Bergsträsser, Ludwig
- Lebensdaten
- 1883 – 1960
- Geburtsort
- Altkirch (Elsass, heute Frankreich)
- Sterbeort
- Darmstadt
- Beruf/Funktion
- Politiker ; Parteienforscher ; Historiker ; Archivar ; Hochschullehrer
- Konfession
- evangelisch
- Normdaten
- GND: 118656155 | OGND | VIAF: 66489549
- Namensvarianten
-
- Bergsträsser, Ludwig Karl
- Bergsträsser, Ludwig
- Bergsträsser, Ludwig Karl
- Bergsträsser, Ludwig
- Bergstraesser, Ludwig
- Bergsträsser, L.
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- Bergsträßer, Ludwig
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Bergsträsser, Ludwig Karl
1883 – 1960
Politiker, Parteienforscher, Historiker, Archivar
Ludwig Bergsträsser engagierte sich seit 1918 für die Durchsetzung der Demokratie in Deutschland. Dazu gehörte der Kampf gegen die NS-Herrschaft ebenso wie seine maßgebliche Beteiligung an der Entstehung der hessischen Landesverfassung und des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Darüber hinaus war Bergsträsser ein engagierter Bildungspolitiker und Befürworter der Einführung des Studienfachs Politikwissenschaft an den Universitäten.
Lebensdaten
Geboren am 23. Februar 1883 in Altkirch (Elsass, heute Frankreich) Gestorben am 23. März 1960 in Darmstadt Grabstätte Alter Friedhof in Darmstadt Konfession evangelisch -
Autor/in
→Stephanie Zibell (Wiesbaden)
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Zitierweise
Zibell, Stephanie, „Bergsträsser, Ludwig“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2022, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118656155.html#dbocontent
Bergsträsser besuchte das Gymnasium in Colmar und studierte nach dem Abitur 1902 Jura, dann Geschichte in Heidelberg, München, Berlin und Paris bei Erich Marcks (1861–1938), Walter Goetz (1867–1958), François-Alphonse Aulard (1849–1928) und Ernest Denis (1849–1921). Nach seiner Promotion zum Dr. phil. 1906 in Heidelberg bei Marcks war er Mitgründer des Nationalvereins für das liberale Deutschland und leitete von 1907 bis etwa 1910 die „Akademischen Blätter“ des Kyffhäuserverbands, dem er von 1902 bis 1926 angehörte. 1910 in Greifswald für Geschichte habilitiert, war er dort Privatdozent. Nach kurzem Kriegseinsatz 1915/16 in der Pressestelle des Stabs Oberbefehlshaber Ost war er von September 1916 bis Dezember 1918 als Lehrer an ein Gymnasium in Libau (Russland, heute Liepāja, Lettland) abgeordnet.
Zu Bergsträssers wichtigsten Zielen gehörte die Durchsetzung der Demokratie in Deutschland. Hierfür engagierte er sich als Mitglied der DDP ab 1919, ab etwa 1930 in der SPD. Neben seiner Tätigkeit als Archivar im Reichsarchiv in Potsdam, bis 1923 in dessen Forschungsabteilung, arbeitete Bergsträsser weiter publizistisch, u. a. 1919/20 als Herausgeber der Wochenschrift „Das demokratische Deutschland“ und als Leitartikler bei verschiedenen Zeitungen. Daneben lehrte er an der Berliner Handelshochschule und war von 1924 bis 1928 Reichstagsabgeordneter für die DDP. 1926 wurde er wegen seiner Kritik an der Ehrenmitgliedschaft Erich Ludendorffs (1865–1937) im Verein Deutscher Studenten München aus dem Kyffhäuserverband ausgeschlossen. 1928 mit dem Auftrag, eine Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung zu schreiben, an die Außenstelle des Reichsarchivs in Frankfurt am Main versetzt, lehrte er an der dortigen Universität als außerordentlicher Professor und war publizistisch tätig.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde Bergsträsser am 1. Juli 1933 aus politischen Gründen aus dem Dienst des Reichsarchivs entlassen und verlor 1934 seine Venia Legendi an der Universität Frankfurt am Main. Er arbeitete als Privatgelehrter weiterhin wissenschaftlich und vermied Konflikte mit dem NS-Regime, indem er sich mit unverfänglichen Themen wie dem Leben des Fürsten Felix von Lichnowsky (1814–1848) beschäftigte. Seine Bücher waren jedoch nicht verboten. 1935 nahm er Kontakt zu Widerstandsgruppen auf und arbeitete bis 1939 mit sozialdemokratischen Emigranten im Elsass zusammen, seit 1939 mit der Gruppe um Wilhelm Leuschner (1890–1944), für den er 1943 zwei Denkschriften für die Ausgestaltung des politischen sowie des Bildungssystems im nach-nationalsozialistischen Deutschland erarbeitete. Während Leuschner nach dem Attentat auf Hitler 1944 festgenommen und hingerichtet wurde, blieb Bergsträssers Tätigkeit für das Widerstandsnetzwerk unentdeckt.
1945 wurde Bergsträsser von den US-amerikanischen Besatzungsbehörden zum Präsidenten der Regierung des Landes Hessen ernannt, anschließend war er bis 1948 Regierungspräsident des neu gegründeten Regierungsbezirks Darmstadt. Als Vorsitzender des „Verfassungsausschusses“ der hessischen „Verfassungberatenden Landesversammlung“ war er maßgeblich an der Ausarbeitung der hessischen Landesverfassung beteiligt und gehörte von September 1948 bis Mai 1949 dem Parlamentarischen Rat an. Als Mitglied des Grundsatzausschusses beschäftigte er sich mit der Ausarbeitung und Formulierung der Grund- und Menschenrechte; er hatte erheblichen Anteil an der Abfassung von Artikel 3 und Artikel 5 des Grundgesetzes. Bildungspolitisch engagierte er sich für die Einführung des Schulfachs „Sozialkunde“ und des Studienfachs „Politikwissenschaft“.
Wissenschaftlich beschäftigte sich Bergsträsser seit den 1920er Jahren mit der Geschichte der 1848er Revolution sowie mit der Entstehung der politischen Parteien. Letzteres stellte ein Novum in der Geschichtsforschung des frühen 20. Jahrhunderts dar, weshalb Bergsträsser wegen seiner „Geschichte der politischen Parteien in Deutschland“ (1921) als Begründer der Parteiengeschichte gilt. Von 1919 bis zu seinem Lebensende lehrte er Politikwissenschaft an verschiedenen Universitäten und arbeitete an wissenschaftlichen Projekten wie einer Dokumentation zum Leben und Wirken Leuschners, die er nicht mehr fertigstellen konnte. Außerdem forderte er immer wieder eine intensivere Beschäftigung und Aufarbeitung des „Widerstands von links“, also aus den Reihen der Arbeiterschaft und der Sozialdemokratie, der nach Bergsträssers Auffassung nach 1945 nicht ausreichend untersucht und gewürdigt worden war.
Diese Auffassung brachte Bergsträsser auch in die Diskussion um die Einrichtung eines „Instituts zur Erforschung des Nationalsozialismus“ ein, das er in einem Gespräch mit Robert M. W. Kempner (1899–1993), dem US-amerikanischen Anklagevertreter bei den Nürnberger Prozessen, bereits 1945 angeregt hatte. 1949 nahm das Deutsche Institut für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit, seit 1952 Institut für Zeitgeschichte (IfZ), dessen Wissenschaftlichem Beirat Bergsträsser angehörte, seine Tätigkeit auf. Ab 1948 wurde er als „Nestor der Parteiengeschichte“ auch einbezogen in die Debatten über die Einrichtung einer „Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien“ und gehörte ab 1952 zu den zehn ordentlichen Mitgliedern der Kommission.
1950 | Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Institut für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit, seit 1952 Institut für Zeitgeschichte, München |
1950 | Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt |
1952 | Mitgründer und Mitglied der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien |
1953 | Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland |
Nachlass:
Universitätsbibliothek Marburg.
Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Abt. O 21 Nachlass Ludwig Bergsträsser.
Weitere Archivmaterialien:
Archiv des Hessischen Landtags, Wahlperiode I (1947–1949).
Archiv der Sozialen Demokratie, Personalia Ludwig Bergsträsser (Nr. 4690).
Bundesarchiv Berlin: DHZc 7 339, Handakten Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof, Strafsache Ludwig Bergsträsser; RKK 2101, Box 0085, File 01: Reichskulturkammer-Reichsschrifttumskammer, Akte Bergsträsser.
Gedruckte Quellen:
Verhandlungen des Reichstags, III. Wahlperiode 1924, Stenographische Berichte, Bd. 386–392, 1925–1927.
Verhandlungen des Reichstags, III. Wahlperiode 1924, Anlagen zu den stenographischen Berichten, Bd. 401, 1925.
Helmut Berding (Hg.), Die Entstehung der Hessischen Verfassung von 1946. Eine Dokumentation, 1996.
Andreas Hedwig (Hg.), Die Kabinettsprotokolle der Hessischen Landesregierung. Kabinett Geiler 1945–1946, 2000.
Protokolle der Sitzungen und Drucksachen des Hessischen Landtags in der 1. und 2. Wahlperiode, 1946–1950, 1950–1954. (Onlineressource)
Register zu den Verhandlungen des Deutschen Bundestages und zu den Anlagen, 1. Wahlperiode (1949–1953), Zweiter Teil: Sprechregister, Stenographische Berichte der 1.–282. Sitzung, o. J.
Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949, Stenographische Berichte, Bd. 1–3, 9–10, 15–16, 1950–1953.
Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949, Anlagen zu den Stenographischen Berichten (Drucksachen), 1951 ff.
Christian Friedrich Pfeffels politische Tätigkeit in französischem Dienste 1758–1784, 1906. (Diss. phil.)
Studien zur Vorgeschichte der Zentrumspartei, 1910. (Habilitationsschrift)
Reinhard Carl Theodor Eigenbrodt. Meine Erinnerungen aus den Jahren 1848, 1849 und 1850. Mit einer biographischen Einl,, 1914.
Geschichte der politischen Parteien in Deutschland, 1921, 111965 überarb. u. hg. v. Wilhelm Mommsen.
Der politische Katholizismus. Dokumente seiner Entwicklung II (1871–1914), 1923.
Der Weg der Jugend in unserer Zeit, 1947.
Mein Weg, 1953.
Erinnerungen an Wilhelm Leuschner, in: Das Parlament, Sondernr. zum 20. Juli 1954, S. 8.
Zeugnisse zur Entstehungsgeschichte des Landes Hessen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 5 (1957), S. 397–416.
Befreiung, Besatzung, Neubeginn. Tagebuch des Darmstädter Regierungspräsidenten 1945–1948, hg. v. Walter Mühlhausen, 1987.
Monografien:
Friedrich Wilhelm Möbius, Genealogie der Familie Bergsträßer, 1869.
Alfred Hermann (Hg.), Aus Geschichte und Politik. Festschrift zum 70. Geburtstag von Ludwig Bergsträsser. Reprint der von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien beauftragten Ausgabe von 1954, 1993.
Stephanie Zibell, Ludwig Bergsträsser. Ein politisches Portrait, 2 Bde., 2002.
Stephanie Zibell, Politische Bildung und demokratische Verfassung. Ludwig Bergsträsser (1883–1963), 2006. (P)
Aufsätze:
Elisabeth Fehrenbach, Ludwig Bergsträsser, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, Bd. VII, 1980, S. 101–117.
Eckhart G. Franz, Ludwig Bergsträsser (1883–1960) in: Bernd Heidenreich/Walter Mühlhausen (Hg.), Einheit und Freiheit. Hessische Persönlichkeiten und der Weg zur Bundesrepublik Deutschland, 2000, S. 187–200.
Walter Mühlhausen, Eine Denkschrift für Wilhelm Leuschner – Ludwig Bergsträsser und die Widerstandsbewegung, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933–1945, 1996, S. 593–611.
Stephanie Zibell, Politik ist Praxis, nicht Illusion. Das politische Leben und Wirken des Sozialdemokraten Ludwig Bergsträsser (1883–1960), in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde 75 (2017), S. 269–296. (P)
Lexikonartikel
N. N., Art. „Bergsträsser, Ludwig, in: Hessische Biographie, 2022. (P) (Onlineressource)
Eckhart. G. Franz, Art. „Bergsträsser, Ludwig“, in: Stadtlexikon Darmstadt. (P) (Onlineressource)
Erhard H. M. Lange, Art. „Ludwig Bergstässer (SPD), in: Bundeszentrale für politische Bildung, Biografien, 2008. (Onlineressource)
Marc Zirlewagen, Art. „Bergsträsser, Ludwig“, in: Frankfurter Personenlexikon, 2018. (P) (Onlineressource).
Gemälde (Öl/Leinwand) v. Eberhard Schlotter (1921–2014), Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Abbildung in: Stadtlexikon Darmstadt.