Abraham, Karl

Lebensdaten
1877 – 1925
Geburtsort
Bremen
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
Psychiater ; Psychoanalytiker ; Arzt ; Psychologe
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 118500228 | OGND | VIAF: 29528823
Namensvarianten

  • Abraham, Karl
  • Abracham, Karl
  • Abraham, Carl
  • Abracham, Carl

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Zitierweise

Abraham, Karl, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118500228.html [30.01.2025].

CC0

  • Abraham, Karl

    1877 – 1925

    Psychiater, Psychoanalytiker

    Als enger Mitarbeiter Sigmund Freuds (1856–1939) führte Karl Abraham die Psychoanalyse in Deutschland ein und gründete 1908 in Austausch mit Freud die Berliner Psychoanalytische Vereinigung (seit 1926 Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft), die sich im Lauf seines Lebens zu einem wichtigen Zentrum der Psychoanalyse entwickelte. Als Supervisor und Analytiker beeinflusste er die Psychoanalytikerin Melanie Klein (1882–1960), die viele seiner Ideen übernahm.

    Lebensdaten

    Geboren am 3. Mai 1877 in Bremen
    Gestorben am 25. Dezember 1925 in Berlin
    Grabstätte Friedhof (seit 1997 Ehrengrab des Landes Berlin) in Berlin-Lichterfelde
    Konfession jüdisch
    Karl Abraham (InC)
    Karl Abraham (InC)
  • 3. Mai 1877 - Bremen

    1883 - 1895 - Bremen

    Schulbesuch (Abschluss: Abitur)

    Privatschule; seit 1895 Hauptschule (Gymnasium)

    1896 - 1901 - Würzburg; Berlin; Freiburg im Breisgau

    Studium der Medizin (Abschluss: Erstes medizinisches Examen)

    Universität

    1901 - Freiburg im Breisgau

    Promotion (Dr. med.)

    Universität

    1901 - 1904 - Berlin; Zürich

    Assistenzarzt

    Berliner Städtische Irrenanstalt Dalldorf; seit 1904 Burghölzli-Klinik

    November 1907 - Berlin

    selbstständiger Psychiater und Psychoanalytiker

    eigene Praxis

    1908 - Berlin

    Gründer und Vorsitzender

    Berliner Psychoanalytische Vereinigung (seit 1926 Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft)

    1910 - Nürnberg

    Präsident (1914–1918, 1924/25)

    Internationale Psychoanalytische Vereinigung (IPA)

    1912

    Mitglied des „Geheimen Komitees“

    IPA

    1914 - 1918 - Ostfront

    Kriegsdienst als Arzt und Chirurg

    Deutsches Heer

    25. Dezember 1925 - Berlin

    Leben

    Abraham wuchs in Bremen auf, wo sein Vater anfänglich als Religionslehrer, dann als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde aktiv war und als Tabakhändler arbeitete. Die tiefe Depression seiner Mutter nach einer Fehlgeburt 1879 prägte ihn lebenslang. Abraham besuchte seit 1883 eine Privatschule, seit 1895 ein Gymnasium in Bremen. Nach dem Abitur 1895 studierte er seit 1896 Medizin in Würzburg, Berlin und Freiburg im Breisgau, legte hier 1901 das medizinische Examen ab und wurde mit einer Dissertation über die Entwicklungsgeschichte des Wellensittichs bei Robert Wiedersheim (1848–1923) zum Dr. med. promoviert. Im selben Jahr erhielt er seine Approbation.

    Abrahams Plan, als Assistenzarzt an die Burghölzli-Klinik in Zürich zu gehen, scheiterte zunächst, sodass er 1901 eine Stelle in der Berliner Städtischen Irrenanstalt Dalldorf (heute Vivantes Humboldt-Klinikum) antrat, ehe er 1904 als zweiter Assistent doch an die Burghölzli-Klinik wechseln konnte. Deren Chefarzt, Eugen Bleuler (1857–1939), prägte seine weitere Entwicklung. Die Burghölzli-Klinik war die erste psychiatrische Einrichtung, in der die Psychoanalyse eingehend diskutiert und versucht wurde, die Ideen Sigmund Freuds (1856–1939) praktisch umzusetzen. Beinahe die gesamte Prominenz der späteren psychoanalytischen Bewegung kam über die Burghölzli-Klinik zu Freud, u. a. Carl Gustav Jung (1875–1961), Ludwig Binswanger (1881–1966), Sándor Ferenczi (1873–1933), Ernest Jones (1879–1958), Abraham A. Brill (1874–1948) und Sabina Spielrein (1885–1942).

    Die positive Reaktion Freuds auf einen ihm zugesandten Vortrag, den Abraham am 27. April 1907 vor der Deutschen Vereinigung für Psychiatrie in Frankfurt am Main gehalten hatte, markiert den Beginn eines intensiven Briefwechsels, einer Zusammenarbeit und Freundschaft. Freud schätzte an Abraham, dass dieser der frühkindlichen Sexualität ohne Einschränkung großen Einfluss beimaß, was ihn von Bleuler und Jung unterschied. Ende 1907 kehrte Abraham aus Zürich nach Berlin zurück und eröffnete eine psychiatrische Praxis. Unerfahren in der Durchführung ambulanter Behandlungen, stand ihm Freud, den Abraham am 15. Dezember 1907 bei einem Besuch in Wien persönlich kennenlernte, brieflich zur Seite.

    Angeregt von Freud, gründete Abraham im August 1908 die Berliner Psychoanalytische Vereinigung (seit 1926 Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft), deren Vorsitzender er bis zu seinem Tod blieb. Abraham trat durch Aufsatzpublikationen und Vorträge hervor und nahm schon bald einen zentralen Platz in dem sich internationalisierenden Psychoanalytikernetzwerk ein. 1910 gründete er in Berlin den ersten Zweigverein der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA), der er von 1914 bis 1918 und 1924/25 als Präsident vorstand. Seit 1912 gehörte er neben Ferenczi, Jones, Max Eitingon (1881–1939) und Otto Rank (1884–1939) zu den Mitgliedern des „Geheimen Komitees“, das im Hintergrund zusammen mit Freud bis in die 1920er Jahre alle wichtigen Entscheidungen in der IPA traf. Bei Beginn des Ersten Weltkriegs einberufen, wurde Abraham bis 1918 als Arzt und Chirurg an der Ostfront eingesetzt, wo er sich dauerhafte gesundheitliche Schäden zuzog.

    Werk und Wirkung

    Abraham betrachtete sich als vorbehaltlosen „Jünger“ Freuds und arbeitete dessen Theorien in seinen Veröffentlichung weiter aus. Dabei wandte er sich v. a. Themen zu, mit denen sich Freud nur am Rande beschäftigte, so der Depression und der Aggression und deren Beziehung zueinander. Er verstand Liebe und Hass als unterschiedliche Einheiten, wodurch er der Aggression einen größeren Platz zuwies als Freud, der diese aus einer Frustration der Libido ableitete. Das Kind durchlaufe eine Anzahl von Entwicklungsphasen von Objektbeziehungen, die, wenn alles gut verläuft, bei Objektbeziehungen enden, in denen Rücksicht genommen auf das geliebte Objekt werden kann. Das erfordert ein Gleichgewicht zwischen Liebe und Hass. Bei Stagnationen in der Entwicklung der Objektbeziehungen, v. a. durch Verlassenwerden, z. B. beim Tod der Mutter, kann der Hass überwiegen und damit auch die Depression.

    Dieses Thema arbeitete er in zahlreichen Werken aus, v. a. in „Giovanni Segantini. Ein psychoanalytischer Versuch“ (1911), „Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido aufgrund der Psychoanalyse seelischer Störungen“ (1924) und „Psychoanalytische Studien zur Charakterbildung“ (1925), an die die heutige Forschung anknüpft, die den Zusammenhang von Trauma und Depression behandelt. Kritiker wie Ulrike May(-Tolzmann) bemängelten, Abraham habe Freuds Libidotheorie, in der die Liebe die treibende Kraft ist, in eine Theorie verändert, in der die Aggression, v. a. die präödipale Aggression, eine gleichgewichtige Hauptrolle spiele. Diese Umdeutung wurde zwar zum Gemeingut psychoanalytischer Theorien, ist aber bis heute umstritten.

    Abraham therapierte in seiner Praxis viele Analysanden, die später bedeutende Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker wurden, u. a. Karen Horney (1885–1952), Sándor Radó (1882–1960), Helene Deutsch (1884–1982), Alix Strachey (1892–1973) und Nelly Wolffheim (1879–1965). Den größten Einfluss übte er auf Melanie Klein (1882–1960) aus, die 1923 eine Supervision bei ihm absolvierte hatte und danach zu ihm zur Analyse ging. Abrahams Werk diente Klein als Ausgangspunkt für die Entwicklung eigener Theorien.

    1970 Berliner Psychoanalytisches Institut. Karl-Abraham-Institut
    Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus, Bismarckallee 14, Berlin
    seit 1992 Karl-Abraham-Vorlesung des Berliner Psychoanalytischen Instituts. Karl Abraham–Archiv (jährlich)
    2006 Gedenktafel „Mit Freud in Berlin“, Rankestraße 24, Berlin
    2012 Karl-Abraham-Straße, Bremen

    Nachlass:

    nicht erhalten.

    Weitere Archivmaterialien:

    Archiv des Berliner Psychoanalytischen Instituts. Karl Abraham-Institut, Berlin. (Dokumente)

    Library of Congress, Washington DC, Reading Room, Manuscript Division. (weiterführende Informationen) (Dokumente u. Briefwechsel u. a. mit Freud)

    Burghölzliarchiv, Zürich. (Korrespondenz aus der Burghölzli-Klinik von u. über Abraham)

    Gedruckte Quellen:

    Brigitte Kaderas, Karl Abrahams Bemühungen um einen Lehrauftrag für Psychoanalyse an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Quellenedition der „Denkschrift der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung betreffend Einführung des psychoanalytischen Unterrichts an der Berliner Universität“ und ihre Ablehnung, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 1 (1998), S. 105–232.

    Die Rundbriefe des „Geheimen Komitees“, 4 Bde., hg. v. Gerhard Wittenberger/Christfried Tögel, 1999–2006. (P)

    Sigmund Freud/Karl Abraham. Briefwechsel 1907–1925, hg. v. Ernst Falzeder/Ludger M. Hermanns, 2 Bde., 2009. (Bd.1: Onlineressource) (Bd. 2: Onlineressource)

    Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Wellensittichs, 1901. (Diss. med.)

    Traum und Mythus. Eine Studie zur Völkerpsychologie, 1909. (Onlineressource)

    Giovanni Segantini. Ein psychoanalytischer Versuch, 1911. (Onlineressource)

    Untersuchungen über die früheste prägenitale Entwicklungsstufe der Libido, 1916, in: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse 4 (1916), S. 71–97. (zugangsbeschränkte Onlineressource).

    Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido auf Grund der Psychoanalyse seelischer Störungen, 1924. (Onlineressource)

    Psychoanalytische Studien zur Charakterbildung, 1925. (Onlineressource)

    Psychoanalytische Studien. Gesammelte Werke in zwei Bänden, hg. u. eingel. v. Johannes Cremerius, 1971, Nachdr. 1999.

    Monografien:

    Hilda C. Abraham, Die Anfänge der Psychoanalytischen Vereinigung in Berlin (1908–1933), 1970. (Vortragsmanuskript im Archiv des Karl-Abraham-Instituts, Berlin)

    Hilda C. Abraham, Die Anfänge von Karl Abrahams wissenschaftlicher Arbeit in Berlin, 1970. (Vortragsmanuskript im Archiv des Karl-Abraham-Instituts, Berlin)

    Hilda C. Abraham, Karl Abraham. Sein Leben für die Psychoanalyse, 1976. (P)

    Karin Zienert-Eilts, Karl Abraham. Eine Biografie im Kontext der psychoanalytischen Bewegung, 2013. (P)

    Anna Bentinck van Schoonheten, Karl Abraham. Leben und Werk, 2020, engl. 2016. (P)

    Aufsätze und Beiträge:

    Ernest Jones, Karl Abraham 1877–1925, in: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse 12 (1926), S. 155–183.

    Johannes Cremerius, Karl Abraham. Sein Beitrag zur Psychoanalyse, in: Dieter Eicke (Hg.), Die Psychologie des 20. Jahrhunderts. Bd. 2, 1976, S. 154–166.

    Bettina Decke, Karl Abraham. Familie, Kindheit und Jugend in Bremen, in: Luzifer-Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse 20 (1997), S. 7–60.

    Ulrike May-Tolzmann, in: ebd., S. 98–131.

    Anna Bentinck van Schoonheten, Karl Abraham in der Klemme zwischen Freud und Jung, in: Luzifer Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse 23 (2010), S. 7–23.

    Anna Bentinck van Schoonheten, Karl Abrahams Platz in der Geschichte der Psychoanalyse, in: Jahrbuch der Psychoanalyse 76 (2018), S. 195–222.

    Ulrike May, Wir blicken tiefer als Freud. Zum Abschied vom Primat des Sexuellen, in: Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwedungen 75 (2021), S. 657–691.

    Würdigungen:

    Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse 12 (1926), H. 2: In Memoriam Karl Abraham. (P)

    Lexikonartikel:

    N. N., Art. „Abraham, Karl“, in: Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, hg. v. Archiv Bibliographia Judaica, Bd. 1, 1992, S. 6–12.

    Josef Rattner, Art. „Karl Abraham“, in: ders., Klassiker der Psychoanalyse, 21995, S. 115–134.

    Alma Kreuter, Art. „Abraham, Karl“, in: dies., Deutschsprachige Neurologen und Psychiater. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon von den Vorläufern bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, 1996, Bd. 1, S. 1–4.

    Elisabeth Roudinesco/Michel Plon, Art. „Abraham, Karl“, in: dies., Wörterbuch der Psychoanalyse. Namen, Länder, Werke, Begriffe, 2004, S. 2–4.

    Michael Laier, Art. „Abraham, Karl“, in: Werner E. Gerabek/Bernhard D. Haage/Gundolf Keil/Wolfgang Wegner (Hg.), Enzyklopädie Medizingeschichte, 2005, Bd. 1, S. 3.

  • Autor/in

    Anna Bentinck van Schoonheten (Amsterdam)

  • Zitierweise

    Schoonheten, Anna Bentinck van, „Abraham, Karl“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2024, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118500228.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA