Barzel, Rainer
- Lebensdaten
- 1924 – 2006
- Geburtsort
- Braunsberg (Ostpreußen, heute Braniewo, Polen)
- Sterbeort
- München
- Beruf/Funktion
- Politiker ; Bundesminister ; Präsident des Deutschen Bundestags ; Abgeordneter ; Jurist ; Minister
- Konfession
- römisch-katholisch
- Normdaten
- GND: 118652990 | OGND | VIAF: 32157025
- Namensvarianten
-
- Barzel, Rainer Candidus
- Barzel, Rainer
- Barzel, Rainer Candidus
- Barzel, Rainer C.
- Barzel, Rainer Kandidus
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- Carl Spiecker (1888–1953)
- Egon Bahr (1922–2015)
- Ernst von Hippel (1895–1984)
- Franz-Josef Strauß (1915–1988)
- Heinrich Krone (1895–1989)
- Heinrich von Brentano (1904–1964)
- Helmut Kohls (1930–2017)
- Helmut Schmidt (1918–2015)
- Janet Brooks Gerloff (1947–2008)
- Karl Arnold (1901–1958)
- Konrad Adenauers (1876–1967)
- Leo Wagner (1919–2006)
- Ludwig Erhard (1897–1977)
- Ludwig Wegmann
- Walter Scheel (1919–2016)
- Willy Brandts (1913–1992)
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Barzel, Rainer Candidus
1924 – 2006
Politiker, Bundesminister, Präsident des Deutschen Bundestags
Rainer Barzel war einer der maßgeblichen CDU-Bundespolitiker in der Zeit zwischen den Kanzlerschaften Konrad Adenauers (1876–1967) und Helmut Kohls (1930–2017). Er prägte als erster Oppositionsführer der Unionsparteien auf Bundesebene deren Profil v. a. in der Ostpolitik. Jedoch galt er nach seinen Misserfolgen bei dem Konstruktiven Misstrauensvotum und der anschließenden Bundestagswahl 1972 sowie nach seinem Rücktritt als Bundestagspräsident im Zusammenhang mit der Flick-Parteispendenaffäre 1984 überwiegend als gescheiterter Politiker.
Lebensdaten
Geboren am 20. Juni 1924 in Braunsberg (Ostpreußen, heute Braniewo, Polen) Gestorben am 26. August 2006 in München Grabstätte Zentralfriedhof Bad Godesberg in Bonn Konfession römisch-katholisch -
Autor/in
→Kai Wambach (Windhagen)
-
Zitierweise
Wambach, Kai, „Barzel, Rainer“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.04.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118652990.html#dbocontent
Nach der Volksschule in Braunsberg und Berlin besuchte Barzel zunächst das von Jesuiten geführte Gymnasium am Lietzensee in Berlin-Charlottenburg, das von den Nationalsozialisten 1940 geschlossen wurde. Nach dem Abitur 1941 am Luisen-Gymnasium meldete er sich freiwillig zur Luftwaffe und wurde, als Seeaufklärer eingesetzt, Kommandant eines Flugbootes. Nach Kriegsende ging Barzel mit seiner Verlobten zu deren Familie nach Köln, wo er ab Herbst 1945 Jura und Volkswirtschaft studierte. Während des Studiums, das er 1949 mit dem ersten juristischen Staatsexamen und der Promotion zum Dr. iur. bei Ernst von Hippel (1895–1984) abschloss, sammelte er Erfahrungen im journalistischen Bereich und lernte den Zentrumspolitiker Carl Spiecker (1888–1953) kennen, der ihn 1949 zu seinem persönlichen Referenten machte und Barzels erste Schritte in die Politik stark beeinflusste.
Mit Unterstützung seiner politischen Ziehväter Spiecker, Karl Arnold (1901–1958) und später Heinrich Krone (1895–1989) machte Barzel als Beamter Karriere im Landesdienst Nordrhein-Westfalens und leitete seit 1954 als Stellvertreter von Landesminister Artur Sträter (1902–1977) die Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalens beim Bund. Nach dem erfolgreichen Konstruktiven Misstrauensvotum gegen Arnold 1956 ließ er sich beurlauben und war als Geschäftsführer des neu gegründeten gemeinsamen Landespräsidiums der CDU-Landesverbände Rheinland und Westfalen-Lippe eigenständig politisch tätig. Bei der Bundestagswahl 1957 kandidierte er im Wahlkreis Paderborn, den er durchgängig gewann, bis er seit 1980 über die Landesliste Nordrhein-Westfalens ins Parlament einzog.
Als Abgeordneter in der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und bekannt als politisches Nachwuchstalent wurde Barzel unterstützt durch den Fraktionsvorsitzenden Krone. Barzel beteiligte sich an verschiedenen Initiativen, u. a. an dem antikommunistischen Komitee „Rettet die Freiheit“. Er galt in dieser Phase innerhalb der CDU als besonders konservativ, wenngleich seine Grundüberzeugungen, ausgerichtet an seinen Vorbildern Spiecker und Arnold, überwiegend im sozialpolitisch orientierten Spektrum der Union lagen. 1961 wurde er von Konrad Adenauer (1876–1967) mit einer Studie über die Zukunft der CDU beauftragt, die von Adenauer, der um das liberale Wählerpotenzial seiner Partei fürchtete, aber als „zu katholisch“ abgelehnt wurde.
Ende 1962 im letzten Kabinett Adenauer zum Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen ernannt, wurden unter Barzels Verantwortung erstmals politische Gefangene aus der DDR freigekauft. Unter Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard (1897–1977) verlor Barzel 1963 sein Ministeramt und wurde als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Unionsfraktion faktischer Fraktionschef, da der Vorsitzende Heinrich von Brentano (1904–1964) schwer erkrankt war. Aufgrund seiner strategischen, taktischen und rhetorischen Fähigkeiten und seines Ehrgeizes wurde Barzel schon ab Mitte der 1960er Jahre als möglicher Kanzlerkandidat und Parteivorsitzender gehandelt. Das erzeugte innerhalb der CDU auch spürbaren Widerstand und lang anhaltende negative Eindrücke, u. a. durch Barzels Rolle in der Endphase von Erhards Kanzlerschaft, als er offen seine eigenen Ambitionen auf das Amt zeigte, einer Kampfkandidatur gegen Erhard im März 1966 letztlich jedoch auswich. Bei der Benennung eines CDU-Kanzlerkandidaten 1966 fehlte ihm deshalb der Rückhalt in den eigenen Reihen.
Als CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender seit 1964 schmiedete Barzel trotz divergierender Interessenlagen politisch tragfähige Kompromisse innerhalb der Fraktion und mit den jeweiligen Koalitionspartnern, z. B. bei der Finanzverfassungsreform und den Sozialpaketen Mitte und Ende der 1960er Jahre. Im Zusammenspiel mit seinem SPD-Pendant Helmut Schmidt (1918–2015) war Barzel trotz stetig wachsender politischer Gegensätze in der ersten Großen Koalition 1966 bis 1969 erfolgreich bei der Durchsetzung der politischen Ziele seiner Fraktion, z. B. bei den Notstandsgesetzen 1968.
Nach dem Regierungswechsel 1969 avancierte Barzel als Führer der CDU/CSU-Opposition zum Gegenspieler Willy Brandts (1913–1992) und dessen Deutschland- und Ostpolitik, wobei innerhalb von CDU und CSU kein einheitlicher Kurs hergestellt werden konnte: Während Barzel eine abwartend-kompetitive und konstruktive Oppositionsrolle gegenüber den Verhandlungen von Egon Bahr (1922–2015), Brandt und Walter Scheel (1919–2016) mit Moskau und Warschau einzunehmen suchte, neigten v. a. Teile der CSU mit Franz-Josef Strauß (1915–1988) zu einer Fundamentalopposition. Im April 1972 initiierte Barzel, der 1971 den CDU-Bundesvorsitz gegen Helmut Kohl (1930–2017) gewonnen hatte, das durch mehrere Überläufer aus der Regierungsfraktion, die den deutschlandpolitischen Kurs der SPD/FDP-Koalition ablehnten, ermöglichte konstruktive Misstrauensvotum gegen Brandt, um diesen als Kanzler abzulösen. Er scheiterte jedoch überraschend an zwei fehlenden Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion: 1973 bekannte sich der CDU-Abgeordnete Julius Steiner (1924–1997) zu seiner Stimmenthaltung, 2000 fiel zudem der Verdacht auf den langjährigen Geschäftsführer der Unionsfraktion, den CSU-Abgeordneten Leo Wagner (1919–2006). Bei beiden deuteten die Indizien, u. a. in Stasi-Unterlagen, darauf hin, dass sie vom Staatssicherheitsdienst der DDR bestochen worden waren. Steiner behauptete den Erhalt einer Geldsumme von sozialdemokratischer Seite, wofür ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags keine Belege feststellen konnte.
Trotz dieser Niederlage und der Zerstrittenheit der CDU/CSU-Fraktion konnte Barzel anschließend aus der Opposition heraus die Politik der auf die Mitwirkung der Union angewiesenen Regierung mitbestimmen und erreichte eine gemeinsame Entschließung des Bundestags, die die Ostverträge bei einem ausdrücklichem Offenhalten der Möglichkeit einer Deutschen Einheit als zustimmungsfähig bezeichnete.
Nach der Auflösung des Bundestags im September 1972 unterlag Barzel als Kanzlerkandidat von CDU/CSU bei der Bundestagswahl im November 1972 gegen Brandt. Hierdurch politisch schwer angeschlagen, verlor er parteiintern weiter an Rückhalt. Im Mai 1973 trat er vom Partei- und Fraktionsvorsitz zurück und kandidierte auf dem folgenden Parteitag nicht mehr für diese Ämter; sein Nachfolger wurde Kohl.
Barzel war in den folgenden Jahren im Bundestag u. a. Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses (1976–1979) und des Auswärtigen Ausschusses (1980–1982), wurde im Oktober 1982 Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen im Kabinett Kohl I und im März 1983 zum Präsidenten des Deutschen Bundestags gewählt. In dieser Position setzte er sich für Stärkung und Eigenständigkeit des Parlaments gegenüber der Regierung ein. Im Oktober 1984 wurde er vom Untersuchungsausschuss des Bundestags unter dem Verdacht seiner Verwicklung in die Flick-Parteispendenaffäre vernommen. Der Verdacht beruhte darauf, dass er von 1973 bis 1979 über eine Frankfurter Anwaltskanzlei, bei der er bis 1982 als Berater tätig gewesen war, insgesamt ca. 1,8 Millionen D-Mark von Flick erhalten hatte. Eine damit verbundene politische Einflussnahme oder Steuerhinterziehung konnte von der Staatsanwaltschaft nicht nachgewiesen werden, Barzel trat jedoch politisch diskreditiert auf Druck seiner Partei und der Öffentlichkeit am 25. Oktober 1984 als Bundestagspräsident zurück. Bis zu seinem Tod lebte er als politischer Kommentator und Autor in München.
1944 | Frontflugspange in Gold |
1944 | Eisernes Kreuz II. Klasse |
1968 | Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland |
1970 | Bayerischer Verdienstorden |
1973 | Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland |
1974 | Komturkreuz mit Stern des Ordens des heiligen Gregor des Großen |
1984 | Großes Goldenes Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich |
1984 | Ehrenbürger der Stadt Paderborn |
1992 | Großoffizier der Ehrenlegion |
1992 | Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen |
Nachlass:
Bundesarchiv, Koblenz, N 1371.
Weitere Archivmaterialien:
Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg im Breisgau, PERS 6/138 057. (Personalakte Wehrmacht)
Monografien:
Die geistigen Grundlagen der politischen Parteien, 1947.
Souveränität und Freiheit, 1950.
Die deutschen Parteien, 1951.
Karl Arnold. Grundlegung christlich-demokratischer Politik in Deutschland. Eine Dokumentation, 1960.
Mater et Magistra und praktische Politik, 1962.
Gesichtspunkte eines Deutschen, 1968.
Es ist noch nicht zu spät, 1976.
Auf dem Drahtseil, 1978.
Das Formular, 1979.
Unterwegs. Woher und wohin?, 1982.
Im Streit und umstritten, 1986.
Geschichten aus der Politik, 1987.
Plädoyer für Deutschland, 1989.
So nicht! Für eine bessere Politik in Deutschland, 1993.
Deutschland – was nun?, 1996.
Von Bonn nach Berlin, 1997.
Die Tür blieb offen, 1998.
Ein gewagtes Leben, 2001.
Fibel für Wahlkämpfer und Wähler beiderlei Geschlechts, 2002.
Was war, wirkt nach, 2005.
Mitwirkung an Filmen:
Zu Besuch, aber nicht als Fremder, 6.1.1988, ZDF.
Jerusalem – eine Stadt, die uns angeht, 22.11.1989, ZDF.
Monografien:
Kai Wambach, Rainer Barzel. Eine Biographie, 2019.
Aufsätze:
Carsten Penzlin, Rainer Barzel als Kanzlerkandidat im Bundestagswahlkampf 1972, in: Historisch-Politische Mitteilungen 14 (2007), S. 121–136.
Daniela Forkmann, Rainer Barzel. Der tragische Held, in: dies./SaskiaRichter (Hg.), Gescheiterte Kanzlerkandidaten. Von Kurt Schumacher bis Edmund Stoiber, 2007, S. 141–174. (P)
Andreas Grau, Auf der Suche nach den fehlenden Stimmen 1972. Zu den Nachwirkungen des gescheiterten Misstrauensvotums Barzel/Brandt, in: Historisch-Politische Mitteilungen 16 (2009), S. 1–17.
Michael Schlieben, Politische Karrieren in der Bundesrepublik. Studien über Aufstieg und Scheitern, 2013, S. 111–159. (P)
Kai Wambach, Streben nach Konsens. Rainer Barzels Vorsitz der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, in: Historisch-Politische Mitteilungen 20 (2013), S. 199–228.
Kai Wambach, Vergessene Reformbemühungen, Rainer Barzels Vorsitz der CDU 1971–1973, in: Historisch-Politische Mitteilungen 25 (2018), S. 159–182.
Kai Wambach, „Barzel den Kopf waschen“. Barzels Moskaureise und die Bedingungen der Ost- und Deutschlandpolitik von CDU und CSU in Zeiten „konspirativer Koexistenz“, in: Michael Borchard/Stefan Karner/Hanns Jürgen Küsters/Peter Ruggenthaler (Hg.), Entspannung im Kalten Krieg. Der Weg zum Moskauer Vertrag und zur KSZE, 2020, S. 133–154.
Lexikonartikel:
Manfred Agethen, Art. „Rainer Barzel (*1924)“, in: TorstenOppelland (Hg.), Deutsche Politiker, Bd. 1, 1999, S. 174–185. (P)
Jürgen Hartmann, Art. „Rainer Barzel“, in: Udo Kempf/Hans-Georg Merz, (Hg.), Kanzler und Minister 1949–1998, 2001, S. 121–124. (P)
Fotografien, 1963–1983, Bildarchiv des Bundesarchivs. (Onlineressource)
Porträt (Öl/Leinwand) v. Janet Brooks Gerloff (1947–2008), Deutscher Bundestag, Artothek.