Boveri, Margret
- Lebensdaten
- 1900 – 1975
- Geburtsort
- Würzburg
- Sterbeort
- Berlin
- Beruf/Funktion
- Journalistin ; Publizistin ; Schriftstellerin ; Redakteurin ; Übersetzerin
- Konfession
- römisch-katholisch
- Normdaten
- GND: 118514067 | OGND | VIAF: 85159446
- Namensvarianten
-
- Boveri, Petronella Auguste Pauline Antonie Margarethe
- Boveri, Margret
- Boveri, Petronella Auguste Pauline Antonie Margarethe
- Bover, Margret
- Boveri, Antonie Margarete
- Boveri, Margaret
- Boveri, Margret Antonie
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- Emil Dovifat (1890–1969)
- Ernst Freiherr von Weizsäcker (1882–1951)
- Friedrich Meinecke (1862–1954)
- Hermann Oncken (1869–1945)
- Hermann Zilcher (1881–1948)
- Joachim Fest (1926–2006)
- Konrad Adenauer (1876–1967)
- Martin Hürlimann (1897–1984)
- Paul Scheffer (1883–1963)
- Reinhard Dohrn (1880–1962)
- Rudolf Sparing (1904–1955)
- Uwe Johnson (1934–1984)
- Wilhelm Röntgen (1845–1923)
- Willy Brandt (1913–1992)
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Boveri, Margret (eigentlich Petronella Auguste Pauline Antonie Margarethe Boveri)
1900 – 1975
Journalistin, Publizistin
Margret Boveri war eine der renommiertesten Journalistinnen und Publizistinnen ihrer Zeit. Seit 1933 arbeitete sie für das „Berliner Tageblatt“, die „Frankfurter Zeitung“ und „Das Reich“ und wirkte als Korrespondentin u. a. in Stockholm, New York City und Lissabon. Nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb sie aus Berlin für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Die Zeit“ und „Die Welt“. Großes Renommee erlangte Boveri zudem durch zeithistorische Bücher, v. a. „Der Verrat im 20. Jahrhundert“ (4 Bde., 1956–1960), „Wir lügen alle. Eine Hauptstadtzeitung unter Hitler“ (1965) und „Tage des Überlebens. Berlin 1945“ (1968).
Lebensdaten
Geboren am 14. August 1900 in Würzburg Gestorben am 6. Juli 1975 in Berlin Grabstätte Hauptfriedhof (Familiengrab) in Bamberg Konfession römisch-katholisch -
Autor/in
→Heike B. Görtemaker (Kleinmachnow)
-
Zitierweise
Görtemaker, Heike B., „Boveri, Margret“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2024, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118514067.html#dbocontent
Herkunft und Ausbildung
Als Tochter eines deutschen Zoologie-Professors und einer aus Boston (USA) stammenden Biologin wuchs Boveri mehrsprachig in Würzburg auf, empfand ihre binationale Herkunft aufgrund der kulturellen Unterschiede zwischen dem Deutschen Kaiserreich und den USA aber als Belastung. Nach dem frühen Tod des Vaters erhielt sie 1915 den Physiker und engen Freund ihrer Eltern Wilhelm Röntgen (1845–1923) als Vormund. Ihre Mutter pflegte eine Korrespondenzkultur, die sie mit ihrer Tochter einübte. 1920 legte Boveri das Abitur ab und begann ein Lehramtsstudium an der Universität Würzburg, das sie 1924/25 mit beiden Staatsexamina abschloss. Im Herbst 1925 ging sie für ein weiteres Geschichtsstudium nach München, im Frühjahr 1927 nach Neapel, wo sie Sekretärin des Leiters der Zoologischen Station, Reinhard Dohrn (1880–1962), wurde, den sie von Forschungsaufenthalten ihrer Eltern kannte.
In dieser Zeit legte Boveri den Grundstein für ihre journalistische Karriere: Bereits 28jährig sandte sie erstmals einen Artikel an die Feuilleton-Redaktion der „Frankfurter Zeitung“ (FZ), der am 11. November 1928 veröffentlicht wurde. Von nun an verfolgte sie das Ziel, für diese Zeitung zu arbeiten, deren Redaktion damals Männern vorbehalten war. Im Oktober 1929 übersiedelte Boveri nach Berlin, studierte an der dortigen Universität Zeitungswissenschaften bei Emil Dovifat (1890–1969) sowie Neuere Geschichte bei Friedrich Meinecke (1862–1954) und Hermann Oncken (1869–1945), bei dem sie im Juni 1932 mit der Dissertation „Sir Edward Grey und das Foreign Office“ zur Dr. phil. promoviert wurde.
Journalistin im „Dritten Reich“
Nach mehreren erfolglosen Bewerbungen bei der FZ eröffnete das nationalsozialistische Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933, das zur Entlassung vieler Journalisten und Redakteure jüdischer Herkunft führte, bessere Karrierechancen für Boveri. Im August 1934 erhielt sie ein Volontariat in der außenpolitischen Redaktion des „Berliner Tageblatts“, dessen Chefredakteur Paul Scheffer (1883–1963) ihr Förderer und Freund wurde. Boveri wurde nie Mitglied der NSDAP und lehnte den militanten, kleinbürgerlichen, antisemitischen Nationalsozialismus ab. Dennoch nutzte sie die Chancen, die sich ihr beruflich mit dem neuen Regime boten, und trat noch im Dezember 1933 dem Reichsverband Deutscher Schriftsteller bei. Allerdings muss Boveri als unpolitisch angesehen werden, wenn sie 1934 erklärte, sie sei eine Individualistin, der die Regierungsform gleichgültig sei. Ihr war es wichtig, in ihrer Heimat zu leben und als Journalistin arbeiten zu können. Für den Nationalsozialismus und dessen Eingriffe in ihre journalistische Arbeit interessierte sie sich nur am Rande.
Obwohl Scheffer ihr 1936 Posten als Korrespondentin in Ägypten und Rom verschaffte, blieb Boveri in dem von Männern dominierten Journalismus eine Außenseiterin. Als Scheffer nach Konflikten mit dem Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda seinen Chefredakteur-Posten aufgab, verließ auch Boveri im Januar 1937 das „Berliner Tageblatt“. Seit November 1937 arbeitete sie als Redakteurin des von Martin Hürlimann (1897–1984) geleiteten Atlantis Verlags in Zürich und bewarb sich als Auslandskorrespondentin bei der FZ. Nach einer Autoreise durch den Nahen Osten im Frühjahr und Sommer 1938, der Veröffentlichung ihrer Reisereportagen in der FZ und der Publikation zweier Reisebücher erhielt Boveri die angestrebte Stelle.
Seit Mai 1939 berichtete Boveri für die FZ aus Stockholm, seit Oktober 1940 aus New York City und – nach Ausweisung der deutschen Journalisten aus den USA – von Mai 1942 aus Lissabon. Nach dem im Mai 1943 erfolgten Verbot der FZ arbeitete sie seit März 1944 unter Chefredakteur Rudolf Sparing (1904–1955) als Mitarbeiterin der NS-Wochenzeitung „Das Reich“ sowie als freie Mitarbeiterin u. a. der „Kölnischen Zeitung“ und veröffentlichte v. a. Berichte über die USA, die zwar informativ, aber auch unverhohlen anti-amerikanisch waren, indem Boveri den Vereinigten Staaten u. a. Kulturlosigkeit und politische Einförmigkeit vorwarf.
Publizistische Karriere nach 1945 und Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus
In der frühen Nachkriegszeit verstärkte sich Boveris anti-amerikanische Haltung. Die von den USA geforderte Entnazifizierung und Umerziehung der Deutschen als Vorbedingung einer Demokratisierung lehnte sie ab. In ihrer ersten Nachkriegsveröffentlichung mit dem provokanten Titel „Amerikafibel für erwachsene Deutsche“ (1946) kritisierte sie die US-amerikanische Besatzungspolitik und rief dazu auf, sich in Deutschland auf das gemeinsame Kulturerbe der „abendländischen Welt“ zu besinnen. Auch nach 1933, so Boveri, sei die deutsche Kultur in ihrem Kern unzerstörbar gewesen. Die Gründe, die zum Zusammenbruch Deutschlands geführt hatten, blendete sie aus.
Zum Grundanliegen der Publizistik Boveris, die seit 1. April 1946 als Berliner Korrespondentin der „Badischen Zeitung“ wirkte, wurde der Kampf gegen die zunehmende Spaltung Deutschlands im Kalten Krieg. Sie hoffte auf einen „Dritten Weg“: ein von den „Supermächten“ unabhängiges Gesamteuropa sowie auf ein neutrales, ungeteiltes Deutschland. Die Gründung der Bundesrepublik am 23. Mai 1949 lehnte Boveri ab, bekämpfte in der Folgezeit publizistisch die Politik der Westbindung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876–1967) und beharrte auf der Wiedervereinigung als einzigem Anliegen der Politik. In „Der Diplomat vor Gericht“ (1948) verteidigte sie den im Wilhelmstraßen-Prozess wegen Mittäterschaft an nationalsozialistischen Verbrechen angeklagten Ernst Freiherr von Weizsäcker (1882–1951).
Seit 1956 schrieb Boveri v. a. weltpolitische Porträts für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und unternahm in deren Auftrag 1959/60 eine letzte große Auslandsreise nach Indien und Nepal. Ein Schwerpunkt ihrer publizistischen Arbeit wurde nun die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Ihre Bücher „Der Verrat im 20. Jahrhundert“ (4 Bde., 1956–1960), „Wir lügen alle. Eine Hauptstadtzeitung unter Hitler“ (1965) und „Tage des Überlebens. Berlin 1945“ (1968) zeugen davon ebenso, wie ihre private Vergangenheitsbewältigung in Streitgesprächen mit dem Schriftsteller Uwe Johnson (1934–1984), der sie der Kollaboration mit den Nationalsozialisten bezichtigte. Wie wenige andere stellte sich Boveri den Fragen und Anklagen eines Vertreters der jüngeren Generation, dennoch kam es mit Johnson zum Bruch. Während er ihr vorwarf, nach 1933 nicht emigriert zu sein, hatte sie bereits in „Der Verrat im 20. Jahrhundert“ um Verständnis für die von Adolf Hitler (1889–1945) vermeintlich verführten, gehorsamen Deutschen geworben und behauptet, es sei „historisch noch nicht geklärt“, von welchem Zeitpunkt an „Hitlers System“ als „verbrecherisch angesehen werden mußte“. Noch 1974 kritisierte sie in einer Rezension der Hitler-Biografie von Joachim Fest (1926–2006), die Nachgeborenen würden „außer Auschwitz nichts sehen“ wollen.
Nach dem Machtwechsel in Bonn 1969 und dem Beginn der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt (1913–1992) veränderte sich Boveris Verhältnis zur Bundesrepublik grundlegend. Sie bejahte nun die deutsche Zweistaatlichkeit und begrüßte die von der Existenz zweier deutscher Staaten ausgehende „Neue Ostpolitik“ mit der de facto Anerkennung der DDR im Grundlagenvertrag von 1972. Aus ihrer Sicht war damit die Voraussetzung für eine Befriedung des Verhältnisses zwischen Ost- und Westdeutschen geschaffen. In ihrem Buch „Die Deutschen und der Status quo“ (1974), das eine Auswahl ihrer deutschlandpolitischen Analysen seit 1948 enthält, lobte sie Brandt für die Normalisierung der Beziehungen zu den Ostblockstaaten sowie Adenauer für die Aussöhnung mit Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg.
20.7.1942 | Kriegsverdienstmedaille |
1968 | Deutscher Kritikerpreis des Verbands deutscher Kritiker e. V. |
1971 | Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland |
1990 | Gedenktafel, Opitzstraße 8, Berlin (weiterführende Informationen) |
Nachlass:
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. (weiterführende Informationen)
Bayerische Staatsbibliothek München.
Weitere Archivmaterialien:
Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde. (Bestand BDC, Reichskulturkammer)
Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, Archiv des Suhrkamp Verlags. (u. a. Vorarbeiten-Materialien an der Autobiografie, Tonbandprotokolle)
Uwe Johnson-Archiv Rostock, Nachlass Uwe Johnson. (Korrespondenz)
Historisches Archiv Statione Zoologica Anton Dohrn, Villa Communale Neapel.
Monografien:
Sir Edward Grey und das Foreign Office, 1933. (Diss. phil.)
Das Weltgeschehen am Mittelmeer. Ein Buch über Inseln und Küsten, Politik und Strategie, Völker und Imperien, 1936, 41939.
Vom Minarett zum Bohrturm. Eine politische Biographie Vorderasiens, 1938.
Ein Auto, Wüsten, blaue Perlen. Bericht über eine Fahrt durch Vorderasien, 1939, Neuausg. u. d. T. Wüsten, Minarette und Moscheen. Im Auto durch den alten Orient, 2005.
Amerika-Fibel für erwachsene Deutsche. Ein Versuch, Unverstandenes zu erklären, 1946, erw. Neuausg. 2006.
Der Diplomat vor Gericht, 1948.
16 Türen und 8 Fenster. Eine dynamisch-horoskopische Bauchronik, 1953.
Hermann Rauschning/Hans Fleig/Margret Boveri/Johann Albrecht von Rantzau, … mitten ins Herz. Über eine Politik ohne Angst, 1954.
Der Verrat im 20. Jahrhundert, 4 Bde., 1956–1960, einbändige Gesamtausg. 1976.
Indisches Kaleidoskop, 1961.
Wir lügen alle. Eine Hauptstadtzeitung unter Hitler, 1965.
Tage des Überlebens. Berlin 1945, 1968, Neuausg. 1970, 1985, 1996, 2004.
Die Deutschen und der Status quo, 1974.
Verzweigungen. Eine Autobiographie, hg. u. mit einem Nachw. vers. v. Uwe Johnson, 1977, Neuausg. 1982, 1996.
Artikel:
Die Zoologische Station zu Neapel, in: Albrecht Mendelssohn-Bartholdy/Rudolph Brauer/Adolf Meier (Hg.), Forschungsinstitute, ihre Geschichte, Organisation und Ziele, Bd. 2, 1930, S. 578–598.
Persönliches über W. C. Röntgen, in: Otto Glaser, Wilhelm Conrad Röntgen und die Geschichte der Röntgenstrahlen, 1931, S. 85–146.
Die literarische Gestalt, in: Theodor Heuss, hg. v. d. Württembergischen Bibliotheksgesellschaft, 1954, S. 11–93.
Wilhelm Conrad Röntgen. 1845–1923, in: Hermann Heimpel/Theodor Heuss/Benno Reifenberg (Hg.), Die großen Deutschen, Bd. 4, 1956, S. 156–165.
Im Irrgarten der Mauern, in: Ansgar Skriver (Hg.), Berlin und keine Illusion. 13 Beiträge zur Deutschlandpolitik, 1962, S. 76–82.
Uwe Johnson, Nachruf auf Margret Boveri, in: Die Zeit v. 15.8.1975.
Klaus Niester, Margret Boveri. Überlebensstrategien einer Publizistin im Dritten Reich, Magisterarbeit Universität Münster, 1987.
Elke Fein, Die Diskussion um Widerstand und Verrat nach dem Zweiten Weltkrieg, unter anderem am Beispiel der Untersuchung von Margret Boveri zum „Verrat im 20. Jahrhundert“, 1995.
Roland Berbig, Having Learned my Lesson. Margret Boveris Autobiographie „Verzweigungen“ und ihre Herausgeber Elisabeth und Uwe Johnson, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 70 (1996), S. 138–170.
„Ich möchte schreiben und schreiben.“ Margret Boveri, eine deutsche Journalistin. Ausstellungskatalog, Staatsbibliothek Berlin & Stiftung Preußischer Kulturbesitz, 2002.
David Dambitsch, „Eine Dame von Welt“. Die politische Journalistin Margret Boveri (1900–1975), CD, 2005.
Heike B. Görtemaker, Ein deutsches Leben. Die Geschichte der Margret Boveri, 2005. (P)
Fotografien, 1920er bis 1960er Jahre, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, z. T. Abbildungen in: Heike B. Görtemaker, Ein deutsches Leben. Die Geschichte der Margret Boveri, 2005.