Jahre Otto-Brenner-Stiftung, Festschrift hg. v. der Otto-Brenner-Stiftung, 2022.
Biografie, in: Otto-Brenner-Stiftung. (P)
Biografie, in: Friedrich-Ebert-Stiftung, Archiv der sozialen Demokratie. (P)
Dokumentation: Otto Brenner – der Gewerkschafter, Günter Gaus im Gespräch mit Otto Brenner, in: ZDF: Zur Person, 15.5.1963, auch in: YouTube.
Jens Becker, Otto Brenner: Der kämpferische Gewerkschaftsführer, 15.4.2022, in: Jacobin. (P)
Glasporträt v. Nabo Gaß (geb. 1954), 2007, Hannover, IG Metall-Haus. (Onlineressource)