Diels, Rudolf
- Lebensdaten
- 1900 – 1957
- Geburtsort
- Berghausen bei Wiesbaden
- Sterbeort
- Katzenelnbogen (Taunus)
- Beruf/Funktion
- Gestapo-Chef ; NS-Funktionär ; Publizist ; Beamter ; Jurist
- Konfession
- evangelisch, später „gottgläubig“
- Normdaten
- GND: 118525328 | OGND | VIAF: 69721112
- Namensvarianten
-
- Diehl, Rudolf
- Diels, Rudolf
- Diehl, Rudolf
- Diels, Rudolph
- Diehl, Rudolph
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Personen im NDB Artikel
- Bernhard Weiß (1880–1951)
- Carl Severing (1875–1952)
- Erich Jaensch (1883–1940)
- Ernst Torgler (1893–1963)
- Franz von Papen (1879–1969)
- Hans Georg Gewehr (1908–1976)
- Hans Meinshausen (1889–1948)
- Hartmann Lauterbacher (1909–1988)
- Heinrich Himmler (1900–1945)
- Hermann Görings (1893–1946)
- Horst Wessel (1907–1930)
- Josef Grohé (1902–1987)
- Josef Terboven (1898–1945)
- Karl Joseph Schulte (1871–1941)
- Leonhard Schlüter (1921–1981)
- Otto Braun (1872–1955)
- Otto John (1909–1997)
- Paul Pleiger (1899–1985)
- Rudolf Augstein (1923–2002)
- Viktor Lutze (1890–1943)
- Walter Troeltsch (1866–1933)
- Wilhelm Abegg (1876–1951)
- Wilhelm Kasper (1892–1985)
Orte
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Diels, Rudolf
Namensvariante: Rudolf Diehl
1900 – 1957
Gestapo-Chef, NS-Funktionär, Publizist
Zunächst Anhänger der Weimarer Republik, stellte Rudolf Diels als Verwaltungsbeamter und Protegé Hermann Görings (1893–1946) sein Organisationstalent in den Dienst des Aufbaus der Geheimen Staatspolizei, verlor im „Dritten Reich“ jedoch rasch an Einfluss und war von 1934 bis 1942 Regierungspräsident in Köln und Hannover. Nach dem Zweiten Weltkrieg fungierte Diels als Zeuge der Anklage in den Nürnberger Prozessen und hatte kurzzeitig Erfolg als politischer Publizist.
Lebensdaten
-
Autor/in
→Hans-Christian Jasch (Berlin)
-
Zitierweise
Jasch, Hans-Christian, „Diels, Rudolf“ in: NDB-online, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118525328.html#dbocontent
Diels entstammte einer wohlhabenden bäuerlichen Familie, wuchs im Unterlahnkreis auf und besuchte das humanistische Königliche Gymnasium in Wiesbaden, an dem er im September 1918 das Notabitur erhielt. In den letzten Wochen des Ersten Weltkriegs als Unteroffizier eines Nachrichtenbataillons im Elsass eingesetzt, studierte er seit Mai 1919 Staats- und Rechtswissenschaften an der Universität Marburg an der Lahn. Hier wurde Diels v. a. von dem Psychologen Erich Jaensch (1883–1940) und dem Nationalökonomen Walter Troeltsch (1866–1933) beeinflusst, schloss sich der schlagenden Studentenverbindung Corps Rhenania Straßburg an und legte im Juni 1922 das Erste juristische Staatsexamen ab. Nach seinem Regierungsreferendariat arbeitete Diels seit Oktober 1926 als Regierungsassessor in den Landratsämtern von Neuruppin, Teltow (beide Brandenburg) und Peine bei Hannover. In dieser Zeit wurde er Mitglied der liberalen Deutschen Demokratischen Partei und verkehrte in dem von Bernhard Weiß (1880–1951) geführten Demokratischen Club in Berlin.
Gefördert von Staatssekretär Wilhelm Abegg (1876–1951), wechselte Diels zum 10. April 1931 in die Polizeiabteilung des von Carl Severing (1875–1952) geleiteten Preußischen Innenministeriums, wo er sich von der Weimarer Republik distanzierte. Seit 1932 versorgte er den stellvertretenden NSDAP-Gauleiter von Berlin, Hans Meinshausen (1889–1948), mit vertraulichem Material gegen die Nationalsozialisten, warnte vor Verboten von SA und SS und wurde im März 1932 förderndes Mitglied der SA. Im Juli 1932 spielte Diels der Reichsregierung unter Franz von Papen (1879–1969) Informationen über eine Besprechung Abeggs mit den KPD-Politikern Wilhelm Kasper (1892–1985) und Ernst Torgler (1893–1963) zu. Diese auch in der Presse lancierten Informationen lieferten einen Vorwand für die Absetzung der von Otto Braun (1872–1955) geführten Preußischen Landesregierung („Preußenschlag“).
Am 26. April 1933 durch Hermann Göring (1893–1946) zum Leiter des neu gegründeten Geheimen Staatspolizeiamts ernannt, beteiligte sich Diels an der Institutionalisierung des nationalsozialistischen „Schutzhaft“- und Konzentrationslager-Systems sowie – nach Aussage von Zeugen – an politischen Morden, etwa an dem wegen Totschlags an Horst Wessel (1907–1930) inhaftierten Albrecht Höhler (1898–1933). Am 15. September 1933 wurde Diels von Heinrich Himmler (1900–1945) im Dienstrang eines SS-Obersturmbannführers in die SS aufgenommen und am 9. November 1933 zum SS-Standartenführer ernannt. Im Machtkampf zwischen Göring und Himmler um die Kontrolle der politischen Polizei geriet Diels zwischen die Fronten und floh daraufhin kurzzeitig nach Karlsbad (heute Karlovy Vary, Tschechien), kehrte auf Drängen Görings jedoch bald zurück und wurde am 18. November 1933 wieder zum Polizeivizepräsidenten von Berlin und elf Tage später zum Inspekteur der Gestapo ernannt; am 21. April 1934 erfolgte seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand.
Zum 9. Mai 1934 wurde Diels Regierungspräsident in Köln. Seine Amtszeit war von den Konflikten zwischen Vertretern der NSDAP und der katholischen Kirche geprägt, in denen Diels eine vermittelnde Position einnahm und u. a. den Austausch mit Erzbischof Karl Joseph Schulte (1871–1941) suchte. Nach Konflikten mit dem NSDAP-Gauleiter Josef Grohé (1902–1987) und dem Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Josef Terboven (1898–1945), wurde Diels im Juli 1936 als Regierungspräsident nach Hannover versetzt, wo er zum 1. Mai 1937 in die NSDAP eintrat. Die Zusammenarbeit mit Oberpräsident Viktor Lutze (1890–1943) funktionierte hier weitgehend reibungslos, während sein seit April 1941 amtierender Nachfolger Hartmann Lauterbacher (1909–1988) gegen Diels opponierte. Göring verhalf Diels daraufhin zu der Stellung als Vorstandsvorsitzender bei der Holdinggesellschaft Reichswerke AG für Binnenschifffahrt „Hermann Göring“, die er am 15. März 1942 antrat und die ihn u. a. in die besetzte Ukraine führte, wo er Zeuge von Massenmorden wurde.
Am 3. Mai 1945 festgenommen, trat Diels von Herbst 1945 bis Sommer 1947 als Zeuge der Anklage in den Nürnberger Prozessen auf und sagte u. a. gegen Göring aus. Anschließend lebte er abwechselnd auf dem elterlichen Bauernhof in Berghausen bei Wiesbaden und seinem Gutshof in Kaltenweide-Twenge (Langenhagen) bei Hannover, den er 1955 verkaufte. 1949 veröffentlichte Diels seine Memoiren „Lucifer ante portas“; ein Vorabdruck erschien im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, mit dessen Herausgeber Rudolf Augstein (1923–2002) er befreundet war. Das Buch folgte dem verbreiteten Narrativ, das preußische Beamtentum, als dessen Repräsentant sich Diels verstand, habe sich der NS-Diktatur entgegenstellt und versucht, rechtsstaatliche Strukturen aufrechtzuerhalten. Seine eigene Mitwirkung am NS-Terrorsystem verschwieg Diels. Diels Buch wurde breit rezensiert und u. a. im „Spiegel“ positiv besprochen.
Nachdem er in seinem ersten Spruchkammerverfahren 1948 in Bielefeld noch erheblich belastet worden war, endete Diels’ Entnazifizierung am 31. März 1952 aufgrund des niedersächsischen Gesetzes zur Beendigung der Entnazifizierung mit der Einstufung als „entlastet“ (Kategorie V). Bis zu seinem Tod wurde er vom Land Niedersachsen besoldet. Im Zusammenhang mit dem Skandal um den Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz Otto John (1909–1997), der sich im Juli 1954 in die DDR absetzte, veröffentlichte Diels auf Initiative des rechtsextremen Verlegers Leonhard Schlüter (1921–1981) das Pamphlet „Der Fall Otto John“ (1954), in dem er Kritik an den Nürnberger Verfahren übte, Widerstandskämpfer diffamierte und gegen „Kollaborateure“ der Alliierten hetzte.
Kurz vor Diels’ Tod bei einem Jagdunfall druckten die Illustrierten „Stern“ und „Weltbild“ 1957 Serien über den Reichstagsbrand und die nationalsozialistische Machtergreifung 1933, die wesentlich auf Diels’ Informationen basierten und in denen die SA für den Reichstagsbrand verantwortlich gemacht wurde. Bereits in einem Schreiben vom 22. Juli 1946 an die britische Delegation beim Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg hatte Diels den früheren SA-Führer Hans Georg Gewehr (1908–1976) als wahrscheinlichen Haupttäter bei der Brandstiftung benannt.
1919 | Mitglied im Bataillion von Selchow (Studentenfreikorps) |
ca. 1933 | Mitglied im Nationalsozialistischen Altherrenbund |
ca. 1933 | Mitglied im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund |
nach 1933 | Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer |
nach 1933 | Ehrenkreuz für Frontkämpfer |
nach 1933 | Mitglied im Lebensborn e. V. |
ca. 1937 | SS-Ehrendegen |
SS-Julleuchter |
Nachlass:
Niedersächsisches Landesarchiv, Abteilung Hannover, HA VVP 46. (weiterführende Informationen)
Weitere Archivmaterialien:
Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, R 2, Nr. 23 308, 23 253, 15 163 u.15 164 (Akten des Reichsfinanzministeriums zu den „Reichswerken Hermann Göring“); R 19/452 (Akten des Chefs der Ordnungspolizei); R 126, Nr. 41 u. 42 (Akten der Binnenschifffahrtsverwaltung der „Reichswerke Hermann Göring“): R 9 361-IX KARTEI/6 210880 (SS-Personalakte, u. a. SS-Stammrolle, Heiratsakten u. Ankauf von Kunstwerken aus jüdischem Besitz).
Bundesarchiv, Koblenz, ZV 42/IV/1960. (Spruchgerichtsakte)
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin, I. HA Rep. 90 A, Nr. 1, 5, 51, 54, 58, 67 u. 951. (Tätigkeit bei der Gestapo)
Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv, Hannover, Ace. 92/91 Nr. 4 u. 6 sowie E 4 Nr. 1/4 (Akten zur Tätigkeit als Regierungspräsident in Hannover); Ace. Nr. 101/83 (Entnazifizierungsverfahren); Ace. 134/97 Nr. 63–68 (Verwaltungsverfahren gegen Diels 1954).
Staatsarchiv Koblenz, Abt. 403, 16 846; Abt. 403, 16 765; Abt. 403, 16 850; Abt. 403, 16 848; Abt. 403, 16 849 I. (Akten zur Tätigkeit als Regierungspräsident in Köln)
Sonderarchiv Moskau, Fonds Reichsinnenministerium, 720k-5-1459 bis 720k-5-1465 K. (Personalakte)
Staatsarchiv Nürnberg, KV-Anklage Interrogations D-33 (Verhöre von Diels außerhalb der Prozessverhandlungen); KV Prozesse Fall 6, A-18/1 u. A-26 (Verhöre von Diels am 27.10. und 26.11.1947 im IG-Farben-Prozess); D-861, NO-5 821, NI-2970, PS-2544, PS-2472, PS-2460, D-976, NO-684, NID-14 982, NG-4836, NG-4832, NG-4835, NI-4671, NG-3331 (Aussagen und eidesstattliche Erklärungen von Diels).
Lucifer ante portas. Zwischen Severing und Heydrich, 1949, Neuausg. 1949 u. d. T. Lucifer ante portas. Es spricht der erste Chef der Gestapo.
Der Fall Otto John. Hintergründe und Lehren, 1954, 21954.
Christoph Graf, Politische Polizei zwischen Demokratie und Diktatur. Die Entwicklung der preußischen Politischen Polizei vom Staatsschutzorgan zum Geheimen Staatspolizeiamt des Dritten Reiches, 1983.
Klaus Wallbaum, Der Überläufer. Rudolf Diels (1900–1957). Der erste Gestapo-Chef des Hitler-Regimes, 2010.
Robert Becker, Die Kölner Regierungspräsidenten im Nationalsozialismus. Zum Versagen von Vertretern einer Funktionselite, 2018, S. 101–215. (P)
Hans-Christian Jasch, Vor 70 Jahren. Die Schmähschrift des Ex-Gestapochef Rudolf Diels zum „Fall Otto John“. Zu den Grenzen erfolgreicher Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten und überlebender Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 in die Nachkriegsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, in: Recht und Politik 60 (2024), H. 2, S. 1–33.
Fotografien, 1933–1948, Bildarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek München.
zwei Fotografien, 1933, Digitales Bildarchiv des Bundesarchivs.