Kuczynski, Jürgen
- Lebensdaten
- 1904 – 1997
- Geburtsort
- Elberfeld (heute Wuppertal)
- Sterbeort
- Berlin-Weißensee
- Beruf/Funktion
- Wirtschaftswissenschaftler ; Philosoph
- Konfession
- jüdisch
- Normdaten
- GND: 118567462 | OGND | VIAF: 108195127
- Namensvarianten
-
- Pesudonym: Forster, Peter
- Pseudonym: Olecitv, K.
- Pseudonym: Olivier, Pierre; Turner, James; Deckname: Karo
- Kuczynski, Jürgen
- Pesudonym: Forster, Peter
- Pseudonym: Olecitv, K.
- Pseudonym: Olivier, Pierre; Turner, James; Deckname: Karo
- Kuczynski, Jürgen
- Feld, Peter
- J. K.
- J.K.
- Jottkas, Peter
- K., J.
- Knight, John
- Kuchinskiĭ, I͡U.
- Kuchinsukī, Yurugen
- Kucynski, J.
- Kucynski, Jürgen
- Kuczinski, Jürgen
- Kuczynski, J.
- Kuczynski, Juergen
- Kuczynski, Jurgen
- Kuczynski-Heise
- Kučinskij, Ju.
- Kučinskij, Jurgen
- Lebergall, Friedrich
- Persons, Henry
- Cuczynski, Jürgen
- Pesudonym: Forsther, Pether
- Pseudonym: Olivier, Pierre; Turner, James; Deckname: Caro
- Cuczynski, Jürgen
- Feld, Pether
- Jottkas, Pether
- Cuchinskiĭ, I͡U.
- Cuchinsukī, Yurugen
- Cucynski, J.
- Cucynski, Jürgen
- Cuczinski, Jürgen
- Cuczynski, J.
- Cuczynski, Juergen
- Cuczynski, Jurgen
- Cuczynski-Heise
- Cučinskij, Ju.
- Cučinskij, Jurgen
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-
Kuczynski, Jürgen
Pseudonyme: Peter Forster; K. Olectiv; Pierre Olivier; James Turner
Deckname: Karo
1904 – 1997
Jürgen Kuczynski gilt als Nestor der Gesellschaftswissenschaften der DDR. Als außergewöhnlich produktiver Autor der Wirtschaftsgeschichte veröffentlichte er u. a. 1960–1972 als Alleinautor eine vierzigbändige Studie zur Geschichte der Lage der Arbeiter. Wiederholte Kritik der SED wirkte negativ auf seine akademische Karriere, führte jedoch nie zum Bruch mit der Partei. Er war persönlicher außenwirtschaftspolitischer Berater Erich Honeckers (1912–1994).
Lebensdaten
-
Autor/in
→Till Düppe (Montréal, Québec, Kanada)
-
Zitierweise
Düppe, Till, „Kuczynski, Jürgen“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118567462.html#dbocontent
Kuczynski wurde in einer jüdischen Bankiersfamilie geboren und wuchs in Berlin-Zehlendorf auf. Nach dem Abitur studierte er von 1922 bis 1924 Philosophie, Finanzwirtschaft und Statistik an den Universitäten Berlin, Erlangen und Heidelberg. 1925 wurde er in Erlangen bei Paul Hensel (1860–1930) mit der Arbeit „Der ökonomische Wert. Eine wirtschaftstheoretische, soziologische und geschichtsphilosophische Betrachtung“ (Manuskriptdruck 1925) zum Dr. phil. promoviert.
Von 1926 bis 1929 hielt sich Kuczynski als Forschungsstipendiat bei der Brooking-School in Washington D. C. auf, seit 1927 war er Leiter der Forschungsabteilung bei der American Federation of Labor. Im Sommer 1929 kehrte er nach Berlin zurück, wo er als US-Korrespondent für die sowjetische Zeitung „Industrializacija“ schrieb und 1930 Mitglied der KPD und Redakteur ihres Zentralorgans „Rote Fahne“ wurde. Er unterrichtete auch an der Marxistischen Arbeiterschule und war für die Abteilung Information der Revolutionären Gewerkschaftsopposition tätig. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme war er neben akademischen Herausgeberschaften, u. a. 1933/34 der 1919 von seinem Vater gegründeten „Finanzpolitischen Korrespondenz“, bis 1936 illegal in der Geheimdienstabteilung der KPD-Reichsleitung tätig.
1936 flüchtete Kuczynski nach Großbritannien, wo er sich weiterhin als leitendes Mitglied der KPD engagierte. Bis 1944 wirkte er hier als Journalist in der Redaktion des „Labour Monthly“ und des „Deutschen Freiheitssenders 29,8“ für die Interessen deutscher Kommunisten in Großbritannien und gründete 1939 den Freien Deutschen Kulturbund (Free German League of Culture). 1940 wurde er für vier Monate aufgrund seiner politischen Tätigkeit in Warnher’s Camp in Seaton interniert. Mit sowjetischer Billigung wurde er 1944 unter der Leitung von John Kenneth Galbraith (1908–2006) Mitarbeiter der United States Strategic Bombing Survey, die die Schäden des Luftkriegs empirisch erhob. Im März 1945 kehrte er als Oberstleutnant der US-Army nach Deutschland zurück. Kuczynskis Kontakte zur Sowjetunion waren auch über seine ebenfalls nach England geflüchtete Schwester Ursula Maria Kuczynski (1907–2000) vermittelt worden, die für den sowjetischen Geheimdienst tätig war.
1946 wurde Kuczynski Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Berlin und Gründer des gleichnamigen Instituts. Als zeitweiser Dekan war er maßgeblich für den marxistisch-leninistischen Umbau der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät verantwortlich. Seit 1946 Mitglied der SED, wurde er 1947 Abgeordneter des 1. Deutschen Volkskongresses, der späteren Volkskammer, und gründete die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, deren Präsident er wurde. 1949 Direktor des Deutschen Wirtschaftsinstituts, wurde er 1955 ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften und Leiter der Abteilung Wirtschaftsgeschichte am Institut für Geschichte, seit 1964 an einem eigenständigen Institut.
Kuczynski wurde schon früh wegen seines freien Intellektualismus von der SED kritisiert, was in Revisionismusvorwürfe Ende der 1950er Jahre mündete. Konkreter Anlass war seine Arbeit „Der Ausbruch des ersten Weltkrieges und die deutsche Sozialdemokratie. Chronik und Analyse“ (1957) zur kommunistischen Deutung des Beginns des Ersten Weltkriegs. Kuczynski spielte darin die Verantwortung der Sozialdemokratie herunter, musste daraufhin öffentlich Selbstkritik üben und verlor sein Amt als Abgeordneter der Volkskammer; als Institutsdirektor an der Humboldt-Universität wurde er durch Waltraud Falk (1930–2015) ersetzt.
Dennoch blieb Kuczynski als Leiter des Akademieinstituts für Wirtschaftsgeschichte ein höchst produktiver Wirtschaftshistoriker mit ca. 4100 Publikationen, wie u. a. seine von 1960 bis 1972 in vierzig Bänden erschienene Arbeit „Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus“ zeigt, die wohl umfangreichste Aufarbeitung der Sozialgeschichte der Arbeit in Deutschland seit 1789 in allen Aspekten. Auch nach seiner Emeritierung 1968 wirkte Kuczynski als öffentlicher Intellektueller publizistischund als außenwirtschaftspolitischer Berater Erich Honeckers (1912–1994) auf die gesellschaftliche Entwicklung ein. Breite Bekanntheit erlangte er durch seine gesellschaftskritischen Arbeiten, v. a. das Buch „Dialog mit meinem Urenkel“, das er 1977 fertigstellte, das jedoch aufgrund seiner Kritik an Bürokratie und Medienkontrolle in der DDR bis 1983 keine Druckgenehmigung erhielt und danach zehn Auflagen erlebte. Seine internationale Bekanntheit führte dazu, dass Kuczynski in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre dreimal für den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften vorgeschlagen wurde. Nach dem Ende der DDR 1989/90 war Kuczynski Mitglied des Ältestenrats der PDS. Er hinterließ eine Privatbibliothek mit mehr als 70 000 Büchern und Zeitschriften, die sich heute in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin befindet.
1949 | Nationalpreis der DDR 3. Klasse |
1955 | ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin |
1964 | Dr. h. c., Humboldt-Universität Berlin |
1965 | Vorsitzender des Nationalkomitees der Wirtschaftshistoriker |
1968 | Dr. h. c., Technische Universität Dresden und Universität Halle an der Saale |
1968 | Dr. h. c., Universität Halle an der Saale |
1969 | Karl-Marx-Orden |
1974 | Nationalpreis der DDR |
1976 | auswärtiges Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR |
1976 | Mitglied der International Economic History Association |
1976 | Fellow der Royal Statistical Society London |
1979 | Stern der Völkerfreundschaft |
1984 | Vaterländischer Verdienstorden in Gold (1989 Ehrenspange) |
2015 | Jürgen-Kuczynski-Park mit Gedenkstele und Bronzetafel, Berlin-Weißensee (P) |
2017 | Gedenktafel vor dem Geburtshaus in Wuppertal, Jägerstr. 16 (P) |
Nachlass:
Zentral- und Landesbibliothek Berlin. (weiterführende Informationen)
Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin. (weiterführende Informationen)
Gedruckte Quellen:
Editionsprojekt: Die Tagebücher von Jürgen Kuczynski (1957–1997). Kooperationsprojekt mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. (weiterführende Informationen)
Monografien:
Der ökonomische Wert. Eine Wirtschaftstheoretische, soziologische und geschichtsphilosophische Betrachtung, 1925. (Diss. phil.)
Zurück zu Marx! Antikritische Studien zur Theorie des Marxismus, 1926.
Jürgen Kuczynski/Marguerite Kuczinsky, Der Fabrikarbeiter in der amerikanischen Wirtschaft, 1930.
Weltproduktion und Welthandel in den letzten 100 Jahren. Statistische Studien, insbesondere zur Entwicklung unter dem Monopolkapitalismus, 1935.
James Turner (Pseudonym), Hitler and the Empire, 1937. (zugangsbeschränkte Onlineressource)
The Condition of the Workers in Great Britain, Germany and the Soviet Union. 1932–1938, 1939. (zugangsbeschränkte Onlineressource)
Jürgen Kuczynski/Margarete Wittkowski, The Economics of Barbarism. Hitler's New Economic Order in Europe, 1942. (zugangsbeschränkte Onlineressource)
Germany. Economic and Labour Condition Under Fascism, 1945. (zugangsbeschränkte Onlineressource)
Jürgen Kuczynski/Margarete Wittkowski, Die deutsch-russischen Handelsbeziehungen in den letzten 150 Jahren, 1947. (zugangsbeschränkte Onlineressource)
Allgemeine Wirtschaftsgeschichte. Von der Urzeit bis zur sozialistischen Gesellschaft, 1949.
Fortschrittliche Wissenschaft, 1951.
Über einige Probleme des historischen Materialismus, dargestellt vornehmlich an Beispielen aus der deutschen Geschichte, 1956.
Der Ausbruch des ersten Weltkrieges und die deutsche Sozialdemokratie. Chronik u. Analyse, 1957.
Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, 40 Bde., 1960–1972, 21981, unvollständige digitale Reproduktion 2022. (zugangsbeschränkte Onlineressource)
So war es wirklich. Ein Rückblick auf 20 Jahre Bundesrepublik, 1969.
Memoiren. Die Erziehung des J. K. zum Kommunisten und Wissenschaftler, 1973, 41983.
Studien zu einer Geschichte der Gesellschaftswissenschaften, 10 Bde., 1975–1978.
Geschichte des Alltags des deutschen Volkes, 6 Bde., 1980–1983.
Dialog mit meinem Urenkel. 19 Briefe und ein Tagebuch, 1983, 91988 (Neuaufl. u. Erstveröff. d. ungekürzten Originalfassung).
Schwierige Jahre - mit einem besseren Ende? Tagebuchblätter 1987 bis 1989, 1990.
„Ein linientreuer Dissident“: Memoiren 1945–1989, 1992, 21999.
Frost nach dem Tauwetter. Mein Historikerstreit, 1993.
Ein Leben in der Wissenschaft der DDR, 1994
Fortgesetzter Dialog mit meinem Urenkel, 1996, 31997.
Freunde und gute Bekannte. Gespräche mit Thomas Grimm, 1997.
Herausgeberschaft:
Finanzpolitische Korrespondenz, 1933/34.
Bibliografie:
Günter Kröber, Die dritte Wiedergeburt. Die Publikationen des J. K. Eine vornehmlich quantitative Analyse. Zweiter Nachtrag, in: Zeitgenosse Jürgen Kuczynski, 1994, S. 23.
Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Sonderbd. 1974, S. 133–247, Sonderbd. 1984, 1989/ II, S. 107–144.
Monografien:
Thomas Heubner (Hg.), ZeitGenosse Jürgen Kuczynski, 1994.
Horst Haun, Kommunist und ‘Revisionist’. Die SED Kampagne gegen Jürgen Kuczynski (1956–1959), 1999.
Wolfgang Girnus (Hg.), Sozialistischer Weltbürger und Enzyklopädist. Mosaiksteine zu Jürgen Kuczynski, 2007.
Hans H. Lembke, Die schwarzen Schafe bei den Gradenwitz und Kuczynski. Zwei Berliner Familien im 19. und 20. Jahrhundert, 2008.
Axel Fair-Schulz, Loyal Subversion. East Germany and its bildungsbürgerlich Marxist Intellectuals, 2009.
Anke Geißler, Für eine Neuorientierung der DDR und ihrer Geschichtswissenschaft – Jürgen Kuczynski und die Kontroverse um sein Buch „Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die deutsche Sozialdemokratie. Chronik und Analyse“ Mitte der 1950er Jahre, 2011.
Agnieszka Brockmann. Der Kuczynski-Nachlass in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, 2011.
John Green, A Political Family, The Kuczynskis, Fascism, Espionage and The Cold War, 2017.
Aufsätze:
Thomas Grimm, Jürgen Kuczynski, in: ders. (Hg.), Was von den Träumen blieb. Eine Bilanz der sozialistischen Utopie, 1993, S. 91–110.
Mario Keßler, Jürgen Kuczynski. Ein linientreuer Dissident?, in: UTOPIE kreativ 171 (2005), S. 42–49. (W)
Günter Kröber, Jürgen Kuczynski und der Nobelpreis, in: ebd., S. 50–54.
Matthew Stibbe, Jürgen Kuczynski and the Search for a (Non-Existent) Western Spy Ring in the East German Communist Party in 1953, in: Contemporary European History 20 (2011), S. 61–79.
Agnieszka Brockmann, Robert René Kuczynski, Jürgen Kuczynski, in: Günter Benser/Dagmar Goldbeck/Anja Kruke (Hg.), „Bewahren, Verbreiten, Aufklären“. Archivare, Bibliothekare und Sammler der Quellen der deutschsprachigen Arbeiterbewegung, Supplement, 2017, S. 49–61.
Lexikonartikel:
Ilko-Sascha Kowalczuk, Art. „Kuczynski, Jürgen“, in: Helmut Müller-Enbergs/Jan Wielgohs/Dieter Hoffmann/Andreas Herbst/Ingrid Kirschey-Feix (Hg.), Wer war wer in der DDR?, 52010. (Onlineressource)
Claus-Dieter Krohn, Art. „Kuczynski, Jürgen“, in: Harald Hagemann/Claus-Dieter Krohn (Hg.), Biographisches Handbuch der deutschsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Emigration nach 1933, Bd 1, 1999, S. 336–338.
Einblick in einen Nachlass – Die Kuczynskis, Berlin-Sammlungen. (Qu, P)
Nachlass und Bibliothek Jürgen Kuczynski.
Anhörung des Sachverständigen Kuczynski, 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess, 19.3.1964.
MDR 06.08.1997: Kalenderblatt, Todestag von Jürgen Kuczynski.
Other Europe: Interview mit Jürgen Kuczynski, 25.9.1987, in YouTube.
Fotografien, Bildarchiv des Bundesarchivs.
Fotografien, Ullstein Bild. (Onlineressource)