Adler, Friedrich
- Dates of Life
- 1879 – 1960
- Place of birth
- Wien
- Place of death
- Zürich
- Occupation
- Politiker ; Publizist ; Physiker ; Schriftsteller ; Sozialist
- Religious Denomination
- evangelisch,seit ca. 1897 konfessionslos
- Authority Data
- GND: 118647016 | OGND | VIAF: 27074295
- Alternate Names
-
- Adler, Friedrich Wolfgang
- Adler, Fritz
- Adler, Friedrich
- Adler, Friedrich Wolfgang
- Adler, Fritz
- Adler, Frédéric
- Adler, Fridrich
- Adler, Friedrich W.
- Адлер, Фридрих
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Relations
Genealogical Section (NDB)
Life description (NDB)
- Albert Einstein (1879–1955)
- August Bebel (1840–1913)
- Ernst Mach (1838–1916)
- Ferdinand Skaret (1862–1941)
- Joseph Buttinger (1906–1992)
- Julius Deutsch (1884–1972)
- Karl Graf von Stürgkh (1859–1916)
- Karl I. (1887–1922)
- Karl Kautsky (1854–1938)
- Leopold Winarsky (1873–1915)
- Otto Bauer (1881–1938)
- Tom Shaw (1872–1938)
Personen in der GND - familiäre Beziehungen
Personen in der GND - Bekannte und Freunde
Places
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Adler, Friedrich Wolfgang
Namensvariante: Fritz Adler
1879 – 1960
Politiker, Publizist, Physiker
Nach kurzer wissenschaftlicher Karriere als Physiker avancierte Friedrich Adler seit 1911 zu einer zentralen Gestalt der österreichischen Sozialdemokratie. Weithin bekannt wurde er 1916 durch seinen Mord an dem k. k. Ministerpräsidenten Karl Graf von Stürgkh (1859–1916). 1918 amnestiert, war Adler von 1923 bis 1940 die bestimmende Gestalt der Sozialistischen Arbeiter-Internationale. 1940 ging er in das US-amerikanische Exil und trat nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr politisch hervor.
Dates of Life
Geboren am 9. Juli 1879 in Wien Gestorben am 2. Januar 1960 in Zürich Grabstätte Zentralfriedhof (Ehrengrab) in Wien Konfession evangelisch; seit ca. 1897 konfessionslos -
Author
→John Zimmermann (Potsdam)
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Citation
Zimmermann, John, „Adler, Friedrich“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2024, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118647016.html#dbocontent
Adler wuchs als Sohn des sozialdemokratischen Parteiführers Victor Adler (1852–1918) in großbürgerlichen Verhältnissen in Wien auf. Nach der Matura 1897 studierte er Chemie, Mathematik und Physik an der Universität Zürich, wo Ernst Mach (1838–1916) sein wichtigster Lehrer war und er sich u. a. mit Albert Einstein (1879–1955) befreundete. 1902 wurde Adler bei Mach mit der Studie „Die Abhängigkeit der specifischen Wärme des Chroms von der Temperatur“ zum Dr. phil. promoviert. Von 1905 bis 1907 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Museums in München tätig, habilitierte er sich 1907 für Physik an der Universität Zürich, wo er anschließend bis 1911 als Privatdozent lehrte.
Seit 1897 engagierte sich Adler im Verband der österreichischen Sozialdemokratie in der Schweiz, leitete dort seit 1901 den Verband der Internationalen Arbeitervereine und wirkte seit 1898 an der sozialdemokratischen Zürcher Tageszeitung „Volksrecht“ mit, deren Chefredakteur er 1910/11 war. 1911 wurde er neben Julius Deutsch (1884–1972), Ferdinand Skaret (1862–1941) und Leopold Winarsky (1873–1915) einer der Parteisekretäre der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) in Wien und machte sich als Herausgeber, Redakteur und Autor verschiedener Parteiblätter einen Namen. Er stand mit Otto Bauer (1881–1938) für einen pazifistischen, internationalen, als „Integralen Sozialismus“ bezeichneten Mittelweg zwischen Bolschewismus und Reformismus. Adler bereitete den für August 1914 in Wien geplanten Kongress der Zweiten Internationale vor, der wegen des Beginns des Ersten Weltkriegs ausfiel. Als Reaktion auf die kriegsunterstützende Haltung der SDAP-Führung legte er 1914 alle Parteiämter nieder und attackierte in der Folgezeit öffentlich die Regierungspolitik sowie die eigene Parteiführung, zu der auch sein Vater zählte, wodurch er sich zunehmend isolierte.
Aus Protest gegen die Kriegspolitik der k. u. k.-Regierung erschoss Adler am 21. Oktober 1916 in einem Wiener Restaurant Ministerpräsident Karl Graf von Stürgkh (1859–1916). Am 18./19. Mai 1917 verteidigte er sich vor dem Wiener Ausnahmsgericht in einer vielstündigen Rede, in der er Regierung und politische Parteien scharf attackierte und zu Frieden und internationaler Solidarität aufrief. Die über die Presse verbreitete Rede wurde in der mehrheitlich kriegsmüden Öffentlichkeit begeistert aufgenommen. Adlers Verurteilung zum Tode wegen Meuchelmord wandelte der Kassationshof in Wien am 6. September 1917 in 18 Jahre Kerkerhaft um. Am 1. November 1918 wurde Adler durch Kaiser Karl I. (1887–1922) amnestiert und acht Tage später aus dem Gefängnis in Stein an der Donau entlassen. Während der Haft verfasste er mit „Ortszeit, Systemzeit, Zonenzeit und das ausgezeichnete Bezugssystem der Elektrodynamik“ (1920) seine letzte physikalische Studie, in der er sich kritisch zu Einsteins Spezieller Relativitätstheorie positionierte.
1918/19 trug Adler als Vorstand der Wiener Arbeiterräte und Sekretär der SDAP entscheidend dazu bei, dass Revolution und kommunistische Putschversuche in Österreich keine Massenbasis erlangten. Das Angebot, den Vorsitz der neu gegründeten Kommunistischen Partei Österreichs zu übernehmen, lehnte er ab und legte am 13. Juni 1919 bei der Konferenz der Arbeiterräte in Wien einen kommunistischen Putschplan offen. Adler gehörte 1919/20 der Konstituierenden Nationalversammlung sowie von 1920 bis 1923 dem Österreichischen Nationalrat an; er blieb zeitlebens allerdings Internationalist und sah sich eher als Deutscher denn als Österreicher.
Auf internationaler Ebene engagierte sich Adler für eine Wiedervereinigung der infolge des Ersten Weltkriegs auseinandergedrifteten Arbeiterbewegung. Als sich 1921 in Wien die Internationale Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Parteien (IASP) bildete, wurde er zu ihrem Sekretär bestellt. Nach dem Scheitern der Einigungsbemühungen, schloss sich die IASP mit Resten der Zweiten Internationale 1923 zur Sozialistischen Arbeiter-Internationale (SAI) zusammen. Adler prägte mit Tom Shaw (1872–1938), seit 1925 als alleiniger Leiter die Politik der von 1925 bis 1935 in Zürich, dann in Brüssel angesiedelten SAI.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich gründete Adler im März 1938 in Brüssel mit Bauer und Joseph Buttinger (1906–1992) die Auslandsvertretung der österreichischen Sozialisten (AVOES). Gemäß der im April 1938 veröffentlichten „Brüsseler Deklaration“ stand nicht der Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland im Vordergrund der politischen Exilarbeit, sondern die Förderung einer gesamtdeutschen Revolution nach dem erwarteten Zusammenbruch des NS-Regimes. Nach Beginn der Besetzung Belgiens durch die deutsche Wehrmacht floh Adler 1940 nach New York City, wo er 1942 die Gründung des Austrian Labor Committee initiierte, in dem er die Arbeit der 1942 aufgelösten AVOES fortsetzte. Obwohl er lange als informeller Führer des österreichischen sozialdemokratischen Exils gelten konnte, entfernten sich seine Genossen im Zweiten Weltkrieg zunehmend von Adler, auch weil sich dieser zuvorderst als Internationalist verstand und vor diesem Hintergrund die Bildung einer repräsentativen österreichischen Exilregierung verhinderte.
Spätestens seit der „Moskauer Deklaration“ der alliierten Außenminister vom 1. November 1943, die u. a. ein unabhängiges, freies Österreich als Kriegsziel formulierte, geriet Adler in das politische Abseits. 1946 kehrte er nach Brüssel zurück, liquidierte das Büro der SAI, übersiedelte kurz darauf nach Zürich und zog sich in der Folgezeit aus der Öffentlichkeit zurück. 1954 gab er den Briefwechsel zwischen Victor Adler, August Bebel (1840–1913) und Karl Kautsky (1854–1938) heraus. Sein Plan einer umfassenden Biografie seines Vaters blieb unverwirklicht.
1989 | Friedrich-Adler-Weg, Wien-Favoriten |
Nachlass:
Adler-Archiv im Archiv des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien. (weiterführende Informationen)
International Institute of Social History/Internationaal Insituut voor sociale Geschiedenis, Amsterdam, ARCH 00 135.
Weitere Archivmaterialien:
Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich, Ar 198.30 u. F_5 104. (u. a. Dokumente Friedrich Adler, Dokumente Kathia Adler, Sammelgut ca. 1941–1977, Fotodokumente)
Stadt- und Landesarchiv, Wien, A11:6 441/1916. (Landesgericht für Strafsachen, Strafverfahren gegen Friedrich Adler)
Gedruckte Quellen:
Michaela Maier/Wolfgang Maderthaner (Hg.), Physik und Revolution. Friedrich Adler – Albert Einstein. Briefe, Dokumente, Stellungnahmen, 2006.
Monografien und Herausgeberschaften:
Die Abhängigkeit der specifischen Wärme des Chroms von der Temperatur, 1902. (Diss. phil.)
Die Sozialdemokratie in Deutschland und der Krieg, 1915.
Die Erneuerung der Internationale. Aufsätze aus der Kriegszeit, 1918.
Ernst Machs Überwindung des mechanischen Materialismus, 1918, ital. 1978.
Friedrich Adler vor dem Ausnahmegericht. Die Verhandlungen vor dem § 14-Gericht am 18. und 19. Mai 1917 nach dem stenographischen Protokoll, 1919, erw. Neuausg. 1923, Neuausg. hg. u. eingel. v. J. W. Brügel 1967, Neuausg. u. d. T. Friedrich Adler vor dem Ausnahmegericht. Das Attentat gegen den Ersten Weltkrieg, hg. v. Michaela Maier/Georg Spitaler, 2016.
Ortszeit, Systemzeit, Zonenzeit und das ausgezeichnete Bezugssystem der Elektrodynamik. Eine Untersuchung über die Lorentzsche und die Einsteinsche Kinematik, 1920.
Friedrich Engels, Notes on the War. 60 Articles Reprinted from the „Pall Mall Gazette“. 1870–1871, 1923. (Hg.)
Der Bericht der britischen Gewerkschaftsdelegation über Rußland. Kritisch untersucht. Mit einem Anhang. Aufrichtige und unaufrichtige Einheitsfront. Parteivorstand der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik, 1925.
Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte…, 1929.
Der Moskauer Prozess und die Sozialistische Arbeiter-Internationale, 1931, franz. 1932.
Das Stalinsche Experiment und der Sozialismus, 1932.
The Witchcraft Trial in Moscow, 1936.
Victor Adler. Briefwechsel mit August Bebel und Karl Kautsky, eingel. v. Friedrich Adler, hg. v. Parteivorstand der Sozialistischen Partei Österreichs, 1954.
Norbert Leser (Hg.), Werk und Widerhall. Große Gestalten des österreichischen Sozialismus, 1964, S. 27–46.
Julius Braunthal, Victor und Friedrich Adler. Zwei Generationen Arbeiterbewegung, 1965.
Rudolf G. Ardelt, Friedrich Adler. Probleme einer Persönlichkeitsentwicklung um die Jahrhundertwende, 1984.
Hans Mommsen, Friedrich Adler und die Tradition der österreichischen sozialdemokratischen Gesamtpartei, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 20 (1984), S. 3–16.
Otfried Dankelmann, Friedrich Adler und die Liquidation der Sozialistischen Arbeiter-Internationale, in: Jahrbuch für Geschichte 36 (1988), S. 181–234.
Hermann Wichers, Art. „Adler, Friedrich“, in: Historisches Lexikon der Schweiz, 1997. (Onlineressource)
John Zimmermann, „Von der Bluttat eines Unseligen“. Das Attentat Friedrich Adlers und seine Rezeption in der sozialdemokratischen Presse, 2000.
John Zimmermann, Vom „Irrsinnigen“ zum „Märtyrer“ und „Helden“. Der Attentäter Friedrich Adler 1916–1918, in: Karl Härter (Hg.), Vom Majestätsverbrechen zum Terrorismus. Politische Kriminalität, Recht, Justiz und Polizei zwischen Früher Neuzeit und 20. Jahrhundert, 2012, S. 219–240.
John Zimmermann, Der Prozess gegen Friedrich Adler, Österreich 1916, in: Kurt Groenewold/Alexander Ignor/Arnd Koch (Hg.), Lexikon der Politischen Strafprozesse, 2015. (P) (Onlineressource)
Fotografie, ca. 1917, Abbildung in: Ilustrirani Glasnik (slowenische Zeitung) v. 8.11.1917, S. 76. (Onlineressource)