Lambsdorff, Otto Graf
- Lebensdaten
- 1926 – 2009
- Geburtsort
- Aachen
- Sterbeort
- Bonn
- Beruf/Funktion
- Jurist ; Finanzmanager ; Parlamentarier ; Bundesminister ; Politiker ; Rechtsanwalt
- Konfession
- evangelisch-lutherisch
- Normdaten
- GND: 118568914 | OGND | VIAF: 62340869
- Namensvarianten
-
- Graf Lambsdorff, Otto Friedrich Wilhelm von der Wenge
- von der Wenge, Otto
- Lambsdorff, Otto Graf
- Graf Lambsdorff, Otto Friedrich Wilhelm von der Wenge
- von der Wenge, Otto
- Lambsdorff, Otto, Graf
- Graf Lambsdorff, Otto
- Lambsdorff, Otto Friedrich Wilhelm
- Von der Wenge, Otto Friedrich Wilhelm, Graf Lambsdorff
- Wenge, Otto Friedrich Wilhelm von der
- Wenge, Otto Friedrich Wilhelm, Graf Lambsdorff von der
- Lambsdorff, Otto Graph
- Lambsdorff, Otto, Graph
- Von der Wenge, Otto Friedrich Wilhelm, Graf Lambsdorfph
Vernetzte Angebote
- Katalog des Bibliotheksverbundes Bayern (BVB)
- Deutsche Digitale Bibliothek
- Normdateneintrag des Südwestdeutschen Bibliotheksverbundes (SWB)
- * Deutsches Literaturarchiv Marbach - Kallías
- Österreichischer Bibliothekenverbund (OBV)
- Gemeinsamer Verbundkatalog (GBV)
- * Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte München - Berlin
- Index Theologicus (IxTheo)
- * Jahresberichte für deutsche Geschichte - Online
Verknüpfungen
Personen in der NDB Genealogie
Personen im NDB Artikel
- Gerhard Kienbaum (1919–1998)
- Gerhard Schröder (geb. 1944)
- Hans Carl Nipperdey (1895–1968)
- Hans Friderichs (geb. 1931)
- Hans-Dietrich Genscher (1927–2016)
- Helmut Kohl (1930–2017)
- Helmut Schmidt (1918–2015)
- Klaus Kinkel (1936–2019)
- Martin Bangemann (1934–2022)
- Tenzin Gyatso (geb. 1935)
- Wolfgang Gerhardt (geb. 1943)
- Wolfgang Mischnick (1921–2002)
Personen in der GND - familiäre Beziehungen
Orte
Symbole auf der Karte
Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.
-
Lambsdorff, Otto Friedrich Wilhelm von der Wenge Graf
1926 – 2009
Jurist, Finanzmanager, Politiker, Bundesminister
Der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff galt als bekanntester Repräsentant eines wiedererstarkten Wirtschaftsliberalismus in der bundesdeutschen Politik vor der Wiedervereinigung. Als Wirtschaftspolitiker und Bundeswirtschaftsminister sehr einflussreich, u. a. bei der koalitionspolitischen „Wende“ 1982, genoss er über seine Rolle als „marktwirtschaftliches Gewissen“ hinaus und trotz seiner Verwicklung in die Flick-Parteispendenaffäre sowie Verurteilung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung allgemeine Anerkennung, die er auch für Menschenrechtsfragen und internationale Verständigung einsetzte.
Lebensdaten
Geboren am 20. Dezember 1926 in Aachen Gestorben am 5. Dezember 2009 in Bonn Grabstätte Südwestkirchhof in Stahnsdorf (Brandenburg) Konfession evangelisch-lutherisch -
Autor/in
→Jürgen Frölich (Bonn)
-
Zitierweise
Frölich, Jürgen, „Lambsdorff, Otto Graf“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.04.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118568914.html#dbocontent
Lambsdorff, der aus dem kurländischen Zweig eines deutsch-baltischen Adelsgeschlechts stammte, verlebte seine Jugend in Berlin und war Schüler der Ritterakademie in Brandenburg an der Havel. 1944 zum Kriegsdienst einberufen, erlitt er als Offiziersanwärter kurz vor Kriegsende eine schwere Verwundung, die zur Amputation des linken Beins führte, und legte das Abitur erst 1946 nach der Kriegsgefangenschaft ab. Anschließend studierte er in Bonn und Köln Rechtswissenschaften, absolvierte 1950 das Erste Staatsexamen und wurde 1952 bei Hans Carl Nipperdey (1895–1968) in Köln zum Dr. iur. promoviert.
1951 trat Lambsdorff der FDP bei und arbeitete nach dem Zweiten Staatsexamen 1955 im Bank- und Versicherungsgewerbe; 1971 stieg er in den Vorstand einer Rückversicherung auf. Zunächst landespolitisch aktiv, beteiligte sich Lambsdorff als Mitglied der vorbereitenden Kommission an der FDP-Programmdiskussion, die 1971 zu den „Freiburger Thesen“ führte. 1972 zog er über die nordrhein-westfälische Landesliste in den Bundestag ein, wo er sich in der Nachfolge von Gerhard Kienbaum (1919–1998) als wirtschaftspolitischer Sprecher und überzeugter Marktwirtschaftler („Marktgraf“) profilierte und 1977 Nachfolger des Bundeswirtschaftsministers Hans Friderichs (geb. 1931) wurde. Mit diesem hatte Lambsdorff entscheidenden Anteil daran, dass die FDP im selben Jahr mit den „Kieler Thesen“ als Reaktion auf die erste Ölpreis-Krise programmatisch eine politische Neuausrichtung mit dem Fokus auf Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung vornahm.
Auch als Bundesminister für Wirtschaft im zweiten und dritten Kabinett von Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918–2015) wurde Lambsdorff v. a. als Gegengewicht zum linken Flügel des sozialdemokratischen Koalitionspartners und zu den Gewerkschaften wahrgenommen, indem er sich u. a. einer weiteren Staatsverschuldung widersetzte. Nach der dank der Stimmengewinne der FDP gewonnenen Bundestagswahl 1980 verstärkte sich der Streit innerhalb der sozialliberalen Koalition, auch weil es zu einer weiteren Ölpreis-Krise kam.
Ab 1981 strebte Lambsdorff, der politisch meist im Einklang mit Hans-Dietrich Genscher (1927–2016) handelte, eine wirtschafts- und sozialpolitische Neuorientierung notfalls durch Koalitionswechsel an, für die er im Folgejahr Mehrheiten in den FDP-Führungsgremien fand. Das von Kanzler Schmidt im September 1982 angeforderte Konzeptpapier seines Wirtschaftsministers („Lambsdorff-Papier“) löste den Bruch der SPD-FDP-Koalition aus, da Lambsdorff darin ein Umschwenken von der „Nachfrage- zur Angebotspolitik“ mit entsprechenden sozialpolitischen Einschnitten forderte, was eine Konfrontation mit der SPD und dem linksliberalen Flügel seiner eigenen Partei bedeutete.
Bundeskanzler Schmidt wurde kurz darauf mittels eines Konstruktiven Misstrauensvotums, das Lambsdorff und Teile der FDP-Fraktion unterstützten, gestürzt und durch den Christdemokraten Helmut Kohl (1930–2017) als Kanzler ersetzt. Dessen Kabinett gehörte Lambsdorff wiederum als Wirtschaftsminister an, auch nach der Bundestagswahl vom März 1983, die die neue christlich-liberale Koalition bei starken Verlusten der FDP bestätigte. Zwar konnte Lambsdorff noch bei den wirtschaftspolitischen Weichenstellungen (u. a. Rückbau des Sozialstaats und Konsolidierung der Staatsfinanzen) für die ökonomische Erholung in den 1980er Jahren mitwirken, geriet aber infolge der sog. Flick-Affäre immer stärker unter öffentlichen Druck. Der Flick-Konzern hatte in den 1970er Jahren umfangreiche Spenden an die politischen Parteien getätigt, deren Herkunft verschleiert wurde. Auch Lambsdorff gehörte als damaliger Landesschatzmeister der FDP zu den Begünstigten und hatte als Bundeswirtschaftsminister 1978 eine umstrittene Steuerbefreiung in Höhe von 500 Millionen D-Mark für den Flick-Konzern genehmigt. Als vom Bonner Landgericht gegen ihn und seinen Amtsvorgänger eine Anklage wegen Bestechlichkeit respektive Steuerhinterziehung und gegen Vertreter des Flick-Konzerns wegen Bestechung zugelassen wurde, trat Lambsdorff Ende Juni 1984 von seinem Ministerposten zurück. Das Verfahren vor dem Landgericht Bonn endete 1987 für ihn mit einer Geldstrafe in Höhe von 180 000 D-Mark wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Eine persönliche Bereicherung wurde ebenso wenig nachgewiesen wie ein Zusammenhang der Spenden mit seinem ministeriellen Handeln, der Vorwurf der Bestechlichkeit wurde fallengelassen.
Lambsdorffs Reputation blieb auch über seine Partei hinaus weitgehend unbeschädigt. Er fungierte wieder als wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Bundestag und setzte sich 1988 in einer Kampfabstimmung als Nachfolger von Martin Bangemann (1934–2022) als FDP-Vorsitzender durch. Den Parteivorsitz behielt er auch bei, als 1990 west- und ostdeutsche Liberale unter dem Dach der FDP fusionierten. In der Frage, wo der Sitz von Parlament und Regierung im wiedervereinigten Deutschland sein sollte, stimmte Lambsdorff, anders als die Mehrheit seiner Fraktion, für den Verbleib in Bonn. 1993 gab er den Parteivorsitz an Klaus Kinkel (1936–2019) ab und verzichtete 1998 auf eine erneute Kandidatur für den Bundestag.
Seit 1993 FDP-Ehrenvorsitzender, übernahm Lambsdorff 1995 von Wolfgang Mischnick (1921–2002) den Vorsitz der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, verlegte die Geschäftsstelle von Königswinter nach Potsdam und setzte neue Themen, wovon v. a. seine Vorschläge für eine Föderalismusreform allgemein Beachtung fanden. Einen weiteren Schwerpunkt der Stiftungsarbeit legte er auf die Menschenrechte und pflegte in dieser Zeit enge Kontakte zu Tenzin Gyatso (geb. 1935), dem 14. Dalai Lama. 2006 gab Lambsdorff den Stiftungsvorsitz zugunsten von Wolfgang Gerhardt (geb. 1943) auf.
Ab 1999 war Lambsdorff Sonderbeauftragter des Bundeskanzlers Gerhard Schröder (geb. 1944), um einen finanziellen Ausgleich zwischen deutschen Firmen und ehemaligen NS-Zwangsarbeitern im Ausland herbeizuführen, was nach langwierigen Verhandlungen 2001 u. a mit der Gründung der Stiftung „Erinnerung - Verantwortung - Zukunft“ gelang.
1952 | Rechtsritter des Johanniter-Ordens, Rheinische Genossenschaft (1963 Ehrenritter) |
1977 | Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1980 mit Stern und Schulterband, 2000 Großkreuz) |
1985 | Thomas-Dehler-Preis der Thomas-Dehler-Stiftung |
1986 | Alexander-Rüstow-Plakette der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft |
1990 | Wolfgang-Döring-Medaille des FDP-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen |
1991 | Präsident der Liberalen Internationale (1996 Ehrenpräsident) |
1993 | Orden des Heiligen Schatzes mit Schulterband (Japan) |
1993 | Ehrendomherr des Domkapitels zu Brandenburg an der Havel |
1993 | Ehrenvorsitzender der FDP |
1997 | Orden des Marienlandkreuzes der Republik Estland I. Klasse |
1998 | Ludwig-Erhard-Medaille der Ludwig-Erhard-Stiftung |
2000 | Eric-M.-Warburg-Preis der Atlantik-Brücke e. V. |
2002 | Offizierskreuz der Französischen Ehrenlegion |
2002 | Komtur mit Stern des Verdienstordens der Republik Ungarn |
2004 | Hayek-Medaille der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft |
2004 | Light of Truth Award der International Campaign for Tibet |
2005 | Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museums Berlin |
2006 | Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen |
Teilnachlass:
Archiv des Liberalismus, Gummersbach.
Weitere Archivmaterialien:
Archiv des Liberalismus, Gummersbach, Bestand FDP-Fraktion im Bundestag.
Bundesarchiv, Koblenz, Bestand B 102 Bundesministerium für Wirtschaft.
Interviews:
Hans-Roderich Schneider, Gefragt – Otto Graf Lambsdorff, 21980. (P)
Von Freiburg über Kiel zur „Wende“. Ein Gespräch mit Otto Graf Lambsdorff, in: Wolfgang Gerhardt (Hg.), Die Kraft der Freiheit, 2008, S. 86–100.
Abschied vom Reichsleistungsgesetz unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung zum RLG, maschinenschriftliches Manuskript 1952. (Diss. iur.)
Zielsetzung. Aufgaben und Chancen der Marktwirtschaft, 1977.
Bewährung. Wirtschaftspolitik in Krisenzeiten, 1982.
Frische Luft für Bonn. Eine liberale Politik mit mehr Markt als Staat, 1987.
Otto Graf Lambsdorff/Lothar Späth, Aktive Industriepolitik? Über die Rolle des Staates in der Wirtschaftspolitik, 1988.
Freiheit in Verantwortung. Deutscher Liberalismus seit 1945, 1998. (Hg.)
Freiheit und soziale Verantwortung. Grundsätze liberaler Sozialpolitik, 2001. (Hg.)
Der Freiheit verpflichtet, Band 1: Reden und Aufsätze 1995–2006, hg. v. Jürgen Morlock, 2006. (P)
Roland Seeberg-Elverfeldt (Bearb.), Genealogie der Grafen von der Wenge genannt Lambsdorff, 1986.
Hans Leyendecker (Hg.), Das Lambsdorff-Urteil, 1988.
Andreas Wirsching, Abschied vom Provisorium. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1982–1990, 2006.
Jürgen Morlock (Hg.), Der Freiheit verpflichtet, Band 2: Beiträge zum 80. Geburtstag von Otto Graf Lambsdorff, 2007.
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (Hg.), 30 Jahre „Lambsdorff-Papier“, 2012.
Lexikonartikel:
Walter Henkels, Art. „Otto Graf Lambsdorff“, in: ders., Neue Bonner Köpfe, 91978, S. 197 ff.
Uwe Andersen, Art. „Lambsdorff, Otto Graf“, in: Udo Kempf/Hans-Georg Merz (Hg.), Kanzler und Minister 1949–1998, 2001, S. 404–409.
Johannes Scherner, Art. „Lambsdorff, Otto (Friedrich Wilhelm) Graf“, in: Ludolf Herbst/Rudolf Vierhaus (Hg.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages 1949–2002, 2002, S. 478 f.
Fotografien, 1973–2002, Bildarchiv des Bundesarchivs. (Onlineressource)